LOVE GAMES  

Kapitel 3

Immer noch April, immer noch Frust

Jetzt habe ich diese große Wohnung für mich alleine und kann sie eigentlich gar nicht bezahlen, aber das ist wohl der Preis für die ‚Freiheit’. Hatte ich erwähnt, dass ich nur Zweidritteltags arbeite? Nein, natürlich nicht. Bei einer Firma, die einen beschissen bezahlt? Gut, ich arbeite also bei meiner Firma Zweidritteltags, und diese Firma zahlt beschissene Gehälter. Ich bekomme zwar genauso viel (oder wenig) an Gehalt wie meine unglückseligen ganztagsschaffenden Kolleginnen, aber das Gehalt ist mickrig... Andererseits liebe ich meine Arbeitszeit. Ich liebe diese herrlichen sechs Stunden voll Stress und ohne Mittagspause, und alle anderen schauen neidisch auf mich, wenn ich mich um zwei Uhr verdrücke, um endlich die Freizeit und das mickrige Gehalt zu genießen.

Punktum: Es sieht schlecht aus für meine Finanzen. Ich verdiene einfach zu wenig, um diese Wohnung auf Dauer finanzieren zu können.

Ich erstelle eine Liste.

Was habe ich?

Ich habe ein Auto. Einen schnuckeligen Karmann-Ghia, was soviel heißt wie VW, aber mit einer netteren Optik. Ein Cabrio! Man sitzt sehr tief in dem Ghia, und ich liebe ihn, aber er geht dem Ende zu. Er muss zum TÜV, und er muss unbedingt geschweißt werden. Das könnte teuer werden, aber er sieht so rennmäßig gut aus mit seiner ‚British racing green’ Lackierung. Er springt des öfteren morgens nicht mehr an, und das ist fatal, weil ich dann nämlich mit dem Bus fahren muss und also doppelt zahle, erst mal für das Auto inkl. Versicherung und dann noch mal für den Bus, falls ich nicht schwarzfahre, aber schwarzfahren geht auf Dauer schwer an die Substanz, und deswegen laufe ich lieber. Ist ja nur eine halbe Stunde bergauf. Kein Problem. Ist gut für die Beine, den Kreislauf, Blutdruck und sonstige Sachen, die in meinem Alter noch nicht wichtig sind.

Kann ich mir das alles leisten?

Punkt 1: Die Wohnung ist für mich alleine zu teuer.

Punkt 2: Ich verdiene zu wenig

Punkt 3: Das Auto muss demnächst zum TÜV... In drei Monaten

Punkt 4: Die Wohnung ist für mich alleine zu teuer.

Punkt 5: Ich verdiene zu wenig

Ich könnte diese Liste noch endlos fortführen, aber es endet alles damit, dass die Wohnung für mich einfach zu teuer ist.

An diesem Punkt beginne ich, eine Heirat mit Robert in Betracht zu ziehen, zumindest als Rechenmodell...

Nein, natürlich nicht wirklich. Ich glaube immer noch, dass ich eines Tages die richtige Liebe erleben werde, und bis dahin muss ich mich eben so durchschlagen. Gefühls- und finanzmäßig....

Und es fehlen mir ja nur vierhundert Mark im Monat. Kein Grund, zu heiraten. Also angenommen, ich bleibe zwei Jahre hier wohnen, dann müsste ich jeden Monat vierhundert Mark vom Sparbuch nehmen, das wären also ungefähr zehntausend Mark – die habe ich dicke, und einen Umzug könnte ich dann auch noch finanzieren. Aber wozu wäre das gut? Immer zu wissen, in ein paar Monaten musst du raus hier? Das wäre nicht gut. Aber ein Jahr wäre vielleicht zu vertreten. Ich habe soviel Arbeit in diese verdammte Wohnung investiert, dass ich auch mal in dieser Wohnung wohnen will. Also gut, ein Jahr und dann raus hier. Die nächsten Sparverträge werden irgendwann fällig werden. Gesegnet seien die Vermögenswirksamen Leistungen.

Woran könnte ich sparen? Ich könnte mir vielleicht das Rauchen abgewöhnen. Absurde Idee im Augenblick. Genauso gut könnte ich versuchen, mir das Atmen abzugewöhnen. Außerdem rauche ich nur billige selbstgestopfte Zigaretten, die schmecken zwar grauenhaft stark, und ich muss mir vor jedem größeren gesellschaftlichen Anlass (Kneipenbesuch zum Beispiel) jede Menge Zigaretten vorstopfen. Aber sie sind billig, und in Kneipen gehe ich ja gar nicht....

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Aus Frust und Langeweile fange ich an, den Garten umzugraben. Der April ist bestimmt eine gute Zeit fürs Gartenumgraben. Keine Bodenfröste mehr. Ich habe natürlich keine Ahnung, wie man das macht, aber Spaten und sonstige Geräte finde ich im Keller. Ich habe mir ausgerechnet, dass ich pro Tag vielleicht sechs Quadratmeter schaffe, eine Schätzung, die sich nach der ersten Grabung als ziemlich unrealistisch herausstellt, denn der Boden ist knochenhart, man hat auch noch Ziegelsteine und Betonbrocken mit eingegraben, es ist fürchterlich, aber ich bin abends so kaputt, dass ich endlich mal eine Nacht durchschlafe.

Ich schaffe die achtzig Quadratmeter in fünf Tagen. Ja wenn ich mal an einer Sache ran bin, dann halte ich mich auch ran.

Als Robert am Sonntag kommt, zeige ich ihm triumphierend den Garten. Der Garten sieht aus wie eine Mondlandschaft, buckelig und voller Maare und Gebirge, aber ich habe es selber getan, und die Botschaft an Robert ist: Ich brauche dich nicht, ich kann alles alleine machen. Außerdem zeige ich ihn mein Bakelitradio, es steht auf meinem Küchentisch und hat einen wahnsinnig guten Klang. Ich war ohne ihn auf dem Flohmarkt...

Wir spazieren ein bisschen auf der Einkaufsstraße meines Viertels herum, wir gehen in ein Eiscafe und essen Eis. Seltsam, ich gehe nur im Winter in Eiscafes und habe nur im Winter Appetit auf Eis. Wir schweigen beide. Wir haben uns nicht mehr viel zu sagen.

Schweigend laufen wir zurück zu meiner Wohnung. Das Wetter ist fürchterlich tot und deprimierend, weder warm noch kalt, so wie unsere Beziehung. Der Himmel hat eine Farbe wie blasser Schmelzkäse, und man fühlt sich wie unter einer lichtundurchlässigen Käseglocke, alles ist unbeweglich und tot. Es ist Sonntag. Das kommt erschwerend hinzu.

Wieder zuhause, schalte ich den Fernseher ein. Es nützt nichts, den Fernseher einzuschalten, das Schweigen ist allumfassend und hat unsere Seelen total durchdrungen. Nach einer Stunde hat Robert die Nase voll und verabschiedet sich. Gott, bin ich erleichtert!

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Wen kenne ich eigentlich noch? Wieder mache ich eine Liste.

1.) Den kleinen Ralf. So klein ist der gar nicht, aber es gibt da noch einen großen Ralf, den ich aber nicht so gut kenne. Der kleine Ralf ist bekannt für das Aufspüren von guter Musik. Und er mag Parker nicht. Pluspunkt für ihn. Der kleine Ralf versorgt mich also mit guter Musik und erzählt mir von den kleinen Frauen, die nach und nach bei ihm wohnten und die er manchmal hinauswerfen musste. Amüsant! Wir besuchen uns alle paar Tage gegenseitig, und er hat mir angeboten, die umgegrabene Erde glatt zu harken. Er kann das.

2.) Meinen alten Freund Manni, dem ich alle paar Wochen die Haare schneide. Manni ist zwar ein netter Kerl, und auch er beschafft mir gute Musikkassetten, zum Beispiel die ‚B-Movie’, aber er hat eine feste Freundin und kommt wie gesagt, nur alle paar Wochen zum Haareschneiden vorbei.

3.) Rupert und Elisabeth, meine besten Freunde. Mit einem Paar zusammen finde ich es ziemlich frustrierend im Augenblick. Was zum Teufel soll ich denen erzählen? Immerhin war ich zweimal mit Betty in Hattingen einkaufen. Hab wunderbare Stoffturnschuhe ergattert für sagenhafte fünf Mark.

4.) Das andere Paar, nämlich Alex und Anja. Wie oben. Außerdem scheint Anja im Augenblick sauer auf mich zu sein, weil ich mich nicht entblöde, den guten Robert zu vernachlässigen. Unsere Allianz ist vorbei. Anja kann ich auf Dauer nur zufrieden stellen, wenn ich einen Kerl habe, am besten den Kerl Robert. Aber daran ist nicht zu denken.

5.) Chris Parker, meinen Exfreund. Hört sich vielleicht komisch an in diesem Zusammenhang, aber Parker kennt die besten Leute, Parker kennt Bruce, auf den ich scharf bin. Ja, ich will ihn haben, vielleicht kann ich bei ihm die Liebe finden. Und er sieht so verdammt gut aus...

6.) Robert. – Nein! Danke!

7.) Susanne, die Exfreundin von Markus. Das Problem ist, ich kenne sie gar nicht richtig. Sie wohnt aber nur drei Häuserblocks entfernt, und wenn ich verzweifelt genug bin, werde ich sie einfach besuchen. Ich brauche jetzt unbedingt jemanden , am besten eine Frau, mit der ich mal ausgehen kann. Eine Frau, die mich sozusagen in die Szene einführt.

8.) Eine gewisse Gudrun, mit der ich meine zweite Wohnung teilte. War ein Fiasko. Hat immer mit Gummihandschuhen gespült und dabei die Hälfte meines Porzellans zerdeppert. Stehe in losem Kontakt mit ihr.

9.) Madame, die keine Freundin von mir ist. Ich wette, sie wird mich bald aufspüren. Durch Gudrun, denn die beiden kennen sich auch schon sehr lange. Und ich stehe im Telefonbuch. Komisch, dass das Telefon nie klingelt... Madame, ich nenne sie auch die Medusa, wittert Unglück bei Frauen meilenweit. Madame Medusa ist übrigens ein wunderbares Stück von UB 40, gibt es nur als Maxi-LP, als Beigabe zur LP...

Ich glaub, da kommt nichts mehr.

 

Hatte ich erwähnt, dass auch der April mir fürchterlich lang erschien? Ähnlich wie der März? Nein, gut, ich erwähne hiermit: Der April war fast noch schlimmer lang als der März. Und er war noch nicht zu Ende....

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Punkt 5 auf meiner Liste (Exfreund Parker) ruft mich übrigens an. Mitten in der Nacht, so um circa zwei Uhr.

"Was willst du?" frage ich ziemlich entgeistert.

"Ich muss mit dir sprechen", sagt Parker.

"Warum?"

"Kann ich nicht bei dir vorbeikommen?"

"Na gut..."

Worüber zum Teufel will der mit mir sprechen? Ich hoffe, es ist nichts Ernstes. Ich fühle mich zwar geschmeichelt, aber das heißt nicht, dass ich bereit wäre, ihn eventuell zurückzunehmen – falls er das will...

Eine Stunde später kriecht er zu mir ins Bett. Den Wohnungsschlüssel hat er also immer noch und macht auch Gebrauch davon. Das gefällt mir nicht. Und Anpassungsschwierigkeiten hat er anscheinend auch.

"Es ist alles so fremd in der neuen Wohnung", jammert er.

"Du wirst dich schon dran gewöhnen", versuche ich ihn zu trösten. Er wird sich doch schon dran gewöhnen, oder? Hoffentlich... In neuen Wohnungen ist immer alles fremd.

"Ich weiß nicht!"

"Du kannst jetzt auf keinen Fall einen Rückzieher machen."

"Nein, mach ich nicht. Aber es ist alles so ungewohnt."

Ich tröste ihn so gut ich kann, und wenn ich will, dann kann ich ganz schön gut sein. Einen flüchtigen Augenblick denke ich an Robert und an seinen Verdacht, ich würde es mit meinem Exfreund Parker treiben. Robert hatte recht, sein Verdacht war nur ein wenig in der Zeit verschoben. Und ich tue es auch nicht aus Vergnügen, sondern ich genieße, dass Parker es genießt, mit mir zu schlafen. Andererseits muss ich vorsichtig sein. Es darf nicht so gut sein, dass er wieder in Liebe zu mir entbrennt, und ich weiß, dass ich ihn dazu bringen könnte, aber ich will es nicht, ich will nur diesen billigen Triumph einer Nacht, diesen Triumph über seine neue Frau.

Als er um sechs Uhr morgens immer noch keine Anstalten macht, zu gehen, wird mir die Sache etwas unheimlich, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man es als Frau gerade noch tolerieren kann, wenn der Mann kurz nach sechs nach Hause kommt (Pokern, Skatspiel, Billardspiel, Schocken... klar, so was kann sich nächtelang hinziehen) aber nach sechs Uhr, nach Sonnenaufgang gehört es sich einfach nicht, dem sogenannten Ehebett fernzubleiben. Leute, ich weiß das wirklich aus eigener Erfahrung. Es sei denn, man hätte eine wirklich passable Entschuldigung.

Er wollte einfach nicht gehen. "Conny hat nichts dagegen", meinte er.

Conny hat nichts dagegen? Was zum Henker ist Conny für eine Frau? So was Liebes und so was Verständnisvolles? Ist ja echt zum Kotzen. Warte mal ein Jahr ab, liebe Cornelia... Aber wen juckt’s? Parker ist nicht mehr mein Problem.

"Du musst aber jetzt gehen!" Allmählich wurde ich sauer..

Und dann machte dieser Sack mir doch tatsächlich einen Vorschlag, den ich dankend ablehnte. Was zum Geier dachte er sich dabei? Ich bin schließlich keine Nutte...

Er bot mir an, mich monatlich zu unterstützen, wenn er dafür ab und zu bei mir übernachten konnte, in Wirklichkeit meinte er natürlich nette Nachmittage im Bett mit mir... Ich glaube es nicht! Ist ja sehr schmeichelhaft, aber wer soll das bezahlen? Er hat ja jetzt schon finanzielle Probleme... Vielleicht wenn Cornelia wieder arbeitet, sie ist OP-Schwester und würde jederzeit einen Job kriegen. Aber was soll’s ? Ich lehne natürlich ab. Er soll mir nur den verdammten Karmann übern TÜV bringen und dafür sorgen, dass er anständig anspringt wie ein normales Auto. Dafür erlasse ich ihm seine Schulden.

 

Trotzdem kam Parker öfter bei mir vorbei – aber ich machte es natürlich umsonst. So zum Abgewöhnen.

Bis er mir eines Tages seine neue Wohnung zeigen wollte. Conny sollte nicht zu Hause sein. Wir waren schon vor der Wohnungstür, als ich Stimmen von drinnen hörte. Es war jemand da, und ich bekam einen gewaltigen Schrecken.

Parker meinte zwar, Conny hätte nichts dagegen, wenn er mir die gemeinsame Wohnung zeigte, aber dieses Mal hatte ich etwas dagegen, denn ich kam mir vor wie das Flittchen eines verheirateten Mannes. Vollkommen ungewohnt war das, aber nicht sehr angenehm.

Ich stürmte die Treppen hinunter. Parker folgte mir und brachte mich nach Hause, aber ab da war unser Verhältnis etwas abgekühlter.

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Ich war nun reif genug für Susanne. Am nächsten Tag habe ich sie besucht. Erst machte keiner auf, aber nach dreimaligem Klingeln machte dann doch jemand auf.

Susanne erkennt mich sofort. Sie ist allein und sitzt in einem alten Sessel. Auf der Lehne liegt ein aufgeschlagenes Buch. Irgendwas mit Fantasy.

"Ich war an diesem Wochenende in Paris", erzählt sie. "Mit einem Freund..."

Aha, ein Freund. Ihre Stimme klingt geheimnisvoll. Was Festes vielleicht?

"Wir sind mit dem Zug hingefahren", erzählt sie weiter. "Ohgottohgott, ist Paris teuer, dabei habe ich wirklich nur Café-Crème getrunken... Im Centre Pompidou waren wir auch. Ist echt toll da..." Susanne lässt die französischen Worte genüsslich auf ihrer Zunge zergehen.

Hmmm, hoffentlich ist sie keine Museumsgängerin, die von einem Museum ins nächste laufen will. Nicht, dass ich was gegen Museen hätte, aber nur in Museen...

"Zurück bin ich alleine gefahren", erzählt Susanne weiter. "Der Typ ist dageblieben. Mein Gott, ich bin total fertig."

Also doch nichts Festes?

Susanne wirkt so zufrieden in ihrer bescheidenen Wohnung, als hätte sie es überhaupt nicht nötig, in irgendwelche dubiosen Discos oder Kneipen zu gehen. Vielleicht hat das mit ihr überhaupt keinen Sinn.

"Jetzt hängt er an der Nadel", reißt mich Susanne aus meinen Betrachtungen. Äääh was? Wen meint sie? Ach ja, wir reden über Markus. Was interessiert mich Markus? In der Zeche habe ich nicht bemerkt, dass er heroinsüchtig ist. Keine Spur.

"Alle paar Monate legt er sich ins Krankenhaus zum Entgiften."

"Er wirkt aber eigentlich so stark", gebe ich zu bedenken. Das stimmt. Markus ist einer der männlichsten Typen, die mir je begegnet sind. Stahlharter Körper, Adlernase und Robert de Niro-Fan.

"Er verhielt sich immer ein bisschen zu männlich, das Dreckschwein. Zu stark..."

Daraufhin schweigen wir vielsagend. Gut. Weil ich das Gefühl habe, dass der Besuch hier im Augenblick nicht viel bringt, stehe ich langsam auf.

"Hast du nicht Lust", frage ich Susanne an der Tür, "mal bei mir vorbeizukommen? Ich wohn hier direkt nebenan in der Bachstraße zehn. Winter und Parker steht noch auf dem Türschild, aber der Parker wohnt nicht mehr da..."

Susanne verspricht, vorbeizukommen. Ich zweifle daran, dass sie vorbeikommen wird. Sie macht so einen zufriedenen Eindruck, als ob sie es gar nicht nötig hätte, ihre Wohnung jemals zu verlassen. Außer um mal nach Paris zu fahren...

 

Sie hatte es aber doch nötig. Am Mittwochnachmittag steht sie vor meiner Tür. Ich freue mich echt, weil sie nicht lange mit dem Besuch gewartet hat und so prompt gekommen ist.

Sie betrachtet interessiert meine Science Fiktion Sammlung, steht aber mehr auf Fantasie.

Die Bilder, die bis vor kurzem hier hingen, sind natürlich nicht mehr da. Parker hat sie mitgenommen. Auf die leeren Stellen an der Wand habe ich Fotos von mir gehängt. Die besten natürlich. Sie sind zwar nicht besonders groß und auch nur schwarzweiß, weil mein Freund Manni, dem ich auch die Haare schneide, sie mir entwickelt hat, und er konnte es nur auf Schwarz-Weiß-Papier. Die Bilder sehen aber trotzdem gut aus, irgendwie künstlerisch, wahrscheinlich wegen der fehlenden Farbe. Auf dem einem Bild sehe ich aus wie die junge Glenda Jackson, ist von der Seite aufgenommen worden. Von Parker. Damals hatte ich schulterlanges Haar und einen Pony, also eine Pagenfrisur, und ich sah richtig gut aus, wirklich! Das zweite Bild ist am Nürburgring aufgenommen worden. Natürlich auch von Parker. Da hatte ich fast weißes auch recht langes Haar und stand versunken in der Betrachtung eines geilen Rennwagens, Maserati oder was ähnliches. Ich trug eine schwarze Sonnenbrille, irre Form. Das dritte Foto ist vom letzten Jahr, ich und Anja in der Wohnung der Hansens. wir kamen gerade vom Schwimmen... Man sieht zwei blonde Mädchen auf diesem Foto. Beide sitzen auf einem Sofa mit einem indischen Überwurf, sie trinken Cola und sind beide recht hübsch. Ein Mädchen ist blonder und brauner, das bin ich. Das andere Mädchen ist ein bisschen hübscher, aber nicht unbedingt interessanter. Wieder habe ich lange weißblonde Haare. War das im gleichen Jahr wie das Bild vom Nürburgring?

Jedenfalls war Robert ganz wild auf diese Fotos. Paaah... Aber er kriegt sie nicht, vor allem nicht das, wo ich mit Anja drauf bin. Hinterher zeigt er es noch rum und erzählt: Mit beiden habe ich geschlafen..." Könnte ich mir gut vorstellen, dass er das tut. Und deswegen kriegt er überhaupt kein Foto von mir!

Ich führe Susanne ein bisschen in meiner Wohnung herum. Die Wohnung gefällt ihr nicht übel, vor allein der Garten mit der Terrasse. Terrasse ist eigentlich übertrieben. Es handelt sich nur um eine offene mit Platten belegte Fläche, die übergangslos in ein Blumenbeet übergeht, und das Blumenbeet geht dann in den Rasen über.

Als wir nach der Besichtigung ins Wohnzimmer zurückkehren, klingelt gerade das Telefon. Es ist Robert. Wie lang hab ich den nicht mehr gesehen? Zwei Wochen?

"Na, was machst du denn so?" fragt er.

"Och, mir geht’s ganz gut", behaupte ich. "Eine Freundin ist gerade zu Besuch hier. Die mag auch Science Fiktion." Robert hatte mal gesagt, er hätte noch nie eine Frau gekannt, die Science Fiktion liest.

Wenn Robert die Hoffnung auf eine Verabredung hat, dann kann er sich die abschminken.

"Die sieht echt süß aus", erzähle ich weiter. "Ungefähr wie Petra Kelly, nur viel hübscher..." Ich erwähne das deswegen, weil Robert mal gesagt hatte, dass er Petra Kelly ganz niedlich fände. Dieser schleimige Typ. Danach wimmele ich ihn ab, und ich glaube, er wird nicht mehr bei mir anrufen.

Susanne ist erst vierundzwanzig, aber an Erfahrung, vor allein mit Männern, mir weit überlegen.

Jetzt klingelt es an der Haustür.

Es ist Anja. Na klar, wochenlang lässt sich keiner blicken, und dann, wenn mich ausnahmsweise jemand besucht, dann stehen sie alle auf der Matte.

Anja und Susanne fassen auf Anhieb eine tiefe Abneigung gegeneinander. Anja ist der gutbürgerliche Typ und Susanne ein total ausgeflippter, vor allem arbeitsmäßig. Anja ist eine echte Karrierefrau, und Susanne hat keine Lust zum Arbeiten, weil sie sich dann total eingeengt fühlen würde. Und über Kunst haben sie auch die unterschiedlichsten Ansichten. Susanne vertritt eine solche abstrakte verrückte Meinung, dass sich Anja persönlich beleidigt fühlt und sich daraufhin sehr schnell verabschiedet.

Ich erzähle Susanne von Parkers Angebot, mich finanziell zu unterstützen.

Susanne ist kein bisschen entsetzt. Sie hat zu all ihren Exfreunden ein gutes Verhältnis und kommt blendend damit klar. Deswegen hat sie auch nie Leerlauf in ihren Beziehungen. Beneidenswert. Ich könnte das leider nicht, für mich ist eine Sache aus, wenn sie aus ist, und dann will ich auch keine lauwarme Freundschaft mit meinem Exlover pflegen.

"Ich komme jetzt öfter", zwitschert sie beim Abschied. Diesmal habe ich überhaupt keine Zweifel, dass sie kommen wird.

"Du kannst kommen, so oft du willst", sage ich. Das meine ich wirklich ernst. Sie ist eine bezaubernde Person, kleiner als ich, mit knabenhaften Gesichtszügen und großen braunen Augen. Ihr Haar trägt sie recht kurz, es ist hellbraun. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie blond. Die Figur ist auch knabenhaft. Sie ist spontan und wirklich witzig. Und lebt vom Sozialamt. Na gut, und wenn schon...

 

Ende Kapitel 3

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Kapitel 4

Irre Exfreundinnen, irre (Ex)Liebhaber, Minigolf und natürlich...Frust.

Zwei Tage später kam Gudrun aus G. zu Besuch; die Frau, mit der ich meine zweite Wohnung teilte. Sie sieht ein wenig aus wie Olivia, die Freundin von Popeye dem Seemann, sie ist nämlich auch so groß und so dünn und hat dunkles Haar. Die Frau ist ziemlich nervig. Sie hat eine Tochter von einem mir unbekannten Mann, und sie hat ein gebrochenes Nasenbein – auch von einem mir unbekannten Mann. Die Geschichte mit der Nase ist entsetzlich. Sie ist gebrochen worden von Gudruns Exfreund, der wohl auf einem Meditations-Trip war und vierundzwanzig Stunden am Tag meditiert hat. Oh Gott, das ist wirklich entsetzlich. Mist! Ich glaube, für Mitteleuropäer ist das Meditieren eher schädlich und nicht seelenheilbringend.

"Ich finde, deine Nase sieht relativ normal aus, jedenfalls besser als meine", sagte ich, um sie ein wenig aufzurichten.

"Du hast doch eine richtig niedliche Nase", behauptete Gudrun. "Damit kannst du doch wirklich zufrieden sein."

"Na, ich weiß nicht." Mit meiner Nase bin ich noch nie zufrieden gewesen. Die ist zu breit und zu stupsig und sieht aus jeder Perspektive anders aus. Jetzt ist die Rede von einer Gruppe – ich hasse Gruppen – wo dieser Nasenbrechertyp meditiert hat... Meine Güte! Jedenfalls endete diese eklige Geschichte für Gudrun und ihre kleine Tochter im Frauenhaus.

An dieser Stelle hörte ich auf zuzuhören. Das war alles so unsäglich grauenhaft und peinigend. Ich wollte es nicht hören.

"Und wie geht’s Madame?" fragte ich irgendwann. Ich hatte lange nicht mehr von der gehört. Gott sei Dank!

"Marion", erzählt Gudrun, ohne das von mir erfundene Wort ‚Madame’ zu gebrauchen, "hat sich selbstständig gemacht."

"Häääh? Die und selbstständig?"

"Mit einem alternativen Reisebüro."

"Mit einem was?!?!?!"

"Na weißt du, sie vermittelt Busfahrten nach Griechenland oder sonst wohin..."

Ach so... Wahrscheinlich vermietet sie kratzende Jutesäcke an Rucksacktouristen. Ich muss lachen. Madame Medusa als Geschäftsfrau! Ich kann mir nicht vorstellen, dass die eine halbe Stunde lang ihre Gedanken beisammenhalten kann oder überhaupt arbeiten kann.

Meine zaghaften Versuche, irgendwohin auszugehen, werden mit Ohnmachtsanfällen beantwortet. Sie ist ja so entsetzlich schwach und fertig. Die Tochter ist übrigens bei Gudruns Mutter, ich kann mich noch an die Mutter erinnern, denn als wir unsere gemeinsame Wohnung hatten, turnte die öfter da rum. Fürchterliche Frau.

Und dann schläft Oli... äääh Gudrun noch bei mir. Die zieht mich noch mehr runter, als ich ohnehin schon runter bin.

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Am Mittwoch kommt Susanne vorbei. Sie hat einen Typen mitgebracht, den ich schon mal irgendwo gesehen habe.

Er gibt sich als Bademeister vom Freibad am See zu erkennen. Aber ich kenne ihn noch von woanders her. Es stellt sich heraus, dass Rüdiger, so heißt der Typ, meinem Exmann Parker Saxophonunterricht gegeben hat. Also Rüdiger hat mir das angetan...

Susanne muss ein bisschen verliebt sein in diesen Rüdiger, aber sie halt sich auffällig stark zurück. Ich muss sie demnächst mal fragen, warum.

Im Sommer ist Rüdiger Bademeister, im Winter Skilehrer, und nebenbei gibt er Musikunterricht. Für meinen Geschmack sieht er etwas grob im Gesicht aus, aber es stehen bestimmt viele Frauen auf ihn. Und er ist wirklich ein angenehmer Plauderer und ganz nett.

"Sollen wir noch ins Kaleidoskop gehen?" schlägt Susanne nach einer Stunde vor.

Ich bin zuerst entsetzt. Das ist für mich eine Ballerbude im Zentrum der Stadt in einer toten Sackgasse, mit der mich übelste Erinnerungen verbinden. Aber mit Parker war ja fast alles übel.

"Der Laden ist gar nicht so schlecht", meint Susanne eindringlich. "Los kommt, wir machen’s einfach..."

Wir fahren mit der Straßenbahn in die Innenstadt, schwarz natürlich.

"Seht ihr, wenn’s keine Straßenbahn gäbe, mussten wir zum Kalei laufen." Susanne äußert sich sehr schwärmerisch über die Wunder der Technik.

"Da ist was dran", muss ich zugeben. "Und noch umsonst dazu." Gott sei Dank kommt kein Kontrolleur.

Das Kaleidoskop, kurz Kalei genannt, hat einen schlechten Ruf, rauschgift- und toilettenmäßig gesehen.

"Im Kalei sollte man sich nicht auffällig anziehen", erklärt Susanne gerade. "Eher underdogmäßig."

Ich gucke an mir herunter und bin zufrieden. Ich bin ziemlich dezent gekleidet, mit schwarzer Hose, weißem T-Shirt, Jeansjacke und Stoffturnschuhen.

Das Kaleidoskop ist übrigens eine der ältesten Discotheken in ganz Deutschland, außer in Westberlin vielleicht, erklärt Susanne mir. Das Kaleidoskop ist ein echter Anachronismus. Susanne nennt das Kalei ‚rudimentär’. Rudimentär ist einer ihrer Lieblingsausdrücke.

Das Kaleidoskop hat nichts Vornehmes an sich, man kann sich darin rumlümmeln wie mal will, man kann tanzen, und vor allem kann man saufen. Die Getränke sind billig.

Für drei Mark Eintritt bekommt man einen Stempel auf die Hand oder wohin man will, und für die Eintrittskarte bekommt man sogar ein Bier oder was man sonst so will.

Zwischendurch kann man rausgehen und sich draußen rumlümmeln, wenn man will.

Es ist brechend voll. Den Diskjockey kenne ich, den habe ich letztens auf dem Flohmarkt getroffen, als ich mein Bakelitradio gekauft hab. Ich winke ihm zu, und er winkt zurück.

Der Laden ist in der Tat nicht übel. Von Rauschgift merke ich nicht viel, aber die Toiletten sind wirklich unter aller Sau.

Alles in allen, ein richtig guter Abend! Ich habe das Gefühl, diese ‚Ballerbude’ ist genau das, was mir im Moment zusteht, nicht mehr aber auch nicht weniger. Ich bin eben sehr bescheiden.

Susanne und ich laufen nach Hause. Rüdiger haben wir im Kalei verloren.

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In der nächsten Woche war nicht viel los. Keiner rief an oder kam gar vorbei bis auf Susanne, und die kam nur, um mir mitzuteilen, dass sie Ostern bei ihren Eltern in D. verbringen würde. Toll, das würde mit Sicherheit ein lustiges Fest werden. Trübe Aussichten waren das.

Und Parker erschien am Donnerstag Nachmittag, aber der zählte nicht als Gast. Er verhielt sich immer sentimentaler und faselte dauernd von seiner neuerwachten Liebe zu mir. Ich glaubte ihm natürlich kein Wort, aber angenehm war es schon...

Ostern fand in diesem Jahr ziemlich spät statt. Am Karfreitag sonnte ich mich vormittags in meinem Garten. Der Garten lag nach Osten, und es war jetzt schon finster hier, obwohl die Bäume noch gar nicht ihr Laub hatten... Aber über das Laub der Bäume brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Damals wusste ich noch nicht, dass der Sommer einer der lausigsten Sommer des Jahrhunderts werden sollte mit kaum Sonne - aber  immerhin mit einer späten Hitzeperiode, die Mitte August anfing. Zu dieser Zeit war mein Urlaub allerdings schon vorbei.

Am Ostersamstag stieg ich munter in mein Auto, um nach G. zu fahren und Gudruns Treppe zu putzen. Ich hatte es ihr versprochen, weil sie mit der Arbeiterwohlfahrt wegfahren wollte über die Feiertage. Bei der war im Augenblick mehr los als bei mir.

Das Scheißauto sprang aber nicht an! Parker hatte ja auch noch nichts dran gemacht.

Ich fuhr mit der Straßenbahn, hatte ja eh nix zu tun. Leider nahm ich die falsche Bahn, die zwar auch nach G. fuhr, aber ganz anders... Ich glaube, ich bin durchs ganze Ruhrgebiet gefahren. Einmal sah ich sogar eine Zeche. Irgendwann war Endstation. Galopprennbahn oder so. Ich fuhr mit einem Bus zum Hauptbahnhof – auch das zog sich hin... Am Hauptbahnhof erblickte ich auf Anhieb eine Straßenbahn, die nach E. fuhr. Nichts wie hinein und nach Hause. Zwei Haltestellen später kam mir die Gegend auf einmal sehr bekannt vor. Klar, hier wohnte Gudrun. Ich nix wie raus, fand Gudruns Wohnung auf Anhieb, goss einen Eimer Wasser über die Treppe, legte ihre Schlüssel auf den Küchentisch und erwischte die nächste Straßenbahn nach Hause.

Die Heimfahrt dauerte nur eine halbe Stunde.

Das Wetter war wie immer lausig, weder Sonne noch Regen.

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Am Ostersonntag überkam mich eine solche Langeweile, dass ich mich nicht entblödete, meinen alten Freund Robert anzurufen.

Der Gute war auch sofort bereit, mich zu treffen. Wir trafen uns in der Kneipe über der Eishalle, Da konnte man den Leuten so schön beim Schlittschuhlaufen zusehen und musste nicht so viel erzählen, es sei denn, über die Schlittschuhkünste von irgendwelchen Leuten. Trotzdem konnte ich die Klappe nicht halten und erzählte Robert (manchmal hab ich das Gefühl, wenn ich was erzähle, ist es garantiert das Falsche), dass Parker in letzter Zeit öfter bei mir gewesen wäre.

Robert war davon überhaupt nicht überrascht, sondern tat so, als hätte er es schon immer gewusst. Der muss ja ein Vertrauen zu mir gehabt haben! Nicht ganz zu Unrecht, hmmm...

Später liefen wir dann zu mir nach Hause. Robert kam mit, ohne aufgefordert zu werden.

Natürlich landeten wir im Bett.

Und es war nicht übel. Im Bett ist er immer Klasse gewesen.

"Egal, was noch kommt", meinte er danach, "daran werde ich mich immer erinnern."

Ich sagte nichts dazu, und was hätte ich auch dazu sagen sollen?

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück blieb Robert stur in meiner Küche hocken und las angestrengt irgendwas. Ja was las er denn da? Es handelte sich um die Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom Donnerstag, die ja wohl nicht mehr die Frischeste war...

Seltsam, dass wir nie zusammen gekocht haben. Meistens sind wir essen gegangen oder haben uns was aus der Pommesbude geholt. Ich glaube, zum gemeinsamen Essenkochen bin ich noch nicht bereit. Das ist für mich – ja wie soll ich sagen? Etwas Intimes.

Warum ging er nicht nach Hause? Nein, er verbiss sich in diese überalterte Zeitung wie ein Terrier in einen Knochen.

Eigentlich wollte ich lieber allein sein und überlegte daher angestrengt, wie ich diesen Terrier loswerden könnte.

Vielleicht durch ein bisschen gemütliche Hausarbeit?

Ich fing lautstark an zu spülen. Leider war nicht viel schmutziges Geschirr da.

Er ließ sich nicht davon beeindrucken.

Für diesen sturen Hund musste ich schon stärkere Geschütze auffahren. Warum ging er nicht endlich? Geh weg!

Ich holte den Staubsauger und fing lautstark an, damit herumzusaugen. Keine Reaktion. Er stellte sich immer noch stur. Wahrscheinlich zehrte er noch von unserer Bettsache. Der verwechselt Orgasmus wohl mit Liebe.

Ich saugte so lautstark Staub, dass ich fast das Telefon überhörte.

Es war Alex.

"Hast du Lust. gleich Minigolf spielen zu gehen?" fragte er. Minigolf halte ich so ziemlich für das blödeste Spiel seit der Erfindung der Freizeit. Dämliche kleine Bälle in noch dämlichere kleine Löcher zu schlagen! Bei den wenigen Malen, als ich’s gespielt habe, habe ich die einfachsten Schlage versiebt. Ich mag es nicht. Warum können wir nicht stattdessen Billard spielen gehen? Aber nein, sie wollen an die frische Luft! Aber immerhin ist es eine gute Möglichkeit, Robert loszuwerden.

"Übrigens ist Robert auch hier."

"Ist ja toll", sagte Alex. "Ich hab’ schon versucht, bei ihm anzurufen, aber da war keiner."

Das wunderte mich eigentlich nicht.

Bester Laune ging ich in die Küche und verkündete: "Alex holt uns gleich zum Minigolfspielen ab." Und das hieß brutal: Entweder kommst du mit oder nicht. Raus hier musst du sowieso, auch wenn du dich noch so sehr hinter dieser blöden Zeitung versteckst.

Robert tat irre erfreut, was mich nicht wunderte. War ja auch eine gute Gelegenheit für ihn, hier rauszukommen, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Ich wusch mir die Haare und zog mir was an. Alex kam sehr pünktlich, und wir fuhren zu Alex’ und Anjas Wohnung. Anja war nicht da, sollte aber gleich erscheinen.

Robert setzte sich drei Meter von mir entfernt hin, als ob er jede Bekanntschaft zu mir leugnen würde. Dieser elende Heuchler!

Das Gespräch plätscherte so herum. Es ging um die Freundin von Anja, die auch Silvester bei dem Fest war. Die Freundin lebt auch allein – so wie ich – und hat einen Haufen Spaß dabei. So verstehe ich es jedenfalls. Aber das scheint den Männern nicht zu gefallen.

Denn Alex sagte einen Satz, der mich stutzig machte. Er sagte tatsächlich: "Alleinstehende Frauen werden Nutten." Dabei lächelte er schelmisch. Anwesende vielleicht auch? Nicht der Obhut eines Mannes anvertraut, können Frauen wohl leicht auf die schiefe Bahn geraten.

Robert grinste heimtückisch zustimmend. Und mir blieb die Sprache weg. Wenn das die vorherrschende Meinung unter Männern ist, dann können die mich mal.

Endlich kam Anja, die einwandfrei keine Nutte ist. Sie überreichte mir feierlich eine Einladung zum Polterabend. Alex und Anja wollen am nächsten Wochenende heiraten.

Die Karte sah aus wie ein welkes Blatt. Echt Bütten, handgeprägt. Man unterhielt sich über die Hochzeit. Kirchlich soll sie stattfinden, natürlich nicht mit dem gemeinem Volk, sondern nur mit den engsten Verwandten. Das gemeine Volk soll am Abend davor, es ist der nächste Freitag, irgendwo im Süden von E. erscheinen. Steht alles auf der Karte.

"Was war das denn für ein Mäuschen?" fragte Anja mich mit Betonung auf ‚das’. Mit einer sehr geringschätzenden Betonung auf ‚das’.

"Was meinst du?" Ich stellte mich ganz blöd, obwohl ich genau wusste, wen sie meint.

"Na, die letztens bei dir war..."

"Eine Bekannte von früher", erklärte ich. "Ich brauch’ mal jemanden, mit dem ich ausgehen kann."

"Na, ich weiß nicht..." Was Anja nicht wusste, ließ sie bedeutungsschwer im Raume stehen. Sie meinte natürlich, wenn ich ab und zu mit ihr, Alex – und Robert natürlich – ausginge, wäre mein Bedarf an Geselligkeit vollkommen gedeckt. Und sie missbilligt Susanne, obwohl sie die nur ein einziges Mal gesehen hat. Gut, Susanne ist nicht jedermanns Sache.

Schließlich brachen wir endlich auf zum Minigolfspielen. Es wurde einer der am wenigsten interessanten Tage meines Lebens.

Abends war ich froh, wieder zu Hause zu sein, alleine und ohne lästige Leute

 

In Nick’s Café, das ist ein nettes kleines Ding, nur eine Viertelstunde entfernt, nichts besonderes, nichts zum anmachen – als ob mich jemand anmachen würde – treffe ich einen alten Bekannten, er ist jetzt Besitzer einer Kneipe, die ziemlich bescheuert ist, total konservativ und nicht sehr anziehend. Die Kneipe heißt Haus Dobermann. Damals vor ein paar Jahren habe ich nächtelang mit ihm geredet und ich hatte den Eindruck, er mochte mich. Jedenfalls wollte er Parker was aufs Maul hauen, aber ich wollte das nicht. Dann hat ihn diese Zicke eingefangen, sie hat ihn geheiratet, und jetzt hat er Eheprobleme.

Er will sich bei mir melden.

Parker ruft mich am nächsten Tag an.

"Ich hab’ da eine Einladung zum Polterabend bekommen", meint er anzüglich.

"Du auch? Das welke Blatt..."

"Kannst du vielleicht ein Geschenk besorgen?"

"Wieso ich?" Ich halte das für eine ziemliche Zumutung.

"Cornelia kann nicht mitkommen. Hat Nachtschicht", erklärt man mir. Das ist natürlich was anderes, wenn Cornelia nicht mitkommt. Vielleicht wird es dann wie in alten Zeiten sein, nur besser.

"Was schwebt dir denn so vor?" frage ich.

"Irgend so ein Grünzeug mit Topf vielleicht."

"Und how much?"

"Na, so für fünfzig Mark", sagt Parker.

"Mach’ ich. Dann bis Freitag."

Ich selber habe Alex und Anja ein Kochbuch gekauft, weil ich mich noch gut an das Silvesteressen erinnere, das war nämlich gar kein Essen, sondern ein Haufen von faden Fertigsalaten....

Für Parker kaufe ich einen Übertopf und einen kleinblättrigen Gummibaum. Anja hat mal gesagt, sie wollte niiiie wieder so einen blöden Ficus haben. Der Übertopf ist ungefähr viermal so groß wie der kleinblättrige Gummibaum und unheimlich protzig. Vielleicht könnte man ihn besser als Papierkorb verwenden, aber das soll mir egal sein.

Für diesen Polterabend kaufe ich mir extra einen Hosenanzug. Weite Hose, kurzes Jäckchen. Der Stoff sieht aus wie Leinen, ist aus Baumwolle, knittert aber wie Leinen. Der Anzug ist eigentlich zu teuer für mich. Über zweihundert Mark. Einmal im Kaufrausch kaufe ich mir schwarze geflochtene Lederschuhe, nach Art eines Turnschuhs, knöchelhoch, und sie passen sich wunderbar meinen Füßen an. Hundert Mark sind nicht zuviel dafür, denn vorher haben sie das doppelte gekostet.

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Ich mache eine Kneipenbestandsaufnahme. So für alle Fälle:

Nick’s Café: Kleiner netter Laden. Nichts zum Anmachen. Vorteil: Nah. Und man trifft dort ehemalige Bekannte und Freunde (Den Wirt Tommy).

Kaleidoskop: Hart an der Grenze. Eventuell was zum Anmachen. Aber was? Nachteil: Weit (zu Fuß). Nachteil: Scheiß Musik (Oldies – Stones). Keine Vorteile? Doch – billig.

Café Klonck: Könnte ein Anmachladen sein... Vorteil: Nah. Nachteil: Ist Parkers Stammlokal... Und ich werde mich hüten, in die Höhle des Löwens zu gehen. Aber irgendwann werde ich es müssen, Bruce verkehrt nämlich dort...

Haus Dobermann: Unter aller Sau! Aber Tommy will den Laden flott machen und ihn in eine Art Kleindisco verwandeln. Viel Glück, Tommy! Ich werde kommen...

 

Ende Kapitel 4 LOVE GAMES © Ingrid Grote 2004

 

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