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Heute kommt der Weihnachtsmann…

 

jedermann

 

…Bei Doktor Seltsam im Labor
da kam mir manches seltsam vor
auch in seiner großen Werkstatt
sah ich mich an seinem Werk satt…

 

Diese Verse tönen manchmal laut durch das JEDERMANN. Sie stammen von einem gewissen Lipinski, der manchmal als Platzanweiser im benachbarten Pornokino arbeitet – doch in seinem Herzen ist er Dichter.
Das Jedermann, eine konservative Kneipe, gemütlich, rustikal mit dicken verräucherten Balken an der Decke, Stühlen und Tischen mit gedrechselten Beinen und üppigen Lampen, geplüscht und getroddelt...
Am Tage ist es wunderbar ruhig und leer im Jedermann, der chaotische Wirt mit seiner Roxy Music-Besessenheit wird erst viel später erscheinen und die anderen Gäste auch.
Durch die selten geputzten Fensterscheiben fallen die Sonnenstrahlen ein und beleuchten für eine kurze Zeit die Leute, die an der Theke sitzen.
Es sind drei: Nämlich FRODO, LIPINSKI und FRANKIE. BINGO, der vierte Mann ist gerade zum Markt gegangen, Brötchen kaufen.
FRODO, so genannt weil er nur ein bisschen größer ist als ein Hobbit. Trotz seiner Kleinheit gelingt es ihm immer, die absonderlichsten Frauen aufzugabeln, einmal eine Leichenwäscherin, die ihn um zwei Breiten und drei Köpfe überragte – und deren Mutter ihm nachts an die eigene Wäsche gehen wollte. Und einmal einen Mann, der sich als Frau ausgab. Nun denn, nobody’s perfect…
Neben ihm LIPINKSI, Dichter und Platzanweiser im Pornokino, siehe oben.
Ganz rechts sitzt der drahtige FRANKIE. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille, vermutlich um seine vom Saufen blutunterlaufenen Augen zu verbergen. Frankie, der ewige Student hat in Spanien eine reiche Frau kennengelernt, er wird bald heiraten und auf ihre Hazienda ziehen. Er hat aber ein bisschen Angst davor, denn seine Zukünftige weiß fast nichts über ihn und seinen versoffenen Lebenswandel.
APO, der Tageskellner steht HINTER dem Tresen. Apo ist ein hübscher Kerl, die Frauen sind schwer hinter ihm her, aber zu deren Verdruss liebt er nur eine, nämlich seine Königin, wie er sie nennt. Sehr zur Erbauung der Kumpels, die lachen sich heimlich einen ab, denn die „Königin“ ist zwar sehr hübsch, aber eine totale Zicke und so schwer festzuhalten wie… ein Floh.
Apo hat allen Kaffee serviert – und dann den kleinen arbeitslosen BINGO aus der Sippe der Roma losgeschickt, um auf dem Markt Brötchen mit Krabbensalat zu kaufen. Als Bingo mit den Krabbenbrötchen eintrudelt, zapft Apo seinen Gästen gerade das erste Bier.
Nach dem Frühstück spielt er Schach mit Frankie. Sie sind beide gleich stark, es gibt immer ein Remis. Das wird den anderen schnell langweilig, und irgendwann kommt die Frage auf: „Soll’n wir nicht lieber einen umdrehen?“
Eine rein rhetorische Frage. Man ist schließlich nicht zum Plaudern hier, sondern zum Schocken. Das ist ein Knobelspiel, bei dem man meistens gewinnt, wenn man viel Geld in der Tasche hat – und meistens verliert, wenn man eh schon pleite ist. Wie bei jedem Glücksspiel.
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Man knobelt, trinkt Bier, manchmal erscheint ein lästiger Gast, der Spaghetti bestellt, und Apo muss in die Küche, um die Dinger aufzuwärmen. Er ist recht grimmig deswegen. Aber ein bestimmter Gast bringt ihn immer wieder in gute Laune, nämlich der, der mit sich selber Zwiegespräche führt. Apo liebt diesen Typen, vor allem, wenn er ein neues Bier bestellt. „Für deinen Kumpel auch eins?“, fragt er dann. Der Typ versteht ihn nicht und glotzt ihn nur blöde an.
Alle anderen lachen sich natürlich drüber kaputt, und bald darauf hört man wieder das wunderbare Klacken der Knobelbecher auf der polierten Theke und die Flüche, die nach einem schlechten Wurf ausgestoßen werden.
Lipinski hat Pech und steigt aus dem Spiel aus. Bingo hat von Anfang an nicht mitgeknobelt, er ist sehr arm und kann sich das nicht leisten. Die anderen drei, nämlich Apo, der unbegrenzt Getränkekredit hat als Kellner, sowie Frodo und Frankie spielen lustig weiter, jeder von ihnen verliert ab und zu, und bald stehen so viele Biere auf der Theke, dass sie die Mengen an Flüssigkeit nicht mehr trinken können und auf leichte Liköre umsteigen. Wenn sie auch die nicht mehr runterwürgen können, dann ist da immer noch Bingo, der kleine Mann aus der großen Sippe der Roma – in Wirklichkeit heißt er Grand Romano Mirga – denn der säuft wirklich alles, zusammengekippte Biere und Restpfützen vom Schnabes. Nebenbei knabbert er den Adventsteller leer, der auf der Theke steht. Die Pfeffernüsse lässt er aber liegen.

 

…Er erfand wusstest du das schon
die Armbanduhr mit Telefon
von der Größe her ein Achtel
der normalen Streichholzschachtel…

 

Lipinski fühlt sich dem kleinen Bingo schwer überlegen. Warum? Weil Lipinski ein Künstler ist. „Hast du keinen Stolz? Ich würde nie angetrunkene Biere trinken“, sagt er zu ihm. Aber little Bingo weiß sich zu wehren: „Du lebst doch genauso von der Stütze wie ich!“ Daraufhin ist Lipinski still. Und die anderen grinsen sich einen, denn es kommt selten vor, dass Lipinski mal still ist.
„Wo steckt eigentlich der Günner?“, fragt Frodo irgendwann. Mittlerweile hängen alle wunderbar betäubt auf ihren Barhockern rum. Günner ist ein alter Sack um die fünfzig, aber echt’n Toften. Er macht im Augenblick mit ’ner verheirateten Frau rum und hat ziemlich Ärger mit deren Mann.
„Der arbeitet als Weihnachtsmann im Kaufhaus“, sagt Apo.
„Was denn, schon wieder Weihnachten?“ Frodo kichert vor sich hin. „Da muss ich ja für meine Bräute diverse Geschenke kaufen…“
„Tolle Bräute hast du!“, lacht Apo. „Wenn ich nur an diese Riesin denke, diese Leichenwäscherin! Dagegen ist die Köni…“ In diesem Augenblick kommt ein Weihnachtsmann in den Laden. Nein, das kann nicht wahr sein, das ist doch… Er ist unverwechselbar mit seiner schwammigen großen Gestalt!
„Günner! Alter Junge! Was machst DU denn hier?“ Frankie hebt dem Rotbekleideten sein Schnapsglas entgegen.
„Ich hatte ein bisschen Zeit, und da dachte ich mir, ich besuch’ euch einfach.“
„Finde ich super. Was is, Günner, willste’n Bier? Ich geb einen aus!“
„Nein, jetzt nicht, ich muss gleich wieder weg, aber dange schön!“
„Soso, du bist jetzt also Weihnachtsmann, und wie ist das so?“, grinst Apo.
„Es ist nicht schlecht. Ich muss natürlich unheimlich viel Wünsche erfüllen, aber das macht Spaß…“
„Du bist mir einer, du Schlingel! Apropos Wünsche. Was macht denn deine Süße? Oder besser gesagt, deren Ehemann?“
Der Weihnachtsmann sieht hinter seinem weißen Bart etwas unwirsch aus, und deshalb vertiefen die Kumpels das Thema nicht.
„Sag mal Weihnachtsmann“, das kommt von Lipinski, „du kannst doch bestimmt in die Zukunft sehen, willst du uns nicht erzählen, was uns so passiert? Ich zum Beispiel: Werde ich berühmt?“
Die anderen stoßen sich an: „Jau, wäre gar nicht schlecht.“ – „Bin ich dann schon tot?“ – „Was ist mit der Königin und mir?“ – „Wo ist die richtige Frau für mich?“
Der Weihnachtsmann schweigt und überlegt, das ist typisch Günner! Doch dann sagt er: „Ich bin kein Orakel, ich bin nur ein Weihnachtsmann. Aber wenn ihr unbedingt wollt, kann ich’s ja mal versuchen…“
„Der Günner ist der Tofteste…“, erklingt es im Chor.
Der Weihnachtsmann räuspert sich. „Also gut. Aber hinterher bitte nicht beschweren.“ Er stellt seinen Sack auf den Boden und wendet sich dem Kellner Apo zu. „In ein paar Jahren wirst du eine Frau kennenlernen, die dich wirklich liebt. Sie besitzt eine Fischbude, und sie hat schon Kinder. Sie sieht nicht besonders gut aus, aber mit ihr wirst du dein Restleben verbringen.“
„Was?“, fragt Apo entsetzt. „Das kann doch nicht sein! Wo ist meine Königin? Ich bin verrückt nach der Frau!“
„Darüber habe ich keine Informationen.“
An der Theke fangen sie an zu lachen. Der Günner, das is aber auch einer, der hat’s dem Apo und seiner Königin so richtig gegeben.
Der Weihnachtsmann greift in seinen Sack und kramt zwei Schachfiguren heraus. Es handelt sich um Damen: die eine schön und stolz, die andere eher unscheinbar. Er überreicht sie dem Apo, der sie misstrauisch beäugt. „Hast du die im Kaufhaus geklaut?“
Der Weihnachtsmann schüttelt den Kopf, dann lächelt er: „Und du Frodo, du wirst eine Frau kennenlernen auf einer Busreise nach Tossa de Mar, du wirst dich in sie verlieben und sie heiraten. Die Ehe geht in die Hose, du wirst deine Tochter nie wieder sehen, du wirst anfangen zu saufen - ach was, das tust du jetzt ja auch schon - und deswegen arbeitslos werden. Ist klar, welche Chemiefabrik braucht so einen Vorarbeiter…“
„Glaub ich nicht“, Frodo verschluckt sich fast an seinem Bier. „Ich und mich verlieben? Nächste Woche fahr ich doch schon nach Tossa. Und ein Blag krieg ich auch?“ Nun krümmt er sich fast vor Lachen.
„Es ist, wie es ist“, sagt der Weihnachtsmann, „aber vielleicht kannst du es ja ein wenig zum Besseren wenden.“ Er greift in seinen Sack und holt ein Lebkuchenherz heraus, es scheint zerbrochen zu sein, aber das ist nur aufgemalt. Frodo nimmt es vorsichtig in die Hand und betrachtet es skeptisch.
Der Weihnachtsmann lächelt grimmig – man kann es durch seinen Bart hindurch erkennen – und wendet sich nun Lipinski zu: „Du, mein Freund wirst leider nie den Durchbruch als Dichter schaffen, aber du hast einen heimlichen Verehrer, und der sendet dir dieses Büchlein…“ Er wühlt in seinem Sack herum und fördert ein schmales Heftchen zutage. Lipinski reißt es ihm fast aus der Hand. „Ich bin gedruckt, ich bin gedruckt!“, ruft er freudig aus und bewundert das Titelbild, das ihn höchstpersönlich zeigt, dann öffnet er feierlich das Büchlein und vertieft sich in seine Texte.
„Nun zu dir, Frankieboy. Hör lieber auf zu saufen!“ Frankie schaut ihn verständnislos an. Der Weihnachtsmann stockt kurz, doch dann fährt er fort: „Wenn du es nicht tust, dann wirst du in vierzehn Tagen eine Treppe hinunterstürzen. Besoffen natürlich. Leider wirst du den Sturz nicht überleben.“
Frankie schüttelt den Kopf. „So’n Quatsch!“
„Meine Güte, Frankie! Du könntest es so gut haben. Deine Spanierin ist verrückt nach dir, und in drei Wochen soll die Hochzeit sein...“ Der Weihnachtsmann greift in den Sack und holt eine gläserne Schnapsflasche in Form eines Stieres heraus, sie ist mit einer bräunlichen Flüssigkeit gefüllt.
„Hammer! Osborne im Stier!“ Frankie reißt ihm fast die Glasfigur aus der Hand, entfernt hastig den Korken und nimmt einen tiefen Schluck aus dem Stier. Doch dann fängt er an zu würgen und spuckt die Flüssigkeit auf den Boden. „Pfui Teufel, was ist denn das?“
„Tee“, sagt der Weihnachtsmann lakonisch.
„Günner, Günner, was treibst du nur mit mir…“, murmelt Frankie vor sich hin.
Der Weihnachtsmann geht nun zu dem kleinen Bingo, der mittlerweile nicht nur den Adventsteller auf dem Tresen leer gefuttert, sondern sich einen neuen von den Tischen organisiert hat. Die Pfeffernüsse lässt er natürlich liegen.
„Bingo, mein alter Freund. Hier hast du eine Flasche von deinem Lieblingsschnaps. Dreißig Jahre alter Single Malt Whisky. Genieße ihn, solange du kannst…“
Bingo kriegt riesige Augen, er kann es kaum glauben: eine ganze Flasche ganz für ihn allein! Andächtig berührt er sie und vergisst nach seinem Schicksal zu fragen.
„Wieso kriegt DER Schnabes und ich nur Tee?“, beschwert sich Frankie.
„Ach halt die Klappe“, der Weihnachtsmann schaut ihn streng an, „denk lieber drüber nach, was ich dir gesagt habe! Und nun muss ich wieder… Meine Rentiere warten.“ Mit diesen Worten hievt er sich den Sack über die Schulter und stapft in Richtung Ausgang.
„Nicht schlecht gemacht“, sagt Apo. „Seine Rentiere warten…“
„Der Günner hat’s drauf“, Frodo schaut dem Weihnachtsmann nachdenklich hinterher.
„Ist das schön…“ Lipinski kann seine Augen nicht von seinem Gedichtband abwenden.
„Der spinnt doch“, grummelt Frankie in sich hinein.
„Prost Günner! Du bist der Beste“, Bingo hält seinen Whisky zärtlich im Arm.
In diesem Augenblick sehen sie eine Gestalt durch die Tür kommen: Es ist Günner, und er trägt gar kein Weihnachtsmannkostüm mehr.
„Wie hast du das geschafft, dich in der kurzen Zeit umzuziehen?“, fragt Apo. Günner starrt ihn verständnislos an. „Seid ihr besoffen oder was? Ha, da muss ich ja schwer einen nachlegen. Also was ist, drehen wir einen um?“
Der Günner ist eben bescheiden und macht nichts viel Aufhebens um die Geschenke, die er ihnen gegeben hat, und alles andere war sowieso ein Scherz, ein erschreckender Scherz, also besser nicht erwähnen.
Bald darauf hört man wieder das wunderbare Klacken der Knobelbecher auf der polierten Theke und die Flüche, die nach einem schlechten Wurf ausgestoßen werden.
Irgendwann verlangt der mit sich selber sprechende Gast die Rechnung. „Wie wollt ihr denn zahlen? Zusammen?“ Apo amüsiert sich köstlich und freut sich schon auf die Königin, denn die hat ihm heute eine Audienz gewährt.
Auch die anderen verlassen nach und nach das Jedermann, denn bald wird es dort voll werden. Auf der Theke bleibt ein Lebkuchenherz liegen. Es sieht zerbrochen aus, aber das ist nur mit Zuckerfarbe aufgemalt.
 

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© Ingrid Grote 2013

 

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