LOVE GAMES 

Kapitel 23

Oktober – nach dem Nürburgring...

Er kam am Donnerstag Nachmittag vorbei. Die ganze Woche war ich nicht ans Telefon gegangen. Irgendwie fürchtete ich mich vor ihm, vor allem fürchtete ich seine Reaktion auf das, was seine Cobbers am Nürburgring mitangesehen hatten: Ich im Arm von Bruce. Oh Mann! Wie konnte ich das nur zulassen? Ich hatte nur noch die Möglichkeit, mich ganz blöd zu stellen.

Das dürfte mir nicht allzu schwer fallen. Seufz...

Aber noch mehr hatte ich gefürchtet, dass er sich gar nicht mehr melden würde.

Er setzte sich wortlos in die Küche, ich folgte ihm und blieb am Tisch stehen. Er schaute mich an. Ich wusste nicht, wie ich seinen Blick deuten sollte. Er schaute mich feindselig an, aber das war noch etwas anderes in seinen Augen.

Dann stand er auf und fummelte an seinem Gürtel herum, und auf einmal kam mir der Gedanke, er wollte mich damit züchtigen... Aua, das ist pervers... Könnte aber... Nein, um Gottes Willen.

Er legt den Gürtel nur ab. Heiliger Strohsack. Ich schaue ihm so fasziniert zu, dass er darauf aufmerksam wird und anfängt zu lächeln.

"Hast du es verdient?" fragt er heimtückisch .

"Lass mich ja in Ruhe!" Ich weiche automatisch zurück.

Er lässt sich dadurch nicht beeindrucken, sondern drängt mich unaufhaltsam ins Schlafzimmer, wo ich auf dem Bett lande und er sich seine Hose auszieht. Meine Sachen ziehe ich mir selber aus. Freiwillig.

Und wie immer werde ich weich und nachgiebig, wenn er mich anfasst, und das scheint ihn zu besänftigen. Vorerst zumindest. Diesmal scheint es ihm egal zu sein, ob ich zum Höhepunkt komme, diesmal denkt er nur an sich. Das ist selten. Aber gerade weil er heute so unerbittlich ist, bin ich verwirrt, und mein Körper reagiert so auf ihn, als hätte er mich lange an den entscheidenden Stellen gestreichelt, geleckt oder was auch immer...

Es ist so gut. Au verflucht! Eigentlich wollte ich cool bleiben, aber es geht nicht. Ein Stöhnen kommt aus meinem Mund, ich kann es nicht unterdrücken. Außerdem umklammere ich seinen Hintern, um ihn noch näher bei mir zu haben. Und stöhne noch lauter. Verdammt noch mal! Er schaut mich triumphierend an und fängt kurz darauf selber an zu stöhnen.

"Was machst du am Wochenende?" fragt er mich ein paar Minuten später.

War ziemlich kurz diesesmal. Wir sind wieder angezogen, und ich sitze auf dem großen und er auf dem kleinen Sofa. Alles wie gehabt.

Um Gottes Willen keine Intimitäten. Außer dieser besonderen Intimitäten. Allmählich überkommt mich großer Ärger.

"Warum willst du das wissen?" Ich glaube, meine Stimme klingt etwas unwirsch. Er wollte noch nie wissen, was ich den Wochenenden vorhatte, und ich wollte auch nie wissen, wie er gewisse Wochenenden verbracht hat. Fast könnte man denken, er wäre eifersüchtig auf irgend etwas. Aber das ist vollkommen absurd. Gekränkte Eitelkeit bewegt ihn. Und dieses beschissene Treffen am Nürburgring, als er vor seinem Kollegen Clem ziemlich dämlich dastand, das hat ihn wohl sein Gesicht verlieren lassen. Ihn, den großen Hardy.

Außerdem bin ich mir keiner Schuld bewusst, es war nur ein harmloser Kuss auf die Wange, mehr hat Hardy ja wohl nicht gesehen. Und was ich eine Woche vorher mit Bruce getrieben habe, das weiß er nicht.

Es reicht eigentlich, dass ich es weiß...

"Triffst du dich wieder mit diesem", er macht eine verächtliche Pause, bevor er weiterspricht, "Macker?"

"Ich habe mich nicht mit Bruce getroffen!" Alleine diese Unterstellung macht mich wütend.

"Habe ich da was falsch mitbekommen?"

"Ich wusste nicht, dass er mit Parker hinfährt. Außerdem habe ich beide nur zufällig getroffen. Und seit wann interessiert dich so was?"

"Ach, der andere war also Parker. Interessant. Also, was wollte Bruce denn von dir?"

"Ich schätze mal, er wollte mich sehen..." Herrgott, warum erzähle ich ihm das? Es geht ihn nichts an. Und was ist das hier eigentlich? Die heilige römische Inquisition? Ein hochnotpeinliches Verhör?

"Aber ich schätze mal, du wolltest ihn nicht sehen." Das Verhör geht also weiter.

"Nein, um Himmels Willen. Ich will nichts von ihm. Ist erledigt, die Sache."

"Irma, Irma, du bist eine grausame Frau, du brichst den Männern das Herz und lässt sie dann einfach so liegen." Seine Stimme klingt spöttisch.

"Das ist überhaupt nicht wahr! Er hatte seine Chance. Aber damals wollte er nicht..." Ich höre abrupt auf zu reden, denn ich habe schon zu viel geredet. Warum lasse ich mich dazu herab, ihm das zu erklären?

"Du gibst einem Mann nur einmal eine Chance, ist ja interessant." Jetzt klingt seine Stimme nicht mehr spöttisch sondern regelrecht höhnisch.

"Auch das ist nicht wahr. Es war eben von Anfang an... nichts. War nur so eine fixe Idee."

"Gut." Seine Stimme klingt jetzt gelassen. "Also was machst du am Wochenende?"

"Ich muss zu meinen Eltern. Geburtstag feiern." Das stimmt, es gibt eine große Feier in Daarau, ungefähr zweihundert Kilometer vom Ruhrgebiet entfernt.

"Mit wem fährst du?"

"Was zum Teufel soll das?" Ich fasse es nicht. Was will er? Will er mir nachschnüffeln, mich kontrollieren? Aber selber kann er machen, was er will...

"Gut." Wieder klingt seine Stimme gelassen.

Und er macht Anstalten, zu gehen.

Ja toll, hau nur ab, ohne dich bin ich sowieso besser dran. Und wer weiß, was er vorhat an diesem Wochenende, aber ich soll brav irgendwo rumsitzen. Das könnte ihm so passen!

Er zögert noch, bleibt noch ein wenig stehen, als ob er auf irgend etwas warten würde, bevor er mir seinen obligatorischen Kuss auf die Stirn gibt, diesen väterlich-brüderlichen Kuss, der mich vor einem halben Jahr in seine Fangarme gelockt hat. Diesen trügerischen Kuss, dieses trügerische Getue, um die Weiber zu umgarnen wie eine Spinne, dann einzuwickeln und später genüsslich zu verspeisen.

Der ist so väterlich wie Jack the Ripper und so brüderlich wie Charles Manson.

Ich bringe ihn nicht zur Tür. Den Weg weiß er schließlich alleine.

Ich bleibe etwas betäubt zurück. Was sollte dieser seltsame Auftritt? Hat er mich jetzt abserviert? Ich habe ihn schließlich gedemütigt vor seinen Cobbers. Clem hat den anderen bestimmt erzählt, dass Hardy und ich irgendwas zusammenhaben. Aber was weiß Clem wirklich über uns?

Und dieses Verhör eben, das war ja wohl eine Unverschämtheit.

Andererseits ist es einer meiner größten Fehler, ein Unrecht nicht zugeben zu können.

Aber war es ein Unrecht, Bruce am Ring auf die Wange zu küssen? Nein, das war es wahrscheinlich nicht. Aber dass ich mit ihm geschlafen habe, das war ein Unrecht. Nein nicht Hardy gegenüber, der hat keinerlei Rechte auf mich, nein es war ein Unrecht gegenüber mir selber, gegenüber Bruce und gegenüber Susanne. Denn Susanne bekommt vielleicht ein Kind von ihm.

Ich überlege scharf. Andererseits hat Susanne doch bestimmt mitbekommen, dass ich irgendwie an Bruce interessiert war, und sie hat sich trotzdem von ihm anmachen lassen. Was soll ich davon halten? Es ist mir mittlerweile egal. Bruce ist Vergangenheit, es hat einfach nicht mit ihm geklappt. Ich bin mir mittlerweile sicher, dass ich durch ihn nur den Kontakt zu meinem alten Leben, also zu Parker aufrechterhalten wollte.

Ich habe Bruce nur benutzt. Es hat nie richtig mit uns angefangen. Nie wirklich. Es ist verwirrend, das festzustellen.

Die Wohnung kommt mir leer vor, seit Hardy gegangen ist. Er ist, so erstaunlich es mir vorkommt, der einzige Mann, den ich länger in meiner Wohnung ertragen kann. Liegt vielleicht daran, dass er nichts von mir will, außer Sex natürlich... Und ich muss mich nicht besaufen wie bei gewissen anderen, um mit ihm reden oder mit ihm schlafen zu können.

Was ist das zwischen Hardy und mir? Eigentlich ist diese Frage überflüssig geworden, denn er wird mich mit Sicherheit abservieren.

Und eigentlich habe ich keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich muss für Daarau packen. War lange nicht mehr da. Mindestens zwei Jahre. Ich vermisse es. In Daarau konnte ich immer meine Kräfte mobilisieren, wenn ich Zoff mit Parker hatte. Ich bin meistens alleine nach Daarau gefahren, manchmal auch mit meiner Schwester, aber das war dann nicht so gut... Parker war nur ein einziges Mal da, und er hat sich so schlecht damals benommen, dass ich froh war, als er wieder weg war. Er kam mit Michael, dem damaligen Freund meiner Schwester in seinem Jaguar-E-Type an. Seltsame Allianz, Parker und der Freund meiner Schwester. Michael war auch so ein Herzchen. Moment mal, Michael war einer derjenigen, die mich immer vor Parker gewarnt hatten, aber das war nicht ganz uneigennützig von ihm. Er wollte mich tatsächlich ins Bett kriegen.

Wieder muss ich an Hardy denken. Er ist einer der wenigen mutigen Männer, die sich nicht von mir abschrecken ließen. Wenn ich’s mir so überlege, habe ich mir die Männer immer selber ausgesucht. Ja, auch Parker. Ich bin immer danach gegangen, ob jemand verliebt in mich war. Und natürlich bin ich nach gutem Aussehen gegangen, ich wollte immer die schönsten Männer haben. Das hat mir gereicht. In dieser Beziehung bin ich wirklich total oberflächlich.

Ist es ein Wunder, dass immer alles schiefgegangen ist?

Nur bei Hardy war es anders. Auf ihn hatte ich keinerlei Einfluss, und ich konnte ihn nicht wählen. Warum hätte ich ihn auch wählen sollen, er ist und war nie in mich verliebt... Nein, er hat mich gewählt. Ich weiß nicht, was für Auswahlkriterien er hat. Geht wahrscheinlich nicht nach Schönheit, sonst hätte er mich nicht gewählt. Jedenfalls ist er nicht der Mann, der sich von einer Frau wählen lässt. Und von mir schon gar nicht....

Dann kommt mir ein ungewohnter neuer Gedanke: Vielleicht verachte ich jeden Mann, der mich liebt, denn ich bin nicht wirklich liebenswert. Meine eigene Mutter hat mich nicht geliebt, und die musste es ja schließlich wissen.

Also bin ich nicht liebenswert, und wer mich liebt, ist ein Idiot und hat es nicht anders verdient.

Allmählich fühle ich, wie der Boden unter mir wegrutscht. Bin ich wirklich nicht liebenswert, nur weil meine blöde Mutter hysterisch war und immer auf mir rumgeprügelt hat? Habe ich immer verhindert, dass mich jemand richtig mochte, habe ich alle weggegrault und beschissen behandelt, weil ich sie für Idioten hielt?

Und warum habe ich selber nie Gefühle zugelassen? Weil ich damit angreifbar wurde? Weil ich damit verletzbar wurde?

Ich weiß es nicht.

 

Also Daarau, der Ort, wo ich geboren wurde. Der Ort wo ich immer die Ferien verbrachte, nachdem meine Eltern ins Ruhrgebiet gezogen waren. Der Ort mit den drei Teichen, dem Gutshof und dem Herrenhaus, den Maden in den Himbeeren, den Stechfliegen im Fichtenwald und den Plumpsklos. Letztere gibt es kaum noch. Als Kind habe ich mein Geschäft lieber auf einem Misthaufen verrichtet als auf diesem Doppelsitzer-Plumpsklo. Es war ein finsteres Loch ohne elektrisches Licht, und ich hatte immer das Gefühl, irgendein unheimliches Tier würde mich in den Hintern beißen. Also dann doch lieber auf den Misthaufen... Ich muss Hardy mal was über Doppelsitzerplumpsklos erzählen, das findet er bestimmt amüsant. Falls ich ihn noch einmal sehe...

Hardy, Hardy, immer wieder Hardy. Ich kann ihn heute nicht aus meinen Gedanken verdrängen, und eigentlich will ich gar nicht wegfahren, will lieber hier bleiben, aber andererseits verbringt er das Wochenende bestimmt nicht zu Hause. Und er schmeißt mich bestimmt raus, falls ich bei ihm ankomme.

Also packen. Meine Schwester und ich wollen vielleicht zwei Nächte in Daarau verbringen. Das ist eigentlich viel zu lange. Ich glaube, ich habe keine Lust, bis Sonntag in Daarau zu bleiben. Vielleicht kann ich sie überreden, früher zurückzufahren. Die Katzen werden durch Karen versorgt. Sie will zwei Tage hier schlafen, und sie hat schon die Wohnungsschlüssel. Ich hoffe, es klappt einigermaßen.

Meine Schwester will mich morgen um drei Uhr nachmittags abholen, und dann geht es los in Richtung Heimat.

Aber Daarau hat seit ein paar Jahren seinen Reiz für mich verloren. Ich glaube, die Anziehungskraft war weg, als meine Eltern dorthin zogen. Als vor allem meine Mutter dorthin zog..

Eigentlich will ich dort gar nicht hin.

Ende Kapitel 23

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Kapitel 24

Oktober – Daarau und danach...

Kaum sind wir in Daarau angekommen, will ich auch schon wieder weg. Es ist nicht mehr das Daarau meiner Kindheit. Es gibt nur noch zwei von ehemals drei Teichen, und die sind so geschrumpft, dass man sie nicht mehr Teiche nennen kann. Die Strulle, die vor zwanzig Jahren noch ein sagenhaft klares Wasser hatte, das man ohne Bedenken trinken konnte, ist trübe und schmutzig geworden. Der Gutshof mit dem Herrenhaus ist in einen beispiellosen Korruptions- und Steuergelderskandal verwickelt.

Mein Vater hat die Partei gewechselt und ist wieder in den Landrat gewählt worden. Der wechselt sein Fähnchen immer nach Lebenslage. Jetzt hat er eine gutgehende Kneipe und fühlt sich als Unternehmer... Scheiß Politiker!

Und wieder erscheint Hardy in meinen Gedanken. Ich bin immer noch verunsichert. Wieso war er überhaupt am Nürburgring? Wollte er mich etwa sehen? Nein, das kann nicht sein. Und was sollte dieser Auftritt gestern? Was wollte er von mir? Er ist abgehauen, als ich ihm nicht sagte, mit wem ich nach Daarau fahre.

War er vielleicht deswegen sauer? Denkt er vielleicht, ich würde mit einem Kerl hierhin fahren? Könnte sein. Möglich ist es. Ist zwar unwahrscheinlich, aber möglich ist es...

Dann kommt mir ein anderer überraschender Gedanke. Vielleicht hat er erwartet, dass ich ihn einlade, mitzukommen... Ist zwar auch unwahrscheinlich, aber möglich ist es... Neeeiiiin, das kann nicht sein. Das ist so absurd. Völlig absurd!

Aber wenn doch?

Auf einmal kommt mir der Text von ‚Love games’ in den Sinn. Und zwar der am Ende, den ich noch nie bewusst gehört habe, den ich aber trotzdem auswendig kann – warum weiß ich auch nicht. Aber Hardy hat das Stück so oft gespielt, da ist es wohl in meinem Unterbewusstsein hängen geblieben.

Do lovers ever need to hide

The things they really feel inside

If you won't show your heart to me

Set me free…

Set me free? Vielleicht ist es schon zu spät. Vielleicht habe ich ihn schon vertrieben.

Was habe ich getan? Ich habe mit Bruce geschlafen, nur aus dem vagen Gefühl heraus, ich müsste mich an Hardy rächen. Und die anderen Sachen. Was habe ich nur getan?

Und wer war diese Frau, die ihn bei mir angerufen hat? Vielleicht war es ja total harmlos, denn eigentlich traue ich Hardy das nicht zu, mich so gemein zu behandeln, Vor allem so offenkundig dämlich gemein zu behandeln. Er müsste mich doch ein bisschen kennen. Er müsste doch wissen, dass ich ihm so etwas nicht verzeihen würde.

Würde ich nicht? Gute Frage. Vielleicht würde ich ihm doch verzeihen, ich bin ja selber nicht die unschuldige Jungfrau, die so unglaublich treu ist...

Langsam fange ich an, durchzudrehen. Jetzt sitze ich hier in diesem Kaff bei dieser beschissenen Geburtstagsfeier, muss mir die üblen Reden anhören, die geschwungen werden, muss mir die üblen Lieder anhören, die gesungen werden, trinke Asbach mit Cola, weil die noch nicht mal Sambucca hier haben und muss mich mit meinem ätzenden Onkel Gerhard unterhalten, dem Dorfpapagalli, der Gefallen an mir gefunden hat und mich vollsülzt mit Komplimenten.

Und ich kann nicht besoffen werden, weil ich dauernd an Hardy denken muss. Warum sollte ich Hardy nicht einfach fragen, was er gemeint hat. Das wäre doch mal was anderes, es wäre so erfrischend ehrlich, so ungewohnt, denn ich glaube, ich habe die Schnauze voll von unserem sogenannten Verhältnis.

Ich habe die Schnauze voll von den Wochenenden, die ich ohne ihn verbringe, und ich habe die Schnauze voll von den Heimlichkeiten, mit denen wir uns umgeben. Ich habe die Schnauze voll von unserem einerseits heißen, andererseits lauwarmen Verhältnis, von unserem Schweigen über Gefühle, von unseren Berührungen, die nur gewisse intime Körperteile betreffen und den ganzen Rest ignorieren.

Ich habe die Schnauze voll! Ich will, dass er mich liebt.

Was, was?

Nein, das ist wirklich absurd. Der und mich lieben?

Aber es wäre schön, zwar kaum vorstellbar, aber es wäre schön. Ich würde dann zu jemanden gehören, richtig zu jemanden gehören, denn ich habe ihn lieb, ich mache mir Sorgen um ihn, und das habe ich noch nie bei einem Mann getan. Obwohl er eigentlich überhaupt kein Subjekt ist, um das man sich Sorgen machen müsste.

Oh nein, das ist nicht wahr!

Gott sei Dank sieht Onkel Gerhard nicht, wie ich gerade rot im Gesicht werde vor innerer Verlegenheit, denn dieses Eingeständnis kann nur bedeuten, dass Hardy mir etwas bedeutet. Nicht wenig bedeutet. Und viel mehr, als jeder andere mir jemals bedeutet hat.

Es trifft mich wie ein Schock. Alles andere davor war nichts, gar nichts, mein Leben mit Parker war belanglos, meine Verliebtheit in Bruce war bedeutungslos, ich bin immer nur mit Männern zusammengewesen, die schwer in mich verliebt waren, weil ich das brauchte. So zur Sicherheit. Aber ich war nie in der Lage gewesen, diese Gefühle zu erwidern.

Ich habe meine Männer abserviert, wenn meine erste Verliebtheit vorbei war, nur Parker konnte ich nicht so einfach abservieren, der hat mich einfach nicht gehen lassen und sich dann irgendwann an mir gerächt... Ja, so war es wohl.

Und jetzt hat es mich tatsächlich erwischt. Zum erstenmal in meinem Leben.

Ich muss es ihm zeigen, auch wenn er mich auslacht und mich mit erhobener Augenbraue ironisch anschaut. Denn ich schätze mal, er wollte, dass ich mich in ihn verliebe. Jede Frau verliebt sich wahrscheinlich in ihn, und ich bin wie jede Frau, ich bin nichts Besonderes, das weiß ich jetzt. Bis jetzt habe ich die dämlichen Weiber immer verachtet, die sich so hoffnungslos in einen Mann verknallen, Karen zum Beispiel mit diesem ätzenden Typen, der sie so kaputt gemacht hat.

Nein, so dämlich würde ich nie sein, habe ich gedacht. Aber ich bin genauso dämlich wie sie.

Aber könnte ich es ihm sagen?

Ich weiß es nicht. Ich habe das noch nie gemacht, und was sind schon Worte. Ich werde es ihm irgendwie zeigen, durch Zärtlichkeit vielleicht.

Es hat mich tatsächlich erwischt. Das ist nicht gut. Er sieht viel zu gut aus. Er ist um Klassen besser als ich, ich spiele nicht in seiner Liga. Aber warum gibt er sich mit mir ab? Wahrscheinlich gibt es ihm einen Kick, dieses rein sexuelle Ding, vielleicht wird er immer wieder versuchen, dasselbe mit anderen Frauen zu erleben, wenn er mit mir Schluss gemacht hat, weil ich ihn langweile.

Vielleicht wird er es anderen Frauen erzählen, so in der Art wie: Letztens habe ich mit einer Frau geschlafen, die wollte absolut keine Gefühle zulassen. Sie wollte nicht über ihre Probleme mit mir reden. Sie wollte mich nicht berühren. Wir lagen einfach so da und unterhielten uns. Über zwar interessantes aber belangloses Zeug. Das fand ich geil!

Wird es so ablaufen? Es tut weh, daran zu denken. An die Zeit zu denken, in der er nicht mehr mit mir zusammen sein wird.

Aber waren wir je zusammen? Und wenn das Gefühl, das ich habe, Liebe ist, dieses Gefühl, als ob einem alles wehtut, dann möchte ich das lieber nicht haben.

Ich muss weg von hier. Ich muss zurück.

Ich versuchte, meine Schwester zu überreden, schon heute Nacht zurückzufahren. Ich konnte nicht länger hier bleiben. Meine Schwester lehnte es natürlich ab, sofort nach Hause zu fahren, sie hatte schon was getrunken und meinte, morgen Mittag wäre es immer noch früh genug. Die Ollies würden schließlich von uns erwarten, dass wir über Nacht blieben.

Und meine Schwester wollte noch in die zehn Kilometer entfernte Kleinstadt fahren und da so richtig einen draufmachen. Es gab eine italienische Kolonie in der Kleinstadt, und meine Schwester stand nun mal auf Italiener. Und es gab mindestens zwei Diskotheken mit italienischen Besitzern. Und Donni kannte jeden von ihnen. Normalerweise wäre ich mitgegangen, wir hatten immer einen Haufen Spaß gehabt mit den Kleinstadtburschen, einmal hatte ich sogar einen Bundeswehrsoldaten kennen gelernt, der hinter mir herlief wie ein Hündchen. Ja wirklich sehr amüsant. Und ich hatte das noch toll gefunden. Ich bin wirklich unmöglich.

Aber heute würde ich nicht mitgehen.

Also blieben wir über Nacht, ich schlief in einem Zimmer über der Gastwirtschaft in einem großen Bauernbett, und ich war um drei Uhr früh schon wieder wach.

Es war so dunkel und so still hier, dass ich das Blut in meinen Adern rauschen hörte. Ab und zu heulte dann der Wind auf, fegte durch die verlassene Dorfstraße und brachte irgendwas zum Klappern.

Noch nie vorher hatte ich mich so einsam gefühlt.

Ich stellte mir vor, mit Hardy hier in Daarau zu sein und ihm alle Plätze zu zeigen, die ich aus meiner Kindheit kannte. Den Gutshof mit dem Herrenhaus, den großen Park dahinter mit den riesigen Bäumen und den uralten Grabsteinen, die aussahen wie aus heidnischer Zeit und die dort einfach herumstanden oder lagen. Ich würde ihm das Mausoleum der Barone von Daarau zeigen. Als Kinder hatten wir immer durch das kleine vergitterte Fenster hineingeschaut, und die Sarkophage darin sahen unheimlich aus.

Ich würde ihm den Weg vom Gutshof zum Unteren Teich zeigen und die alten Häuser, die so malerisch verfallen waren. Ich würde ihm den Wald zeigen, der so viele Sehnsüchte in mir geweckt hatte. Und keine dieser Sehnsüchte hatte sich jemals erfüllt.

Ich glaube, er würde es lieben.

Ich könnte mit ihm in diesem Bett liegen und würde mich nicht mehr einsam fühlen. Vielleicht würde ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben und mich eng an seinen harten Körper drücken. Bei diesem Gedanken brach irgend etwas in mir auf, und ich musste fast weinen. Es würde natürlich nie sein, aber die Vorstellung alleine...

 

Die Nacht ging schließlich vorbei, und ich verbrachte einen unruhigen Vormittag, sämtliche Verwandten mussten besucht werden, von der Oma bis zur angeheirateten Tante,  dann mussten wir noch zu Mittag essen, und das spielte sich natürlich in der Kneipe meiner Eltern ab.

Um halb drei fuhren wir los, ohne das Haus meiner Eltern überhaupt gesehen zu haben.

Ich unterhielt mich während der Fahrt mit Donni über unsere Mutter. Donni hatte natürlich auch einiges abgekriegt, aber sie war schon zwölf gewesen, als sie zu uns kam, und sie war nicht bei meiner Mutter aufgewachsen. Sie hatte Glück gehabt, und das wusste sie auch.

Natürlich kamen wir kurz vorm Ruhrgebiet noch in den Rückreisestau, und meine Schwester versuchte, den Stau zu umfahren, rasselte aber immer wieder in ihn hinein. Der Stau kostete uns eine volle Stunde, wenn nicht noch mehr an Zeit.

Um sechs Uhr war ich endlich wieder zu Hause, mit Auspacken und Aufteilen der Fresspakete von meinen Eltern, (diverse Butterkuchen, Mettwürste und Wurstdosen).

Karen war noch da, die Katzen waren auch noch da und quicklebendig.

Ich gab Karen einen kleinen Bericht über meine Gefühle.

Sie wusste sofort Bescheid, und das wunderte mich. Konnte sie mich so leicht durchschauen? Und warum hatte ich mich nicht selber durchschaut? Ich hatte mir diese ganzen Monate etwas vorgemacht – und das bis zu Perfektion.

"Du solltest ihn anrufen", sagte Karen.

Gut, ich versuchte also, ihn anzurufen, aber der Anrufbeantworter war eingeschaltet – manchmal vergaß er es, ihn abzuschalten – und ich hatte begreiflicherweise keine Lust, einem anonymen Anrufbeantworter irgend etwas zu erzählen. Aber vielleicht war er ja gar nicht zu Hause.

"Du solltest einfach hinfahren und die Lage mal checken", riet mir Karen.

"Einfach hinfahren?" fragte ich skeptisch. Aber ich war schnell davon überzeugt, dass ich einfach hinfahren musste, und wenn er nicht da war, dann würde ich eben auf ihn warten. Ich hatte ja schließlich die Schlüssel.

Also fuhr ich hin zu ihm. Ich konnte es auf einmal nicht mehr abwarten, ihn zu sehen, und ich hatte auch keine Angst mehr, ihn mit einer anderen Frau im Bett zu erleben, die Angst war weg, verschwunden. Ich vertraute ihm, ich wusste zwar nicht warum, aber ich vertraute ihm.

Während der Autofahrt sah ich einzelne Szenen aus der letzten Zeit, und alle vermittelten mir den Eindruck, dass er mich mochte, ja wirklich. Er mochte mich. So pervers kann doch niemand sein, jemanden zu dulden, mit ihm zu schlafen auf die geilste Weise und ihn dann zurückzustoßen. Nein, das war alles absurd.

 

Ende Kapitel 24  LOVE GAMES © Ingrid Grote 2004

 

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