LOVE STORY

 

Irma sah ihn verstohlen von der Seite an. Es war immer wieder ein Genuss für sie, ihn anzusehen, und sie fühlte sich unbeschreiblich zu ihm hingezogen. Er war vielleicht in Wirklichkeit nicht schön, aber er war überaus attraktiv, und vor allem bewunderte sie seine Selbstsicherheit, vielleicht war es diese Selbstsicherheit, die ihn so attraktiv machte, dazu kam noch seine gute Figur, seine Größe, die Eleganz seiner Bewegungen, denn sogar nackt lief er vollkommen unbefangen daher, und es stand ihm. Viele Männer sahen nackt ziemlich blöde aus, liefen ungeschickt und tölpisch daher, vielleicht hatten sie irgendwelche Komplexe, aber er nicht. Er hatte bestimmt keine Komplexe, er war einfach perfekt. Und außerdem war er auch in anderer Hinsicht perfekt. Er war einfach zu perfekt. Wie konnte sich ein Mann wie er, der jede Frau haben konnte, sich für eine relativ unscheinbare Person wie sie interessieren. Nein, nicht nur interessieren, er hatte sie sogar gebeten, bei ihm einzuziehen. Und jetzt wohnten sie tatsächlich schon drei Monate zusammen, und diese drei Monate waren wunderbar gewesen.

Während sie auf der langweiligen Autobahn gen Osten fuhren, blickte sie wieder nach rechts auf die Autos, die sie überholten. Sie wollte ihn nicht zu offenkundig anschauen. Er war schon eingebildet genug. Sie griff nach der Zigarettenschachtel auf dem Armaturenbrett des Volvos, wollte sich eine Zigarette herausnehmen, überlegte es sich dann aber anders. Irgendwie hatte sie keine Lust zu rauchen. Sie hatte in letzter Zeit auch keine Lust mehr, Alkohol zu trinken, es schmeckte ihr nicht mehr, und sie hatte das nicht mehr nötig. Wenn sie allerdings an die Zeit vor vier Monaten zurückdachte, erschrak sie vor sich selber. Sie hatte manchmal soviel getrunken, dass sie Sachen getan hatte, die sie immer noch schwer bereute. Wieder schaute sie ihn verstohlen von der Seite an. Er fuhr äußerst konzentriert, und doch schien er zu spüren, dass sie ihn ansah. Er lächelte und blickte sie kurz an.

Aber jetzt brauchte sie das Trinken nicht mehr, eigentlich hatte sie es nie gebraucht, vielleicht manchmal, um in Stimmung zu kommen, um mit einem Mann schlafen zu können. Himmel, sie war wirklich pervers. Und seltsam, mit Hardy war sie immer in Stimmung gekommen, ohne Alkohol trinken zu müssen. Und er hatte von Anfang an diese Wirkung auf sie gehabt. Er hatte sie wütend machen können, und er hatte sie in dieser ersten Nacht so wütend machen können, dass sie ihn aus ihrer Wohnung hinauswerfen musste. Blödmann! Dieser Hai in der Maske des guten lieben Freundes! Noch immer fühlte sie den Groll von damals, sein blödes Geschwätz, die dämliche Anmache, dieser Spruch, dieser verdammte Spruch von ihm! Er war so eingebildet gewesen!

Ob er mit anderen Frauen schlief? Sie glaubte es eigentlich nicht, sie wohnte bei ihm, er hatte sie gebeten, bei ihm einzuziehen, sie hatte ihre beiden Katzen mitgebracht, und er liebte die Katzen. Aber liebte er sie, Irma? Gute Frage. Obwohl, Liebe, Blödsinn, Quatsch, okay, sie mochte ihn sehr gerne, er war fantastisch im Bett, er sah überaus attraktiv aus, und manchmal verursachte er ein seltsames Gefühl in ihrem Magen, aber Liebe? Sie hatte noch nie zu einem Mann gesagt, dass sie ihn liebte, weil es einfach nicht wahr war. Und Liebe war doch nur ein Wort, und sie war glücklich mit ihrer jetzigen Situation, sie musste nicht unbedingt das Wort Liebe dafür benutzen. Sie zeigte Hardy mit Hingabe, Leidenschaft und Zärtlichkeit, dass sie ihn mochte und versuchte in der übrigen Zeit, ihm nicht auf die Nerven zu gehen. Es war gut, wenn man sein eigenes Leben und seine eigenen Interessen hatte, dann konnte man sich viel besser in die Leidenschaft stürzen, als wenn man den ganzen Tag zusammen war. Sie freute sich, wenn Hardy mit seinen Kumpels zusammen Fußball im TV anschaute, und sie hatte nichts dagegen, wenn er danach mit den Kumpels in seine Stammkneipe ging. Seltsamerweise vertraute sie ihm. Sie wusste, sie konnte jederzeit in diese Kneipe gehen, ihn kurz auf die Wange küssen, sich neben ihn setzen und ihm beim Knobeln zuschauen. Sie wusste einfach, dass er nie mit einer anderen Frau dort irgendwie rummachen würde.

Haaa! Er hatte schließlich genug mit anderen Frauen rumgemacht. Er war so gut im Bett, dass er mit jeder Menge Frauen herumgemacht haben musste. Das wusste sie. Aber mittlerweile war es ihr egal, denn sie war ja auch kein Unschuldslamm gewesen...

„Am besten fährst du jetzt rechts über die Bundesstraße in Richtung Brilon.“ Sie wusste aus jahrelanger Erfahrung, wie man am besten nach Daarau kam. Daarau war ihr Heimatdorf, das Dorf, in dem sie geboren wurde und das Dorf, in dem ihre Eltern lebten. Ihr Vater feierte Geburtstag, und sie hatte eigentlich alleine nach Daarau fahren wollen, aber Hardy wollte mitkommen. Na gut, wenn er unbedingt wollte. Sie hatte ihren Eltern zwar gesagt, dass sie wieder mit einem Mann zusammenlebte, hatte es aber nicht sehr dramatisch dargestellt. Schließlich hatte sie fast acht Jahre mit ihrem Exfreund (im Geiste nannte sie diesen Exfreund ‚Mörder meiner Jugend’) zusammengelebt, und es war auseinandergegangen. Sie hatte ihren Exfreund zweimal in all den Jahren mit nach Daarau genommen, und er hatte sich dort immer aufgeführt wie der letzte blöde Macker. Wie würde Hardy wohl mit ihren Eltern klar kommen? Ihre Mutter – verächtlich rümpfte sie ihre Nase – war dumm, hatte schlechte Angewohnheiten und gab mit ihren Krankheiten an, sonst hatte sie wohl nichts, um damit angeben zu können. Und dennoch hatte ihre Mutter sie geprägt, alles was sie war, so schien es Irma, war sie durch das Verhalten ihrer Mutter geworden. Denn ihre Mutter hatte sie nie geliebt. Stets hatte sie gegeneinander gekämpft, vielleicht um Daddy, sie wusste es nicht mehr, aber sie wusste mit Sicherheit, dass sie irgendwann in ihrer Kindheit einen Knacks bekommen hatte, vielleicht durch die Schläge, die sie sinnlos von ihrer Mutter einstecken musste, vielleicht durch die allgemeine Lieblosigkeit, mit der ihre Mutter sie behandelte und die sie ihr postwendend zurückzahlte... Sie wusste nicht mehr, wie es angefangen hatte, sie wusste nur, dass sie Angst hatte, verletzt zu werden. Ach, es war schlimm irgendwie. Kein Wunder, dass sie nie ein Kind haben wollte, denn vielleicht hätte sie ein Kind so misshandelt, wie sie von ihrer Mutter misshandelt worden war. Und dieses Risiko wollte sie nicht eingehen. Aber Hardy hatte sie natürlich nichts von ihrer Kindheit erzählt. Warum sollte sie auch? Es würde sie zu sehr entblößen.

 

Hardy war sich ihrer Gegenwart sehr wohl bewusst. Seltsam, dass jemand, der von sich selber meinte, total unbedeutend auszusehen, so eine so starke Wirkung auf ihn hatte. Und sie war nicht wirklich hübsch, dafür waren ihre Gesichtszüge zu unregelmäßig, aber ihren Körper konnte sie nicht schlechtreden, er hatte Ähnlichkeit mit dem einer nubischen Prinzessin, abgesehen von der Hautfarbe natürlich. Ihr Körperbau war so perfekt wie selten bei einer Frau, und die Haut unterhalb ihrer Brust war so samtweich, dass er unablässig das Verlangen spürte, sie dort zu streicheln. Sie hatte ihn verhext. Ihn! Himmel noch mal, er hatte wirklich Erfahrung mit Frauen, er liebte es, sie zum Höhepunkt zu bringen und ihnen dabei zuzusehen, bis er sich dann selber in die Lust hineinstürzte...

Aber sie hatte ihn auch von Anfang an aufgebracht, dieses blöde Geschwätz von wegen: Jeder, der mit mir schläft, verliebt sich in mich. Oh ja, das hatte ihn aufgebracht! Vielleicht würde sich jeder Trottel in diese Tussi verlieben, aber er doch nicht! Er war schließlich nicht wie jeder andere Mann. Er konnte mit Frauen umgehen, er konnte sie trösten, er konnte sie verstehen. Er konnte sie perfekt befriedigen. Hmmm, ja alle... Aber bei ihr versagte sein Verständnis. Sie ließ ihn nicht in sich hineinblicken, sie erzählte ihm nichts über ihre Probleme, sie gestand ihm nicht ihre Liebe, und wenn sie sich geliebt hatten und erschöpft nebeneinander lagen, gab es keine Liebeserklärungen sondern andere Gespräche. Sie versuchte nicht, ihn krampfhaft zu Hause zu halten oder ihn von den Kumpels fernzuhalten, fast fühlte er sich schon vernachlässigt von ihr, weil sie ihn immer so leicht gehen ließ. Hatte sie überhaupt kein Verlangen, in seiner Gesellschaft zu sein? Er fühlte sich verunsichert, weil sie alle seine Dogmen auf den Kopf stellte. Liebte sie ihn etwa nicht? Sie hatte ihr eigenes Zimmer, er hatte gedacht, es wäre besser, wenn sie sich zurückziehen könnte, aber für seinen Geschmack zog sie sich viel zu sehr zurück. Und manchmal, wenn er im großen Wohnraum fernsah, dann vermisste er sie, er ging dann nach nebenan in ihr Zimmer, wo sie meistens lesend auf ihrem alten Bett lag, hievte sie ohne zu fragen hoch, trug sie in das andere Zimmer und legte sie auf das große Sofa. Sie musste dann lachen, legte sich bäuchlings über seinen Schoß und las weiter, denn das Buch hatte sie natürlich mitgenommen. Aber sie war da, und er streichelte ihren Hintern, der so aufreizend zu sehen und zu fühlen war, bis sie sich schließlich umdrehte und das Buch weglegte...

Er erinnerte sich an das Kleid aus weißer Spitze, er hatte sie dabei ertappt, als sie es in die Altkleidersammlung geben wollte:

„Wirf das nicht weg“, hatte er gesagt und das Kleid aus der Plastiktüte gefischt. Es war ein wunderschönes Kleid oder war es ein Nachthemd? In der Mitte hatte es einen hauchzarten Gummizug, und das Oberteil bestand nur aus zwei nicht sehr breiten Stoffbahnen, und es hatte keine Ärmel.

„Zieh es doch mal an.“

„Na gut, wenn du willst“, sagte sie ein wenig unwillig. Sie ging ins Badezimmer, um es anzuziehen, seltsam, normalerweise hatte sie keinerlei Hemmungen, sich vor ihm aus oder anzuziehen.

Als sie wieder ins Zimmer zurückkam, stand er da und starrte sie an, er war sprachlos, die weiße unschuldige Spitze war mehr als durchsichtig, sie verbarg nichts, ganz im Gegenteil, sie enthüllte gewisse Stellen ihres Körpers, vor allem ihre Brüste, und er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden, während sie ganz ruhig vor ihm stand.

Er konnte sehen, wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten, vielleicht aus Erregung, aber vielleicht auch nur, weil sie so engen Kontakt mit der etwas groben Spitze des Kleides hatten. Sie trug absolut nichts unter diesem... Kleid. Ihre schmale Taille war umschmeichelt von diesem dämlichen Gummizug, Herrgott, sie hatte eine Taille wie Scarlett O'Hara, und ihre schmalen Hüften und ihre langen Beine raubten ihm den Verstand.

Er stand ein paar Sekunden sprachlos da, bevor er drei langsame Schritte auf sie zu machte und sie vorsichtig und tastend an ihren Brüsten berührte. Sofort erschauerte sie.

Während seine linke Handfläche flach und zart über ihre rechte Brust hin und her glitt und er spürte, wie ihre Brustwarze sich steif aufgerichtete, was ihr heftige Atemzüge entlockte, streifte seine rechte Hand lässig den einen Träger ihrer Kleides über ihre Schultern, so dass nun ihre andere Brust total entblößt war. Sie starrte ihn mit leicht geöffnetem Mund und halb geschlossenen Augen an. Er genoss ihren Anblick. Wo hatte er ähnliches gesehen, es war wie ein Gemälde, ihre linke mittlerweile vollkommen entblößte Brust und ihre rechte, unzüchtig verhüllt durch den Spitzenstoff, er wusste es nicht mehr, aber das, was er hier in Wirklichkeit sah und auch fühlte, war viel fantastischer als dieses Gemälde.

Sie drängte sich an ihn, und er begann ihren Mund zu küssen, während seine Hände weiterhin ihre Brüste streichelten, die eine nackte Brust und die andere verhüllte.

Sie bog sich ihm keuchend entgegen, und er hatte das Gefühl, der Reißverschluss seiner Hose würde platzen. Er nahm bedauernd seine Hände weg von ihr, hob sie hoch und setzte sie auf ihren Schreibtisch, der in der Ecke des Zimmers stand, diese Aktion hatte nicht viel Zeit gekostete, nichts von ihrer Erregung gedämpft, nein im Gegenteil sie war so fasziniert von seinem Tun, dass sie womöglich noch heftiger atmete.

Er zwängte seinen Oberschenkel zwischen ihre Beine, und sie hielt sich an ihm fest, drängte sich eng an ihn und rieb sich an ihm... nur der hauchdünne Spitzenstoff war zwischen ihrer Scham und seinem Oberschenkel.

„Es juckt“, sagte sie mit leicht zitternder Stimme.

„Süße, du weißt doch, immer wenn’s dich juckt, kannst du zu mir kommen.“

„Ooooh... Verdammt...“ Ihr Gesicht verzerrte sich, und er starrte ihr ins Gesicht, um es in aller Deutlichk...

„Ich muss mal pinkeln“, Irmas Stimme holte ihn aus seinen Tagträumen. Gut, auch ihre Stimme war schön, manchmal dunkel, manchmal nicht so dunkel.

„Was zum Teufel ist los mit dir? Hast du ’ne Blasenentzündung oder was?“ Es war schon das zweite Mal, dass Irma ihn anhalten ließ, nur weil sie pinkeln musste.

„Weiß nicht. Ich glaub, ich hab mir einen Virus eingefangen. Also bitte halt an!“

Als er endlich irgendwo anhalten konnte, verschwand sie eilig im Buschwerk und kam erst nach einer Weile wieder zurück. Irgendwie sah sie schlecht aus. Ihr blondes glattes Haar war ein wenig strähnig, als ob sie geschwitzt hätte, und ihr Gesicht sah sehr blass aus.

„Du siehst nicht gut aus“, sagte er besorgt.

„Ich schätze mal, es ist die Vorfreude. Es wird bestimmt grauenhaft werden...“

„Wir werden’s schon überleben“, sagte er vage, obwohl er nicht viel Hoffnung auf ein Überleben hatte. Ihre Eltern würden sich wahrscheinlich auf ihn stürzen, wahrscheinlich würden sie ihn als potentiellen Schwiegersohn ansehen, der ihr Töchterchen heiraten würde. Seltsamer Gedanke, heiraten? Als ob Irma jemals einen Mann heiraten würde, das war lachhaft. Sie war ja so versessen auf ihre Unabhängigkeit, vor allem in finanzieller Beziehung, sie würde es nie dulden, wenn ein Mann für sie sorgte. Herrgott, warum sollte er auch für sie sorgen müssen, sie hatte einen guten Job, arbeitet nur sechs Stunden am Tag, sie war wirklich so gut, dass sie diese Teilzeitarbeit ihrem Chef abgetrotzt hatte, als einzige in ihrer Firma, und sie schien gerne zu arbeiten. Aber er hatte noch nie eine Frau gekannt, die so versessen auf ihre Unabhängigkeit war. Warum also hatte er unbedingt mitfahren wollen? Er hatte keine Ahnung. Er wusste nur, dass er neugierig darauf war, ihre Familie kennen zu lernen. Vielleicht würde er dadurch Irma besser verstehen können.

 

Himmel Herrgott, diese Übelkeit war wahnsinnig lästig. Das war doch nicht normal! Dauernd war ihr schlecht, sie musste oft kotzen, so wie eben, sie sah mies aus, ihre Haare waren strähnig, und sie würde sie gleich in Daarau waschen müssen, denn so konnte sie sich unmöglich auf dieser Familienfeier blicken lassen.

Nein, diese Übelkeit war lästig. Es war mit Sicherheit ein Virus, irgend etwas magen-darmmäßiges. Wenn sie es allerdings nicht besser wüsste, würde sie meinen, sie wäre schwanger. Aber das konnte absolut nicht sein, denn sie hatte schon seit Jahren eine Spirale in sich, und die hatte noch nie versagt. Aber wenn doch? Irma fühlte, wie ihr der kalte Angstschweiß ausbrach..

Auch ihre Brüste waren voller geworden. Und diese Übelkeit. Dann fiel ihr siedendheiß ein – wie passend zum kalten Angstschweiß, dachte sie ironisch – dass sie schon zweimal ihre Periode nicht gehabt hatte. Sie war so froh darüber gewesen, denn mit der Spirale war ihre Periode immer ziemlich unangenehm verschärft, dass sie den Gedanken an die ausgebliebene Kacke verdrängt hatte.

Aber sie hatte doch die Spirale, und eine Schwangerschaft kam absolut nicht in Frage. Nein, nein, nein. Niemals! Es konnte nicht sein, es war ein Virus, und nach ihrer Rückkehr aus Daarau würde sie endlich zum Arzt gehen und sich behandeln lassen, denn so konnte es nicht weitergehen.

Allerdings würde sie zur Sicherheit ihren Onkel mal befragen, der war nämlich Frauenarzt und der Mann ihrer Tante Lisa. Die beiden würden auch zur Feier kommen. Nur so zur Sicherheit, denn... nein, alles Quatsch, es durfte nicht sein, und es konnte nicht sein.

 

Der Empfang im Hause ihrer Eltern fiel nicht peinlich aus, vielleicht deswegen, weil so viele Leute schon im Haus waren. Irma hatte kurz ihre Eltern umarmt, ihren Vater liebevoll und ihre Mutter flüchtig, und sie hatte ihnen Hardy vorgestellt als neuen Freund. Ihr Vater war natürlich hochbegeistert, sie mal wieder mit einem Kerl zusammen zu sehen. Na klar, Väter! Und sie stellte Hardy auch den anderen vor, die schon da waren. Und vor allem die Frauen natürlich, egal welchen Alters waren schwer beeindruckt von Mister Oliver Hartmann, seines Zeichens Mathelehrer, an die 1,95 groß und so attraktiv, dass man es kaum glauben konnte.

Von weitem sah Irma ihre Tante Lisa mit Onkel Norbert, und sie winkte ihnen zu, nahm Hardy bei der Hand und führte ihn zu ihnen. Denn Hardys Vater, der Proff, wie sie ihn nannten, hatte mit Onkel Norbert zusammen studiert, das war durch Zufall herausgekommen, als sie sich mit dem Proff am Billardtisch des Hauses unterhalten hatte, irgendwann, als sie noch nicht richtig mit Hardy zusammen war, sondern nur mit ihm schlief. Seitdem hatten der Proff und ihr Onkel wieder regen Kontakt miteinander. Der Proff war unwahrscheinlich nett, und sie hoffte, dass er die Katzen während ihrer Abwesenheit gut versorgte. Es war ja auch nur für eine Nacht.

Tante Lisa war hocherfreut, den blendend aussehenden Mathelehrer endlich in Persona kennen zulernen. Lisa war immer noch sehr hübsch, obwohl sie jetzt schon weit über vierzig war. Und Onkel Nobby hatte tatsächlich Hardy als Baby gesehen und auch seine früh verstorbene Mutter gekannt.

 

Der Abend verlief gar nicht übel. Hardy amüsierte sich mehr, als er erwartet hatte. Sogar mit Irmas Vater verstand er sich gut. Der alte Knabe erzählte interessante Geschichten aus der Politik in der Gemeinde, er war nämlich vor kurzem in den Gemeinderat gewählt worden.

„Mein Alter ist ein Arbeiterverräter“, sagte Irma zu ihm, als sie sich wieder trafen. „Der wechselt die Partei wie eine Hose. Und jetzt meint er, dass ich automatisch seine neuen Weisheiten übernehme.“

„Er ist intelligent“, meinte Hardy und schaute sie aufmerksam an. sie sah nicht mehr so schlecht aus wie auf der Fahrt. Sie hatte ihre Haare gewaschen, und sie fielen hell und glänzend auf ihre Schultern, ihr Gesicht sah klar aus, sie trug kaum Make Up und hatte nur ihre blauen Augen mit blauem Lidstrich betont. Lippenstift brauchte sie nicht, sie fand immer, dass ihre natürliche Lippenfarbe an schönsten war. Und das stimmte. Sie trug eine einfache schwarze Hose und dazu eine kurze taillierte Jacke, so eine Jacke hatte Hardy noch bei keiner anderen Frau gesehen, und schließlich stellte er fest, dass sie die Jacke wohl selber genäht haben musste. Darunter trug sie ein weißes T-Shirt aus Spitze, und das brachte ihn wieder zu dem weißen Spitzenkleid...

„Er ist zwar intelligent, aber er ist irgendwie ein Bastard, dreht sein Mäntelchen immer nach dem Wind und so... Und wie findest du meine Mutter?“

Hardy wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte. Er hatte bemerkt, dass Irma sich mit ihrer Mutter nicht verstand, die beiden führten keine vertraulichen Mutter-Tochter-Gespräche, sondern hielten sich auffällig fern voneinander.

„Die ist wohl nicht so intelligent“, brachte er schließlich heraus und überlegte, ob er vielleicht etwas Falsches gesagt hatte.

„Haha, das stimmt!“

 

Einer von Irmas Onkeln nahm ihn daraufhin in Beschlag, und sie wurden voneinander getrennt. Irma sah ihm lächelnd nach. Er konnte sich wirklich überall behaupten, kam mit fast jedem klar, und sie konnte sehen, dass er sich Mühe gab mit diesen Leuten, die er noch nie gesehen hatte. Wollte er ihr damit einen Gefallen tun?

Dann fiel ihr wieder ein, dass sie ihren Onkel Norbert etwas fragen wollte. Über Spiralen und so weiter... Allerdings war die Übelkeit weg, und sie fühlte sich blendend. Sogar die Zigarette, die sie zögernd rauchte, schmeckte ihr wieder, und das leichte Bier, das hier in der Umgebung gebraut wurde, war köstlich. Und es war wirklich sehr leicht. Von dem Zeug konnte man bottichweise trinken, man wurde einfach nicht besoffen. Sie ging langsam in Richtung Onkel Norbert, dem Frauenarzt, der gerade alleine herumstand.

 

Während Hardy mit einem von Irmas Onkeln plauderte, konnte er sehen, wie Irma sich mit ihrem angeheirateten Onkel Norbert unterhielt. Er mochte Nobby gut leiden, der Typ war echt witzig, er erzählte lustige Sachen aus seiner Praxis, unter anderem eine Geschichte, wie er nachts von einer Patientin angerufen wurde. Er sollte unbedingt bei ihr vorbeikommen, und es stellte sich heraus, dass nicht sie der Patient war sondern ihr Freund. Der hatte sich nämlich einen Vibrator in den Hintern gesteckt, das Ding hatte sich irgendwie festgefräst, und er kriegte es nicht mehr raus... Hardy hatte sich köstlich über diese Geschichte amüsiert.

Er sah zu, wie Irma sich mit Nobby unterhielt, und er sah auch, dass ihr Gesicht plötzlich wieder blass wurde und dass sie Nobby ungläubig anstarrte. Dann sagte sie etwas, und Nobby nickte mit dem Kopf, und ihr Gesicht wurde womöglich noch blasser. Sie schaute suchend umher, bis ihre Blicke ihn fanden, er wollte ihr zulächeln , aber sie schaute schnell wieder weg.

Was zum Teufel war denn jetzt schon wieder los? Er würde gleich mal bei Nobby vorbeigehen und ein bisschen auf den Putz klopfen.

 

Irma war entsetzt. Ihr Onkel Norbert hatte ihr gerade erklärt, dass man sehr wohl trotz einer Spirale schwanger werden konnte, und sie war so entsetzt gewesen, dass sie die Einzelheiten seiner Erklärung gar nicht richtig mitbekommen hatte. Nur die Tatsache, dass sie vielleicht schwanger war, die hatte sie verstanden.

Nein, es durfte nicht wahr sein! Es durfte nicht sein. Aber sie fühlte es, es war wahr, sie war schwanger, es fühlte sich schwanger an, denn sie hatte sich noch nie im Leben so gefühlt, diese Übelkeiten, das Ausbleiben ihrer Periode, ihr Busen war größer und empfindlicher geworden....

Was sollte sie jetzt tun? Sie wusste nur eines: Sie konnte es Hardy nicht sagen. Um Gottes Willen, nein...

Sie wollte kein Kind! Sie würde es abtreiben lassen. Es war bestimmt besser so. Und Hardy, dieser Mistkerl, der ihr das angetan hatte, der würde nichts davon erfahren. Nein sie konnte es nicht abtreiben lassen. Es war von Hardy... Mistkerl Mistkerl Mistkerl! Sie würde abhauen, sie würde die Katzen mitnehmen und abhauen. Sie würde das Kind bekommen, und es würde ihr ganz alleine gehören. Was war der Vater schon? Das bisschen, was der dazu gegeben hatte, konnte vernachlässigt werden. Oh ja, sie würde abhauen, das Kind zur Welt bringen und es lieben. Sie würde es nicht misshandeln, sie hatte ihre Katzen nicht misshandelt, und sie würde ihr Kind nicht misshandeln, egal ob seelisch oder körperlich...

Sie war nicht wie ihre Mutter.

Himmel, Hardy und ein Kind! Was würden seine Freunde denken? Sie würden denken, sie hätte es absichtlich gemacht, um ihn an sich zu ketten. Nein niemals! Hardy als Vater war sowieso absurd. Obwohl, mit Kindern umgehen konnte er, denn sonst wäre er nicht Lehrer geworden. Aber vielleicht war er nur Lehrer wegen des Numerus Clausus’ geworden. Egal egal egal, sie wollte nicht von ihm abhängig sein, sie wollte ihn nicht mit dieser ganzen Scheiße belästigen, es war ihr peinlich. Peinlich ja, wieso war ausgerechnet sie in diese biologische Falle getrapst wie eine Idiotin? Sie hatte doch immer aufgepasst. Und jetzt hatte es sie erwischt. Ja Mist! Mist und noch mal Mist!

Nein, Hardy hatte es nicht verdient, so unverhofft Kindsvater zu werden. Hardy war zu gut dafür, sie wollte seine Zukunft nicht durch so etwas vermasseln.

Sie würde ihn verlassen müssen. Es war besser so. Aber sie hatte Angst. Gewaltige Angst. Jetzt hatte sie endlich jemanden gefunden, den sie lieben konnte, und dann war es auch schon wieder vorbei. Wieder alleine zu sein würde schlimm sein, aber sie hatte ja das Kind.

Instinktiv drückte sie die Zigarette aus, sie würde nicht mehr rauchen, und trinken würde sie auch nicht mehr. Sie hoffte, dass sie nicht schon zuviel getrunken hatte, obwohl dieses Schwachbier bestimmt nicht viel Alkohol hatte. Trotzdem stellte sie ihr Bierglas weg und nahm sich von dem Orangensaft. Und sie entschloss sich, die ganze Sache erst einmal zu verdrängen, bis sie genaueres wusste. Obwohl... viel Hoffnung hatte sie nicht.

 

Später in der Nacht konnten sie endlich in ihr Zimmer gehen, das im Souterrain des Hauses lag.

Es war ein sehr hübsches Zimmer, ein Bauernschlafzimmer mit einem Doppelbett und zwei weichen dicken Federbettdecken, die man gut gebrauchen konnte, denn es war zwar schon Mitte März, aber immer noch lausig kalt in den Nächten, und hier auf dem Land war es auf jeden Fall kälter als in der Großstadt. Dazu gab es einen hübsch bemalten Bauernschrank, in dem sie ihre wenigen Sachen untergebracht hatten, denn für eine Nacht nimmt man nicht viel mit, und sie wollten am Morgen ziemlich früh wieder zurückfahren, wahrscheinlich schon nach dem Frühstück.

Sie fühlte sich ziemlich müde und zog sich rasch aus, sie hatte auch keine Lust mehr, zu duschen, obwohl das große Badezimmer direkt gegenüber sehr verlockend war.

Sie sah ihn an, aber er schaute weg von ihr. Was war los mit ihm? War die Feier so schrecklich gewesen? Sie machte die Nachttischlampe nicht aus, denn sie wollte ihn sehen, sie wollte ihn schmecken, ihn liebkosen, ihm Freude bereiten, denn es würde bald aus sein. Vielleicht. Nein, mit Sicherheit würde es aus sein.

 

Hardy legte sich wortlos in sein Bett, diese Betten waren barbarisch, mit dieser sogenannten Besucherritze in der Mitte, nie konnten zwei Personen in der Mitte liegen, nein immer musste einer von ihnen in das Bett des anderen ziehen. Und Hardy machte keinerlei Anstalten, in das Bett seiner Geliebten überzusiedeln.

Hardy wartete nämlich. Er wartete auf eine Aussage von ihr. Warum sagte sie es ihm nicht? Er war schließlich der Vater, er hatte es aus Nobby herausgequetscht. Er hatte so getan, als wüsste er, was Irma mit ihrem Onkel besprochen hatte, und Nobby war darauf hereingefallen und hatte ihm alles erzählt.

Zuerst hatte er natürlich unter Schock gestanden. Irma bekam höchstwahrscheinlich ein Kind, und er war der Vater. Natürlich, wer sonst? Sein Leben würde sich ändern, nein, es würde sich vielleicht nicht so ändern wie Irmas Leben, aber diese Vorstellung barg doch viel..., ja was barg sie? Erschreckendes? Nein eigentlich nicht, er war jetzt einunddreißig, und Irma war auch einunddreißig, und er konnte nicht ewig weitermachen mit den Kumpeln und mit den Wochenendausflügen, wo sie die Frauen angemacht hatten, das war wohl zu Ende, spätestens seit er Irma gebeten hatte, bei ihm einzuziehen. Und sein ganzer alter Freundeskreis löste sich allmählich auf, alle heirateten, bekamen Kinder und standen nicht mehr zur Verfügung. Aber das war egal. Er hatte sich für Irma entschieden, weil er sie liebte. Er liebte dieses sture undurchschaubare Weib, und er wusste absolut nicht warum. Aber er hatte es akzeptiert.

Er musste daran denken, wie er sie kennen gelernt hatte:

Vor der Tanzfläche im Kaleidoskop um halb drei Uhr morgens, und sie schaute den Tanzenden bei ihren Verrenkungen zu. Sie trug eine weite leinenfarbene Hose, eine kurze Jacke aus dem gleichem Stoff und dazu Stoffturnschuhe. Sie hatte halblange blonde Haare, und sie war sehr anziehend, sie war nicht unbedingt schön, aber interessant genug, um ihn anzumachen. Wirklich schöne Frauen hatte er genug gehabt, er versuchte es seit längerer Zeit mit den interessanten. Also quatschte er sie von der Seite her an, sie schaute ihn erstaunt an und konnte es wohl nicht glauben. Sie war es nicht gewohnt, viel angesprochen zu werden, denn sie verbreitete eine gewisse Distanz, nur ganz abgebrühte Männer scheuten nicht vor dieser Distanz zurück. Und er war solch ein Abgebrühter...

Also warum sagte sie es ihm nicht? Wie lange wollte sie damit warten? Herrgott, dieses Weib war einfach unmöglich, aber vermutlich liebte er sie deswegen so, und er wollte sie immer um sich haben und das Kleine natürlich auch. Sie würden tatsächlich eine Familie werden, so wie eine dieser Klischeefamilien aus dem Fernsehen, über die er sich immer kaputtgelacht hatte, aber mit Irma wäre es ganz anders... Er fing an, sich auf das Kind zu freuen, was wäre es wohl, ein Mädchen oder ein Junge? Ein kleines Mädchen, das aussah wie Irma, wäre nicht schlecht, aber ein Junge auch nicht...

Sie verzogen sich auf die Empore des Kalei, setzten sich dort auf eine Bank, er legte den Arm um sie, und sie hatte nichts dagegen. „Die steht auf mich“, dachte er belustigt. Dass Frauen auf ihn standen war natürlich normal, und diese hier schien die ideale Beute zu sein. Es war sehr spät, alle Kneipen im Umkreis hatten schon zu, und er fragte sie unschuldig, wohin man denn gehen könnte. Sie fiel darauf hinein wie eine Idiotin. „Wir könnten zu mir gehen“, schlug sie vor. „Ich hab aber noch einen Kumpel dabei“, sagte er. Er mochte diesen Kumpel nicht besonders, sondern verachtete ihn sogar ein bisschen, aber als Zuschauer war er immer willkommen. Clemens sollte mit ansehen, wie man eine Frau anmacht und rumkriegt.

Sie war einverstanden. Man nahm sich vor dem Kalei ein Taxi, und sein Kumpel musste die Zeche bezahlen. Hardy fand das sehr amüsant. Irma wohl weniger, denn sie schien ein wenig irritiert...

Warum machte sie keinerlei Anstalten, ihm etwas über das Kind zu sagen. Stattdessen rutschte sie auf seine Seite des Doppelbettes und schmiegte sich an ihn. Er machte sich ein wenig steif, er wollte es nicht, und das war wirklich selten, weil er sonst immer scharf darauf war, wenn sie ihn begehrte.

Er fühlte sich belogen.

 

Als Irma spürte, dass er aus irgendwelchen Gründen nicht in Stimmung war, überkam sie ein eiskaltes Gefühl. Hatte er schon die Nase voll von ihr? Es lief immer nach dem gleichen Schema ab. Jemand war in sie verliebt, aber sie sorgte dafür, dass er es nicht lange blieb und sie schließlich hasste.

Aber wenn sie ihn verlassen wollte, war es so viel leichter, wenn er sie hasste. Warum also tat es so weh?

Sie streichelte ihn mit ihren Händen, und sie streichelte ihn mit ihrem Mund, sie küsste jeden Zentimeter seiner Haut, fing an seiner Stirn an, küsste sich über seine herrlichen Lippen hinunter zu seinem Hals und schließlich zu seiner Brust. Verschwand schließlich ganz unter dem riesigen Federbett und widmete sich seinem Glied. Es war genauso schön wie seine Lippen oder wie alles an ihm. Er schmeckte so gut, und sie liebkoste mit den Händen seinen Schwanz und seine Hoden, er konnte sich nicht dagegen wehren, auch wenn er nicht in Stimmung war, sie nahm ihn in den Mund und begann, langsam und zärtlich, an ihm zu saugen.

 

Es brach ihn in Stücke, obwohl er es gar nicht wollte. Sie wollte ihn ja auch nicht...

Er ging mit Irma in die Küche, sie lehnte sich an die Arbeitsplatte, und er küsste sie. Sie fühlte sich wunderbar an, ihre Lippen waren weich und willig und ihr Körper sensationell. Er wollte sie unbedingt.

„Sollen wir nicht ins Schlafzimmer gehen?"

Irma starrte ihn fassungslos an.

„Na los“, er deutete mit der freien Hand auf die besagte Tür, von der er natürlich wusste, dass sie die Tür zu Irmas Schlafzimmer war.

„Nein, will ich nicht!“ Sie schien wütend sein, aber er beschloss, das zu ignorieren.

„Letztens bin ich mit der Freundin eines Kollegen ins Bett gegangen, und hinterher hab ich meinen Arm um sie gelegt – und sie hat mir von ihren Problemen erzählt.“ Klar, auch diese Frau hatte Probleme, er hatte sich das Türschild angeschaut, oh ja, er war gut in solchen Sachen, und auf dem Türschild standen ZWEI Namen, also hatte vor kurzer Zeit noch ihr Macker hier gewohnt, und jetzt war sie alleine. Die perfekte Beute also.

„Ich hab aber keine Probleme!“ Ihre Stimme klang hysterisch. „Und wenn ich mit jemanden ins Bett gehe, dann will ich nur bumsen.“

„Ich würde dich lecken, bis du mich anflehst, dich zu ficken...“

„Jeder Mann, der mit mir schläft, verliebt sich in mich. Und das kann ich keinem zumuten.“

Die Frau hatte wohl einen totalen Knall! Was bildete die sich ein!?! Er nahm seine Hände von ihr und trat einen Schritt zurück.

„Und außerdem bin ich sowieso frigide!“ Diese Aussage erstaunte sogar Hardy, der einiges von Frauen gewohnt war. Die war wirklich verrückt, und er hielt es für unter seiner Würde, ihr daraufhin eine Antwort zu geben.

Unwillig, weil sein Körper so willig reagierte, ergriff er ihren Kopf und presste ihn enger an sich, im gleichen Augenblick kam er zum Höhepunkt, zu einem qualvollen, aber trotzdem bombastischen Höhepunkt, weil er sich aus irgendwelchen Gründen vergewaltigt fühlte. Er? Vergewaltigt?

Den Rest der Nacht unterhielt sie sich mit seinem Kumpel Clemens. Clem hatte blendende Laune, der Idiot war natürlich befriedigt darüber, dass die Frau nicht sofort mit ihm ins Bett gegangen war. Und er, der verschmähte Hardy hatte schmollend neben ihr auf dem Sofa gesessen, ab und zu ein paar bissige Bemerkungen gemacht und versucht, ihr an die Brust zu fassen wie ein Teenager. Sie wäre fast darauf hineingefallen...

Außerdem hatte sie wirklich gute Musik auf ihren Kassetten. Er hatte nie etwas ähnliches gehört. Sie erzählte von den Bollock Brothers und wie deren Sänger in den Buckingham-Palace eingebrochen war, sich bei der Queen auf die Bettkante gesetzt und mit ihr einen Sherry getrunken hatte....

Ja, sie war amüsant und so anders als die üblichen, die man um halb drei Uhr morgens in irgendeiner Disco anmacht. Aber sie wollte nicht mit ihm schlafen – obwohl sie scharf darauf war, wollte sie es nicht.

Um zehn Uhr morgens warf Irma ihn und seinen Kumpel aus der Wohnung hinaus. Hardy hatte sich noch nie so sauer gefühlt, und er wusste, wenn er sie irgendwann noch einmal irgendwo treffen würde, dann würde er ihr das heimzahlen...

 

Irma tauchte schließlich erhitzt aus dem Federbett auf und wollte sich in seine Arme legen. Er schmeckte so gut, nie hätte sie gedacht, dass sie es mal mit Wonne schlucken würde, aber bei ihm....

„Warum hast du mir nichts von dem Kind gesagt?“

Das war nun wie eine eiskalte erschreckende Dusche.

„Weil es dich nichts angeht!“

„Ich bin ja nur der Vater oder was!“

„Stimmt, du bist nur der Vater. Was zum Teufel hast du schon groß dazugetan?“ Irma wurde allmählich sauer, vielleicht deswegen, weil sie sich in die Enge getrieben fühlte.

„Also, warum hast du mir nichts von dem Kind gesagt?“

„Es geht dich nichts an. Es ist einzig und allein meine Sache! Du brauchst dich nicht drum zu kümmern.“

„Ach, und wie soll das gehen?“

„Ganz einfach, ich werde weggehen. Ich brauch keinen Mann, ich werde es alleine schaffen! Und vor allem brauch ich keinen Mann, der nur aus Pflichtbewusstsein bei mir bleibt.“

„Sag mal, spinnst du?“

„Oh nein, ich bin eben realistisch.“

Hardy hört entgeistert zu, so einen Blödsinn hatte er noch nie gehört! Er holte tief Luft, musste ein bisschen überlegen, und jetzt wurde auch er richtig sauer:

„Pass mal auf, Mädel, was du realistisch nennst, nenne ich idiotisch. Was zum Teufel bildest du dir überhaupt ein! Bestimmt nur eine Menge dummes Zeug. Ich glaube, du hast dich kein bisschen geändert, du bist immer noch eingebildet und arrogant. Und vor allem bist du stolz, als ob Stolz eine gute Eigenschaft wäre. Was zum Teufel willst du, Zuckerpuppe? Ich dachte, ich hätte dir klargemacht, was ich für dich fühle, aber nein, Irma spinnt. Irma spinnt weiter. Was also willst du?“ Hardy musste tief Luft holen nach dieser für ihn sehr langen Rede.

„Nichts will ich.“ Irma schwang die Beine aus dem Bett, setzte sich auf, griff sich das blaue Flanellhemd, das neben ihrem Bett lag und begann langsam, es sich überzustreifen. Sie hatte es eigentlich nur zur Sicherheit mitgenommen, denn die Nächte in Daarau konnten sehr kalt sein.

„Irma, ich verstehe dich nicht. Du hast acht Jahre mit diesem Arschloch zusammengelebt und dir einiges gefallen lassen. Ich würde dich nie so behandeln wie dieses Arschloch. Warum also willst du weg von mir?“

„Weil es bei dir anders ist“, sagte Irma nach kurzem Überlegen.

„Wie anders?“

„Das hat dich auch nichts anzugehen!“

„Bitte Irma, überleg doch mal, was willst du, eine Liebeserklärung, die kannst du haben, ich liebe dich, und es fällt mir schwer, dir das zu sagen, ich bin’s eben nicht gewohnt, ich weiß nur, dass du bei mir bleiben sollst. Wir können es schaffen, nein, wir werden es schaffen...“ Hardy war es egal, ob er sich lächerlich machte, und das war wirklich erstaunlich bei einem so arroganten Typen wie ihm. Das dachte er in einem weit entfernten Winkel seines Gehirns.

„Klar, und ich wäre von dir abhängig,“ sagte sie bitter.

„Himmel, es ist doch vollkommen egal, wer von wem abhängig ist. Lass es doch einfach zu, verdammt noch mal Irma, vertrau mir.“

„Warum sollte ich dir vertrauen?“ Irma war fertig mit dem Anziehen und stand auf.

„Na gut, dann hau doch ab! Werd erst mal erwachsen, dann kannst du wiederkommen. Und ich wette, du hast überhaupt keine Ahnung, was das heißt, ein Mann und eine Frau.“

„Aber du hast bestimmt wahnsinnig viel Ahnung davon...“

„Ich habe da so Vorstellungen. Also was willst du, Zuckerpuppe? Reiß dir den Mist aus deinem Kopf. Du verachtest die Männer, nicht wahr, Warum? Was hat man dir angetan? Und du verachtest dich selber? Warum?“

„Scheiße!“ Was maßte er sich an? Er konnte doch nicht wissen, was in ihr vorging. Oder doch? Es war unheimlich.

„Na gut, hau ab! Du bist eben ein Feigling, du hättest nie den Mut, mit mir wirklich zusammenzuleben, du hast dich immer wie ein Gast verhalten. Genau wie ein Gast. Warum?“

Irma spazierte barfuß und nur mit ihrem Flanellhemd bekleidet aus dem Zimmer, ohne zurückzublicken.

Er fühlte den fast unwiderstehlichen Drang, ihr hinterher zu laufen und sie in seine Arme zu nehmen. Aber er wusste, wenn er das täte, hätte es keinen Erfolg. Sie musste es mit sich selber ausmachen, und er hoffte, sie würde sich für ihn entscheiden. Oder sollte er ihr doch hinterher laufen? Obwohl er es sich wünschte, tat er es nicht. Es war an der Zeit, dass sie erkannte, was er für sie fühlte, und wenn sie etwas für ihn fühlte, dann würde sie zurückkommen. Wenn er sie jetzt suchte, dann würde sie es ihm als Schwäche auslegen und... ja was würde passieren? Er hatte keine Ahnung, er wusste nur, dass sie sich endlich eingestehen musste, dass sie ihn liebte. Vermessener Gedanke. Aber es stimmte. Er hatte es gespürt, wenn er in ihr war..

Aber wahrscheinlich würde sie ihn verlassen. Mit dem Kind. Vielleicht sollte er ihr doch hinterher laufen. Nein, besser nicht, es hatte mit Respekt zu tun, mit beiderseitigem Respekt, und instinktiv wusste er, Irma würde nie einen Mann akzeptieren, der ihr nachgab. Und sie musste einfach lernen, ein Risiko einzugehen, sie musste lernen, zu lieben, denn lieben war schön, das hatte er selber in den letzten Monaten gelernt.

Also zwang er sich dazu, ihr nicht hinterher zulaufen und sie nicht zu suchen. Und das fiel ihm schwer. Wahrscheinlich war alles zu Ende, und sie würde ihn verlassen. Verdammt, dabei hatten sie es doch so gut! Der Proff und er wohnten im gleichen Haus, es gehörte ihnen, und sie bezahlten also nur die Nebenkosten, man könnte jederzeit den Keller ausbauen, vielleicht für ein Kinderzimmer. Es gab einen Garten, der von Backsteinmauern umgeben war, vielleicht konnte Irma etwas damit anfangen. Er versank in diesen Vorstellungen und träumte vor sich hin, bis er merkte, dass die Finsternis im Zimmer einer gewissen unbestimmten Morgendämmerung gewichen war.

Blöde war nur, Irmgard war immer noch weg. Warum war er ihr nicht hinterher gelaufen? Hatte er sie zu hart angefasst? Aber wer soviel austeilte wie sie, der musste auch einstecken können. Aber seine Worte taten ihm leid. Er hasste es, ihr weh zu tun.

Und wieder erinnerte er sich: 

Es mussten zwei Monate vergehen, bis sie sich wiedersahen. Er hatte sie nicht vergessen können, beziehungsweise nicht den Groll vergessen können, der ihn überkam, wenn er an sie dachte – und er musst oft an sie denken. Einmal wählte er ihre Telefonnummer, sie stand tatsächlich im Telefonbuch unter dem Namen, den er an ihrer Klingel gesehen hatte, und den er sich aus unbekannten Gründen gemerkt hatte.

„Ich will dich ficken“, sagte er. Herrgott, was sollte das? Warum sagte er so etwas?

„Na klar! Fick dich doch selber!“ Damit knallte sie den Hörer auf die Gabel, so hörte es sich jedenfalls an.

Zwei Monate später allerdings informierte Clem ihn darüber, dass er sie getroffen hatte. Sie gab eine Party und hatte Clem eingeladen. Clem hatte sie gefragt, ob er, Hardy, auch kommen könnte, und nach kurzem Zögern hatte sie gesagt: „Klar, warum nicht.“

Die Gelegenheit, ihr das heimzuzahlen, was sie verdiente, war endlich gekommen.

Sie hatten sich den ganzen Abend nicht mit dem Arsch angeguckt, zumindest hatten sie so getan, obwohl sie sich immer im Auge behielten. Hardy checkte ab, ob irgendeiner der anwesenden Typen ihr nahestand, klar da war einer, der unzweifelhaft in sie verliebt war, und Irma, diese blöde Nuss, die merkte das gar nicht. Nach kurzer Zeit war er sich hundertprozentig sicher, dass sie mit keinem der Männer was hatte. Das war gut so...

Er blieb so lange, bis auch der letzte Besucher verschwunden war, der letzte Besucher war übrigens sein Freund Clem, der ihn und Irma misstrauisch beäugte, denn Clem wusste absolut nicht, was zwischen ihnen beiden vorging.

Nachdem Clem weg war, fragte er Irma, ob er bei ihr übernachten könnte. Er würde sich seinen Schlafsack aus dem Auto holen...

„Du kannst auch in meinem Bett schlafen“, sagt sie, und damit war für ihn alles klar.

Als sie nach endlosem Aufräumen und Spülen des schmutzigen Geschirrs ins Bett kam – na klar sie hatte Schiss irgendwie – da hatte er... jetzt tat es ihm leid, aber damals hatte er nur auf seinem sogenannten Recht bestanden, sie zu haben, und ihre Reaktion hatte ihn bestätigt. Erstens hatte sie sich nicht gewehrt und zweitens hatte sie reagiert. Heftig reagiert. Und das alles war ohne Anfassen passiert, keine zärtlichen Berührungen und keine Küsse. Er wollte es nicht anders, er wollte nur das Gefühl, sie sich zu unterwerfen.

Am Morgen schliefen sie ein zweites Mal miteinander, und da verspürte er seltsamerweise das Bedürfnis, sie zu liebkosen, aber sie schien es nicht zu wünschen, also ließ er es sein.

Sie war ziemlich fertig, sah auch nicht besonders gut aus, aber sie unterhielt sich tapfer mit ihm, allerdings ohne jede körperliche geschweige denn seelische Vertrautheit. Warum kuschelte sie sich nicht an ihn und erzählte ihm etwas über ihre Probleme. Nein, sie war so cool und amüsant, dass er sauer darüber wurde und sie nach dem Frühstück in der Gegend herumschleifte. Und in der Gegend, beziehungsweise in einem Wäldchen unterhielten sie sich über Douglas Adams und über ‚per Anhalter durch die Galaxis’ Sie kannte sich recht gut darin aus, was ihn wunderte, denn bis jetzt hatte er noch keine Frau getroffen, die sich für so etwas interessierte.

Sie verabschiedeten sich am frühen Nachmittag ziemlich kühl voneinander, und sie wünschte ihm einen schönen Urlaub, Er wollte nämlich am nächsten Tag nach Mallorca fliegen, ganz alleine.

„Ich ruf dich an“, sagte er bei diesem kühlen Abschied, ohne es wirklich so zu meinen. Aber seltsamerweise war es auf Mallorca nicht so toll, wie er es sich vorgestellt hatte. Es gab dort keine interessanten Frauen, nicht eine davon war auch nur annähernd so interessant wie Irma, und als er schließlich mit einer wunderbar aussehenden Frau schlief, da war es total nichtssagend und verwaschen, Und es war absolut unbefriedigend. Er erkannte, dass er mit Irma immer noch nicht fertig war und rief sie an, eine Woche nachdem er wieder zu Hause war. Und damit begann ihre Affäre, anders konnte er dieses Verhältnis nicht nennen.

Drei Monate später hatte sich immer noch nichts in ihrem Verhalten geändert. Sie hatten fantastischen Sex miteinander, aber gefühlsmäßig lief da nichts ab, zumindest nicht von ihrer Seite, und er hatte Angst davor, ihr seine Gefühle zu zeigen, weil er sich sehr unsicher fühlte.

Bis ihm dann eines Tages der Kragen platzte. Denn das Mädel hatte es ein wenig zu weit getrieben...

 

Irma saß eine Etage höher auf dem Sofa des Wohnzimmers und starrte vor sich hin. Es war kalt, die Heizkörper waren gerade einmal lauwarm, wahrscheinlich durch die Nachtabsenkung, und sie fühlte sich schrecklich.

Es war alles so schnell gekommen, sie hatte sich nie ein Kind gewünscht, nein, sie wollte immer unabhängig sein. Und dann ausgerechnet von Hardy. Als ob es nicht schon schlimm genug war, ihn zu lieben, das Kind würde sie noch abhängiger von ihm machen. Und das war nicht gut.

Ich hab Angst, das war alles, was sie dachte. Angst, Angst, Angst, immer nur Angst. Sie wollte keine Angst mehr haben. Was aber wollte sie? Sie wusste es nicht.

Vor ein paar Monaten hatte sie in einem anderem Bett hier die Nacht verbracht, ganz allein, und sie hatte sich nach Hardy gesehnt, hatte sich nach seinem harten Körper gesehnt und sich vorgestellt, wie es wäre, wenn sie sich an ihn schmiegen könnte. Und sie hatte festgestellt, dass sie dann glücklich wäre und endlich das gefunden hätte, wonach sie sich immer gesehnt hatte. Ausgerechnet nach Hardy! Das war absurd, aber es war richtig.

Aber wovor hatte sie Angst? Sie saß auf dem Sofa im Wohnzimmer ihrer Eltern ganz im Dunklen, hatte die Knie fest an sich gezogen und mit ihren Armen umschlungen, und sie wiegte sich selber in eine Trance hinein, um besser nachdenken zu können.

Ihre Mutter war wohl der Schlüsselpunkt. Wie hatte es angefangen? Wann hatten sie begonnen, sich zu hassen. Irma wusste nur, dass sie irgendwann ihr Herz verhärtet hatte, um nicht von ihrer Mutter verletzt werden zu können. Um von niemanden verletzt werden zu können. Und sie hatte nie wirkliche Gefühle für ihre Männer gehabt, sie hatte immer nur die genommen, die schwer in sie verliebt waren. Und dann hatte sie durch ihre Lieblosigkeit und durch ihr Verhalten diese Liebe zerstört. Es war immer das gleiche gewesen.

Bruchstücke von früheren Erlebnissen zogen durch ihre Gedanken:

Ein zerrissenes Kleid und die damit verbundene Angst, von der Mutter erwischt zu werden, dann der Triumph darüber, ihre Mutter hinters Licht geführt zu haben, ein Schlag ins Gesicht für etwas, wovon sie nicht wusste, dass sie es getan hatte, mitleidige Blicke ihrer Tante, Getuschel unter anderen Tanten.

Du verstocktes Luder!

Du bringst mich nicht zum Weinen!

Verhärtet, versteinert, nur auf Sicherheit bedacht, nur kein Risiko. Wie kann mich jemand lieben? Meine eigene Mutter hasst mich. Wie kann ich mich selber lieben? Meine eigene Mutter hasst mich.

Sie liebte diesen verdammten Kerl, und dass machte ihr Angst, denn Liebe macht verletzlich, und das wiederum verschafft einem Angst. Sie hatte Angst vor ihren Gefühlen, denn Gefühle machen verletzlich, und das wiederum verschafft einem Angst. Angst, immer wieder Angst. Und mit einem Kind würde sie ihre letzte Unabhängigkeit aufgeben, nämlich ihren Job, denn es kam nicht in Frage, dass sie das Kind von jemand anderem aufziehen lassen würde. Aber dann wäre sie nicht nur gefühlsmäßig von Hardy abhängig, sondern auch noch finanziell.

 

Plötzlich hat sie das Gefühl, jemand sitzt neben ihr, wie ein déjà vue kommt es ihr vor. Wie früher vor vielen Jahren, als sie auf den ausgewaschenen Waldwegen in der Abenddämmerung spazieren ging. Auch damals hat sie das Gefühl gehabt, jemand wäre neben ihr. Aber es war niemals jemand da.

Aber diesmal ist jemand da, es ist ein schemenhaft aussehendes Kind mit hellblonden fast weißen Haaren, vielleicht sechs Jahre alt. Eine seltsame Vision. Ein Spuk. Ich fange an zu spinnen, denkt Irma bitter und ignoriert die schemenhafte Gestalt. Jetzt hat sie auch noch Wahnvorstellungen!

 

Sie denkt wieder an den Traum, diesen Alptraum von den Türen, die sich in Wände verwandeln. Aber ist ihr normales Leben nicht schon ein Alptraum gewesen? Sie hat alles blockiert, was Gefühle und die damit verbundenen Verletzungen zuließ, sie hat jede Tür missachtet, die ihr offen stand. Sie hat jahrelang mit einem Mann zusammengelebt und sich von ihm quälen lassen. Warum hat sie sich das gefallen lassen? Weil er ihr egal war. Er konnte ihr in Wirklichkeit nichts anhaben, weil sie absolut nichts für ihn empfand. Ja, so sind die Tatsachen eben, Irma sitzt auf dem Sofa ihrer Eltern, übermüdet, ihr ist kalt, und sie schaukelt sich weiter in eine Trance hinein.

 

Der Traum fängt an:  Der Traum von dem Hochhaus, wo sich alle Türen in Wände verwandeln, wenn sie auf sie zugeht und sie in schließlich diesem Gebäude hoffnungslos herumirrt, denn sie ist dort gefangen.

Bis sie dann plötzlich am Ende des Korridors ein schwarzes Loch sieht.

Beim Näherkommen erkennt sie, dass es sich bei diesem schwarzen Loch um eine Öffnung nach draußen handelt. Die ist neu.

Sie geht darauf zu und steht plötzlich auf einer großen balkonartigen Plattform. Draußen ist es dunkel. Die Großstadt liegt unter ihr. Am Himmel strahlt Orion, der Jäger. Sie kann sein Schwertgehänge ganz deutlich erkennen.

Die Plattform liegt mindestens im achtzehnten Stock, also ganz oben, das weiß sie genau. Und hat kein Geländer...

Kein Geländer! Grauenhaft. Sie will weg von hier. Sie hat Angst vor der Höhe.

Sie will wieder zurückgehen in das Gebäude, aber die Öffnung hat sich mittlerweile verwandelt. In was? Na klar, in eine nackte Wand. Sie kann nicht mehr zurück.

Sie wirft sich auf die Plattform, so weit wie möglich von ihrem äußeren Rand entfernt und versucht, sich mit den Händen im Beton festzukrallen.

Es geht nicht, sie wird immer leichter, steigt nach oben, sinkt herab und steigt wieder nach oben. Jedes Mal höher, jedes Mal schneller...

Irgendwann wird sie beim Hinuntersinken die Plattform verfehlen. Und dann wird sie abstürzen.

Nein! HILFE! Sie glaubt, dass sie schreit.

Sie spürt eine hauchzarte Berührung an ihrer Hand und schaut verschreckt neben sich. Es ist das Kind, es hat sie an der Hand berührt, und sie weiß auf einmal, das Kind ist ihr jüngeres ICH, eines von vielen Tausenden und wahrscheinlich eines, das noch nicht viel Böses erfahren hat. Es sieht unschuldig und glücklich aus. Irma werden die Augen feucht. sie denkt daran, was das Kind alles erleben wird und wie es dadurch verändert werden wird.

Du musst durch das Loch, sagt das Kind, und Irma wundert sich schwer darüber. Woher will so ein kleines Kind wissen, was ein Schwarzes Loch ist? Irma wundert sich auch darüber, dass es sich bei dem Loch selbstverständlich um ein Schwarzes Loch handelt.

Lass es zu, lass es zu!

Was denn, was denn?

Wenn du da durch gehst,

dann kommst du dahin,

wo es besser für dich ist.

Du weißt doch, Schwarze

Löcher führen irgendwohin.

Und dieses führt in ein Weißes

Loch und in ein anderes Universum.

Wie bei Star Trek, denkt Irma, aber es hat was.

Es kann nicht viel schaden, denkt sie, schließt die Augen und lässt sich fallen, nein ein Fallen ist es nicht, es ist eher wie ein Emporgehobenwerden...

 

...Aber mit Hardy war es etwas anderes. Sie hatte Gefühle für ihn, und ergo konnte er ihr etwas antun. Aber... an dieser Stelle fühlte Irma, wie kalt ihre Füße geworden waren, sie schüttelte den Kopf und machte sich auf, um zu Hardy zu gehen, und sie beeilte sich, die Treppe hinunterzulaufen. Wieso war sie so gemein zu ihm gewesen? Hardy würde ihr nichts antun, das war ihr auf einmal so klar, dass sie erstaunt war. Alles war auf einmal so klar. Sie wollte nicht mehr tot sein. Sie wollte leben. Und sie konnte zwar ohne ihn leben, aber es würde erbärmlich und leer sein, dieses sogenannte Leben.

 

Er hörte in seinem qualvollen Halbschlaf, wie sich die Tür öffnete, und er ahnte mehr als er sah, dass sie an der Tür stehen geblieben war. Na endlich! Aber sie zögerte immer noch. Na gut...

Er erhob sich also aus dem Bett, trat auf sie zu und umarmte sie. Sie fühlte sich kalt an, und instinktiv hob er sie auf seine Arme und legte sie auf sein Bett. Tatsächlich hatte sie eiskalte Füße. Wieder einmal. Hardy musste lächeln, immer in Krisensituationen hatte sie eiskalte Füße, genau wie vor vier Monaten, als sie in der Stadt herumgerannt war im Regen und er sie schließlich klatschnass im Kaleidoskop gefunden hatte. Er hatte gedacht, damals hätte eine neue bessere Zeit für sie begonnen, aber sie war wohl immer noch nicht bereit dafür gewesen.

„Himmel, verdammt noch mal, du wirst dir den Tod holen.“ Er legte sich neben sie, breitete das üppige Federbett über sie aus und versuchte, ihren Körper zu erwärmen.

Sie sagte nichts.

„Wieso hast du eigentlich immer kalte Füße, wenn sich irgendwas bei dir tut?“

„Weiß nicht“, sagte sie ziemlich kleinlaut. Sie verhielt sich sehr ruhig, sehr passiv, und er hatte keinen blassen Schimmer, was los war, aber sie würde es ihm vielleicht sagen.

„Hardy...“

„Was ist denn, Süße?“

„Wieso treibst du mich immer so weit?“

„Tue ich das?“

„Ja das tust du, immer wieder. Ich habe kalte Füße...“

„Das fühle ich“, sagte Hardy, griff sich einen von ihren Füßen und wärmte ihn in seiner Hand.

„Nicht nur körperlich... Vor allem hab ich kalte Füße, wenn ich an die Zukunft denke.

„Du brauchst keine kalten Füße haben.“

„Ja, ich weiß... Aber ich weiß nicht, was mit mir los ist.“

„Süße, du weißt doch, du kannst mir alles sagen.“

„Klar doch, du bist ja der große Problemfresser.“ Irmas Stimme klang ein wenig säuerlich, denn sie war immer noch empört über die Vorstellung, Hardy im Bett zu sehen mit irgendeiner Tussi, um die er den Arm gelegt hatte nach dem Beischlaf und so weiter. Aber das war vorbei. Endgültig vorbei.

„Aber kannst du es auch verstehen?“ meinte sie zögernd.

„Ich werde mich bemühen“, sagte Hardy und küsste sie auf die Stirn. Früher hatte er alle Frauen auf die Stirn geküsst, es war eine gute und billige Anmache von ihm gewesen, und sie waren reihenweise darauf hineingefallen. Und dann hatte es ihn selber erwischt. Und es war gut. Besser als er es sich jemals hatte vorstellen können.

„Weißt du, dass du mich wachgemacht hast?“

„Äääh ja?“

„Ich meine, seitdem ich dich kenne, lebe ich. Vorher war ich tot, ich bin nie ein Risiko eingegangen, habe immer nur Männer genommen, die vorgaben mich zu lieben. Und dann habe ich alles selber zerstört.“

„Warum hast du das?“

„Es war wie ein Muster, eine Schablone. Ich bin nichts wert, also kann mich keiner lieben, und wer mich liebt, der hat selber Schuld.

„Aber warum, Irma?“

„Weiß nicht. Aber es kommt bestimmt von meiner Mutter. Die hat mich immer gehasst, warum weiß ich auch nicht. Ach Scheiße!!!“

„Komm her Süße.“ Hardy zog sie noch enger an sich.

„Aber bei dir war es anders.“

„Warum?“

„Ich glaube, du hast mich wachgeküsst“, Irma streichelte seine Hand, „so wie Dornröschen wachgeküsst wurde“, sie musste leise kichern, „obwohl, wachgeküsst ist nicht der richtige Ausdruck...“

„Dann sag mir doch den richtigen Ausdruck.“

„Durch dich habe ich irgendwie richtig zu leben begonnen. Du hast mir die Lust beigebracht, und du hast mir die Gefühle verschafft. Ich weiß immer noch nicht, wie du das gemacht hast.“

„Es ist eben so“, sagte Hardy zärtlich, „und wenn mir einer erzählt hätte, dass du die Liebe meines Lebens sein würdest, dann hätte ich ihn ausgelacht.“

„Ist das wahr?“

„Klar hätte ich ihn ausgelacht!“ Hardy nahm ihre Hand und küsste sie.

„Oh Gott! Ich habe so ein großes Glück! Ich wollte dich verlassen, aber ich konnte es nicht, sag Hardy, haben wir nicht großes Glück?“

„Das haben wir, Süße.“ Hardy zog sie noch enger an sich und wärmte auch ihren letzten kalten Körperteil. Es war ihr Hintern.

„Ich will nach Hause, Hardy...“

„Wir fahren gleich nach dem Frühstück, Süße.“

„Aber eigentlich bin ich zu Hause“, murmelte sie, während sie sich seinen wärmenden Händen überließ und ein Entzücken empfand, das unbeschreiblich war. Er wärmte sie auf bis in die letzten Fasern ihres Körpers.

„Was meinst du, Süße?“

„Home is where my heart is…” Irma war so eingehüllt von seiner Wärme und seiner Liebe, dass sie langsam aber unaufhaltsam in einen befriedigenden Schlaf glitt.

 

LOVE STORY Epilog

Der Besuch war vorbei. Endlich!

Irma saß im Auto, und sie war begierig darauf, endlich von hier weg zu kommen. Sie hatte sich in gewohnt kühler Art von ihrer Mutter verabschiedet, und sie hatte festgestellt, dass ihre Mutter unsicher war. Warum war sie wohl unsicher? Irma beschlich ein seltsames Gefühl, ein Gefühl des Bedauerns, ein vages Gefühl, aber sie wollte über dieses Gefühl nachdenken. Wann hatte es eigentlich angefangen mit diesem gegenseitigen Hass? Oder war es gar kein Hass, sondern alles nur ein Missverständnis? Sie würde darüber nachdenken müssen. Ja.

Sie sah, wie Hardy mit ihrem Vater sprach; ihr Vater fing an zu grinsen, und Hardy stieg endlich ins Auto. Was zum Teufel hatte Hardy mit ihrem Vater zu schaffen? Diese Allianz unter Männern war ihr nicht ganz geheuer, aber es war ihr im Grunde egal, was Hardy mit ihrem Vater ausheckte, sie freute sich auf ihr Leben, sie freute sich auf ihr Kind, und sie freute sich... eigentlich über alles im Augenblick. Es war so ein wundervoller Moment, sie wollte ihn genießen, denn es würden bestimmt schlechtere Momente kommen.

Sie musste es jedenfalls versuchen, sie würde Hardy lieben, und vielleicht war sie seiner Liebe ja wert, trotz ihrer Unzulänglichkeiten. Ein Leben ohne Liebe war nichts. Klar, sie war von vielen Männer geliebt worden, aber sie hatte ihnen nie etwas zurückgeben können. Aber dieses Mal war sie so randvoll mit Liebe, mit uneigennütziger Liebe, denn sie wollte Hardy glücklich machen, ihr Kind natürlich auch, und vor allem wollte sie sich selber glücklich machen. Zumindest manchmal, denn Irma war sich sehr wohl bewusst, dass Glück kein permanenter Zustand ist.

Endlich fuhren sie los. Nach dem üblichen Winken und als ihre Eltern nicht mehr zu sehen waren, seufzte Irma tief auf. Sie zog sich die Schuhe aus, legte die Füße auf das Armaturenbrett und wollte ein bisschen schlafen, denn sie war immer noch total erledigt von der letzten eher schlafarmen Nacht.

„Irma?“

„Was ist denn, Hardy?“

„Sag mal Süße, bist du mir eigentlich böse wegen damals, weißt du, als wir das erstemal...“ Irgendwie konnte er nicht weiterreden.

„Böse weswegen?“ Irma war vollkommen ahnungslos.

„Na ja, ich hab dich nicht gefragt, ob du...“ wieder konnte er nicht weiterreden.

„Ach das!“ Irma hatte endlich kapiert, und sie freute sich darüber, dass er sich Sorgen um diesen Teil ihrer Beziehung machte, der lange schon vorbei war.

„Wenn ich einen Kerl in mein Bett bitte“, sagte sie und lächelte ein wenig gemein, so kam es ihm jedenfalls vor, „dann erwarte ich etwas von ihm.“

„Ach! Und was?“

„Na, du weißt schon. Ich bin eben keine anständige Frau, die einen Kerl in ihr Bett einlädt, sich dann fast nackt neben ihn legt und die dann empört ist, wenn er Gefühle kriegt.“ Irma fing an zu kichern.

„Da bin ich aber froh.“ Hardys Stimme klang erleichtert, und er griff nach ihrer Hand und führte sie an seine Lippen. Sie sah ihm dabei zu wie ein hypnotisiertes Kaninchen, er bemerkte, dass sie tatsächlich ein wenig rot im Gesicht wurde, und er spürte auch, dass sie ihm ihre Hand entziehen wollte. Aber er hielt sie fest, diese Hand.

„Du hättest aber ruhig ein bisschen netter zu mir sein können.“ Bei diesen Worten sah sie irgendwie scheu aus, wie er mit einem kurzen Blick zur Seite feststellte.

„Ja, ich weiß.“ Hardy zog wieder ihre Hand an seine Lippen, aber nach ein paar Sekunden gab er sie frei, denn er musste sich wohl oder übel auf die Straße konzentrieren.

Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, und Irma lehnte sich wieder entspannt zurück, um ein wenig zu schlafen, wurde aber wieder von Hardys Stimme aus dem Fastschlummer geholt.

„Sag mal, Süße, warum wolltest du übrigens dieses Spitzenkleid nicht tragen?“

Sie stutzte und starrte ihn an. Er erinnerte sich an das Spitzenkleid? Dann lächelte sie.

„Ach weißt du, ich hatte dieses Kleid schon einmal an. Als ich mit einem Mann zusammen war. Er war ziemlich verliebt in mich.“ Sie schaute Hardy an, als wollte sie ihn dafür um Verzeihung bitten, dass dieser Mann ziemlich verliebt in sie gewesen war, bevor sie fortfuhr: „Ich aber nicht in ihn, ich hab dieses Kleid extra angezogen, um ihn fertig zu machen. Irgendwie... Oh Gott war ich gemein damals.“ Sie senkte verlegen den Blick.

„Ach... Aber...“

„Ich wollte dich nicht manipulieren. Nicht mit diesem Kleid.“

„Aha... Aber ich glaub nicht, dass es an dem Kleid liegt, wenn du mich manipulierst.“

„Ich schmeiß es weg und kauf mir ein neues.“

„Aber was ähnliches.“ Hardy machte ein gewollt lüsternes Gesicht.

„Wenn ich was ähnliches kriege.“ Irma überlegte ein bisschen und musste dann lachen. „Es sieht bestimmt toll aus, wenn mein Bauch... Nein Hilfe!“

„Ach was, dir steht alles“, sagte Hardy und grinste sie auf seine unnachahmliche Art an.

„Wenn du das sagst...“ Irma beschloss, ihm diese Worte zu glauben und machte es sich wieder bequem

„Irma?“

„Was zum Geier...“

„Ich blick hier nicht durch. Auf welche Autobahn müssen wir denn?“

Irma seufzte auf.  „Okay okay, ich kenn den Weg besser als du. Also werde ich auch fahren!“

Als Hardy endlich irgendwo anhalten konnte, stiegen sie aus dem Auto, trafen sich und schauten sich wortlos an. Irma wollte ihn unbedingt berühren, und sie tat es auch. Sie schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihren Körper an den seinen.

Hardy schob sie ein wenig zurück, er lächelte auf die ihm eigene Art, und sie liebte diese ihm eigene Art.

„Was meinst du, Süße? Hier und jetzt sofort?“

„Oh nein, nicht jetzt.“ Ihre Stimme klang bedauernd und zugleich verheißungsvoll. „Aber wir sind ja bald zu Hause...“

Sie fuhren los, und schließlich war es Hardy, der bald darauf sanft entschlummerte.

Irma schaute kurz liebevoll zu ihm hin und dachte: „Männer!“

ENDE

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© 2005 by Ingrid (wie alles andere)

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