LOVE GAMES

Kapitel 1

Ende oder Anfang?

Und wieder einmal stehe ich im Kaleidoskop kurz vor Feierabend an der winzigen Tanzfläche und schaue den Leuten beim Tanzen zu. Jeder hier tanzt für sich alleine. Manche machen komische Verrenkungen, so wie der Typ mit den langen fettigen Haaren, der sieht aus, als ob er einen Fruchtbarkeitstanz macht.

Komisch, dass ich gar nicht lachen kann. Das Lachen ist mir vergangen. Und mittlerweile muss ich feststellen, dass ich – oh Gott – ich bin eine dumme Ziege, eine blöde Kuh, ich bin so dämlich, dass... Ach Scheiße!

Vor ein paar Monaten stand ich auch hier, ich glaube sogar, es war die gleiche Stelle, und es war auch kurz vor Feierabend. Feierabend ist im Kalei um drei Uhr morgens, und kurz vorher spielen sie immer ‚La vie en Rose’, nicht die originale französische Version, sondern eine beschwingte Instrumentalfassung. Jeder im Kalei fürchtet den Augenblick, in dem ‚La vie en Rose’ gespielt wird. Denn dann müssen alle raus. Und was macht man dann? Viel gibt es nicht in E. im Ruhrgebiet. Vielleicht das unsagbare Kaffeekännchen, das erst um drei Uhr morgens aufmacht und in dem der menschliche Müll der angebrochenen Nacht verkehrt. Oder die Almhütte, wo es bis fünf Uhr etwas zu Essen gibt. In beide Lokale werde ich nicht alleine gehen. Warum sollte ich auch irgendwohin gehen? Ich kann nicht vor mir selber weglaufen, ich werde zu Fuß nach Hause gehen, und vielleicht bin ich zu Hause dann so müde, dass ich sofort einschlafe und den ganzen Mist vergesse. Zumindest bis morgen ...

Wie konnte ich so naiv sein, zu glauben, dass dieser Mistkerl sich ändert. Es war von Anfang an ein einziger Krampf mit uns beiden. Es war ein beschissenes Spiel. Und ein Kampf war es auch. Wir haben uns belauert und behakt... Und ich habe verloren. Ich habe ihn verloren, Falsch, er hat mir nie gehört, also konnte ich ihn gar nicht verlieren. Nein, ich habe mich selber verloren.

Jedenfalls stehe ich wieder hier an der Tanzfläche im Kalei, gedankenverloren wie vor ein paar Monaten im Frühling und genauso alleine wie im Frühling. Auch das ist falsch, damals war ich zwar alleine, aber heute weiß ich wirklich, was dieses Wort bedeutet.

Eine halbe Stunde vorher hatten Susanne und ich engumschlungen hier getanzt, und Susanne sah dabei so hingebungsvoll aus, wie sie normalerweise nur aussieht, wenn sie einen Mann anmachen will. Ich glaube aber, sie wollte mich an diesem Abend anmachen.

Sie hat mir oft erzählt, dass sie es mal mit einer Frau versuchen wollte – Susanne hat so viele Männer gehabt, dass ich sie kaum aufzählen kann, dagegen bin ich ein Waisenkind, obwohl ich fünf Jahre älter bin als sie. Aber ich fühlte mich unbehaglich. Ich bin nicht lesbisch und werde es wohl auch nie sein. Und deswegen hörten wir nach einer Weile mit dem Tanzen auf und vergnügten uns getrennt. Vergnügten ist vielleicht zuviel gesagt.

Und ich stand genauso an der Tanzfläche wie jetzt, als mich auf einmal jemand von der Seite anquatschte. Ich war sehr erstaunt, dass jemand den Mut fand, mich anzuquatschen, denn ich bin nicht unbedingt die Frau, die so in die Gegend signalisiert: Quatsch mich an!

Er war es.

Er war so groß, und er sah so überwältigend gut aus... Tatsächlich hatte ich noch nie jemanden gesehen, der so gut aussah, und es hätte mir gleich auffallen müssen, dass so ein gutaussehender Typ mit einer wie mir nicht viel anfangen konnte – bis auf eines – aber wie gesagt, ich war naiv und dämlich. Und ich war allein.

Ich will nicht mehr daran denken. Die Sache ist vorbei. Aber es tut weh. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so weh tun würde, ich dachte, ich hätte alles unter Kontrolle...

Ich habe viel erlebt in den letzten Monaten, manche Erinnerungen sind ganz deutlich, manche ziemlich verschwommen, undeutlich und verblasst, aber meine Erinnerungen fangen an mit Silvester. Jetzt haben wir Ende Oktober. Seltsamerweise ist die Erinnerung an Silvester noch recht klar, obwohl es am längsten her ist. Vielleicht sind meine Erinnerungen deswegen so klar, weil an diesem Tage meine sogenannte große Freiheit anfing. Durch meine Trennung von Christopher Parker, kurz Parker genannt....

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Also Silvester.

Ist Silvester ein guter Tag für eine Trennung? Blöde Frage, jeder Tag ist ein guter Tag für eine Trennung, wenn man sich wirklich trennen will. Aber Silvester kann man sich besser merken, so als Datum.

Denn es geht nicht mehr anders, es muss getrennt werden... Ich werde natürlich nie jemanden erzählen können, was dieser Mann mir angetan hat und auch nicht, warum ich es mir habe antun lassen. Das ist eine andere Sache. Vielleicht habe ich Komplexe, weil ich Probleme damit habe, jemanden zu lieben. Vielleicht fühlte ich mich deswegen schuldig und bin deswegen so lange bei Parker geblieben. Das könnte es sein, aber ich weiß es nicht genau. Ich weiß es wirklich nicht.

Aber vielleicht sollte ich noch ein wenig mehr in der Zeit zurückgehen, sonst kann niemand verstehen, was eigentlich los war mit Parker und mir. Ich will aber nicht hier rumjammern und Mitleid erwecken, sondern gebe nur eine kleine neutrale Chronologie der letzten zwanzig Monate mit meinem Exmann zum Besten. Nur Fakten, Fakten, Fakten, so zum Einstimmen. Gut, fangen wir also an:

Mai: Parker verliebt sich schwer. Es ist so schwer, dass alle Bekannten es mitkriegen. Ich fühle mich gedemütigt und ziehe aus unserem angemieteten Häuschen aus, ich ziehe zu meiner Schwester. Allerdings fahre ich jeden Tag zum Häuschen, um die Katzen zu füttern.

Juni: Ich hänge bei meiner Schwester rum wie ein Zombie. Einmal fahre ich abends zum Häuschen und lausche am Fenster, kann nichts genaues hören, aber es sind mehrere Leute da. In meinem Haus! Als das Telefon läutet, es hängt direkt neben dem Fenster, schleiche ich mich heimlich davon. Ich hasse mich. Später erfuhr ich von meiner Schwester, dass sie es gewesen war, die bei Parker angerufen hatte. Sie hatte sich Sorgen um mich gemacht.

Juli: Immer noch bei meiner Schwester. Bin nicht gut drauf. Jeder Mann fühlt sich von mir abgeschreckt, nein, ach was, keiner fühlt sich abgeschreckt, denn kein Mann guckt mich an... Ich bin eine Unperson. Außerdem esse ich nicht mehr viel.

August: Zögernde Annäherung. Der Höhepunkt seiner Affäre scheint überschritten zu sein. Zwei Wochen später ziehe ich wieder im Häuschen ein. Ich wusste, dass nichts wieder in Ordnung kommen würde und zwar deswegen, weil mit uns beiden noch nie was in Ordnung war. Einfache Rechnung.

Oktober: Wir erhalten die Räumungsklage. Man bezog sich auf Ruhestörung (Man bezog sich auf so Kleinigkeiten wie lautes Saxophonspielen, obwohl Parker immer in den vollen Kleiderschrank zwecks Schalldämpfung geblasen hatte. Und auf laute Grillparties, obwohl Parker doch nur seine Riesenboxen nach draußen gestellt hatte, um die Nachbarn auch ein bisschen in den Genuss seiner Punkmusik kommen zu lassen). Es gab noch ein paar andere Punkte auf der Liste, aber ich schwöre bei Gott, ich hatte mit allem nicht das geringste zu tun. Wir hatten ein Jahr Kündigungsfrist. Ich riet ihm, keinen Einspruch gegen die Kündigung zu erheben. Und ich schlug vor, was anderes neueres zu suchen, auch wenn es teuer wäre. Das Häuschen war so sagenhaft billig, es war so gut, es war zu gut, aber nach den sechs Jahren mit Parker dort musste ich es aufgeben. Und die Räumungsklage kam zum richtigen Zeitpunkt, sonst wäre Parker nie dort ausgezogen. Und er hätte mich auch nie dort ausziehen lassen, zumindest nicht mit den beiden Katzen....

Dezember: Ich feiere meinen 28. Geburtstag im Kreise von Parkers New-Wave-Paradiesvögeln und anderen Bekannten, und es war ausnahmsweise richtig gut. Zwei Tage später rief seine angebliche Exliebe an und wollte ihn sprechen. Es war also immer noch nicht aus, aber das war mir egal.

Januar bis Mai: Nichts besonderes.

Juni: Ich finde eine neue Wohnung, die Parker gut gefällt. Sie ist zwar total runtergekommen, aber das werde ich schon schaffen.

Juli, August, September: Ich renoviere die Wohnung. Es sind circa achtzig Quadratmeter mit Gartennutzung, sehr schön ruhig gelegen. Falls allerdings Parker hier wohnen wird, dann wird die Lage bald nicht mehr so ruhig sein.

Oktober: Wir ziehen in die neue Wohnung ein, und die Katzen gewöhnen sich in Windeseile an ihr neues Terrain.

Oktober: Ich spüre eine Veränderung in Parkers Verhalten. Das kann nur eines bedeuten: Er ist wieder verliebt. Jaaa! Jaaa! Ich hatte es erwartet und damit gerechnet.

November: Diesmal mache ich kein Theater, sondern wir sprechen darüber, und ich bin sehr verständnisvoll. Er hat Angst, Angst vor einem Leben ohne mich, denn wir waren sehr lange zusammen. Wir waren über zehn Jahre zusammen – zwar von Anfang an mit Unterbrechungen – aber so etwas verbindet irgendwie.

Anfang Dezember: Tatsächlich macht er mir einen Heiratsantrag. Das ist die Höhe, denn immer wenn er irgendwelche Scheiße gebaut hat, dann kam der Spruch von ihm: Wir sind ja schließlich nicht verheiratet. Guter Spruch! Dagegen gibt es kein Argument, leider...

Ich habe natürlich abgelehnt. Ich habe mich geschmeichelt gezeigt und war sehr freundlich zu ihm, aber ich hab ihm gesagt, dass es nicht in Frage käme, wir müssten endlich den Tatsachen ins Auge sehen. Nach diesem Antrag hat er keine Nacht mehr in unserer gemeinsamen Wohnung verbracht. Und wenn schon, es juckt mich nicht mehr. Aber ich fühle mich ziemlich einsam.

Dezember: Dieses Mal feiere ich meinen Geburtstag nicht. Die Lust dazu ist mir vergangen. Ich bin jetzt neunundzwanzig und fühle mich seltsam. Einerseits habe ich Angst vor der Zukunft. Andererseits kann die Zukunft nie im Leben schlimmer sein als meine Vergangenheit.

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Also, es ist Silvester, und die Beteiligten sind:

Anja und Alex – Die Gastgeber, Alex Hansen ist ein alter Bekannter von Parker, wenn auch kein Freund von ihm. Ich hatte mich ein wenig mit Anja angefreundet. Anja ist natürlich jünger als ich. Fast alle sind jünger als ich. Anja weiß Bescheid über Parker und mich. Sie ist die einzige, der ich alles erzählt habe, und sie hält mich für nicht ganz gescheit. Sie hätte natürlich anders an meiner Stelle gehandelt. Sie hätte agiert und nicht reagiert. Die hat gut reden...

R. Finn – Ein recht großer, eigentlich gut aussehender junger Mann, der aber trotz seiner Körpergröße einen unsicheren Eindruck macht. War zwei Monate lang Anjas Stecher, denn Alex war auch fremdgegangen – so selten scheint das also nicht zu sein – und Anja hatte sich kurz kurzentschlossen diesen gemeinsamen Freund von ihr und Alex gekrallt. Nach einer Weile kam Alex reumütig zu seiner Anja zurück, und Anja ließ R. Finn auf der Stelle sausen. Er hatte seinen Zweck erfüllt. Und R. Finn war nicht besonders traurig darüber, die gute Anja loszusein, denn er hatte seinen Spaß gehabt und sie wohl auch.

Das erzählte er mir jedenfalls nach Silvester.... Das R. bedeutet übrigens Robert, und er ist wirklich schüchtern und unsicher.

Elisabeth und Rupert – Die besten Freunde von Parker und mir. Bildeten immer den seriösen Gegenpol zu Parkers Extremos. Zu wem werden sie wohl halten nach unserer Trennung? Ich schätze mal, sie werden neutral sein und uns einfach nicht mehr zusammen einladen, sondern nur noch getrennt.

Anne – Eine Freundin von Anja. Sieht aus, als ob sie ihr Solodasein voll genießt.

Natürlich kannte ich Robert schon. Wir waren im Sommer oft schwimmen gewesen, ich und Anja, und zweimal war auch ihr Exgeliebter Robert mitgekommen, und ich hatte bemerkt, dass dieser Robert mich ab und zu begehrend anschaute. Worüber hatte ich im Restaurant des Schwimmbads eigentlich gesprochen?

Es fiel mir später ein. Ich hatte über Mutationen gesprochen, ich bin ein unheilbarer Fan von Science Fiktion und somit mit Mutationen ziemlich vertraut.

Darauf sprang er an? Seltsam, niemand hatte mich seit Jahren begehrend angeschaut. Wie auch? Ich war immer mit Parker zusammen gewesen, und in Parkers dominierender Gegenwart hatte sich niemand getraut, mich begehrend anzuschauen, was mich in meiner Überzeugung bestärkte, ich wäre nicht begehrenswert...

War ich wirklich nicht begehrenswert?

Im Sommer sah ich allerdings fantastisch aus. Im Sommer sah ich nicht so fade aus wie jetzt. Im Sommer war ich braun, und mein normalerweise aschblondes Haar war von der Sonne so ausgebleicht, dass es fast weiß war und einen wunderbaren Kontrast zu meinen schrägstehenden eisblauen Augen bildete. Eine entfernte Bekannte, die ich – dem Himmel sei Dank – schon seit Jahren nicht mehr gesehen habe, hat tatsächlich behauptet, in diesem Sommerzustand sähe ich aus wie eine Birmakatze, also weiß (Halskrause)-braun (Fell)-blau(Augen). Bei allem Blödsinn, den diese Dame jemals von sich gab, diese Bemerkung hatte doch einen Funken Wahrheit. Irma la Birma... Ich heiße übrigens Irma.

Doch jetzt herrscht tiefster Winter, ich bin nicht mehr wie die Birmakatze weiß-braun-blau, ich bin nur noch mittelblond-blass-blau, ich bin unscheinbar. Findet er mich immer noch attraktiv?

Ich werde es herausfinden. Vor drei Monaten, das war auf der Geburtstagsfeier von Anja – sie wurde vierundzwanzig – da hat er mich wieder so verlangend angeschaut. So als ob er mich auf der Stelle vernaschen wollte. Es war wie ein Schock für mich und vollkommen ungewohnt. Es war ein Blick, so nackt und begehrend, dass ich es nicht glauben konnte. Niemand hat mich seit Jahren so angeschaut. Zumindest nicht hier in meiner Stadt.

Ich liebe solche Blicke! Ich wusste nur nicht, dass solche Blicke auch mir gelten konnten.

Also Silvester. Ich werde ein Zeichen setzen, hier in Gegenwart unserer besten Freunde,

Also werde ich mir einen antrinken und Robert anmachen, ich habe es mit Anja diskutiert, sie war auf meiner Seite, und sie hat mich ermutigt. "Schieß ihn in den Wind!" hat sie gesagt, womit sie natürlich Parker meinte.

Jahrelang habe ich zwar versucht, Alkohol zu trinken, aber es hat so gut wie keine Wirkung gehabt, aber heute... ja es wirkt, obwohl Parker mit seiner gewaltigen dämlichen Präsenz neben mir sitzt, wirkt es...

Kurz vor zwölf gehe ich in das andere Zimmer, in das Zimmer, in dem sich gerade Alex, Anja, die fremde Frau und Robert aufhalten. Parker, Rupert und Elisabeth lasse ich hinter mir.

Beim Glockenschlag schiebe ich mich näher an Robert heran und küsse ihn als ersten, und er sieht nicht aus, als ob er es unangenehm fände – nein im Gegenteil. Er sieht erstaunt und erfreut aus. Und er erwidert meinen Kuss.

Parker kommt ins Zimmer, er sieht mich und Robert, stutzt ungläubig, ignoriert den Kuss, den wir uns gerade gegeben haben und wünscht mir gönnerhaft in seiner herablassenden Art, von der ich immer noch nicht weiß, wie er zu dieser Art kommt, ein frohes neues Jahr. Du verdammter Heuchler! Eine Viertelstunde später ist er weg, hat sich unauffällig verabschiedet und ist wohl auf den Weg zu der neuen Frau.

Und ich feiere lustig weiter.

Es ist vorbei. Endlich!

Ich bin allein, endlich, um es mal mit BAP zu sagen... Isch bin alleen...

Am nächsten Tag ruft Parker mich doch tatsächlich an, ich bin erst seit ein paar Stunden zu Hause, denn ich habe die Nacht bei Robert verbracht – na gut, ich hab nicht viel von der Bettsache gemerkt, war zu besoffen.

"Wie kannst du es vor meinen Augen mit diesem Knilch treiben?" fragt Parker mich doch tatsächlich. Er betrachtet mich also immer noch als sein Eigentum.

"Sei bloß ruhig!" Ich habe noch genug Alkohol im Blut, um ihm Kontra zu geben, aber das ist falsch, man sollte Parker nicht erzürnen, das könnte Ärger geben, also rate ich ihm, sich mit der neuen Braut eine gemeinsame Wohnung zu suchen, denn so könnte es nicht weitergehen. Man muss mit Parker diplomatisch sein. Er stellt mir noch die blödsinnige Bedingung, dass ich in unsere (offiziell noch gemeinsame) Wohnung keinen anderen Mann mitnehme. Klar, sage ich. Was für ein Idiot! Ausgerechnet Parker, der sich nie an irgendwelche Regeln gehalten hat, stellt mir jetzt Bedingungen. Lachhaft!

Fast freundschaftlich verabschieden wir uns voneinander.

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Ein paar Wochen später im grimmig kalten Februar wird es allmählich stressig mit Robert. Irgendwie scheint er zu spüren, dass ich nicht mehr in ihn verliebt bin. War ich jemals in ihn verliebt? Obwohl die Nächte mit ihm recht geil sind – er ist gar nicht schlecht im Bett und das weiß er auch – sind die Tage öde, ich langweile mich, es liegt nicht an ihm, er ist intelligent und lieb, er lädt mich öfter zum Essen ein, griechisch meistens, und das finde ich schwer erotisch, denn es gibt mir ein irres Gefühl, von einem Mann, mit dem ich schlafe, zum Essen eingeladen zu werden. Nach dem Essen bin ich allerdings so voll, dass ich fast nie Lust habe, mit ihm zu schlafen. Wir treffen uns in der Woche nicht mehr oft, und wenn, dann nur noch in seiner Wohnung.

Denn in meiner Wohnung möchte ihn ich auf Dauer nicht haben. Außerdem hat Parker noch die Wohnungsschlüssel und könnte uns überraschen. Das ist aber nicht der Hauptgrund für mich, ich glaube eher, ich möchte diese Wohnung ganz für mich alleine haben, es ist noch viel zu früh, sie wieder mit einem Mann zu teilen. Ich weiß natürlich, dass Robert diese Wohnung liebend gerne mit mir teilen würde, er würde auch noch viel mehr mit mir teilen. Aber das ist vollkommen absurd.

Klar ist meine Wohnung schöner als seine. Ich habe soviel darin investiert, ich habe drei Monate gebraucht, um sie zu renovieren. Es war vorher ein wirklicher Schweinestall.

Roberts Dachgeschosswohnung ist zwar ganz nett, aber viel kleiner. Sie ist nicht übel, liegt allerdings in einer beschissenen Wohngegend. Man kommt direkt in einen großen Raum, der mit einem Regal als Raumteiler von der Küche abgetrennt ist. In dem großen Raum steht ein riesiges Sofa, ein paar niedrige Regale und ein Fernseher. Das Badezimmer ist auch ganz gut, hat allerdings nur eine Dusche. Und dann gibt es da noch das kleine Schlafzimmer, in das gerade mal das breite Bett hinein passt und das kein Fenster hat sondern eine Dachluke, an der manchmal der Sturm rappelt. Ist schon verdammt gemütlich gewesen in diesem Bett. Zumindest war es in den ersten Wochen mit Robert dort gemütlich gewesen. Ich fühlte mich dort irgendwie geborgen.

Jetzt finde ich es nicht mehr gemütlich. Und mir hängt das dauernde Zusammensein mit Robert, Alex und Anja aus dem Hals raus. Ich bin für Alex und Anja schon wieder nur der Teil eines Paares, und ihre dämlichen Vergnügungen gehen mir fürchterlich auf den Keks. Was will ich eigentlich? Keine Ahnung.

Ich glaube, ich will ihn loswerden. Er ist mir lästig geworden. Er will mich doch tatsächlich heiraten. Das ist zwar sehr schmeichelhaft nach fast zwei Monaten Bekanntschaft, aber es ist nicht das, was ich will. Aber was will ich?

Keine Ahnung, wirklich keine Ahnung.

Und außerdem war ich scharf auf Bruce, Parkers besten Freund....

Ende Kapitel 1

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Kapitel 2

Bollocks und Frust

Als Ende Februar die ‚Bollock Brothers’ ein Konzert in B. gaben, musste ich unbedingt hin. Früher hat Parker mich immer umsonst in die Konzerte gebracht – der kannte alle Leute, die wichtig waren. Das ist natürlich vorbei, und ich muss mir jetzt was anderes ausdenken. Für die Bollocks hätte ich zur Not sogar Eintrittsgeld bezahlt, aber soweit brauche ich gar nicht gehen.

Wir fuhren zu viert hin, Alex, Anja, Robert und ich. Alex ist Einkäufer bei einer namhaften Kaufhauskette, und dank seiner Beziehungen zu diversen Plattenfirmen brachte er uns glatt durch die Kasse, ohne dass wir zahlen mussten. Na also!

Ich sah Rupert und Elisabeth, verließ Robert und stellte mich zu ihnen an die Theke. Die Theke ist gleich am Anfang der Halle. Von dort aus kann man bis auf die Bühne gucken, solange man dazu noch in der Lage ist.

Ich trank zwei Biere. Danach lief ich ein bisschen herum. Viele Bekannte hier, natürlich waren es fast alles Bekannte von Parker, meinem Exmann.

Ich traf den ‚kleinen’ Ralf, der nicht zum engen Dunstkreis um Parker gehört. Den ‚kleinen’ Ralf muss ich mir unbedingt warm halten, weil er immer die neueste Musik hat. Denn demnächst wird Parker alle seine Schallplatten abholen, und dann muss ich sehen, wie ich musikmäßig klar komme. Ein paar Platten habe ich allerdings schon zur Seite geschafft, die beiden von Joy Division zum Beispiel und noch ein paar andere. Ach ja, auch die von Doll by Doll, das ist eher konservative Musik aber mit wahrhaftig subtilen Texten. Außerdem sieht der Sänger aus wie Bruce. Der Witz ist, Bruce singt auch, er singt in der Band meines Exmanns. Mein Exmann spielt natürlich Saxophon.

Ausgerechnet jetzt rauscht Parker an mir vorbei."Dein Knilch ist ja auch da", meint er abfällig im Vorbeirauschen. Ein gutes Auge hat der Mann. Nichtssagend zucke ich mit den Schultern. Was geht es ihn noch an? Und schon ist er wieder weg.

Ich kehre zur Theke zurück, trinke noch ein Bier und fühle mich blendend. Das geht Parker einen feuchten Dreck an, mit wem ich hier bin!

Die Bollock Brothers fangen an zu spielen. Echt Klasse! Richtig punkig! Zwar nicht so wie auf der LP, aber Klasse! Und Punk finde ich mittlerweile so nostalgisch schön, dass ich fast dazu schunkeln könnte.

Die Menge tobt und tanzt. Ich schiebe mich langsam bis zur Bühne vor, weil ich ihn endlich gesehen habe, Bruce, mit dem Parker schon im Sandkasten gespielt, beziehungsweise sich geprügelt hat. Ich kenne Bruce erst seit einem Jahr, als er nach seiner gescheiterten Ehe wieder in der Öffentlichkeit auftauchte. Ich weiß gar nicht , wie er in Wirklichkeit heißt, aber sein Spitzname ist Bruce. Warum gerade Bruce? Keiner konnte es mir sagen.

Ich finde Bruce faszinierend! Er ist groß, breit und dunkelhaarig, also sehr eindrucksvoll, allerdings säuft er wie ein Loch, und böse Zungen nennen ihn außer Bruce auch noch den Weinschlauch. Das lässt natürlich auf einiges schließen, ist mir aber im Moment egal. Denn das wäre doch was, in Parkers engsten Freundeskreis einzubrechen und mit seinem besten Freund rumzumachen. Da würde er ganz schön blöd gucken.

Ich schiebe mich im Gewühl an Bruce heran.

"Hallo Bruce!" schreie ich, um die laute Musik zu übertönen. Bruce gibt mir durch Gesten zu verstehen, dass er mich erkannt hat. Bruce ist kein großer Redner.

"Klasse, gell?!" schreie ich weiter.

Bruce nickt zustimmend.

"Das beste Konzert dieses Jahr!" brüllt er nach einer Denkpause. Bruce ist kein großer Redner, nein wirklich nicht.

"Ist doch erst Februar", brülle ich zurück und muss lachen. Es ist unmöglich, sich hier zu unterhalten, und Bruce ist wirklich nicht der Gesprächigste.

Meine Zeit wird noch kommen. Also drehe ich wieder ab in Richtung Theke, wo ich mir weitere Biere genehmige. Hier ist es nicht ganz so laut. Ich treffe Rupert und Elisabeth wieder, die sich anscheinend gar nicht im Raum bewegt haben. Betty lutscht an einer Cola herum, wahrscheinlich muss sie ihren Rupert nach Hause fahren. Auch wenn sie das nicht müsste, würde sie nichts trinken.

Sie versucht doch tatsächlich, mich neugierig zu machen, sie hat nämlich Parkers neue Freundin gerade gesehen.

Du lieber Himmel! Wen interessiert das schon? Es ist vorbei mit Parker.

Ich stürze mich wieder ins Gewühl. Soso, schminkt sich also stark und ist flink auf den Beinen. Hoffentlich meint Betty nicht, ich betrachte diese Dame als Konkurrentin. Ich betrachte sie eher als Befreiung. Und doch.... Es tut noch ein bisschen weh, ist aber nur gekränkte Eitelkeit, denn ich habe ihn nie so richtig geliebt.

Ich treffe noch einen Bekannten und erinnere mich vage daran, dass er und seine Freundin Parker und mich letztes Jahr besucht haben. Im Häuschen.

Ich quetsche aus ihm Susannes Adresse heraus. Denn Susanne fand ich damals recht interessant. Er ist nicht mehr mit ihr zusammen. Ich brauche diese Adresse, mich beschleicht so ein vages Gefühl, als könnte ich diese Adresse in nächster Zeit sehr brauchen. Ganz viele Adressen könnte ich brauchen.

Susanne wohnt erstaunlicherweise nur drei Häuserblocks von mir entfernt. Besser könnte es gar nicht sein.

Auf dem Weg zur Theke treffe ich Robert. Mein Liebhaber, anders kann ich ihn nicht nennen, hat sich bis jetzt dezent im Hintergrund gehalten, und erst jetzt kommt es mir zu Bewusstsein, dass ich ihn verdammt vernachlässigt habe. Seltsamerweise habe ich überhaupt kein Schuldgefühl deswegen, ganz im Gegenteil. Er passt nicht hierher, er passt nicht zu mir, ich muss in dieser Umgebung für mich alleine sein. Aber wir haben zu unseren besten Zeiten wirklich gute Musik gehört, vorzugsweise The Smiths und Men at Work, kommt mir in den Sinn. Das war gut, wirklich gut.

Robert ist ein Mann, der sehr viel Stolz hat. Er ist wahrscheinlich stinksauer auf mich, doch das würde er nie zugeben, soweit kenne ich ihn mittlerweile.

Aber das alles ist mir heute vollkommen egal.

Außerdem spielen die Bollocks gerade ‚Horror Movies’, eins meiner Lieblingsstücke. Es hört sich viel punkiger an als auf meiner Kassette, die ich vom kleinen Ralf bekommen hab. Aber trotzdem gut. Klasse! Geil! Geiles Konzert! Es ist fast besser als beim Sex Pistols Konzert, wo Johnny immer rumrotzte....

Als Zugabe spielen sie dann tatsächlich die alten Stücke von den Pistols, My Way und God save the queen, und die Punks tanzen Pogo, springen sich gegenseitig an, trainieren den Nahkampf, und ich bringe mich schleunigst in Sicherheit...

Ich hatte Robert im Schlepptau, als ich die Theke erreichte.

Wir gingen alle noch ins Restaurant und bekamen mit Glück einen freien Tisch.

Wenig später erschien Parker mit seiner Frau und seiner Clique, und ich glaube, sie setzten sich an den Tisch hinter uns. Die Schweine hatten ihn wohl reservieren lassen. Dreht euch nicht um, der Plumpsack geht herum. Was ist das wieder für ein Schwachsinn? Ich verspürte keinerlei Bedürfnis, mich nach ihnen umzudrehen.

Außerdem hatte ich mich selten so gut amüsiert. Der ‚Gut-sauf-ohne-Parker-Effekt’ schlug wieder voll durch. Obwohl der gute Parker zwei Meter hinter mir saß, konnte er mir

nichts mehr anhaben und mir auch nicht mehr die Stimmung vermiesen.

Ich habe keine Lust, mit Alex, Anja und Robert nach Hause zu fahren. Alle müssen morgen arbeiten. Ich natürlich auch, aber das ist mir jetzt egal. Anjas Missbilligung darüber, dass ich noch hier bleibe, spüre ich deutlich. Die faselt immer so einen Quatsch von Geborgenheit. Bei einem Mann, dass ich nicht lache! Männer wissen ja selber kaum, wie sie klar kommen. Nein, ich muss heute allein sein. Ein paar Minuten später, als alles um mich noch verschwommener geworden ist, breche ich dann doch auf. Und zwar mit Rupert und Betty, die mich freundlicherweise mitnehmen. Markus, den Extypen von Susanne nehmen sie auch mit. Sind sie nicht süß?

Ich werfe keinen Blick zurück.

Das war dann wohl der Februar.

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März

Armer Robert. Er litt unter mir. Er war zwar ganz gut im Bett, aber nervig außerhalb, er war deswegen nervig, weil er in mich verliebt war, und er nervte mich, weil ich nicht in ihn verliebt war. Eine ganz neue Erkenntnis! Ich hätte nie gedacht, dass jemand, der einen sexuell so gut befriedigen kann, einem so scheißegal sein kann.

Er nervte mich auch durch seinen Verdacht, ich würde noch mit Parker schlafen.

Er nervte mich durch sein Misstrauen. Er nervte mich allgemein.

Und diese dämlichen Sprüche! Wenn wir zusammen vor dem Fernseher saßen, und eine einigermaßen hübsche Frau zu sehen war, die ein Kleid oder einen Rock trug, dann kam unweigerlich ein dämlicher Spruch von Robert.

Zum Beispiel: "Röcke finde ich unheimlich weiblich..."

Oder: "Die sieht aber echt toll aus..."

Oder gar: "Warum trägst du keine Röcke?"

Wollte er mich eifersüchtig machen? Da hatte er keinerlei Chancen, denn durch dieses Geschwätz wurde ich nur sauer auf ihn.

Einen Augenblick später kamen dann Bemerkungen wie: "Ich will alles von dir."

"Wie, alles?" hörte ich mich fragen.

"Ein Kind, vielleicht ein Mädchen, das so aussieht wie du – heiraten ..."

Uppps... Er fing an, zu spinnen. Ich sagte überhaupt nichts dazu. Allein die Vorstellung, mit einem Kind inklusive einer Heirat in eine neue Abhängigkeit zu geraten, erschreckte mich. Das war vollkommen absurd. Ich liebte ihn nicht. Ich glaube, ich habe niemals jemanden richtig geliebt.

Robert würde liebend gerne zu mir ziehen, weil meine Wohnung natürlich viel schöner und größer als seine ist – die Schönheit ist nicht verwunderlich, denn ich habe soviel an Arbeit darin investiert, dass sie einfach schön sein muss. Robert hat irgendwie große Komplexe. Dauernd erzählt er mir von seinem Arbeitskollegen, der ein dickes Auto fährt und eine super gut aussehende Frau hat. So ‘ne ehemalige Schönheitskönigin. Den Erzählungen nach muss dieser Typ ein unheimliches Arschloch sein. Aber Robert beneidet und hasst ihn gleichzeitig, und er will unbedingt mit ihm gleichziehen. Ich und meine Wohnung kommen ihm da gerade recht. Aber das werde ich auf keinen Fall zulassen. Diese Wohnung gehört ganz alleine mir, und bis ich dort ausziehe, wird sich niemand dort einnisten. Ach ja, einmal musste ich ihn von der Arbeit abholen mit meinem Auto, ich hätte wahrscheinlich aussteigen und mich seiner ganzen Firma präsentieren sollen. Hab ich aber nicht gemacht.

Und Robert möchte gerne die Frauen verstehen, das ist einer seiner Herzenswünsche. Die Frauen verstehen! Als ob alle Frauen gleich wären... Also, mich muss kein Mann verstehen, denn ich verstehe mich ja selber nicht...

"Frauen sind was Wunderbares!" Das ist auch so ein blöder Spruch von ihm, und dadurch fühle ich mich begreiflicherweise nicht geschmeichelt, denn ich bin eine Einzelperson, ein Individuum, und nicht nur ein Teil einer Masse von Frauen.

Aber um Robert wenigstens rockmäßig das Maul zu stopfen, zog ich eines Nachts ein Kleid an, das wirklich irre war.. Wir trafen uns nicht mehr so oft wie am Anfang und fast immer nur in Roberts Wohnung, aber diesmal war es in MEINER Wohnung (natürlich hatte ich abgeschlossen und den Schlüssel von innen stecken lassen, um vor Parker sicher zu sein, was natürlich Quatsch war, denn Parker ließ sich nicht mehr blicken).

Es war ein weißes tief ausgeschnittenes Stück aus Florentinerspitzen, so durchsichtig, dass Nacktheit dagegen langweilig wirkte, ansonsten ‚fraulich’ knöchellang und unschuldig weiß. Eigentlich war es ein Hochzeitskleid.

Ich hatte das Kleid vor ein paar Monaten, als ich finanziell noch flüssig war, auf dem Flohmarkt gekauft.

Das Kleid haute Robert um.

Als er es mir endlich auszog, war ich erleichtert: das Ding kratzte wie ein Shetlandpullover, oder besser gesagt wie eine Drahtbürste. Aber es war ein voller Erfolg. Ein billiger Erfolg.

Jemanden zu erobern, der einen schon liebt, das ist einfach.

Was war sonst noch im März? Totenstille herrschte. Das Telefon läutete absolut nicht, ich rief die Störungsstelle an. Es war aber keine Störung. Es wollte mich bloß keiner anrufen.

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April

Das wäre es fast gewesen mit Robert. Es ist schade, er war ein netter Kerl, aber ich liebte ihn nicht, trotzdem ging unser Verhältnis weiter, vielleicht weil ich so alleine war. Ich war eine grausame Frau, das weiß ich jetzt...

Parker rief mich an und erzählte mir, dass er gemeinsam mit Cornelia eine Wohnung gefunden hatte. Cornelias alte Wohnung war zu klein für drei Personen. Hatte ich schon erwähnt, dass sie einen achtjährigen Sohn hat und dass sie drei Jahre älter ist als ich?

"Hast du was dagegen", meinte er, "wenn Cornelia und ich uns mal bei dir umschauen?"

Im ersten Moment dachte ich, dass Cornelia aus purer Sentimentalität mal seine alte Wohnung sehen wollte. Ich bin wirklich ein Prachtschaf!

"Wir wollen mal sehen", Parkers Stimme riss mich aus diesen sentimentalen Träumen, "was wir alles noch gebrauchen können..."

Ach sooo.... Tatsächlich ging mir jetzt ein Licht auf – ich habe schon immer eine etwas längere Leitung gehabt.

Sie würden wie die Leichenfledderer bei mir einfallen. Sie würden alles abschätzen und begutachten, was irgendwie noch einen praktischen oder dekorativen Wert für sie haben könnte. Sie würden mir die Bude leer räumen. Nein, so schlimm würde es wohl nicht kommen, denn die wichtigen Sachen gehörten mir. Die Küche zum Beispiel, die Sofas, das Bett und diverse Regale, die ich alle neu gekauft hatte. Das französische Polsterbett haben die Katzen übrigens schon ziemlich zerstört. Sie benutzen es als Kratzbaum. Ansonsten sehe ich die Katzen manchmal den ganzen Tag nicht. Sind immer unterwegs, gehen jagen, verrichten ihre Geschäfte draußen – ich brauche also nicht viel Katzenstreu – und kommen nur zum Essen rein. Aber immerhin schlafen sie bei mir im Bett.

Parker konnte sich eigentlich nur das nehmen, was aus seiner Familie kommt: Die vom Opa gemalten Aquarelle, die sich in. sehr schönen Rahmen befinden (die Rahmen finde ich besser als die Aquarelle), seine Plattensammlung, diverse alte Möbel aus seiner Entrümpelungszeit und seine Topfpflanzen.

Hoffentlich hatte er nicht vor, mir nicht das alte Eichenbüffet wegzunehmen. Daran hing ich irgendwie.

"Von mir aus könnt ihr morgen Abend kommen", schlug ich vor. "Ich bin dann wahrscheinlich nicht zuhause." Das kann keiner verlangen, dass ich dann zuhause bin

"Okay", sagte Parker.

Ich war wie betäubt. Was sollte ich morgen Abend machen?

Ich verabredete mich mit Robert. Er bezahlte das Essen und schleppte mich ab in seine Wohnung.

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Ich muss Parker Geld leihen, denn sonst schafft er es nicht, sich eine Wohnung mit Cornelia zu nehmen. Ironie des Schicksals.

Schweren Herzens leihe ich es ihm.

Dafür darf ich das Eichenbüfett behalten. Es passt platz- und stilmäßig nicht in die neue Wohnung. Da habe ich Glück gehabt.

Seine Superanlage mit dem Röhrenverstärker und den besten Boxen der Welt (mit denen er jahrelang unsere Exvermieter genervt hat) nimmt Parker natürlich mit. Es ist nicht fair: Der hat sich jahrelang teure Klamotten gekauft, und ich habe ihn durchgefüttert. Leider gibt es dafür keine Quittungen. Aber weil Parker ein gutes Herz hat, erhalte ich Cornelias alten Verstärker, einen Plattenspieler und zwei mickrige Boxen – selbstverständlich nur leihweise, bis bessere Zeiten für mich anbrechen. Ich fühle mich ausgeplündert von diesen Leuten, aber ich nehme die Sachen an. Dafür nimmt Cornelia mir Parker ab, und das ist kein schlechtes Geschäft. Ich habe Cornelia immer noch nicht gesehen.

Es fehlte mir nur noch ein Kassettenrecorder. Den kaufte ich für wenig Geld. Für teures Geld hingegen kaufte ich ein altes Bakelitradio aus den 30er Jahren, es sah irre gut aus, klang fantastisch, wahrscheinlich wegen seiner Röhren und hatte UKW.

Zwei Tage später erhielt Parker von den Stadtwerken die Abrechnung für die Heizung, er hatte vor einem halben Jahr die Sache mit den Stadtwerken auf sich genommen. Sie wollten 800 Mark als Nachzahlung haben... Fuck! Parker ist natürlich ein cleveres Bürschchen. Er sagte: Da ich gar nicht hier gewohnt habe, habe ich ergo auch gar kein Gas verbraucht.

Gut, hört sich richtig an, fühlt sich aber falsch und vor allem teuer an. Aber ich nehme die 800 Mark auf mich. Und melde endlich das Gas auf meinen Namen an. Natürlich sind die zweimonatigen Abschläge noch höher als früher. Fühle mich verarscht...

Die Bilder vom Opa hatte Parker natürlich mitgenommen, aber den Müll, den er nicht gebrauchen konnte, den ließ er natürlich hier stehen. Der Keller ist voll von Müll. Aber was soll’s. Mit dem Müll kann ich leben, mit dem Besitzer dieses Mülls hingegen nicht mehr. Allmählich wird mir klar, dass ich wirklich frei bin. Aber ich bin auch alleine, und das mag ich nicht besonders. Ich glaube, alle meine Handlungen sind davon geprägt, nicht mehr alleine zu sein. Wie erbärmlich!

Aber Robert ist nicht der Richtige für mich.

Gibt es überhaupt einen Richtigen für mich?

 

Ende Kapitel 2 LOVE GAMES © Ingrid Grote 2004

 

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