GONE WITH THE DEATH? – Teil 5-6
Teil 5 – FRAUENSACHEN –
MÄNNERSACHEN…
Sie
fuhren los, hielten noch an einem Supermarkt an, kauften auf die Schnelle alles
ein, was man so zum Leben brauchte, nämlich jede Menge gefrorene Steaks,
Barbecuesoßen, Zwiebeln, Fertigsalate- und Soßen, jede Menge Käse, Brot zum
Aufbacken, Diätmargarine, Dosenbier und Cola, Kaffee, Popcorn für die
Mikrowelle, jede Menge Chips – und mehrere Fernsehzeitschriften.
„Wie
findest du es?“, fragte Spike, als sie von der Hauptstraße auf den langen
Privatweg abgebogen waren und das Steinhaus langsam in Sicht kam.
„Sieht
interessant aus. Wie bist du drangekommen?“
„Deine
Firma hat’s mir quasi an den Hals geworfen“, meinte Spike nachdenklich. „Ich
frage mich, welchen Wert ich für die haben könnte.“
„Es ist
nicht mehr meine Firma. Aber es stimmt, von denen kriegt man nichts umsonst.
Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie von dir wollen. Es sei denn,
es hätte wirklich mit dem Amulett zu tun... Weißt du etwas darüber?“
„Nicht
die Bohne!“ Spike warf ihr einen forschenden Blick zu und erwartete eigentlich
weitere Fragen, aber sie schwieg.
Sie
waren vor dem Haus angekommen, und Spike parkte das Auto auf dem unter den
Reifen des Autos knirschenden Kies, der sich vor der Haustür erstreckte.
„Hier
passen schon ein paar Autos hin“, er wies lässig auf das große Kiesrund.
„Wirst
du denn viel Besuch bekommen?“
„Weiß ich noch nicht, ich denk’ mal, die Jungs haben keine Autos...“
„Aber
ICH habe ein Auto, es steht in einer Garage in der Nähe meiner Wohnung.“
„Wir sollten
es herholen! Ist zwar nicht wirklich weit bis LA, aber ihr Amerikaner geht doch
keinen Meter zu Fuß“, spottete Spike. „Ich könnte dich dann irgendwohin fahren,
und vielleicht kannst du bald wieder selber fahren. Du wärst dann einfach
unabhängiger von mir.“
„Moment
mal, meine Großeltern waren auch Engländer, und die sind viel gelaufen, soweit
ich mich erinnern konnte“, Lilah war irgendwie sauer auf Spike. Was sollte das
Gequatsche über die Unabhängigkeit, das hörte sich ja fast so an, als wolle er
sie wieder loswerden. Gut, wenn er das wollte, kein Problem!
„Oh
bitte Lilah“, sagte Spike mit seiner wunderbar rauen Stimme, „meine süße kleine
Engländerin, zumindest in der dritten Generation, du kannst ja gerne laufen,
wenn du willst, ist ja nur, schätze ich mal, eine volle Stunde bis LA, aber
bitte beschwer’ dich dann nicht bei mir, wenn ich gerade was anderes zu tun
habe.“
„Ja, wir
sollten es holen.“ Beschämt senkte Lilah ihren Kopf, doch sie richtete ihn
schnell wieder empor und fragte: „Fährst du gern oben ohne?“
„Was
denn, ohne T-Shirt?“
„Nein!“
Lilah musste lachen. „Ich meine ohne Verdeck. Es ist nämlich ein Cabrio. 911er
Porsche...“
„Aber
hallo! Du sprichst ja wie der Typ aus den Bond-Filmen.“ Vor Spikes geistigem
Auge erschienen wilde Fahrten mit im Fahrtwind flatternden Haaren, total
gedemütigt aussehenden anderen Verkehrsteilnehmern und dann plötzlich eine sich
vollkommen echt anhörende gellende Polizeisirene. Diese allerdings erschien
nicht vor seinem geistigen Auge, sondern in seinem geistigen Ohr.
„Bist
ein reiches Mädchen, was?“ Das konnte er sich nicht verkneifen.
„Reich
und böse“, behauptete Lilah verwegen, griff sich als erstes ihre Reisetasche,
dann wollte sie auch noch nach dem Aktenkoffer greifen, hatte aber ihren
eingegipsten Arm vergessen, sie ließ den Koffer stehen und marschierte schon
mal zur Haustür.
„Hast du
nicht noch was vergessen?“, fragte Spike.
Sie
drehte sich um und sah ihn verunsichert an. Erwartete er von ihr, dass sie den
Aktenkoffer mit ihrem gebrochen Arm trug?
„Schön... Schön bist du auch.“ Grinsend nahm Spike den Aktenkoffer an
sich. Ein kleines Kompliment konnte manchmal nicht schaden...
Lilah
entdeckte sofort Dinge im Haus, die Spike bei seinem ersten Besuch offenbar
entgangen waren:
Den
Schreibtisch mit dem Computer in einer Seitennische des großen Wohnraums. Noch
einen Computer im Kellergeschoss. Den kleinen Fitness-Raum im Kellergeschoss
und die kleine Bar im Zimmer nebenan. Allerdings war die Bar Spike NICHT
entgangen.
„Das ist
echt hübsch“, meinte Lilah nach der Besichtigungstour.
„Ja,
echt hübsch“, stimmte Spike ihr zu, „und vor allem kann man sich hier aus dem
Weg gehen, wenn man will.“
Sie
hatte noch keine Nacht hier geschlafen, und schon sprach er übers aus dem Weg
gehen? Leicht gekränkt sagte sie: „Ich werde dir bestimmt nicht auf die Nerven
fallen.“
„Nein,
das meinte ich nicht. Aber in den nächsten Wochen wird es hier ganz schön
rundgehen. Mit der Band. Und du brauchst doch Ruhe wegen der
Gehirnerschütterung“, Spikes Stimme duldete keinen Widerspruch.
„Wenn du
meinst..“, Lilah fügte sich bereitwillig und genoss das für sie seltsame und
vollkommen ungewohnte Gefühl, sich von einem Mann herumkommandieren zu lassen.
Es verschaffte einem so ein hilfloses Gefühl in den Beinen. Oder auch zwischen
den Beinen...
Sie klärten
die Wahl des Schlafzimmers. Lilahs Wahl fiel auf das mit der lavendelblauen
Tapete und den dunkelblauen Vorhängen. Außerdem gab es einen geräumigen
wandbreiten Mahagoni-Kleiderschrank, einen kleinen runden, möglicherweise
antiken Mahagoni-Tisch mit zwei passenden Stühlen, die Sitze bezogen mit
lavendelfarbigem Stoff. Außergewöhnlich geschmackvoll, musste Lilah denken, und
vor allem passte es so gut zu ihren Augen.
Spike
musste sich wohl oder übel das andere Schlafzimmer nehmen, aber er war nicht
sehr enttäuscht darüber. Dieses Zimmer hatte nämlich dunkelrote Tapeten und
Vorhänge, und das, was in Lilahs Schlafzimmer aus Mahagoni war, war in seinem
Zimmer aus Kiefernholz. Spike musste lachen, weil ihn die Kiefernmöbel stark an
IKEA erinnerten, das er noch von Europa her kannte.
Sie
saßen noch ein bisschen auf dem Sofa vor dem Fernseher, ohne viel auf das
Programm zu achten, aßen ohne großen Hunger alles mögliche aus Chipstüten, ohne
sich irgendwie zu berühren – und gingen früh zu Bett.
Lilah
war trotz ihrer Müdigkeit ziemlich aufgekratzt und hatte ein seltsam flirrendes
Gefühl im Magen. Aber es gefiel ihr, sie lag ruhig da, sie fühlte sich
außerordentlich zufrieden und wollte dieses Gefühl auskosten. Denn es konnte
sich bestimmt schnell wieder ändern.
Spike
wälzte sich zuerst ruhelos in seinem Bett herum. Es war so ungewohnt ruhig
draußen, das Haus erschien ihm so fremd, aber das Gefühl der Vertrautheit kam
schnell, vielleicht lag es ja daran, dass er nicht alleine war.
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Als
Lilah am späten Vormittag aufstand – welch Luxus, so lange schlafen zu können –
war Spike schon weg. Er hatte Kaffee gemacht, und irgendwie war sie froh
darüber, alleine zu sein. Wenn man jemanden gerade kennen gelernt hatte, war es
auf Dauer stressig, immer mit ihm zusammenzusein. Obwohl Spike ihr wohl nie auf
die Nerven fallen würde. Aber es war besser, nicht alles gemeinsam zu tun.
Immer aufeinander zu hängen war schlecht. Frauen hatten eben so Dinge, die sie
ganz alleine erledigen wollten, sei es Fußnägel lackieren, Beine enthaaren,
Reich und Schön gucken, oder einfach stundenlang in der Badewanne liegen.
Upps,
gerade fiel ihr ein, dass sie sich noch nicht einmal die Haare waschen konnte.
Der eingegipste Arm würde das verhindern. Konnte sie wenigstens duschen? Auch
das erwies sich nach näherer Überlegung als ziemlich kritisch. Alles, was man
nur mit einem Arm machen konnte, war kritisch, dann fiel ihr ein, dass es doch
ging: Nämlich die Haare mit einer Hand einschäumen und dann den Kopf unter die
Dusche halten.
Nein, es
ging nicht. der Gips an ihrem Arm würde aufweichen. Also nicht duschen, keine
Haare waschen und vielleicht Spike um Hilfe bitten. Gute Idee und sehr
anregend. Aber jetzt musste sie erst einmal alleine klarkommen. Nach einiger
Überlegung ließ sie Badewasser ein, aber nur so wenig, dass die Wanne zu einem
Drittel gefüllt war. Das musste gehen, wenn man den rechten Arm über Wasser
hielt. Es ging alles, wenn man nur wollte.
Bis aufs
Haarewaschen und aufs Duschen. Sie musste Spike einfach um Hilfe bitten...
Sie
hatte sich ein paar bequeme Jeanshemden und T-Shirts aus ihrem Appartment
mitgenommen, zwei Röcke (nach Spikes Ermahnung von wegen Schwierigkeiten beim
An- und Ausziehen) und ein paar sportlich geschnittene Hosen aus anschmiegsamen
Stoff und mit schlank machenden Streifen an den Seiten. Nicht dass sie es nötig
gehabt hätte, schlank machende Streifen zu tragen, aber diese Hosen standen ihr
gut, das wusste sie. Und man konnte sie bequem mit einer Hand anziehen.
Die Hosen
waren jetzt ein bisschen zu lang, aber das machte nichts, Hauptsache, sie
konnte überhaupt noch etwas von ihrer Kleidung tragen. Sie würde sich neue
Sachen kaufen, vielleicht weniger konservative als bisher. Vielleicht konnte
sie Spike überreden, sie beim Einkaufen zu begleiten. Nein, besser nicht,
Männer hassten es, mit Frauen einkaufen zu gehen.
Sie goss
sich eine Tasse Kaffee ein, taute ein Croissant in der Mikrowelle auf, es war
ein bisschen zu heiß geworden, setzte sich mit dem Kaffee und dem dampfenden
Croissant an den Schreibtisch im großen Wohnraum und schaltete den Computer
ein. Wahrscheinlich hatten W&H schon Schnüffelprogramme installiert, das
passte zu denen. Aber was konnten die schon groß ausspionieren...
Es war
alles ziemlich mühsam mit nur einer Hand. Sie installierte die Provider-CD, die
auf dem Schreibtisch lag, und richtete nach kurzer Sichtung der Telefonnummer
den Internet-Zugang ein.
Passwort,
was konnte man nehmen, vielleicht ‚Angel’? Sie musste lachen, um Himmels
Willen! Nein, es musste Spike gefallen. Schließlich hatte sie eine Idee, und
sie tippte ‚undead’ ein. Das würde er mögen.
Sie ging
auf die Seite von W&H und gab ihr firmeneigenes Codewort ein.
„Access
denied“, war die digitale Antwort auf ihre digitalen Bemühungen.
Sie versuchte
es noch einmal – mit dem gleichen Misserfolg.
„Mist!“,
fluchte Lilah laut vor sich hin. Es war wirklich passiert. Man hatte sie aus
der Welt von W&H entfernt, und zwar unwiderruflich und endgültig.
Und das
Komische an der ganzen Sache war: Es war ihr scheißegal! Wie man im
Anwaltsjargon so sagte. Denn jetzt in ihrem zweiten Leben fühlte sie sich
lebendiger als je zuvor.
Sie ging
nach oben in ihr Zimmer und öffnete den Aktenkoffer. Sie nahm einige CDs heraus
und ging wieder nach unten. Sie stellte die Cds fein säuberlich in das Regal
auf dem Computerschreibtisch. Sie musste ein Lachen unterdrücken. Niemand, der
noch alle Tassen im Schrank hatte, würde sich an einer CD vergreifen, auf der
das Datenbank-Programm Access erklärt wurde. Vor allem nicht, wenn es so
unauffällig auffällig präsentiert wurde.
Außer
ihr wusste natürlich niemand, dass das CD-Cover zwar echt war, aber die CD
selber und auch das Label grandios von ihr gefälscht worden waren. Und dass
sich auf der CD zwar das Lernprogramm für Access befand, aber in einem
Unterordner versteckten sich zusätzliche brisante und teilweise sogar explosive
Daten, die allesamt mit W&H zu tun hatten.
Als sie
das Kichern nicht mehr unterdrücken konnte, ging Lilah unauffällig zur Haustür
hinaus, um dort, wo sie keine Kameras mehr vermutete, einen Lachanfall zu
bekommen.
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Spike
zur gleichen Zeit war ziemlich im Stress.
Nachdem
er die meisten Mitglieder seiner zukünftigen Band in der Demon’s Bar aufgegabelt
hatte, nur Bronson fehlte, der bestimmt irgendwo in Essig und Öl nach einer
durchzechten Nacht lag, fuhr er die Resttruppe in ein Musikgeschäft, das Casio
ihm empfohlen hatte. Wegen der Instrumente, Verstärker, Boxen, halt so Sachen,
die sie brauchten,
Der
größte Posten war natürlich das Schlagzeug. Spike schwebte da ein
elektronisches Ding vor, so ein Präzisionselement, das gut zum Klang der
ausgewählten Musikstücke passen würde. Snikkers stand zwar mehr auf
traditionelle Drums, aber er ließ sich von Spike überzeugen, was anderes blieb
ihm auch gar nicht übrig, er hatte nun mal im Moment keine Kohle. Und außerdem
konnte man das Schlagzeug leasen. Spike atmete auf, denn ein Kauf wäre doch
verdammt teuer geworden.
Er hatte
sich fest vorgenommen, mit seinem Bargeld streng hauszuhalten und zahlte
deswegen fast alles mit seinen Kreditkarten, die offenkundig gerne angenommen
wurden. Das Bargeld würde irgendwann mal zur Neige gehen, und er brauchte
vielleicht gewisse Reserven. Außerdem hatte der Van schon ein großes Loch in
seine Geldbestände gefressen, genauer gesagt hatte er jetzt nur noch die Hälfte
von dem Geld. Aber der Van war eine gute Geldanlage, denn immerhin gedachte
Spike, sie mit diesen Van bei ihrer ersten Tournee durch die Lande zu kutschieren.
Tournee, hahaha...
Nachdem
jeder sich was passendes ausgesucht hatte, bis auf Casio, der alles, was er
brauchte, schon selber besaß und bis auf Bronson, dem sie ob seiner Abwesenheit
eine gute Bassgitarre besorgten, machten sie sich auf den Weg zu Spikes Haus.
Leider
kam Spike nicht sofort dort an, sondern erst zwölf Stunden später.
Weil
nämlich Porterhouse mit kundigen Auge während der Fahrt eine Kneipe erblickt
hatte, die direkt hinter dem Supermarkt lag, und zwar ungefähr zwischen der
dicht bevölkerten Stadt hinter ihnen und vor Spikes Haus im aufgelockerten
Umfeld der Stadt, wo sie eigentlich hinwollten...
Das
‚Everybody’!!!
Und dort
blieben sie bis in den frühen Morgen.
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Also
voilà: das ‚Everybody’!!!
Das
zukünftige Stammlokal der Gruppe, das ‚Everybody’ lag also auf halben Wege
zwischen der Stadt und Spikes neuer Behausung, das wissen wir nun. Es lag, wenn
man so will, strategisch sehr günstig.
Ehemals
war es eine Hillbilly-Kneipe gewesen, und die Einrichtung zeugte noch vom
früheren ländlichen Stil, dicke dunkle Balken an der Decke, Stühle und Tische
mit gedrechselten Stuhl/Tischbeinen, üppige Lampen mit Plüschschirmen und
Troddeln. Zwei kapitale brusthoch abgesägte Baumstämme agierten als Stehtische
und waren meistens dicht umlagert von Leuten.
Musik
gab es auch, und zwar fast immer von Roxy Music, weil der Wirt dafür schwärmte.
Der Wirt schwärmte allerdings auch für Trini Lopez, und zwar bevorzugt für das
Stück ‚If I had a hammer’, und das mehrmals hintereinander.
Es gab
aber auch manchmal Musik von den Stones. Sogar hartgesottene Gäste verfluchten
des öfteren den Musikgeschmack des Wirts und waren froh, wenn er mal nicht da
war.
Aber das
beste an diesem Laden war die lange Theke, an der sich die sogenannte Creme von
L.A. auf Barhockern herumlümmelte. Noch weit begehrter als die Barhocker war
allerdings die gepolsterte Bank, die wahrscheinlich aus einem Beichtstuhl
stammte und die wie ein Wurmfortsatz die Reihe der Barhocker abschloss. Wer
diesen Platz ergattert hatte, konnte sich glücklich schätzen.
Das
Everybody, im Volksmund auch kurz E-body genannt, hatte sich in wenigen Jahren
zum Treffpunkt für ALLE gemausert, seien es Studenten, seien es Anwälte, die in
der Mittagspause vorbeikamen, seien es Trinker mit oder ohne Arbeit oder seien
es Dämonen (auch Trinker mit oder ohne Arbeit). Sie alle wurden angezogen von
dem einzigartigen Charme des Everybody, und vor allem von seiner einzigartigen
Küche.
Man
servierte drei sehr preiswerte Gerichte, und zwar die extrem billigen
Spaghetti, die sogenannten Torties - und den sagenumwobenen Proletenteller.
Allgemein wurde die zum Proletenteller gehörende Kräutersoße, die übrigens auch
über die Torties gekippt wurde, von den Stammkunden als ‚die unendlich Verlängerte’
bezeichnet, weil Teile von ihr angeblich schon beim Unabhängigkeitskrieg dabei
gewesen waren... Aber sie schmeckte.
Der Ruhm
des Everybody hatte sich sogar bis in die japanischen Touristenkreise
herumgesprochen, die ab und zu L.A. heimsuchten. Manchmal erschienen
Delegationen von bis zu zwölf Japanern, und sie bestellten alle, na was wohl?
Natürlich Spaghetti. Was die Küchencrew des Everybody (1–2 Studenten) manchmal
ganz schön ins Schwitzen brachte.
Hier ein
Auszug aus der Speisenkarte, quatsch, es ist natürlich kein Auszug, sondern die
ganze Speisenkarte:
SIE HABEN SCHON BESSER GEGESSEN,
ABER NICHT HIER...
Spaghetti mit fruchtiger Soße,
Parmesankäse soviel sie wollen:
---------------------------------------à$ 1,50
FEINSCHMECKER ESSEN ANDERSWO...
Torties, Röhrennudeln mit
Schinken und Tomaten in würziger Kräutersoße mit Käse und reichlich
Geschmacksverstärker überbacken:
---------------------------------------à$ 2,50
WER HIER ISST, IST SELBER
SCHULD....
Proletenteller, ein saftiges
Schweinesteak mit würziger Kräutersoße und Pommes und garantiert ohne Vitamine:
---------------------------------------à$ 4,00
DAS EVERYBODY, WO FRISCHE EIN
FREMDWORT IST, WÜNSCHT IHNEN EINEN GUTEN APPETIT!
Der
Wirt, ein etwa 45 Jahre alter ehemaliger Koch und Säufer hatte den Laden fest
im Griff und manchmal im Würgegriff.
Als
ehemaliger Alkoholiker hatte er natürlich nicht den Idealjob als
Kneipenbesitzer inne, er war immer haarscharf am Rande des Rückfalls zum
Saufen, und eine unbedachte Minute konnte ihn alles kosten. Er hatte es einmal
fast erlebt. Das Everybody war damals fast pleite gegangen, nur weil Karel, so
hieß er, für einen FREUND-IN-NOT Eigentumswohnungen gekauft hatte, um ihn aus
finanzieller Misere zu retten, und dann natürlich auf den weit über Wert erworbenen
Immobilien sitzen blieb, weil der FREUND-IN-NOT sich in der Zwischenzeit
verflüchtigt hatte.
„Die
guten Taten bereut man viel mehr als die schlechten“, war seitdem Karels Motto
– jedenfalls solange er nüchtern blieb...
Oder als
Karel sich im Delirium entschloss, die Küche im Everybody zu schließen, denn
zur Not würde er mit zwei Getränken, nämlich Bier und Cola die Leute anziehen
können – was natürlich fürchterlich in die Hose ging. Die Leute kamen nicht
mehr, weil sie Karels Konzept einfach nicht verstanden. Diese Ignoranten, wie
Karel sagte.
Gott sei
Dank kriegte Karel den Dreh noch mal, zog sich aus seinem Alkoholsumpf heraus
und machte die Küche und die Bierfässer wieder auf. Uffff!
In
dieses Etablissement also führte Porterhouse die Jungs. Der vermisste Bronson
saß übrigens an der Theke, und keiner wunderte sich drüber.
Spike
schaute sich neugierig um. Gründlich begutachtete er den großen Raum mit der
langen Theke zur Rechten, die vielen Bilder hinter der Theke, die abgesägten
Baumstämme in der Mitte und die auf einem Podest stehenden Tischgruppen zur
Linken. Er musste lachen über die Troddeln an den Lampen, und alles zusammen
erinnerte ihn irgendwie an einen irischen Pub.
Er hörte
lautes Gepolter und sah, er traute seinen Augen kaum, einen Kicker-Automaten,
der etwas versteckt in einer Nische rechts von der Eingangstür stand. Ein
seltenes Stück, und er war natürlich besetzt von vier Typen, die sich die Bälle
um die Ohren hauten. Spike hatte eine Vision, nämlich dass er hier viele
kurzweilige und vor allem kickende Stunden verbringen würde.
„Pils?“
fragte der mittelgroße hagere Mann hinter der Theke, der sich an einer
Zapfanlage zu schaffen machte.
„Ihr
habt Pils?“ fragte Spike ungläubig zurück.
„Pilsener
Urquell“, war die lakonische Antwort .
„Ich
muss im Himmel sein.“ Spike war überwältigt, denn in so einem Laden hätte er
höchstens Lagerbier aus der Plastikflasche erwartet, oder vielleicht noch
Schlimmeres wie zum Beispiel biergefüllte Plastikbecher mit Deckeln zum
Abreißen...
„Bitte
ein Großes“, verlangte er nach Gerstensaft sabbernd.
„Wir
haben nur Große!“
„Ausgezeichnet!“,
meinte Spike äußerst zufrieden, während der Mann hinter der Theke in Windeseile
fünf Gläser mit Bier voll zapfte. Und das ging recht flott, weil er schon einen
Vorrat an viertelvoll gezapften Gläsern angelegt hatte. Und dieser Vorrat wurde
sofort wieder ergänzt, denn der Dienst am Kunden, vor allem der schnelle Dienst
am Kunden, war Karels erklärtes Motto.
Allmählich
soff man sich so ein.
Karel, ein
sehr aufmerksamer Wirt, stellte unaufgefordert jedem sofort ein neues volles
Glas hin, wenn das alte nur noch ein Pfützchen (mehr oder weniger groß)
beinhaltete, und seine Gäste sahen das nicht als Belästigung oder
Geschäftemacherei an, sondern als EinsA Service.
Kurzum,
es war fantastisch!
Als die
Kickerspieler endlich verschwanden, machten Spike und Snikkers gegen Casio und
Bronson ein Spielchen. Währenddessen machte ihr fünfter Mann, nämlich
Porterhaus, eine schnelle Nummer mit einer Punklady, und zwar auf dem Parkplatz
vor dem Laden.
Als sie
um drei Uhr vom Wirt rausgeworfen wurden, hatte Spike den wohl lustigsten
Saufabend seit langem verbracht, er ließ den Van stehen und machte sich zu Fuß
auf den Weg nach Hause – er hatte nämlich vor, ein verantwortungsvoller Bürger
zu werden. Echt!
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Teil 6 – CAN I PUT MY HANDS ON
YOU?
Lilah
hörte ihn, als er nach Hause kam und kurz darauf geräuschvoll im Badezimmer
herumhantierte. Sie hatte während des Tages und der halben Nacht ziemlich viel
‚Frauensachen’ gemacht, so was wie Fußnägel lackieren, Beine enthaaren, ‚Reich
und Schön’ gucken, okay, das mit der Badewanne hatte sie nicht lange
ausgehalten, war nämlich ziemlich anstrengend gewesen, immer den Arm hochzuhalten...
Gut, sie
wollte ja gar nicht wissen, wo er steckte. Denn aufeinander hocken war
schlecht, wenn man gerade erst jemanden kennen gelernt hatte.
Aber auf
Dauer war es genauso stressig, wenn derjenige, den man gerade erst kennen
gelernt hatte, sich überhaupt nicht blicken ließ. Verstehe einer die Logik der
Frauen, seufzte Lilah leise vor sich hin, während sie schlaflos in ihrem Bett
lag.
Doch sie
ihn dann endlich hörte, fühlte sie sich ungemein erleichtert und fiel sofort in
einen tiefen Schlaf.
Spike kam so um die Mittagszeit mit leicht
verquollenen Augen die Treppe herunter, ein erschreckliches Erlebnis lag hinter
ihm. Er hatte nämlich, als er nach Hause gekommen war, ausnahmsweise nicht die
Vorhänge in seinem Zimmer zugezogen, und als um etwa zwölf Uhr ein dicker
Sonnenstrahl auf seinem Gesicht landete und ihn weckte, war er sofort in Panik
verfallen. Er hatte doch tatsächlich gedacht – nein zum Denken war es zu
schnell gegangen – also hatte er nicht gedacht, sondern instinktiv reagiert,
aus verdammter Angst zu verdammtem Staub zu verbrennen. Immerhin hatten sich
seine Instinkte über einhundertzwanzig Jahre dahin trainiert.
Und so
war er blitzschnell aus dem Bett gehechtet, um sich an der sonnenabgewandten
Seite des Bettes in Sicherheit zu bringen.
Bis ihm
dann bewusst wurde, dass die Sonne ihm ja gar nicht mehr schaden konnte.
Auweia, Schatten der Vergangenheit... Nein, besser Sonne der Vergangenheit!
Lilah saß am Computer. Sie sah
ungemein hübsch aus und außerdem wirkte sie auf ihn unglaublich besänftigend,
ihre Gegenwart ließ ihn fast vergessen, dass er bis vor kurzem noch ein
bösartiger Vampir gewesen war.
„Hallo“,
seine Stimme klang ein wenig verhalten. „Hab’ ich irgendwie Theater gemacht
heute Nacht?“
„Nein,
ich habe nichts gehört.“ Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber er
musste ja nicht wissen, dass sie den ganzen Abend und die halbe Nacht auf seine
Rückkehr gewartet hatte. „Aber Moment mal, vorhin, da habe ich ein seltsames
Geräusch gehört. Es klang wie ein Rumsen...“
„Ich
glaub’, ich hab’ heut nacht geträumt, ich wäre wieder ein Vampir“, erzählte
Spike heiter, zumindest machte er einen heiteren Eindruck, „und als ich
aufgewacht bin, da bin ich doch glatt aus dem Bett gesprungen“, seine
Heiterkeit steigerte sich in ein Lachen hinein, das allerdings ein bisschen
hysterisch überdreht klang.
„Das
verstehe ich nicht“, sagte Lilah ratlos.
„Die
böse Sonne...“
Jetzt
musste Lilah auch lachen.
„Lach’
nicht! Was meinst du, wie oft ich früher in irgendwelche Gullys oder
Abwasser-Kanäle gesprungen bin!“
Jetzt
musste Lilah fast hysterisch lachen – mit Spike zusammen. Es dauerte eine
Weile, bis sie sich vollständig beruhigt hatten, denn die Vorstellung von einem
in einen Abwasser-Kanal hechtenden Spike war für beide absolut komisch.
„Puh“,
japste Spike immer noch ein wenig atemlos, „die Jungs werden nachher kommen.“
Er nahm
sich eine Tasse und goss Kaffee hinein, Lilah hatte ihn gemacht, und es war gar
nicht so schwierig gewesen, trotz des Gipsarms.
„Und das
Schlagzeug müsste heute geliefert werden. Es ist doch heute, oder?“, fragte
Spike vorsichtig.
„Nichts
spricht dagegen...“
„Gut!
Also den Laden, in dem wir gestern waren, den musst du unbedingt kennen lernen,
da kann man wirklich so sein wie man ist. Da verkehrt alles, alte Leute, junge
Leute, beknackte, schwer beknackte...“, Spikes Stimme stockte ein wenig, bevor
er weitersprach: „Du wirst natürlich was anderes gewohnt sein.“
„Oh ja,
in Bars rumhängen, um jemanden für die Nacht aufzureißen“, Lilahs Stimme klang
bitter, „das ist wirklich was anderes...“
„Dort
könntest du bestimmt auch was aufreißen, allerdings nicht für eine Nacht,
sondern nur für ein paar Minuten.“ Spike fing an zu grinsen. „Wie Porterhouse
gestern.“
„Ich
will aber nichts aufreißen. Es bringt doch nichts. Ich will, oh sorry, ich möchte,
dass du mir die Haare wäscht“, Lilah schaute ihn verlegen an, „weil ich es
nicht alleine kann mit dem Arm, nein vielmehr ohne den Arm...“
„Ich
kann dir auch gerne den Kopf waschen, wenn du willst“, Spike lächelte
aufmunternd. „Na denn mal los, lass uns ins Badezimmer gehen!“
Lilah
musste sich auf Spikes Geheiß vor die Badewanne knien und ihren Kopf darüber
hängen, was ihr irgendwie erregend erotisch erschien, dann brauste er ihr Haar
ab, gab Shampoo dazu und massierte es sanft und sorgfältig ein, bis sie dachte,
ihre Schläfen würden so stark pochen, dass er es spüren könnte.
Spike
spülte ihr langes Haar endlos mit lauwarmen Wasser ab – bis es schließlich vor
Sauberkeit fast quietschte.
Lilah
ächzte vor Wohlbehagen: „Du hättest Frisör werden sollen...“
„Danke,
so schwul bin ich noch nicht!“ Er nahm ein großes Handtuch, schlang es um ihren
Kopf und zog sie vorsichtig hoch.
„Wie
geht es deinem Arm?“
„Er tut
nicht weh, wenn du das meinst, aber es ist so furchtbar unbequem, alles mit dem
linken zu machen. Manchmal könnte ich schreien vor Hilflosigkeit.“
„Geh’
doch in den Keller. Der ist schalldicht!“
Lilah
stöhnte leise, als er ihr Haar sanft mit dem frischen Handtuch trockenrieb.
Dann nahm er einen großzahnigen Kamm und kämmte es vorsichtig durch. Es ziepte
kein bisschen.
„Nimmst
du irgendwas? Gel oder Haarwasser?“
„Nein,
heute nicht. Ich lasse sie einfach so trocknen. Es soll ja nicht in Arbeit für
dich ausarten“, sagte Lilah gnädig. „Außerdem komme ich bestimmt noch öfter auf
dich zu, von wegen Haare waschen, und ich möchte dich nicht vergraulen.“
„Ich
lass mich nicht so schnell vergraulen“, Spike knetete ihre Locken ein wenig
durch, guckte sie zufrieden an und sagte: „Die Jungs werden ganz schön blöd
gucken, wenn sie dich hier sehen.“
„Wie
meinst du das?“
„Nun,
ich meine“, sagte Spike selbstbewusst, „dass mein Ansehen bei ihnen in die Höhe
steigen wird, wenn sie dich erblicken, Baby.“
„Als ob
du das nötig hättest...“
„Da hast
du recht. Aber es ist ...nett!“
Nett?
Das war nicht gerade das, was sie wollte, aber es war immerhin nett...
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Das
Schlagzeug und der Rest des Equipments wurden pünktlich geliefert, und kurz
danach trafen die Jungs ein, natürlich nicht alle gleichzeitig.
Als
erster erschien Bronson, stolzgeschwellt, er hatte nämlich einen Job im
Everybody ergattert, für ein paar Stunden am Nachmittag.
„Spike,
Junge“, sagte er eindringlich, „du hast aber eine nette kleine Hütte hier“, und
mit einem bewundernden Seitenblick auf Lilah fuhr er fort, „und die ist ja
sogar schon komplett eingerichtet.“
Lilah
musste lachen. Er war so aufrichtig und harmlos, dass sie ihn einfach gernhaben
musste.
„Der
Schweinehund hat vielleicht ein Glück...“, Bronson küsste ihr höflich die Hand
nach osteuropäischer Manier und sagte resignierend: „Na ja, manche haben es,
und manche haben es eben nicht.“
Spike
lotste Bronson vorsichtig die Treppe zum Keller hinunter, zeigte ihm den vollen
(mit Dosenbier gefüllten) Kühlschrank, das Kellerklo und ging dann wieder hinauf
zu Lilah.
„Was
meinst du?“
„Ich
finde ihn sehr sympathisch“, sagte Lilah, „aber auf stilvolle Kleidungsstücke
legt er wohl keinen Wert.“
„Er hat
einfach kein Geld dafür. Manchmal glaube ich, er holt sich die Klamotten aus
der Altkleidersammlung.“
Als nächster
erschien Casio mit einer prall gefüllten Plastiktüte. Er war wohl mit Snikkers
gekommen, aber Snikkers trödelte noch draußen bei einem Taxi herum, dessen
Fahrer er wohl war. Snikkers fuhr also ein Taxi, vermutlich weil er Geld
brauchte.
Casios erster
Blick fiel auf den Computer, an dem Lilah saß, er inspizierte ihn gründlich und
sagte dann: „Den brauchen wir unbedingt, um das hier überhaupt benutzen zu
können...“ Er deutete mit dem Finger auf die prall gefüllte Plastiktüte.
Spike
guckte verständnislos drein.
„Du
willst“, Lilah hatte Casio sofort verstanden, „alte Kassetten oder
Schallplatten digitalisieren?“
„Hey, du
bist echt drauf! Die meisten Leute wissen ja noch nicht mal, was Schallplatten
überhaupt sind...“
„Oh, ich
weiß es! Kennst du dich auch im Netz aus?“ Damit meinte Lilah eigentlich
Hacker-Programme, aber sie wollte das nicht so deutlich sagen.
„Kommt
drauf an“, Casio zierte sich ein wenig, „was du machen willst...“
„Ich
komme irgendwann mal auf dich zu. Übrigens ist im Keller auch noch ein
Computer“, Lilah lächelte Casio an, und Casio lächelte zurück, bevor er von
Spike in den Keller geschickt wurde.
Schon wieder klingelte es. Spike machte die Tür auf und sah Snikkers,
der sich wohl endlich entschlossen hatte hereinzukommen. Snikkers blickte sich
diskret im Wohnraum um.
„Wirklich
hübsch hier“, meinte er zurückhaltend.
„Darf
ich dir Snikkers vorstellen“, wandte Spike sich an Lilah. „Snikkers ist eine
Art Halbgott, er stammt nämlich von Hermes, dem geflügelten Götterboten ab.“
„Ein
Gott!“ Lilah war geschockt.
„Halbgott,
meine Schöne“, meinte Spike spöttisch. „So einer wie Herakles, besser bekannt
ist als Herkules. Oder als Kevin Sorbo...“
„Das
einzig Göttliche an mir ist meine ausgesprochene Langlebigkeit“, erwähnte
Snikkers lässig, „und diese Flügelchen an meinen Füßen“, er deutete auf seine
Fersen, oberhalb derer wirklich kleine, nach oben geklappte Flügelchen zu sehen
waren.
„Oh, das
ist wirklich... beeindruckend“, sagte Lilah, „die sehen ja aus wie äääh
...Sandalen mit hinten gekreuzten Bändern. Oder nur wie die gekreuzten Bänder.
Haben die auch einen praktischen Nutzen?“
„Ich
kann einen halben Meter hoch schweben. Das ist aber kein wirklich praktischer
Nutzen. Und ich kann sie als Sporn verwenden, was manchmal recht nützlich ist.“
Snikkers deutete auf einen harten Kiel, den er aus seinem rechten Flügelchen
ausfuhr.
Lilah
war beeindruckt. Zwar nicht von seiner Wehrhaftigkeit, sondern vielmehr von
seiner Ausdrucksweise, die ihn als sehr gebildeten... äääh Halbgott auswies.
In
diesem Moment erschien in der noch offenen Haustür ein wild aussehender
drahtiger Punk, er war gekleidet in zerrissene Jeans und eine uralte
Lederjacke. Das musste Porterhouse sein. Spike hatte ihr erzählt, dass sein
Name in etwa bedeutete: Der welcher nie ein Porterhouse-Steak gegessen hat...
Es handelte sich wohl um einen sehr unfreundlichen Gesellen, denn er
missachtete sie vollkommen – klar doch, sie war nur ein simples Weib – und
wandte sich direkt an Spike mit der seltsamen Frage: „Warst du schon mal im
Cops?“
„Nein“,
sagte Spike. „Was ist das?“
„Geiler
Schuppen, wird dir gefallen!“
Lilah
blickte ihnen hinterher, als sie mit Spike die Kellertreppe heruntergingen, und
sie fragte sich insgeheim, was an diesem Schuppen wohl so geil war. Hoffentlich
nicht irgendwelche wohlfeilen Schlampen...
Lilah
blieb noch eine Weile im Wohnzimmer vor dem Computer sitzen. Der Keller war
nicht wirklich schalldicht, zumindest durch die Kellertüre hindurch hörte man
diverse Geräusche. Flüche, ein lautes Rumpeln, ein hirnerweichendes gnadenloses
Quietschen, als sie den Verstärker ausprobierten, weitere Flüche, dann das
erste allerdings sehr verhaltene Hämmern eines Schlagzeugs und den Hauch einer
kleinen zirpenden Orgel, die sich auf einmal, vom Klang her natürlich nur, in
ein Klavier verwandelte. Casio, der Meister der digitalen Musik ging zur Sache.
Weiterhin
war nicht viel zu hören, nur ab und zu Fragmente von Stücken, die Lilah
vollkommen unbekannt waren. Einmal meinte sie, Spike singen zu hören, aber das konnte
auch von einer CD stammen.
Schließlich
war’s ihr dann doch zu laut und zu langweilig. Man brauchte sie anscheinend
nicht. Die im Keller waren autark eingerichtet – sie hatten einen eigenen
Kühlschrank, wohlgefüllt mit Dosenbier, ihre eigene Bar, ihren eigenen
Fitness-Raum, haha Fitness-Raum, wofür? Und sogar ein eigenes Klo...
Lilah
schnappte sich eine TV-Zeitschrift und verzog sich nach oben in ihr Zimmer, um
dort zu fernsehen. Außerdem hörte man von dort absolut nichts von unten.
Als sie
vier Stunden später wieder nach unten ging, um die Lage zu absolvieren, hörte
sie doch tatsächlich richtige Musik:
--- http://www.youtube.com/watch?v=syqgFrLyepg Kann man nebenbei hören, wenn man ein neues
Firefox- oder Explorerfenster aufmacht und es dann minimiert. ---
Es
erklang eine Art Gladiatorenmarsch mit Fanfaren geblasen, wie aus einem dieser
billig produzierten italienischen Sandalen-Filme, wo die Könige aussahen wie
Bodybuilder, die vor Kraft kaum laufen konnten und die Herrscher waren über ein
sogenanntes Königreich, das nicht größer und besser war als ein verfallenes
Dorf irgendwo in der Pampa. Die Dame ihres Herzens war fast immer eine
vollbusige Frau mit hochtoupierten Haaren und in figurbetonter Bekleidung, die
aussah, als stamme sie aus den 60er Jahren. Es gab verschiedene blutige
Scharmützel, deren Choreographie vollkommen unprofessionell gestaltet war. Und
dann wurden sie allesamt unter Fanfarenklängen den Löwen zum Fraß vorgeworfen.
Und kurz darauf irgendwie gerettet...
Das
Schlagzeug mischte sich unauffällig unter die Fanfarenmusik, und ein anderes
undefinierbares Instrument mit weichem Klang begleitete es dabei, der Rhythmus
blieb gleichmäßig spannend, dumpf vor sich hinblubbernd, wurde dann ein
bisschen schneller, pochend, eine Gitarre gab erste schräge Töne von sich,
weiterhin blubbernder Rhythmus, das undefinierbare Instrument mit dem weichen
Klang ging nun in höhere Tonlagen vor. Es hörte sich spannend an, fand Lilah,
wie ein erwartungsvolles Vorspiel. Schließlich jedoch vereinten sich alle
Instrumente und spielten stärker auf. Dumpfer schaukelnder Rhythmus,
aggressivere Gitarre. Ein Trommelwirbel, und alle bis jetzt gebändigten
Instrumente spielten unaufhaltsam los.
Dann fing jemand an zu singen, in einem schrecklichen Dialekt mit
vielen rollenden Rrrrs:
If
yourr body's feelin' bad
and
it's the only one you have
you
want to take away the pain
go
out walkin' inda rrrain
You
watch the flowers go to bed
ask
the man inside yourrr head
Your
spirit never has to grrrieve
all
ya got to do's believe.
The
faith healer
The
faith healer
Can I put my hands on you
Can I put my hands on you…
Es
musste Spike sein, der da so fürchterlich gequetscht und mit rollendem Rrrrr
sang, aber er konnte es, und es hörte sich interessant an.
Lila
ging wieder zurück in ihr Schlafzimmer und vernahm immer noch leise den
Refrain:
Can I put my hands on you
Can I put my hands on you…
War das
eine Frage oder bildete sie es sich nur ein.
Can I put my hands on you?
Nein, es
war sicherlich nur Einbildung von ihr. Spike machte nicht den Eindruck, als
wolle er etwas von ihr. Zumindest nicht das, was SIE wollte. Lilah schüttelte
den Kopf mit dem frisch gewaschenen Haar und dachte daran, wie ER es ihr gewaschen
hatte. Es war schön gewesen, und sie sollte ihm die Zeit lassen, selber zu
entscheiden, ob und überhaupt... Sie durfte ihn auf keinen Fall drängen, das
hatte sie mittlerweile gelernt.
~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~-~
Die
nächsten Tage waren voll mit Proben ausgefüllt. Irgendeiner schien immer im
Keller herumzuhängen, so kam es Lilah jedenfalls vor.
Sie sah
Spike nur selten. Sie wollte auch nicht stören und verschwand sofort nach oben
in ihr Schlafzimmer, wenn einer der Jungs erschien und heiß aufs Musikmachen
war.
Sie
wollte Spike auch nicht fragen, ob er ihr wieder die Haare waschen oder gar
ihre Fingernägel feilen und lackieren würde, sondern hatte sich entschieden,
eine Maniküre ins Haus, beziehungsweise in ihr Schlafzimmer kommen zu lassen.
Die Maniküre, die gleichzeitig auch Frisörin war, besorgte es Lilah nun. Obwohl
es von Spike besser gewesen wäre...
Während
dieser wilden lauten Tage ließen die Jungs sich des öfteren Essen anliefern,
Chinese Food oder Pizza. Wenn die Ladung eingetroffen war, rief man lautstark
nach Lilah, sie solle runterkommen zum Essen. Was sie auch fast immer tat,
obwohl sie sich ja eigentlich rar machen wollte...
Alle
drei Tage fuhr Spike mit ihr oder einem der Jungs zum Supermarkt, um ihre
Vorräte aufzufrischen, vor allem das Dosenbier...
Manchmal
kochte Bronson spätabends für alle. Er schaffte es, auf dem riesigen Gasherd,
den er beinahe anbetete, wunderbare Steaks zu braten. Dazu reichte er Chips,
Salat und Kräuterbutter...
Lilah
rief ihre Putzfrau an – welche recht erstaunt war, nach über drei Monaten
wieder etwas von ihr zu hören – und ließ sie vorbeikommen, um die Schweinereien
im Haus zu beseitigen. Die Jungs waren ja wirklich nett, aber der Proberaum und
auch das Klo im Keller, beide würden sich bestimmt nicht von alleine
saubermachen...
Geraucht
werden durfte nur noch im Keller, hatte Spike zwei Tage nach Anfang der Proben
genervt verkündet. Danach wurde die Luft im Wohnraum merklich besser...
Es war eine
irre Zeit, provisorisch wie bei einer Wohnungsrenovierung, aber gerade deswegen
so wunderbar lebendig, wie Lilah fand.
Manchmal
verschwanden die Jungs abends. Vermutlich ins E-body oder gar in diesen geilen
Schuppen Cops. Sie fragten Lilah nicht, ob sie Lust hatte, mitzukommen. Auch
Spike fragte das nicht. Sie war auch nicht böse. dass man sie nicht fragte –
sie wusste, irgendwann, vielleicht schon bald würde sie mitkommen.
Nach vierzehn Tagen war das
Gröbste erledigt. Ihre Proben liefen ab wie geschmiert, als hätten sie immer
schon zusammengespielt. Casio hatte für jeden eine CD zusammengestellt, auf der
die Stücke waren, die sie spielen wollten. So konnte jeder auch ohne die
anderen zu Hause oder sonstwo üben.
© Ingrid Grote 2003/2011
Fortsetzung: GONE
WITH THE DEATH? Teil 7-8