LOVE GAMES  

Kapitel 5

Mai, das ist der, der angeblich alles neu macht. Dass ich nicht lache...

Rupert und Betty holten mich am Freitag mit dem Auto ab. Zuerst ging es in die Wohnung von Anja und Alex, vor der sich schon etliche Leute eingefunden hatten, um die ganze Straße mit ihrem Müll vollzusauen. Ich lieferte meine Geschenke ab. Ich sah Robert kommen – wir begrüßten uns kurz, dann wandte ich mich wieder Rupert und Betty zu.

Ich fuhr mit Rupert und Betty in Richtung Süden. denn der eigentliche Polterabend fand im Vereinshaus einer Schrebergartenkolonie statt. Das Vereinshaus hatte eine richtige Theke, einen Riesenraum mit Tischen und sogar eine Tanzfläche. Man kam sich vor wie bei einem Schützenfest. Die Väter von Alex und Anja standen hinter der Theke und zapften Bier. Jedenfalls glaubte ich, dass es sich um die Väter handelte.

Rupert, Betty und ich setzten uns an einen der Tische. Kurz darauf erschien das Brautpaar mit einer riesigen zugedeckten Platte. Als die Platte feierlich enthüllt wurde, stellte sich raus, dass belegte Brötchen darauf waren. Alles brach in Begeisterungsrufe aus, aber beim Essen hielt man sich stark zurück.

Wann kommt Parker eigentlich?

Da kommt er ja! Mich trifft der erste Schlag an diesem Abend. Er kommt mit Cornelia herein, es ist Cornelia, das weiß ich, und im Schlepptau hat er seine ganze Clique. Alle new-wavemäßig aufgemacht. Alle Paradiesvögel sind dabei. Ist das eigentlich normal, dass man zu einem Polterabend zehn Bekannte oder noch mehr mitbringen kann? Ich würde das nicht wagen. Außerdem hätte ich im Augenblick Probleme, zehn Bekannte zusammen zukriegen. Übrigens das erste Mal, dass ich Parkers neue Alte sehe.

Sie ist dunkelhaarig und wirklich hübsch, und sie ist drei Jahre älter als ich. Sieht älter aus als ich. Alle in meinem Alter sehen älter aus als ich. Sie ist gut aufgemacht.

Ich habe mich immer dagegen gesträubt, mich trendmäßig zu frisieren oder anzuziehen. well ich nie auffallen wollte, vor allein nicht wegen meiner Frisur oder meiner Kleidung. Parker hat mir das immer übelgenommen. Er selber liebt es, aufzufallen wie ein bunter Hund und wollte natürlich auch eine entsprechend auffallende Frau an seiner Seite haben.

Jetzt bin ich heilfroh, dass ich selber ein Geschenk für Alex und Anja hatte. "Der Übertopf mit dem Ficus ist von Parker", habe ich vorsorglich zu Alex und Anja gesagt. Die haben sich überhaupt schwer gewundert, dass ich für Parker die Geschenke besorgt habe.

Robert kommt gerade herein. Eine Frau folgt ihm. Es handelt sich um Anjas Freundin, die auch Silvester da war und über die Alex und er sich am Ostermontag so nett unterhalten haben. "Alleinstehende Frauen werden Nutten!"

Robert setzt sich mit der ‚Nutte’ an die Theke und amüsiert sich köstlich mit ihr. Mir schenkt er keinen Blick. Ich hasse diesen verdammten Heuchler!

Parker und seine Clique belegen einen ganzen Tisch.

Dieser Wurm von Robert guckt durch mich hindurch, als wäre ich überhaupt nicht vorhanden. Eine Unverschämtheit!

Irgendwie riecht es verbrannt. Auf den Tischen stehen Kerzen, aber die riechen nicht so. Der Geruch kommt aus dem Ärmel meines neuen Jäckchens (dem Jäckchen meines 200 Mark-Hosenanzugs), das ich wohl über die Kerze gehalten haben muss. Scheiße! Ich lösche das Flämmchen, das aus meinem teuren Ärmel kommt, unauffällig. Es bleibt ein Loch zurück. Hmmm, das hat nicht lange gehalten. Vielleicht kann ich’s ja stopfen. Betty guckt mitleidig zu, sagt aber nichts, und ich tu so, als wäre ich noch glücklich mit dem verkokelten Ärmel. Mist! Mist!

Scheint heute nicht mein Tag zu sein.... Ich sehe es einfach mal symbolisch: Alles geht in Flammen auf, und nichts bleibt übrig. Am Tisch bei uns sitzen noch zwei weitere Bekannte. Die fangen an, zwischen Parkers Tisch und unserem hin und her zu pendeln. Ist wahrscheinlich nicht interessant genug bei uns. Allmählich überkommt mich eine Lähmung. Ich weiß genau, wenn ich jetzt nicht aufstehe und irgendwas mache, erstarre ich zur Salzsäule, denn die Schwerkraft ist heute Abend entsetzlich. Sie zieht mich so hinunter, dass ich keinen Fuß bewegen kann. Ich reiße mich mit Mühe vom Boden los und stelle mich an die Theke und zwar in Roberts Nähe. Ich unterhalte mich mit Leuten, die ich gar nicht kenne.

Ich bin schon ziemlich betrunken.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Rupert und Betty sich an Parkers Tisch gesetzt haben. Tolle Freunde! Was soll ich jetzt machen? Ich stehe hier isoliert an der Theke und labere mit wildfremden Menschen dummes Zeug. Ich labere hauptsächlich über Parker und über die vielen vertanen Jahre. Über den Mörder meiner Jugend... Die Perle von dem Typ, mit dem ich mich hauptsächlich unterhalte, beäugt mich schon böse, aber ich kann nicht aufhören. Es muss heraus! Bitter, gallig und fürchterlich...

Die Schwerkraft fesselt mich jetzt an die Theke, aber irgendwann muss ich mal aufs Klo – als Folge des reichlichen Biergenusses – und den ganzen Raum durchqueren.

Auf dem Klo treffe ich Parkers neue Freundin. Ich erzähle ihr, dass ich ziemlich sauer auf Robert wäre, aber das wäre ja sowieso ein Arsch. Auf wen ich sonst noch sauer wäre, erzähle ich ihr natürlich nicht. In dieser Sache weiß ich nicht so recht, wie ich mich verhalten soll. Einerseits bin ich Cornelia dankbar, dass sie mir Parker abgenommen hat, andererseits kann ich ihr das nicht direkt sagen. Dann würde sie entweder misstrauisch werden oder sauer.

"Du bist die erste, die Parker wirklich haben wollte." Das kann ich ihr schlecht sagen."Du bist die erste, die richtig mit ihm zusammen sein wollte, inklusive wohnen und so." Das kann ich ihr auch nicht sagen. "Die anderen Weiber haben alle einen Rückzieher gemacht, und ich musste seinen Frust ausbaden, weil ich nur Theater gemacht habe und auch nicht richtig um ihn gekämpft habe." Auch das kann ich Cornelia nicht sagen. Sie würde es mir vermutlich auch nicht glauben. Sie würde mich für bescheuert halten oder für rachsüchtig. Also labere ich nur dummes Zeug. Hauptsächlich über Robert, was Cornelia wohl kaum interessiert, weil sie ihn nicht kennt.

Und wer weiß, vielleicht hat es wirklich nur an mir gelegen, an meinem Mangel an Zuneigung für Parker, an meiner gewollten Unfähigkeit, sich mit seinen jungen Paradiesvögeln anzufreunden. Wie kann man als Paar nur so einsam sein? Vielleicht kann man nur als Paar so einsam sein. Die Männer halten sich zurück, man ist ja in festen Händen, und alle anderen Frauen betrachtet man als Konkurrentinnen. Es gab keinen, mit dem ich mich mal hätte aussprechen können. Die anderen Paare? Ach du lieber Himmel!

Kurz nach Cornelia gehe ich zurück in den Saal und setze mich an Parkers Tisch neben Rupert und Betty, neben diese beiden Verräter. Ich bin ziemlich muffig. Was für ein total blöder Abend! Den hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Bruce ist nicht da, aber ansonsten alle Idioten, die ich nicht ausstehen kann. Bruce erscheint mir im Augenblick als der Retter aus der Not, weiß auch nicht wieso...

Alles ist grauenhaft. Durch Parkers Nähe fühle ich mich gehemmt, und das Bier, das ich in mich hineinschütte, hat eine widerlich negative, brütende Wirkung. Außerdem muss ich dauernd aufs Klo... Ich bringe es einfach nicht über mich, mich mit diesen Leuten zu unterhalten. Ich weiß genau, dass ich mir dadurch selber den Weg versperre, aber ich kann es nicht. Nein!

Ich versinke in einem dumpfen Tümpel von Selbstmitleid. Keiner mag mich. Warum auch? Ich habe überhaupt nichts Liebenswertes. Jetzt kommen mir meine Astronomiekenntnisse zur Hilfe: Das ist das Zentrum, das Zentrum des Schwarzen Lochs, in dem die Zeit vor dem sogenannten Ereignishorizont (wieso Ereignishorizont – es ereignet sich doch gar nichts) stillsteht. Schlimmer kann es nicht mehr werden. Bevor die unendliche Schwerkraft mich nun an diesen Tisch fesselt, reiße ich mich mit Gewalt von ihm los und stelle mich an die Theke. Dort versuche ich, Robert ein Gespräch aufzuzwingen.

Ich frage ihn, ob er und seine Begleiterin noch Lust hätten, mit ins Kalei zu kommen. Irgendwie habe ich Lust, ins Kalei zu gehen. Bin ich bestusst oder was? Egal... Ich muss hier weg.

Das Schwein Robert beachtet mich kaum. Wenn er vorgehabt hat, mich zu demütigen, dann hat er es blendend geschafft. Gratuliere!

Ich setze mich wieder zu Betty. Der ist die ganze Sache etwas peinlich. Sie tendiert eher zu mir so rechtsmäßig, während Rupert neutral ist. Rupert will auf Parkers Gesellschaft auch in Zukunft nicht verzichten, obwohl er Parker im Grunde nicht ausstehen kann, aber Parker ist amüsanter als ich, und Männer halten wohl immer zusammen.

Rupert und Betty wirken schon recht müde und wollen nach Hause aufbrechen.

Auf meine Frage, ob sie mich im Kalei absetzen können, reagieren sie mit Entsetzen. "Wie kannst du nur da hingehen?"

"Ich muss jetzt dahin, sonst werde ich wahnsinnig." Ich bleibe stur – verstehen können sie mich sowieso nicht.

Beim Rausgehen treffe ich Parker, der grinsend zu mir sagt: "Cornelia wollte sich den gleichen Hosenanzug kaufen. Jetzt ist sie froh, dass sie’s nicht gemacht hat."

"Ach jaa?" Ich halte mich nicht lange mit Parker auf. Der Mann ist für mich erledigt. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass Cornelia für diesen Hosenanzug zu üppig gebaut ist – er steht mir viel besser. Außerdem brennt er wie Zunder.

Während der Fahrt zum Kalei kann ich es nicht unterlassen, einige bittere Anspielungen auf sogenannte Freunde zu machen. Rupert und Betty wissen genau, dass sie gemeint sind und kriegen prompt ein schlechtes Gewissen, was sich bei ihnen in einer gewissen Verlegenheit äußert. Das will ich nun auch wieder nicht. Warum auch sollte ich meine wenigen Freunde noch vergraulen?

Aber sie schaffen mich zum Kalei.

Wie verzweifelt muss man sein, um freiwillig ins Kalei zu gehen? Bei den beschissenen Toiletten und der beschissenen Musik...

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Das Kalei nahm mich zärtlich neutral in seine Arme. Es kümmerte sich nicht um meine Vergangenheit und um meine Probleme Es war eine warme, dunkle Höhle, in der man sich verkriechen und Wunden lecken konnte.

Erleichtert lehnte ich mich an die Theke, trank mein Bier und überlegte, ob ich tanzen sollte. Jeder tanzt hier für sich allein und aus verschiedenen Gründen. Manche wollen sich einfach nur darstellen, andere tanzen aus reiner Freude an der Musik. Schade, dass Susanne nicht da ist.

Der große bärenartige Typ neben mir gab mir ein Bier aus.

Das wunderte mich. Hätte ich nicht gedacht, dass mich jemand in diesem Zustand und mit dieser miesen Ausstrahlung ansprechen könnte. Der Typ heißt Bernie und ist wirklich nett, einer zu dem man sofort Vertrauen hat. Er schlägt vor, mit seinem Freund zusammen in dessen Wohnung zu gehen und noch ein bisschen Heavymetal-Musik zu hören.

Auf Heavymetal steh ich zwar nicht besonders, aber er sagt, sie hätten noch Bier da...

Als ich mit den beiden in Richtung Ausgang gehe, sehe ich vorne an der Theke Rüdiger und Tommy sitzen. Rüdiger, Bademeister und Skilehrer, und Tommy, Ehemann mit Problemen und eigener Kneipe (Haus Dobermann). Ich hatte keine Ahnung, dass Rüdiger und Tommy sich kennen. Schon könnte ich mich wieder schwarz ärgern, dass ich den beiden anderen versprochen habe, mitzugehen. Mit Rüdiger und Tommy wäre es bestimmt amüsanter. Und vor allem kenne ich sie ein bisschen.

Rüdiger merkt sofort, dass ich Tommy kenne. Ich sehe in seinen Augen einen Funken aufglühen, der nur eines bedeuten kann: Rüdiger ist ein männlicher Kuppler.

"Wo ist Susanne?" frage ich.

"Gerade nach Hause gegangen", meint Rüdiger.

"Och, schade..."

"Und wie war’s auf dem Polterabend?" fragt Rüdiger. Das mit dem Polterabend hat ihm bestimmt Susanne erzählt.

"Lass mich ja in Ruhe mit dem Scheiß Polterabend!"

"Kann ja nicht so doll gewesen sein, was?" Rüdiger grinst sich einen ab. "Wenn man danach ins Kalei geht..."

Treffer!

Tommy, der bis jetzt geschwiegen hat, meint zu mir: "Was willst du denn mit den komischen Typen?"

"Lass man", sage ich. "Die sind unheimlich nett. Bis demnächst mal." Wirklich schade, dass ich schon was anderes vorhabe. Wir steigen draußen in eins von den auf Fahrgästen lauernden Taxis und fahren in die Wohnung von dem Freund von dem Bären.

Die beiden sind wirklich lieb, Balsam für meine im Augenblick gequälte Seele – nur diese Heavymetal-Musik geht mir ganz schön auf die Nerven.

Bernie lädt mich zu einem Heavymetal-Konzert ein, aber das will ich nicht. Dann besteht er darauf, mich nach Hause zu bringen.. Damit bin ich einverstanden.

Wir gehen zu Fuß. Busse fahren noch nicht, wir laufen fast eine Stunde, und ich bin fast schon wieder nüchtern.

Vielleicht sollte ich mit ihm schlafen, sozusagen als Krönung eines beschissenen Tages, aber das will ich nicht. Ich kann es einfach nicht.

Ich schicke ihn aus dem Schlafzimmer, er darf im Wohnzimmer übernachten. Er ist der Typ, der sich widerstandslos schicken lässt und das ganz normal findet.

Am nächsten Morgen habe ich einen grässlichen Kater und fühle mich auch ansonsten sauelend. Beim Kaffeetrinken will mich Bernie auf seinen Schoß ziehen. Ich wehre ihn ab. Mich kann jetzt niemand trösten – ich möchte viel lieber allein sein.

"Du hältst es vielleicht für einen Witz", meint er, "aber ich hab mich echt in dich verknallt."

Ich halte das wirklich für einen Witz! Ich leiere den Spruch herunter, dass ich im Augenblick noch nicht in der Lage wäre, mit einem Mann etwas anzufangen, ich hätte nichts, überhaupt nichts, was ich einbringen könnte und so weiter. Das würde noch ‘ne Weile dauern, wenn überhaupt... Wie lange, wüsste ich aber nicht. Ein Spruch eben.

Er lässt sich damit abspeisen, will mich aber demnächst mal anrufen.

Als er gegangen ist, bin ich erleichtert. Ich kann mit solchen lieben netten Typen im Moment nichts anfangen. Aber womit zum Teufel könnte ich etwas anfangen? Keine Ahnung. Vielleicht was mit ’nem richtigen Schweinehund? Auch unwahrscheinlich.

Außerdem habe ich jetzt zwei Wochen Urlaub. Das bedeutet, dass ich noch öfter in die Stadtbibliothek laufe als sonst. Ich hole mir Bücher von Mark Twain und von Edgar Allan Poe. Mir ist Mark Twain irgendwie lieber als Edgar Allan. Ist mir egal, was die Kritiker dazu sagen.

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Am Montag, als ich gerade mit Mark Twains ‚Reisen durch Europa’ anfangen will, geht das Telefon.

Es ist Robert, was mich ziemlich verblüfft. Was könnte der noch von mir wollen?

"Es tut mir leid", sagt er, "wie ich mich am Freitag benommen habe."

Es tut ihm leid! Na so was! Mir tut es auch leid.... Jetzt endlich kommt er mal raus aus den Klötzen, schade, dass es mit ihm immer schon zu spät war.

"Was meinst du?" frage ich heimtückisch und stelle mich ganz dumm. Der Freitag ist vorbei, die Sache ist für mich erledigt, und ich will auch nicht mehr dran denken, wie ich mich da aufgeführt habe

"Na, du weißt schon", meint Robert. "Dass ich mich überhaupt nicht um dich gekümmert habe..."

Nicht gekümmert haben ist eine starke Untertreibung, finde ich. Der hat mich glatt übersehen.

"Och, das war doch nicht schlimm", sage ich. Das stimmt, ich finde es jetzt nicht mehr schlimm. Der Mann ist für mich erledigt. Und er ist so leicht zu durchschauen.

"Ich wollte dich ärgern."

"Ach wirklich?"

"Können wir uns nicht treffen?"

"Ach nee, besser nicht", meine ich gehässig. "Außerdem war es noch richtig irre im Kali. Ich hab einen guten Typen kennen gelernt." Das muss ich Robert unbedingt reinwürgen. Es ist zwar nicht ganz wahr, aber es wirkt, denn er verstummt.

"Na, dann mach’s gut", sage ich und lege auf. Der Mann muss verrückt sein. Wie kann er erwarten, dass ich ihn noch treffen will. Der mit seinen Erziehungsmaßnahmen! Zuckerbrot und Peitsche. Das hat er sich selber versaut.

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Susanne kommt am Freitag Abend vorbei, und ich mache was zu Essen. Ich mache Reis mit Thunfisch.

Susanne ist deprimiert. Sie hat einen Typen kennen gelernt, einen sogenannten Vollmann, wie sie sagt (kann ich mir nichts drunter vorstellen), Motorradfahrer, gutaussehend, der aber einen entscheidenden Nachteil hat. Er hat nämlich außer Susanne noch mindestens drei andere Freundinnen. Und auf die will er nicht verzichten. Susanne ist deprimiert. Während ich den bereits gekochten Reis in eine Pfanne mit Fett gebe, äußert sie sich ziemlich abfällig über diesen ‚männlichen Gott’, wie sie ihn nennt. Sie will den Typen für sich alleine, aber er lässt sich auf nichts ein.

Reis mit Thunfisch ist mein Leibgericht. Vor allem, weil es so billig ist, denn im Moment kann ich mir nicht viel leisten. Man muss nur genug Reis vorgekocht haben. Dann braucht man ein paar Zwiebeln oder ein wenig Knoblauch, Thunfisch natürlich, zwei bis drei Eier, ja und das war’s dann schon. Moment, vielleicht noch Sambal Olek...

Susanne isst liebend gern Reis mit Thunfisch bei mir. Sie scheint es zu riechen, wenn ich anfange, den Reis zu braten. Über drei Häuserblocks hinweg.

Susanne schaut mir auch gern zu, wenn ich den zarten jungen Rasen mähe, einmal stecke ich meine Hand in den Rasenmäher, um das frischgemähte Gras herauszunehmen, aber ich habe noch die Hand am Schalter. Ganz ganz langsam ziehe ich meine Hand zurück... "Mannomann", sagt Susanne.

Jedenfalls ist Susanne total fertig. Der Typ ist so geil, ein Gott ist er, und sie ist sehr verliebt in ihn, aber da gibt es dieses Problem mit den anderen Weibern, und Susanne ist eine sehr eifersüchtige Frau.

"Komm, wir gehen nachher ins Kalei" meint sie zu mir, nachdem wir gegessen haben.

"Da muss ich mir aber erst einen ansaufen", meine ich. Es ist zwar Freitag, aber ich weiß nicht so recht. Mit einer frustrierten Susanne ins Kalei?

Ich präsentiere Susanne ein paar Schachteln Rotwein. Auch so eine Sparmaßnahme. Es ist billiger Pappschachtelwein von ALDI. Aber man wird davon genauso besoffen wie von teurem Flaschenwein. Und er ist leichter zu transportieren.

Wir gehen um halb elf los. Ich trage meinen hellen Hosenanzug, den mit der kurzen Jacke und dem verkokelten Ärmel. Ich habe versucht, das Brandloch zu stopfen, aber man sieht es natürlich. Deswegen habe ich die Ärmel ein bisschen hochgekrempelt...

Wir sind beide nicht mehr ganz nüchtern und laufen nach einem kurzen Abstecher in Nick’s Café in Richtung Innenstadt, und wir sind sehr, sehr lustig.

Bei Susanne ist die Lustigkeit allerdings nicht ganz echt.

Im Kalei treffe ich wieder einen Bekannten. Fredo. Ist ein netter Typ, allerdings ein bisschen kompliziert. Er ist Grafiker und Künstler irgendwie, und ich kenne ihn nicht wirklich gut. Er ist keiner aus Parkers Dunstkreis, sondern verkehrt mit einer ehemaligen ‚Freundin’ von mir. Freundin in Anführungszeichen. Als ich mit Parker zusammen war, konnte ich mit keiner ‚Freundin’ länger befreundet sein: Wenn die Freundin hübsch war, hat Parker sie angemacht, was mir natürlich nicht passte, und wenn sie hässlich war, hat er sie weggeätzt. Das war kein gutes Klima für Freundinnen. Diese Freundin mit Namen Waltraut war zu meiner Schwester übergelaufen und hing dort jeden Abend rum, auch am Dienstag, wenn ich traditionell bei meiner Schwester ‚Dallas’ guckte... Meine Schwester und sie haben eines gemeinsam und zwar den Michael, der erst der Freund meiner Schwester war und danach der Freund von Strickliesel-Wally wurde, wie ich sie nenne. Michael ist allerdings nach Frankreich abgedampft und wohnt dort mit einer Französin zusammen. Und Fredo ist der beste Freund von Wallys neuem Freund.

Aber er ist trotzdem okay. Wir tauschen unsere Telefonnummern aus. Er geht aber recht früh nach Hause. Scheint deprimiert zu sein. Bevor er geht, härmt er rum: "Der wollt ihr mal die Welt zeigen...." Ach ja, seine Freundin hat ihn wegen einem anderen verlassen, und er kommt nicht darüber hinweg. Susanne mag ihn wohl nicht, er ist möglicherweise kein ‚Vollmann’ mit feisten Schenkeln, und sie ignoriert ihn.

Es ist schon zwei Uhr. Klar, wir sind spät losgegangen, und ich bin in dieser Zeit auch nicht gerade nüchterner geworden.

Ich schnappe mir Susanne, weil sie so traurig aussieht, und ziehe sie auf die Tanzfläche. Ich will ihr ein bisschen Trost geben, und wir tanzen zusammen. Eng umschlungen.

Cause you will never break, never break, never break, never break.…. this heart of stone, oh no nooo……. this heart of stone….

Ende Kapitel 5

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Kapitel 6

Er ist es...

Susanne schmiegte sich an mich und schaute mich mit diesem Blick an. Mit diesem Blick, den ich kenne. Es ist der Blick, mit dem sie die Männer bezirzt, sich ihnen vermeintlich unterwirft (dass ich nicht lache, Susanne und sich unterwerfen!) und der Blick, mit dem sie mich jetzt bezirzen will. Eine Frau zur Abwechslung. Sie muss wirklich verzweifelt sein. Jetzt fallen mir auch in meinem alkoholumwölkten Kopf ihre Bemerkungen ein. Dass sie es am liebsten mal mit einer Frau versuchen wollte. Sie kennt oder kannte vielleicht zu viele Männer. Ich nicht, mir steht das alles noch bevor, im schlimmsten Falle.

Ich fühle mich unbehaglich. Ich bin nicht lesbisch, ich werde es wohl auch nie sein, und alleine die Vorstellung, dass ich irgendwie den Mann spielen soll, kann ich nicht ausstehen. Deswegen ist auch nach kurzer Zeit der Zauber vorbei, wir trennen uns nach dem Stones-Stück, man spielt ein schnelleres Stück, nämlich: ‚Hit me with your Rhytm-Stick’ von Ian Dury, und das ist irre. Wahrhaftig irre! Und geradezu sensationell fürs Kalei. So von der Neuheit her.

Ich gehe auf das unsägliche Klo, und als ich aus diesen widerlichen Katakomben wieder auftauche, ist Susanne erst einmal weg. Gut so.

Ich stelle mich vor die Tanzfläche und schaue den Leuten beim Tanzen zu. Jeder hier tanzt für sich allein. Manche machen komische Verrenkungen, so wie der Typ mit den langen fettigen Haaren, der sieht aus, als ob er einen Fruchtbarkeitstanz macht. Wo Susanne wohl ist?

Bald ist Feierabend. Bald werden sie ‚La vie en rose’ spielen, und ich werde diese Lokalität verlassen müssen, falls nicht, werden sie mich mit dem liegengebliebenen Müll hinauswerfen.

Auf einmal quatscht mich jemand (zu meiner größten Verwunderung) von rechts an.

Ich drehe mich zur Seite, schaue und staune. Es ist ein Mann und was für einer!!! Im Gegensatz zur herrschenden Mode trägt er nicht den üblichen Bart, sondern ist glattrasiert, er ist dunkelblond, hat langes leicht lockiges Haar und eine helle, fast weiße Strähne an der linken Schläfe. Kein Bart! Sehr gut! Parker und Bruce haben auch keine Bärte. Allerdings tragen die meisten Männer immer noch diese ekligen Oberlippendinger, ich hoffe aber, diese Unsitte wird sich im Laufe der Zeit geben. Hmmm, dieses lange Haar ist ungewöhnlich, Parker und Bruce tragen stoppelkurzes Haar, aber dieser Mann sieht auch mit langem Haar blendend aus, es macht ihn kein bisschen unmännlich, nein ganz im Gegenteil, er sieht aus wie ein Pirat irgendwie.

Und er ist sehr groß. Ich schätze mal, er ist mindestens 1,95 groß. Damit überragt er mich natürlich um Kopfeslänge, und das ist ungewohnt, denn mit meinen 1,70 bin ich auch nicht gerade die Kleinste.

Dieser Mann kann mich nicht meinen. Ich schaue vorsichtshalber nach links, ob da eventuell noch eine andere Frau steht, aber da steht keine.

Er meint mich. Tatsächlich!

Die Musik ist zu laut, um sich zu verständigen. Wir verziehen uns in stillschweigendem Einverständnis auf die Empore des Kalei und setzen uns dort auf eine Bank.

Er legt einem Arm um mich, und wir unterhalten uns übers Kalei. Er legt den Arm irgendwie brüderlich um mich. Ich habe absolut nichts dagegen. Er ist der erste Mann, bei dem ich nichts dagegen habe. Er ist so unaufdringlich und nett und dabei so gut aussehend mit seinen ausgeprägten Wangenknochen, seinem lockigen Haar und seinem wunderbar weichen Mund, dass ich mich überhaupt nicht wundere, dass ich keine Vorbehalte gegen ihn habe. Normalerweise dauert es bei mir immer lange, bis ich einen männlichen Körper so nahe bei mir akzeptieren kann. Meistens muss ich mir erst einen ansaufen. Bei Robert war das so.

Aber bei ihm trifft das nicht zu. Sein Körper ist mir so vertraut, als ob er die Fortsetzung meines eigenen wäre. Seine Nähe ist so selbstverständlich.

Nicht viel später sollte ich feststellen, dass Oliver, so hieß er, ungefähr so brüderlich war wie ein Panther. Ein Panther, der im Morgengrauen in den Lokalen der Großstadt seine Beute schlägt, nämlich mehr oder weniger bescheuerte Weibsbilder wie mich. Und ich verkörperte für ihn die ideale leichte Beute. Zumindest hat er sich das so gedacht... Haaa! Noch heute sträuben sich meine Nackenhaare, wenn ich an diese Nacht denke.

Oliver weiß nicht so recht, wo wir hingehen könnten. Mittlerweile sind alle Kneipen im nahen Umkreis zu...

Ich schlage vor, zu mir zu fahren. Allerdings müsste ich noch eine Freundin wiederfinden, die mir abhanden gekommen wäre.

Was für ein Zufall! Oliver hat auch einen Freund dabei.

G O T T !!!! War ich damals bescheuert und naiv!!!

Ich gehe aufs Klo und versuche Susanne zu finden. Aber sie ist weg. Und ich kann mich nicht weiter um sie kümmern, sonst geht mir noch dieser nette Typ verloren.

Man wartet draußen auf mich. Der Freund ist natürlich lange nicht so gutaussehend wie Oliver, und er scheint enttäuscht darüber zu sein, dass ich meine Freundin nicht dabei habe. Ja, tut mir leid...

Wir nehmen uns ein Taxi. Oliver und ich setzen uns nach hinten. Ich sage dem Fahrer meine Adresse, und ab geht es. Während der Fahrt beschleicht mich so ein seltsames Gefühl. Das kann alles nicht echt sein. Was tue ich? Könnte gefährlich werden mit zwei mir unbekannten Typen.

Aber andererseits hat Oliver diese beruhigende Wirkung auf mich, dieses brüderlich Väterliche macht mich einfach schwach. Und man muss ja auch mal was riskieren.

Eine kleine Ernüchterung tritt bei mir ein, als Oliver keinerlei Anstalten macht, die Zeche zu zahlen. Also Leute, ich kann’s mir nicht leisten, mit einem Taxi zu fahren und halte mich also dabei raus. Schließlich zahlt der Freund von Oliver die Rechnung. Begeistert sieht er nicht gerade aus, und Oliver hat so ein sadistisches Lächeln um seinen wunderbaren Mund, als ob er die Situation so richtig genießen würde. Sein Freund wiederum guckt so gequält, als ob er seinen Freund Oliver ohne mit der Wimper zu zucken erwürgen könnte.

Ich hatte immer gedacht, meine Wohnung wäre nicht schlecht, doch diese beiden rollen sich erst einmal ab, als sie meine Wohnzimmergardinen erblicken. Es sind ganz einfache wirklich schöneGardinen, meine Exquasischwiegermutter hat sie mir damals spendiert.

Wen habe ich mir da mitgenommen? Handelt es sich vielleicht um eine Wette? Wie reißt man kurz vor drei Uhr im Kalei noch eine Frau auf? Könnte möglich sein und würde erklären, dass man mich eher unscheinbare Person dort angesprochen hat.

Aber die werden sie noch wundern. So was kann man mit mir nicht machen. Sie mögen sich ja unmöglich benehmen und sich wahnsinnig toll vorkommen, aber mit meiner Musik mache ich jeden fertig.

Für eher wilde Typen habe ich Joy Division. Für wild romantische habe ich B-Movie. Für eher klassische habe ich Doll by doll, für die Edelpunks Billy Idol und für die ganz sensiblen hab ich the The. Und ich habe noch vieles mehr....

Seltsamerweise kommt ‚the The’ bei Oliver am besten am. Ist er in Wirklichkeit ein verkappt sensibler Typ? Noch habe ich Hoffnung. Ich betrachte ihn verstohlen. Er ist wirklich ein Prachtexemplar seiner Gattung, und er weiß es. Und sein Körper ist mir so vertraut, ich weiß nicht warum. Das ist mir bis jetzt noch nicht passiert.

Wir gehen Hand in Hand in meine Küche.

Ich lehne mich an meine Küchenarbeitsplatte, er hebt mich hoch und setzt mich darauf, denn ich bin schon fast zu klein für ihn – so im Stehen – er zwängt sich zart zwischen meine Beine – er umarmt mich, und er küsst mich... Ich bin wie benommen. Es ist wunderbar. Ich habe schon fast sein unmögliches Benehmen von eben vergessen.

"Sollen wir nicht ins Schlafzimmer gehen?"

Ich tauche aus meiner Benommenheit wieder in die Wirklichkeit auf. Diese Frage kommt mir vor, als hätte mir jemand eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Das eiskalte Wasser ist sehr ernüchternd, und ich bereite mich darauf vor, ihn in den Hintern zu treten. Allerdings hoffe ich immer noch, dass ich ihn nicht richtig verstanden habe.

"Na los", er deutet mit der freien Hand auf die besagte Tür, und ich wundere mich, woher er so genau weiß, dass es sich um meine Schafzimmertür handelt. Er weiß es vermutlich aus langjähriger Erfahrung.

Ich werde wütend, und auch das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Normalerweise bin ich eher der lethargische Typ, eigentlich nicht besonders  temperamentvoll und reagiere auf Beleidigungen immer sehr träge, weil ich sie gar nicht richtig wahrnehme, aber dieser ätzende aber körperlich so wunderbare Typ macht mich sofort wütend. Was bildet der sich ein? Dass ich mit ihm ins Bett gehe, während sein Freund im Wohnzimmer nebenan sitzt? Scheiße! Niemals!

"Nein, will ich nicht!"

"Letztens bin ich mit der Freundin eines Kollegen ins Bett gegangen, und hinterher hab ich meinen Arm um sie gelegt – und sie hat mir von ihren Problemen erzählt." Oliver lässt sich durch meine Ablehnung nicht im mindesten beeindrucken. "Und das fand ich ganz toll."

Irgendwie bringt mich die Vorstellung von diesem hinterherigen Armumlegen ganz fürchterlich auf. Ich hasse die Vorstellung von dieser Bumsaktion mit diesem hinterherigen Armumlegen bei einer Frau mit Problemen.

"Ich habe aber keine Probleme!" Ich glaube, meine Stimme klingt hysterisch."Und wenn ich mit jemanden ins Bett gehe, dann will ich nur bumsen." Das ist nicht gelogen. Mein Problem bin ich losgeworden (Parker), und das andere, mein Gott... Bumsen ist gut.

"Ich würde dich lecken, bis du mich anflehst, dich zu ficken...", sein wundervoller Mund verzieht sich in freudiger Erwartung.

Und ich hasse ihn dafür.

Wirklich noch nie in meinem Leben hat mich ein Mann dermaßen sauer gemacht, und ich muss jetzt irgendwas Verletzendes oder Bescheuertes sagen...

"Jeder Mann, der mit mir schläft, verliebt sich in mich. Und das kann ich keinem zumuten." Ach du lieber Himmel, was sag ich da überhaupt? Das ist aus mir rausgerutscht wie dem kleinen Drachen Grisu sein Feuerschweif. Das ist der kleine Drache, der immer gerne Feuerwehrmann werden sollte, es sich aber immer durch seine Feuerspuckerei versaut hat.

Ein verächtliches Schnauben ist die Antwort. Man nimmt mich wohl nicht für ganz voll.

Und es tut mir weh. Man wollte mich verarschen. Aber trotzdem hat er immer noch diese körperliche Wirkung auf mich, dieses Vertraute, dieses noch nie erlebte...

Aber es ist alles gelogen.

"Du natürlich nicht, du bist ja nur so ’ne Art Problemfresser." Ich muss ihm noch einen reinwürgen.

Der Problemfresser guckt mich irgendwie verblüfft an.

"Und außerdem bin ich sowieso frigide!" Diese Aussage erstaunt mich selber. Dass mich jemand so weit treiben kann, so einen Scheiß zu erzählen, das ist... – ja wie soll ich sagen... Keine Ahnung. Gut, beim erstenmal habe ich so meine Probleme, weil die Tatsache, dass ich es überhaupt mit einem Kerle treibe, mich so erstaunt und ablenkt, dass ich einfach nicht zum Höhepunkt komme, aber ich bin nicht frigide. Nein, bin ich nicht!

Oliver hält es für unter seiner Würde, mich daraufhin mit irgendeiner Aussage zu beglücken. Arrogantes Arschloch! Aber vertraut. Ich meine körperlich vertraut.

Wir kehren ins Wohnzimmer zurück, und ich sehe, dass der Kollege von Oliver, er heißt übrigens Clemens, sichtlich aufblüht, als wir ins Wohnzimmer zurückkehren. Was hat er erwartet? Was ist die Norm in solchen Nächten?

Dass sich die Weiber gleich reihenweise flachlegen, wenn Olivers verlangender Blick auf sie fällt. Dass er ihre Probleme erfährt nach dem Beischlaf? Wie läuft es normalerweise ab? Würde wirklich eine andere Frau als ich mit ihm ins Schlafzimmer gehen, sich dort erst lecken, dann ficken lassen und ihm später ihre Probleme erzählen? Während der gute Clemens im Wohnzimmer herumlungert und sich vielleicht einen runterholt?

Diese perversen Schweine! Es reicht! Ich habe mit Oliver abgeschlossen. Aber warum ist er so attraktiv? Warum ist er nur so anziehend? Keine Ahnung. Ist auch egal, denn er ist eine Sackgasse.

Zwischen Oliver und mir ist Schweigen eingekehrt, und ich unterhalte mich nur noch mit Clem, wie Clemens genannt werden will. Ich erzähle also Clem, dass der Sänger von Joy Division sich wahrscheinlich kurz nach dem Song, den wir gerade hören, umgebracht hat.

Das findet er tragisch, aber auch witzig.

Ich erzähle ihm, dass der Sänger von den Bollock Brothers, ein gewisser Fagan, letztes Jahr in den Buckinghampalast eingebrochen ist, sich bei der Queen auf die Bettkante gesetzt hat und mit ihr einen Sherry getrunken hat. Und dass er jetzt in der Klapsmühle wäre.

All das findet er äußerst interessant, und irgendwann sagt er zu seinem Kollegen Oliver: "Hey Hardy! Die ist gut. Die ist tatsächlich so wie wir!"

Hardy, das ist wohl Olivers Spitzname, sagt überhaupt nichts dazu, sondern guckt nur angeekelt, als ob er die Vorstellung, dass Clem und ich in irgendeiner Art und Weise so wären wie er, total absurd fände. Er zupft sich angeekelt ein weißes Haar, das von meinem Kater Billy the Kid stammt, von seiner Jacke... Dieser verdammte Idiot!

"Ich wie ihr? Das wüsste ich aber!"

Die reagieren überhaupt nicht auf meinen Ausbruch. Ich glaube, die nehmen mich nicht für voll.

Dieser Hardy mischt sich wieder ins Gespräch ein und fragt mich aus nach meinem Exmann, denn er hat sehr wohl die zwei Namen auf dem Türschild gesehen. Ich erzähle ganz locker, dass ich seit ein paar Monaten alleine hier wohne und dass es gar nicht so schlecht alleine ist.

Er grinst.

Blöder Hund! Ab und zu dreht er sich eine Zigarette. Er scheint sehr maßvoll zu sein, im Gegensatz zu mir. Ich rauche viel und ärgere mich darüber. Wir trinken Pappschachtelwein, und es ist schon acht Uhr. Irgendwie ist die Nacht recht schnell vorbeigegangen. Im hellen Tageslicht sieht man, wie blau seine Augen sind. Aber ich habe auch sehr schöne blaue Augen....

Wieder führen Clem und ich alleine die Unterhaltung. Er erzählt, dass er als Lehrer arbeitslos wäre und dass sein Kumpel Hardy mehr Glück gehabt hätte. Hardy ist nämlich Mathelehrer, ja wirklich. Ist das nicht süß? Und so was lassen die auf unsere Kinder los!

Übrigens sind beide dreißig Jahre alt.

Auf einmal merke ich, dass dieser Hund von Hardy seine Hand an meiner Brust, oder besser gesagt in meinem BH hat. Und ich habe es nicht gespürt! Was zum Teufel ist nur los mit mir?

Ich glaube, ich habe es nur gemerkt, weil ich ihn angeschaut habe und er sein Gesicht zu einem gewollten lustvollen Lächeln verzog. Es war ein falsches Lächeln, ein gekünsteltes Lächeln.

Ich schätze mal, er wollte Clem damit zeigen, dass er in meinen BH gelangt ist.

"Lass das sein, verdammt noch mal!" Gereizt schiebe ich seine Hand weg. Wieder bin ich stinksauer. Das Schlimme ist, ich muss es wohl im Unterbewusstsein als angenehm empfunden haben.

"Ich weiß gar nicht, was du willst", seine raue, aber doch so angenehme Stimme klingt so vorwurfsvoll, als hätte ich die Jahre der sexuellen Revolution verschlafen. "Ein Körperteil ist doch wie der andere...."

"Ist mir Scheißegal! Lass deine Flossen von mir!" Ich ärgere mich immer noch, dass ich es nicht gemerkt habe. Das ist einfach nicht normal. Ein Wildfremder! Ein Idiot! Warum nur habe ich es nicht gemerkt? Sonst bin ich doch immer so empfindlich in Bezug auf Berührungen. Vor allem bei total Fremden. Und auch bei nicht ganz so Fremden.

Um halb zehn mache ich Kaffee. Ich glaube, die wollen überhaupt nicht gehen. Aber irgendwann müssen sie raus hier. Er ist immer noch verdammt attraktiv, natürlich nur so zum Ansehen, aber allmählich werde ich dieser Sache überdrüssig.

Als wir gerade Kaffee trinken, ich habe mich vorsichtshalber einen halben Meter weg von Hardy gesetzt, klingelt das Telefon. Das überrascht mich nun wirklich. Am Samstag Morgen um zehn Uhr geht das Telefon. Könnte höchstens meine Mutter sein, deren Anrufe ich übrigens hasse.

Das Telefon steht am anderen Ende meines L-förmigen Wohnzimmers, und ich muss einen weiten Weg gehen, um dorthin zu gelangen und um festzustellen, dass mich Bernhard der Bär anruft, der Typ, den ich nach dem missglückten Polterabend vor vierzehn Tagen im Kalei kennen gelernt habe.

"Ooooh... Du? Und so früh?" Ich bin wirklich erstaunt.

"Wieso, bist du noch nicht wach?"

Dämlicherweise bin ich nicht clever genug und gestehe ihm, dass ich immer noch wach bin und die Nacht sozusagen durchgemacht habe. Warum bin ich so ehrlich? Ich weiß es nicht.

Ich sehe, dass meine beiden Gäste anfangen, sich köstlich zu amüsieren, vor allem dieser Hardy. Und sie verhalten sich ziemlich geräuschvoll dabei.

"Ich konnte dich nicht vergessen, Irma."

"Ääääh ja... ooohh..." Oh Gott, das ist mir so peinlich.

"Wie wär’s, Irma, hast du vielleicht Lust, mit mir auf ein Heavy-Metal-Konzert zu gehen?" Seine Stimme klingt so beruhigend, so solide, dass ich fast geneigt bin, seine Einladung anzunehmen. Aber ich hatte schon einen soliden Mann. Nämlich Robert. Und es ist nicht gut gegangen. Warum sollte ich auch noch den Bären kaputtmachen? Das hat er bestimmt nicht verdient.

Ich ziehe mich langsam mit dem Telefon in Richtung Küche zurück, damit diese beiden blöden Gackhühner mir nicht mehr zuhören können.

Befürchte aber, sie können mich trotzdem hören, denn so lang ist die Telefonschnur nicht...

"Eigentlich steh ich nicht auf Heavy-Metal. Und jetzt ist auch keine gute Zeit. Ich bin noch nicht so weit."

Brüllendes Gelächter hinter mir. Ich kann mir so richtig vorstellen, was sie denken. Sie denken bestimmt: Da ruft so ein Idiot eine Perle an und ist in sie verknallt, aber die Perle hat mittlerweile was anderes angemacht oder es sich besorgen lassen. Und erzählt ihm irgendeinen Stuss.

Bernie, der Bär ist nicht blöde. Er hat natürlich das Gelächter gehört. "Ich ruf dich wieder an", sagt er. "Vielleicht geht’s dir dann besser."

Beschämt lege ich den Hörer auf. Er ist so verdammt nett, aber im Augenblick kann ich mit netten Typen wohl nicht viel anfangen. Und anrufen wird er bestimmt nicht mehr.

Ich kehre ins Wohnzimmer zurück.

"Habt ihr eigentlich einen an der Klatsche?" Ich bin stinksauer. "Das habt ihr mir richtig gut vermasselt."

"Irma, bitte! Was willst du denn mit diesem Irren?" Klar, das muss Hardy sagen, als ob der nicht irre genug wäre.

Meine wütende Reaktion scheint meine beiden ‚Gäste’ nicht viel zu kümmern, denn kurz darauf verlangen sie, dass wir frühstücken. Das ist ja wohl der Gipfel!

Ich bin zwar wirklich geduldig, aber irgendwann ist sogar meine Geduld erschöpft.

"Wie wäre es, wenn ihr euch stattdessen vom Acker macht!!!"

Man nimmt mich wohl für nicht ganz voll, denn beide glotzen mich ungläubig an.

"Wie könnte ich es sonst noch ausdrücken?" Ich mache eine kleine Kunstpause. "Haut ab, vielleicht? Oder einfach: Verpisst euch und lasst euch nie wieder hier blicken?"

Wieder glotzen mich beide ungläubig an.

Ich halte ihnen lässig die Tür auf.

"Geht weg!!!"

Das scheinen sie kapiert zu haben, denn sie machen sich endlich auf den Weg.

Hardy wirft mir einen mörderischen Blick zu, einen ungläubigen Blick, aber schließlich ist auch er zur Tür raus.

Ich laufe ihnen hinterher, es sind nur drei Stufen bis zur Haustür, vergewissere mich, dass sie das Haus verlassen haben und knalle die Haustür hinter ihnen zu.

Wie sagt man so schön? Was war das noch?

Ach ja: Meine Augen werden trocken bleiben.

Und ich würde diese beiden Wichser, vor allem den einen nie mehr wiedersehen. Welch ein beruhigender Gedanke!

Da sollte ich mich allerdings täuschen. Ich würde sie wiedersehen... Wenn auch nicht so schnell...

 

Ende Kapitel 6 LOVE GAMES © Ingrid Grote 2004

 

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