LOVE GAMES  

Kapitel 15

Besuch aus Frankreich und ein fieser Traum

Am selben Tag um vier Uhr kam Susanne vorbei. Sie machte einen etwas abwesenden Eindruck, und als ich sie fragte, was los wäre, wurde sie ein wenig verlegen, wie es mir schien, und ich ließ sie in Ruhe.

Wir saßen so rum und guckten Fernsehen, was bei nur drei Programmen ziemlich uninteressant und einseitig war. Hardy hat übrigens schon Kabelfernsehen, der Glückliche... Aber das könnte ich mir im Moment gar nicht leisten.

Wir wussten nicht so recht, ob wir ausgehen sollten, Susanne hatte kein Geld und ich hatte keine Lust, für sie zu bezahlen, weil ich in diesem Monat schon viel zu viel Geld ausgegeben hatte.

Dann läutete das Telefon.

Es war meine Schwester. Sie warnte mich vor ihrem Exfreund Michael, der wohl gerade auf dem Weg zu mir wäre, weil er mich unbedingt sehen wollte. Er hatte nämlich gehört, dass ich nicht mehr mit Parker zusammen wäre....

Aha, die Leichenfledderer machten sich auf den Weg.

Aber was für ein Zufall und möglicherweise auch ein Glückstreffer. Vielleicht hatte der gute Michael ein bisschen Geld dabei und würde uns einen ausgeben.

"Der Abend ist gerettet", sagte ich zu Susanne. Sie guckte ein bisschen skeptisch, wollte sich aber gerne überraschen lassen.

Eine halbe Stunde später kam Michael. Er sah immer noch aus wie früher, so wie Barry Gibb von den Bee Gees, nur etwas verwilderter. Ich dachte immer, die Franzosen wären elegant, denn Michael lebte jetzt in Frankreich mit seiner französischen Freundin. Aber von denen hatte er nichts gelernt, Er sah aus wie ein Strolch mit seinem Bart und den langen Haaren, fand ich, obwohl viele Frauen ihn als gutaussehend bezeichnen würden. Er hatte übrigens nach meiner Schwester diese Gurke Waltraut als Freundin und hat sie öfter betrogen und dann mit ihr Schluss gemacht.

"Wie kommst du denn mit dem Französischen zurecht?" fragt ich.

"Ganz gut", meinte er feixend. "Man muss nur ‚ça va’ können, damit kommt man überall durch."

"Was heißt denn ça va?" fragte ich ihn.

Er gab folgenden Bescheid. Also, ça va heißt alles mögliche, hier eine kleine Auswahl davon:

Wie geht’s, es geht so, es geht ganz gut, könnte besser sein, könnte schlechter sein, ziemlich schlecht, bis dann, keine Ursache, warum nicht, besser nicht, komme gleich, bin schon da, ja und, was soll’s, was du nicht sagst...

Und es heißt noch vieles mehr, was man durch die entsprechende Gestik anzeigen kann.

Ich fragte mich nun, warum ich in der Realschule fünf Jahre lang mit dieser grausigen Sprache verbracht habe, wo sich doch alles auf diesen einen Nenner reduzieren lässt: Ça va! Mit diesem komischen Häkchen unter dem C. Ça va!

"Stimmt es denn", fragte ich Michael weiter aus, "dass die Franzosen ihre Katzen siezen?"

Das wusste er nicht, sie haben daheim in Frankreich keine Katze, sie haben auch kein Pferd, das De Gaulle heißt... Ich muss Karen mal danach fragen, Hardy weiß es wahrscheinlich nicht, denn der hat kein Französisch sondern Latein gehabt.

"Hast du Geld dabei?" Die nächste Frage von mir.

Er hat reichlich davon eingesteckt, behauptete er jedenfalls.

"Wir haben nämlich keins. Wie wär’s, wenn du uns einen ausgibst?"

"Ça va", sagte Michael, und ich schlug daraufhin vor, ins Kalei zu gehen. Das ist übrigens auch der Ort seiner früheren weibermäßigen Schandtaten, mit denen er Waltraut zur Verzweiflung brachte.

Er bezahlte alles, das Taxi, den Eintritt, diverse Biere.

Er rückte mir bedrohlich nahe und versuchte doch tatsächlich, mich in den Clinch zu nehmen. Aber er ist wirklich der Letzte, mit dem ich was anfangen könnte. Er ist eigentlich mein jüngerer Bruder, anders habe ich ihn nie gesehen, und außerdem greift da die Sache, mit den bestimmten anderen Frauen, mit denen er was gehabt hat, und weswegen ich auf keinen Fall was mit ihm haben werde.

Ich versuche, Susanne ins Spiel zu bringen, um ihn von mir abzulenken. Susanne hat nämlich ihr hingebungsvolles Anmachgesicht aufgesetzt, und das bedeutet, sie ist an Michael interessiert. Und das versuche ich ihm schonend beizubringen.

Er guckt skeptisch. Er beißt tatsächlich nicht an, was mich schwer wundert, denn auf Susanne fliegen eigentlich fast alle Männer. Er hat es im Augenblick noch auf mich abgesehen, jedenfalls reagiert er recht eifersüchtig und besitzergreifend, als der Harald hereinkommt, und mich zur Begrüßung auf die Wange küsste.

Harald gibt dann auch noch ein Bier aus. Das ist ein fantastischer Abend.

Und Michael wird immer besoffener – das sieht man an seinen Augen, die werden nämlich immer dicker. Das war früher schon so bei ihm.

"Wir gehen zu mir" schlägt er so gegen zwei Uhr morgens vor.

"Wo wohnst du denn?"

"Na wo schon? Bei meinen Eltern natürlich, aber die sind nicht da, sind irgendwo in Bayern."

"Aber Susanne kommt mit!" fordere ich.

Natürlich bezahlt er das Taxi.

Wir gucken uns Musikvideos an. Michaels Augen werden immer dicker, er hat den Weinkeller von seinen Alten geplündert, und seine Hände werden immer aufdringlicher – er kommt mir vor wie eine Riesenkrake mit unglaublich vielen Fangarmen.

Um halb vier habe ich dann die Nase voll, verziehe mich in den oberen Stock und lege mich dort in eine Art Kinderbett. Nicht sehr gemütlich das! Sollen die beiden doch sehen, was sie miteinander anstellen können.

Und ist es nicht fantastisch, eine Freundin zu haben, die mal reinhängen lässt, sozusagen an meiner statt...

Das Paidi-Kinderbett weckt mich früh auf, und ich gehe ins Elternschlafzimmer, wo die beiden, wie erwartet in den Ehebetten liegen.

"Komm Susanne, wir machen Kaffee!" Susanne steht bereitwillig auf. Sie trägt übrigens ein sehr hübsches Männerhemd.

"Ich will auch so eins!"

"Such dir eins aus", sagt Michael, der gerade die Bettdecke zurückschlägt und verschämt die Hände über seine morgendliche Pracht breitet. Ist natürlich nur Getue.

Ich suche mir ein strahlend weißes Hemd aus. Also, wenn man überall dort, wo man übernachtet, ein Hemd abstauben würde, ja das wäre doch was. Bei mir käme allerdings nicht viel bei rum... Vielleicht sollte ich Hardy mal fragen. Aber ich glaube, der wird mir schön was husten.

Beim Kaffeemachen versuche ich Susanne auszuhorchen, aber sie sagt nicht Bestimmtes.

"Na ja, du weißt ja, wie das ist." Das ist nun nicht gerade die Top Ten Antwort, die alles erklärt. Gut, ich kann’s mir schon vorstellen, sie redet wahrscheinlich von Gefühlen, die sich nicht einstellen, egal auf welcher Seite.

Michael fährt uns schließlich mit einem riesigen Lieferwagen nach Hause. Die Hemden behalten wir natürlich zur Erinnerung.

"Also dann, Michi, bis zum nächsten Mal", sage ich beim Abschied, und ich hoffe, er ist nicht allzu sauer auf mich, weil es nicht so geklappt hat, wie er sich das gedacht hat.

Was könnte ich sonst noch zum Abschied sagen.

Ich hab’s: "Ça va!"

*****************************************************

Ich bin in einem Gebäude. Es ist ein Hochhaus, das weiß ich genau, ich muss es ja auch wissen, denn ich arbeite hier. Könnte eine Behörde sein, vielleicht das Rathaus, jedenfalls muss ich zur Arbeit.

Viele Leute laufen zielstrebig in Gänge hinein und verschwinden in irgendwelchen Büros. Auch ich gehe zielstrebig zu meinem Büro.

Aber als ich die Tür öffnen will, ist da keine Tür mehr, sondern nur noch eine nackte Wand. Ich wundere mich: Eben ist doch noch jemand da reingegangen mit Aktenordner in der Hand.

Vielleicht bin ich in der falschen Etage...

Ich sehe wieder einige Leute, die in einem Büro verschwinden. Als ich in dieses Zimmer eintreten will, stehe ich wieder vor einer nackten Wand. Merkwürdig.

Eine Rolltreppe (Rolltreppe???) führt nach oben in die nächste Etage. Zwei Frauen lassen sich gerade nach oben fahren. Sie unterhalten sich.

Als ich hochschaue, sehe ich, dass die Rolltreppe in der Decke endet. Ich würde zerquetscht werden, wenn ich damit fahren würde. Aber die Frauen sind doch damit gefahren.

Allmählich leert sich der Korridor. Alle Leute haben ihre Büros gefunden, nur ich nicht.

Ich bin bestimmt in der falschen Etage.

Ich sehe einen Fahrstuhl und gehe auf ihn zu.

Als ich auf den Knopf drücken will, ist da kein Knopf mehr und auch kein Fahrstuhl. Ich stehe wieder vor einer nackten Wand.

Ich irre durch die verzweigten Gänge, mittlerweile habe ich Angst, dass ich zu spät zur Arbeit komme.

Jetzt ist kein Mensch mehr zu sehen. Ich gehe wieder auf einige Türen zu, aber jetzt verflüchtigen sie sich schon von weiten. und es gibt jetzt nur noch nackte Wände.

Ich bin ein wenig verzweifelt. Nicht sehr, nur ein bisschen.

Plötzlich sehe ich am Ende des Korridors ein schwarzes Loch.

Beim Näherkommen erkenne ich, dass es sich um eine Öffnung nach draußen handelt. Die war vorhin noch nicht da.

Ich gehe darauf zu und stehe auf einer großen balkonartigen Plattform. Draußen ist es dunkel. Die Großstadt liegt unter mir. Am Himmel strahlt Orion, der Jäger. Ich kann sein Schwertgehänge ganz deutlich erkennen.

Die Plattform liegt mindestens im achtzehnten Stock, also ganz oben, das weiß ich genau. Und hat kein Geländer...

Kein Geländer! Grauenhaft. Ich will weg von hier. Ich habe Angst vor der Höhe.

Ich will wieder zurückgehen in das Gebäude, aber die Öffnung hat sich mittlerweile verwandelt. In was? Na klar, in eine nackte Wand. Ich kann nicht mehr zurück.

Ich werfe mich auf die Plattform, so weit wie möglich von ihrem äußeren Rand entfernt und versuche mich mit den Händen im Beton festzukrallen.

Es geht nicht, ich werde immer leichter, steige nach oben, sinke herab und steige wieder nach oben. Jedes Mal höher, jedes Mal schneller...

Irgendwann werde ich beim Hinuntersinken die Plattform verfehlen. Und dann werde ich abstürzen.

Nein! HILFE!

Ich glaube, ich schreie.

Dann wache ich auf. Was für ein blöder Traum. Liebes Unterbewusstsein, da hast du dir aber einen zusammengesponnen! Türen, die sich in Wände verwandeln. Plattformen ohne Geländer. Welch tiefe Symbolik!

Trotzdem ist mir immer noch unheimlich zumute. Ich greife mir vom Fußende des Bettes den schwarzen Pepe, und er legt sich bereitwillig in meine Arme. Pepe ist ein sehr sensibler Kater, er liebt mich und versteht mich.

Unter Schnurren schlafe ich ein.

Ende Kapitel 15

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Kapitel 16

Ein Billardtisch – Hurraaaa!!! Und eine gar seltsame Grillparty am A.... der Welt.

Es gibt einen Billardtisch im Kellergeschoss des Hauses. Ich war total aus dem Häuschen, als Hardy ihn mir zeigte. Wunderbar, wirklich wunderbar!

Es ist Samstagmorgen, und ich bin immer noch hier, aber ich habe vor bald zu gehen. Ich trage ein Hemd von Hardy, es ist wunderbar blau und weich – und selbstverständlich nur geliehen. Ich hatte natürlich nichts mit, was daraufhin deuten konnte, ich wollte die Nacht hier verbringen. Aber ich habe die Nacht wieder hier verbracht. Und wieder war es... oh Gott, wie soll ich sagen, und ich habe so verdammt gut geschlafen, dass ich erst um zehn Uhr aufgewacht bin, und das war mir richtig peinlich. Er wird doch nicht denken, ich wollte mich bei ihm einnisten. Oder?

Bevor wir ins Bett gingen, haben wir den ganzen Abend Billard gespielt, und das Kräfteverhältnis war ziemlich ausgeglichen. Ich war schließlich jahrelang mit Parker in irgendwelchen Billardkneipen und habe dort geübt.

"Meine Katzen warten bestimmt schon auf mich", sage ich, während ich meinen Kaffee trinke. Seine Küche sieht ziemlich leer und unbenutzt aus, wahrscheinlich kocht er selten was. Er hat wohl irgendwoher Brötchen geholt, aber ich habe keinen Hunger, vielleicht weil mein Körper so befriedigt ist.

Ich will nur diesen Kaffee trinken, und dann will ich noch einmal in den Keller, um diesen herrlichen Billardtisch noch einmal zu benutzen.

Hardy lächelt herablassend, und ich könnte ihm so eine reinhauen.

Also machen wir ein letztes Spielchen, bevor ich mich endgültig anziehen werde.

Es kommt jemand die Treppe herunter, ich drehe mich herum und erblicke Hardys Kumpel Clem. Wie ist er ins Haus gekommen? Na gut, vielleicht hat der andere Herr Hartmann ihn reingelassen.

Clem glotzt mich fassungslos an und ist anscheinend schwer verwundert, mich hier zu sehen. Hat Hardy ihm nichts von uns (hahaha uns!) erzählt? Warum wohl nicht?

"Irma, du hier?"

Ich lächele nichtssagend.

Und Hardy lächelt auf seine unnachahmliche Art. Ob er will, dass ich mir was anziehe? Natürlich würde er das nie sagen. Das wäre unter seiner Würde.

Ich glaube, ich kenne mich mittlerweile mit seiner Mimik aus. Er hält es wie ein Japaner: Wenn er ein grimmiges Gesicht macht, dann ist er erheitert, und wenn er lächelt, dann ärgert er sich. Es ist dann allerdings ein grimmiges Lächeln.

Manchmal lächelt er aber auch wie ein Engel, und das bedeutete dann wohl, dass er gerade ein Engel ist...

Jetzt aber lächelt er geradezu wölfisch. Passt es ihm nicht, das Clem mich offen anstarrt, vielmehr meine Brüste unter dem dünnen Hemd, ich hab natürlich keinen BH an, und man kann alles sehr gut sehen. Und, was soll’s? Ist doch eh ein Körperteil wie der andere, hat Hardy selber gesagt bei unserer ersten Begegnung, also kann Clem mich ruhig so sehen. Nein, das kann es nicht sein, oh, jetzt kommt’s mir, Hardy schämt sich wahrscheinlich meinetwegen, ich bin wahrscheinlich unter seinem üblichen Niveau, und deswegen weiß Clem auch nichts von mir. Hätte ich gleich drauf kommen können.

Es ist ihm peinlich, dass ich hier bin.

Gut, ich habe verstanden....

Und er hält es außerdem wie ein Australier, die Frauen können zu Hause bleiben, während er mit dem sogenannten Mob (Freundeskreis) unterwegs ist. Ich lese da nämlich gerade ein Buch von Alice Ekert Rotholz. Das ist eine Schriftstellerin, die ich sehr bewundere, und wenn ich jemals selber schreiben sollte, dann will ich ähnlich wie sie schreiben. Also, die Australier lieben auch die freie Natur und sind dauernd mit ihrer Waltzing Matilda unterwegs. Hardy hat auch seine WM, nämlich seinen Schlafsack, ich glaube, den mag er mehr als alle Frauen. Und seine Cobbers, wie die Aussies ihre Kollegen nennen, sind auf jeden Fall wichtiger als eine Frau. Außer man tröstet die Frau eines Cobbers durch Beischlaf und hört sich hinterher ihre Probleme an, während man seinen Arm um sie legt. Wieder werde ich sauer bei dem Gedanken daran...

Wahrscheinlich will Clem ihn zu irgendeiner Unternehmung abholen, und ich störe hier nur. Natürlich hat Clem sofort geschnallt, dass wir miteinander schlafen – ich einzig und allein bekleidet mit Hardys Hemd und Hardy nur in Jeans und ohne das Hemd, das ist ja wohl offenkundig.

"Ich geh dann", sage ich, lege das Queue zur Seite und nicke Clem freundlich zu. Ich nicke auch Hardy zu, aber mehr oberflächlich.

Hardy nagt an seiner Unterlippe, sieht aus, als wolle er etwas sagen, sagt aber dann doch nichts, sondern nickt nur.

Er gibt mir natürlich keinen Abschiedskuss, nicht vor seinem Cobber Clem, und ich selber werde mich hüten, ihm jetzt nahe zu kommen, denn wenn ich eine Abfuhr kriege, dann ärgere ich mich schwarz.

Als ich die Treppe hochgehe, spüre ich die Blicke von beiden auf mir oder auf meinem Hintern oder auf meinen nackten Beinen. Man spürt so etwas.

Außerdem schweigen sie.

Ich versuche, so wenig wie möglich mit den Hüften zu wackeln und gehe so steif wie möglich die Treppe hinauf. Hoffentlich ist die Tür oben noch auf, sonst muss ich womöglich noch mal zurückgehen in den Keller und Hardy um den Wohnungsschlüssel bitten... Uff, die Tür ist noch auf!

Und ich wollte ja sowieso gehen...

Denn Leute, jetzt fängt das Wochenende so richtig an für mich!

*****************************************************

Ich habe nämlich eine Verabredung für heute Nachmittag. Man hat mich zu einem Grillfest eingeladen. Irgendwo in H. auf dem Weg nach W.

Mein Cobber ist der gute Harald, den ich vor ein paar Wochen im Kalei kennen gelernt habe.. Nichts Berauschendes, sieht ganz gut aus, hat allerdings einen Schnurbart, der ihm aber gut steht. Er ist sehr groß und ein bisschen tranig. Er stand da so versonnen an der Tanzfläche und hielt ein fast volles Bierglas in der Hand. Ich habe ihn einfach um einen Schluck von seinem Bier gebeten, indem ich verlangend auf sein Glas gedeutet habe. Es hat geklappt. Seitdem sprechen wir miteinander, und er ist... ja nett. Und er hat mich zu diesem Grillfest eingeladen. Wir wollen mit der S-Bahn nach H. fahren, denn wenn ich mit meinem Auto fahre und was trinke, dann sitze ich dort fest, und abzuwarten bis ich wieder nüchtern bin, dazu habe ich keine Lust.

Ist das Leben nicht schön? Jetzt, wo zumindest für mein körperliches, das heißt sexuelles Wohlbefinden gesorgt wird, ohne dass ich gleich ein Kind kriegen und heiraten muss (das ist dermaßen absurd im Zusammenhang mit Hardy) fühle ich mich recht ausgeglichen. Der Trieb, unbedingt einen Mann kennen lernen zu müssen, ist weg. Ich bin frei!

Und seitdem ich nicht mehr diesen unbedingten Trieb habe, einen Mann kennen lernen zu müssen, geht es auch viel leichter mit dem Kennenlernen. Ich bin nicht mehr so verkrampft. Ich will nichts mehr von den Männern. Und das spüren sie. Ist doch Klasse, was?

Jedenfalls sitze ich mit Harald in der S-Bahn nach H., und ich habe Hunger. Bin gespannt, was das für eine Behausung ist, in die er mich führen will, er tut so geheimnisvoll. Harald ist kein bisschen körperlich anziehend für mich, obwohl er objektiv gesehen, gut aussieht, aber er hat so überhaupt keine Ausstrahlung, aber nett ist er, und da ich keine Ahnung habe, was mein Stecher Hardy im Augenblick so treibt, werde ich mir einen vergnügten Abend mit ihm machen. Mal schauen.

Wirklich eine Überraschung! Der Bekannte von Harald ist ein Architekt, und er wohnt auf dem Grundstück einer nie fertiggebauten Neubauruine, deren Betonwände ohne Fenster immerhin schon ein Dach und ein paar angedeutete Zimmer haben. Der Architekt selber, wir fassen übrigens auf den ersten Blick eine tiefe gegenseitige Abneigung, haust in einem Wohnwagen am Rande des Grundstücks. Für die körperlichen Ergüsse steht ein Pixi-Klo daneben. Es erinnert mich fast an die Plumpsklos in meinem Heimatdorf, und ich glaube, das Prinzip ist das gleiche. Vorsichtshalber untersuche ich das Buschwerk mit den Augen, ob man seine Notdurft vielleicht besser dort verrichten sollte...

Es sind alles hochintellektuelle Leute. Was heißt eigentlich intellektuell? Keine Ahnung. Manch einer würde sagen, es sind Spinner.

Ich muss das unbedingt Hardy erzählen, der liebt so interessante Örtlichkeiten. Ich werde natürlich nicht erwähnen, dass ich mit einem Kerl hier war, vielleicht werde ich Madame vorschieben, ich glaube, die würde gut hier hinpassen. Die spinnt ja auch.

Harald hat seine Gitarre mitgebracht. Finde ich gut. Ich selber habe meine künstlerische Begabung noch nicht gefunden, falls ich eine habe, ein Instrument spielen ist es jedenfalls nicht, und deswegen bewundere ich alle Leute, die ein Instrument spielen können, denn ich kann das wirklich nicht.

Die anderen Gäste erscheinen nach und nach. Zuerst kommen zwei sonderbare junge Typen, so um die dreiundzwanzig. Sie sehen aus wie Theologiestudenten oder Jesuitenzöglinge, hängen aufeinander wie die Kletten und werden vom Gastgeber, der meiner Meinung nach irgendwie schwul ist, ganz schön bevorzugt.

Dann kommt ein Diplomingenieur mit seiner Frau, einer Diplompsychologin, die wirklich eine sehr kultivierte und hübsche Frau ist. Ihre Kinder, ein Mädchen und einen Jungen haben sie auch mitgebracht. Der Junge ist älter als das Mädchen und kommt mir ziemlich normal vor. Das Mädchen ist verschüchtert und verlegen, seltsam irgendwie. Die beiden toben nicht herum, wie Kinder es machen sollten, sondern stehen in den Ecken der Neubauruine herum

Die hübsche kultivierte Frau gibt sich total emanzipiert und redet nur blödes Zeug. Hey, ich habe bestimmt nichts gegen Emanzipation, aber man sollte nicht drüber reden sondern es einfach tun.

Wesley, der Gastgeber lässt sich über seine Kindheit aus. Er muss wohl in einem sehr gutbürgerlichen Hause aufgewachsen sein.

"Ach wie war das früher schön", schwärmt er. "Meine Eltern besaßen ein Musikzimmer, mit einem Klavier, und es wurde immer Hausmusik gemacht. Ja, das war noch Kultur!" Er spricht Kultur so genüsslich aus, als ob man sie essen könnte, mit einem langen uuu und einem rollenden rrr. Kultuuurrr... Hört sich irgendwie zum Anbeißen an.

Die beiden Jesuitenzöglinge, die sich kaum voneinander trennen können, hören ihm gebannt zu. Wesley könnte ihr Vater sein.

"Also ohne Musikzimmer gibt es keine Kultuuurrr", fängt Wesley wieder an.

"Nicht zu vergessen, das Klavier", bemerke ich heimtückisch.

Wesley wirft mir einen giftigen Blick zu. Natürlich hat er mich sofort als Kind von Proleten erkannt.

Die beiden Jesuitenzöglinge (oder Theologiestudenten) drehen sich um und prusten vor Lachen – aber sie tun es sehr unauffällig, damit Wesley nichts davon merkt.

Wesley hat es aber doch gemerkt, und er gibt mir die Schuld daran. Von diesem Augenblick an fängt er an, mich zu siezen. Ich duze ihn weiterhin aus purer Gemeinheit, ich bin eben ein Proletenkind. Seltsamerweise finden mich die meisten Leute attraktiv und intelligent, zum Beispiel die Bekannten von Karen. Und wenn ich dann mal einen treffe, der mich nicht ausstehen kann, dann treibe ich seine Abneigung auf die Spitze.

Der Grill wird angeworfen, und Harald klimpert auf seiner Gitarre herum.

Ich trete von hinten an ihn heran und streichle ihm über sein schwarzes Haar. Er dreht sich ein bisschen herum und guckt mich verträumt an. Er ist wirklich ein netter gutaussehender Junge, aber immer so tranig, als ob er unter Medikamenten stehen würde. Therapie? Nasenbleiche?

Es wird dunkel, es wird ein wenig kälter, und es fängt langsam an zu nieseln. Und es nieselt sich ein. Es nieselt sich ein in einen penetranten Regen, von dem man in kürzester Zeit pitschnass wird.

Alle Anwesenden ziehen sich in die Neubauruine zurück, die immerhin schon ein Dach hat, und man unterhält sich.

Ich gehe ab und zu auf das Pixi-Klo, um mich auszulachen. Das ist der einzige Ort, wo man sich auslachen kann.

Ich geselle mich zu der Gruppe mit dem Dipl. Ing. und seiner Frau, der Diplompsychologin. Sie erzählt wieder über Emanzipation, die üblichen Schlagwörter. Natürlich mische ich mich nicht ein in die Unterhaltung, sondern höre mir das von hinten an.

Jetzt erzählt sie gerade über Alice Schwarzer.

Moment mal, da muss doch eine Resonanz von den Männern kommen... Und sofort kommt es...

"Also, die ist wirklich nicht die Schönste." Das kommt von Gastgeber Wesley, diesem mickrigen Bürschchen, der selber nicht gerade eine Schönheit ist.

Und weiter Geschwafel, Geschwafel, Geschwafel. Immer noch Emanzipation, hört sich ganz nett an, ist aber nur Geschwafel, genormt und angelesen, immer die gleichen Klischees. Mann – Frau, natürlich sind sie verschieden, aber so verschieden nun auch wieder nicht, und natürlich ist man als Frau beschissener dran, aber die Weiber halten ja auch nicht zusammen, denn sobald ein Kerl auftaucht, ist es Essig mit der Emanzipation.

Ab hier schalte ich geistig ab. Ich kriege nur noch mit, während ich den vermutlich sehr teuren französischen Rotwein trinke, dass Frau Diplompsychologin ihre beiden Kinderchen nach Hause bringen muss, weil ihr Gatte keinen Bock drauf hat. Der säuft munter weiter – nachdem sein Weib mit diesen schüchternen Kindern verschwunden ist – als ob ihn diese ganze Familiensache überhaupt nichts anginge.

Alle hängen in dieser Neubauruine rum. Das ist eine seltsame Kulisse, erinnert mich irgendwie an ein Bühnenstück, wo die Leute auch in irgendwelchen Ruinen herumstanden und auf irgendwas zu warten schienen. Auf irgendwas, was nie kam.

"Das kommt mir vor wie in einem französischen Schauspiel", bemerkt Wesley gerade weise. "Wie ‚Warten auf Godot’. Von wem ist das noch? Ich komm jetzt nicht drauf."

"Samuel Becket", sage ich. Das ist zwar kein Franzose, aber taktvoll wie ich bin, verzichte ich darauf, meine Weisheiten auszuplaudern. Schließlich bin ich ja nur ein Proletenkind, und mit Kultur habe ich nix am Hut.

"Tatsächlich", meint Wesley daraufhin, "fallen einem manchmal die einfachsten Sachen nicht ein...."

Was für ein Blödmann!

 

Es hört und hört nicht auf zu regnen. Und deshalb ziehen wir uns in den Wohnwagen zurück. Dort ist es richtig gemütlich und vor allem trocken.

Ich rege an, Skat zu spielen. Ich will nicht mitspielen, aber ich gucke unheimlich gern zu. Also spielen die beiden Jesuitenzöglinge und Harald in der Essecke des Wohnwagens Skat. Nachdem ich eine Weile zugeschaut habe, steht für mich fest: Was die können, das kann ich auch, mir fehlt eigentlich nur ein bisschen die Praxis.

Der Gastgeber sitzt nebenan mit drei Leuten am Wohnzimmertisch und redet allerlei schlaues Zeug. Nebenbei äußert er sich auch abfällig über die Skatspielerei.

"Also, Skatspielen finde ich irgendwie proletenhaft", meint er. Natürlich hat er mitgekriegt, dass ich, das aufsässige Proletenkind die Sache angeregt habe.

Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Leute man in einem Wohnwagen unterbringen kann. Es gibt eine Küche, ein Bad, ein Wohnzimmer ein Esszimmer. Wo das Schlafzimmer ist, weiß ich noch nicht. Vielleicht um die Ecke.

 

Die Zeit vergeht, und auf einmal ist die vorletzte S-Bahn weg. Dann ist auch die letzte S-Bahn weg, und ich sitze hier am Arsch der Welt und weiß nicht, wie ich nach Hause kommen soll.

Die anderen Gäste verziehen sich nach und nach, und schließlich sitze ich nur noch mit Harald und diesem Spinner von Wesley da.

Er macht uns das Angebot, bei ihm zu übernachten. Wir nehmen dankend an. Er denkt bestimmt, wir wären ein Pärchen, und als er uns das Doppelbett herrichtet – es befand sich unter dem Sofa – spart er nicht mit moralischen Fingerzeigen.

"Für eine Nacht kann man sich ja mal zurückhalten", meint er prüde. "Unter zivilisierten Menschen..."

"Jaa jaa." Ich muss grinsen, und dem Harald ist die Sache anscheinend ziemlich peinlich.

Wesley schläft hinter einem luftigen Vorhang in einer Koje. Vorhin saßen wir dort beim Skat. So ein Wohnwagen ist wirklich ein echtes Wunder.

Der gute Wesley hat mich mit seinem Geschwafel über zivilisierte Menschen auf eine Idee gebracht. Dieser Gedanke ist mir bis jetzt noch gar nicht gekommen. Harald ist einwandfrei ein Mann, und jetzt habe ich die Möglichkeit, mal reinhängen zu lassen. Eine kleine Nötigung vielleicht. Natürlich nur eine ganz kleine Nötigung. Da tut sich natürlich die Frage auf, wie man einen Mann zum Sex nötigt, und sei es auch nur ein bisschen.

Ich fange es ziemlich plump an, schiebe mich an Harald heran – und lege mich auf ihn drauf. Das ist wirklich plump und nicht sehr subtil, aber ich spüre, dass sich bei ihm etwas bewegt und wächst. Ich presse meinen Unterkörper dicht an sein Glied, und tatsächlich tut sich da richtig was. Es ist geil, und ich habe wirklich Lust, es mit ihm zu treiben. Zumal die Vorstellung, dass Hardy es im gleichen Augenblick vielleicht auch gerade mit einer Frau treibt, mich ein wenig sauer macht.

Was ist mit mir passiert? Vor ein paar Monaten wollte ich nicht mit ihm schlafen, weil sein Kollege nebenan bei mir im Wohnzimmer saß, und jetzt will ich es mit jemanden treiben, der gar nicht mein Typ ist, und nur einen luftigen Vorhang weiter liegt dieser Widerling und hört bestimmt zu. Was zum Teufel ist los mit mir? Auf was für einem Trip bin ich da?

Egal, ich will Haralds Ding jetzt in mir haben, aber – Mist, er schlafft ab, und es geht nicht. Vielleicht hemmt ihn die Gegenwart seines schwulen Freundes, oder er hat keinen Bock auf mich. Jedenfalls ist es Essig mit dem Beischlaf.

Tief enttäuscht rolle ich mich von ihm herunter und drehe mich auf die andere Seite. Männer sind ja so sensible Wesen, hätte ich mir gleich denken können, dass es nicht klappen kann.

Als Harald den Arm um mich legen will, mache ich mich ganz steif und schüttle ihn ab. Auf Zärtlichkeiten habe ich jetzt keinen Bock. Sex wollte ich haben, sonst nichts.

Gott sei Dank geht die Nacht schnell vorbei.

Morgens scheint die Sonne wieder, aber ich glaube, das ist der letzte Rest der Schönwetterperiode in diesem kurzen späten Sommer.

Wir frühstücken draußen vor dem Wohnwagen. Der Kaffee schmeckt fantastisch.

Wesley muss sich natürlich wieder aufspielen und erzählt eine Scheiße, dass einem schlecht werden kann. Irgendwas darüber, wie sie früher immer die Frauen penetriert haben. PENETRIERT? Das ist ja wohl eines der widerlichsten Worte in Bezug auf Frauen. Ist das Wort überhaupt richtig? Oder meint er etwa perforiert? Muss Hardy mal fragen.

Harald wendet sich verlegen ab. Vielleicht, weil er mich heute Nacht nicht penetriert hat?

Als wir dann endlich in der S-Bahn sitzen, haben wir uns nicht mehr viel zu sagen. Es kommt einfach nichts rum zwischen uns beiden, und am Bahnhof trennen wir uns ohne viele Worte.

Also, dieses Grillfest war wirklich seltsam und überhaupt nicht befriedigend. In keinster Weise...

 

Ende Kapitel 16  LOVE GAMES © Ingrid Grote 2004

 

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