GONE WITH THE DEATH? – Teil 19–20

 

Teil 19 GENESIS

 

Sie klopfte zaghaft an die Tür, doch niemand bat sie herein. Sie klopfte noch einmal, fester diesmal. Hinter der Tür blieb alles still, tödlich still irgendwie. Zweifel überfielen sie schlagartig. Es war total verrückt, hier zu sein, aber sie konnte nicht anders.

 

Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter. Dem Himmel sei Dank war die Tür nicht von innen abgeschlossen. Also nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und ging in das Zimmer hinein.

Die Vorhänge waren zugezogen, und im Zimmer herrschte eine muffige Dunkelheit, in der es penetrant nach Alkohol roch. Es roch wie ausgedünsteter Whiskey. Kein guter Geruch... Sie versuchte mit ihren Augen die Dunkelheit zu durchdringen, und nach einigen Sekunden konnte sie tatsächlich etwas erkennen.

 

Er lag wie ein Schatten auf dem Bett und bewegte sich nicht. Oh Gott, er war doch nicht etwa...

 

„Hallo Spike“, sagte sie behutsam und trat näher an das Bett heran.

 

Es dauerte eine Weile, bis er reagierte. Er wandte sich ihr zu und hielt sich dann die Hände vor die Augen, als wäre er geblendet.

 

„Spike?“

 

„Geh weg!“, sagte er mit tonloser Stimme.

 

Er hatte einen Bart, sie hatte ihn noch nie mit Bart gesehen, vielleicht wuchsen bei Vampiren die Barthaare nicht, jedenfalls nicht so schnell wie bei Menschen. Und er war ja jetzt ein Mensch.

Er sah wild und gefährlich aus wie ein Seeräuber. Aber vor allem sah er fremd aus.

 

Sie setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und berührte die Hand, die er über seine Augen gelegt hatte. Er zuckte zusammen und wehrte sie unwirsch ab.

 

Dann richtete er sich langsam auf.

 

Trotz der im Raum herrschenden Dunkelheit konnte sie mittlerweile erkennen, wie blutunterlaufen seine Augen waren und wie er sie mit diesen Augen anstierte.

 

„Spike?“, sagt sie noch einmal bittend.

 

„Was willst du hier?“

 

„Ich wollte sehen, wie es dir geht.“ Er blieb stumm darauf, und sie fühlte sich verunsichert. Was tat sie hier überhaupt? „Du hast einen Bart“, sagte sie zusammenhanglos.

 

Wieder erfolgte keine Reaktion von ihm. Und wieder fühlte sie sich unsicher. Fast musste sie lachen, als ob sie sich jemals sicher gefühlt hätte... Doch, damals mit ihm hatte sie sich wohl sicher gefühlt, hatte mit ihm Sachen getrieben, die sie mit keinem anderen...

 

Vorsichtig berührte sie seine Stirn und war im ersten Augenblick verwundert, dass sie sich nicht mehr so kühl anfühlte wie früher. Natürlich war er jetzt ein Mensch, aber er fühlte sich auch nicht besonders warm an.

 

„Wie’s mir geht? Das hast du ja jetzt gesehen. Also, was willst du hier?“

 

„Ich dachte, ich könnte dir irgendwie helfen“, stammelte Buffy nun verlegen. Tja, was wollte sie hier? Er brauchte sie nicht, und es schien ihm alles egal zu sein.

 

„Kannst du nicht“, er starrte regungslos an die Decke.

 

Buffy war der Verzweiflung nahe, natürlich hatte sie erwartet, dass er zutiefst unglücklich war, aber mit dieser teilnahmslosen tödlichen Apathie hatte sie nicht gerechnet.

Sie konnte ihn doch nicht einfach hier liegen lassen, bis er sich zu Tode soff. Sie musste ihn irgendwie wieder ins Leben zurückbringen. Er hatte einen Sohn. Das war doch schon ein Grund, um weiter zu leben.

Buffy hatte Gwydion im Hotel Hyperion gesehen, er war so hübsch und lieb, er sah aus wie Spike, nur mit dunklem Flaum auf dem Kopf, er erinnerte sie an ein wunderschönes hilfloses Entlein, und sie hatte sich sofort in ihn verliebt. Wie alle anderen Leute...

 

„Ich trinke nicht, um betrunken zu werden“, murmelte Spike gerade vor sich hin, „ich trinke, damit es mir hinterher beschissen geht. Es ist meine Schuld, dass sie tot ist.“

 

„Du konntest nichts dafür“, sagte Buffy entsetzt.

 

„Oh doch! Ich war so glücklich. Und so dämlich! Ich habe mich von den Wichsern einlullen lassen“, Spike stöhnte gequält auf. „Ich habe nicht auf sie aufgepasst.“

 

„Spike, Liebster, du hast bestimmt auf sie aufgepasst. Aber es war eben nicht ... zu ändern.“

 

Spike blieb daraufhin stumm, er griff nach der Whiskeyflasche, die neben dem Bett stand und nahm einen kräftigen Schluck daraus.

 

„Hör auf zu trinken“, sagte Buffy, sie fühlte, wie sie die Kontrolle über alles verlor. Er schien so abwesend zu sein, er schien so tot zu sein, so unglücklich, dass sie einfach nicht wusste, was sie tun sollte.

 

Bis sie schließlich einem Instinkt folgend ihre Jacke auszog, dann die Bluse, ihre Jeans und schließlich Schuhe und Strümpfe und den Rest auch noch – es war egal – bis sie nackt war.

 

„Spike, bitte Liebster“, sagte sie flehend zu ihm, sie nahm ihm die Flasche aus der Hand – er leistete keinen Widerstand – stellte die Flasche auf den Boden weit weg vom Bett und drückte dann seine Hände an ihre Brüste.

Er stöhnte auf, als er die Berührung spürte, er öffnete die Augen, sah ihre Nacktheit und in seinen Augen erwachte ein Funke von Leben. Ein winziger Funke, aber immerhin ein Funke von einem bisschen Leben.

 

„Was willst du hier?“, fragte er zum drittenmal.

 

„Dich wieder lebendig machen“, sagte Buffy mit einem Lächeln und presste sich eng an ihn.

 

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Mehrere Stunden später kam Spike zu sich.

 

Er richtete sich ächzend auf und betrachtete die schlafende Buffy neben sich, sie sah total erschöpft aber auch entspannt aus. Er befreite sich behutsam von ihren Armen, die sie um ihn geschlungen hatte und auch das Bein, das sie über seine Hüfte gelegt hatte, schob er sanft beiseite. Sie sollte nicht aufwachen. Um Himmels Willen, er konnte jetzt nicht mit ihr reden, egal worüber.

 

Vorsichtig stieg er aus dem Bett und ging leise ins Badezimmer, wo er sich rasierte, was nicht einfach war mit der Menge an Bart, die er im Gesicht hatte.

 

Er starrte fassungslos auf sein Spiegelbild, das unter dem Bart zum Vorschein gekommen war. Dann ging er unter die Dusche und zog sich danach angeekelt seine alten Sachen wieder an. Er hatte nichts anderes da. Was zum Teufel war mit ihm passiert? Wie konnte er sich nur so gehen lassen? Er hatte schließlich einen Sohn, um den er sich kümmern musste. Aber nein, er hatte über seiner Trauer den Kleinen einfach aus seinem Leben ausgeschlossen. Oh Gott! Er musste unbedingt zu ihm, musste sich um ihn kümmern. Was für ein beschissener Vater er doch war! Wenn Lilah das wüsste... Er stöhnte gequält auf, denn er hatte sie soeben betrogen.

Wieder im Zimmer nahm er seine Jacke an sich, und zog leise die Tür hinter sich zu, um Buffy ja nicht aufzuwecken.

Er orderte kurzerhand ein anderes Zimmer. Ferner gab er dem Portier die mit einem Geldschein untermalte Anweisung, der Dame, die sich noch in seinem alten Zimmer befand, nicht mitzuteilen, dass er noch im Hotel war. Falls sie nach ihm fragen sollte.

 

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Etwas später wurde auch Buffy wach. Sie fühlte sich erschöpft, aber auch entspannt und befriedigt wie lange nicht mehr. Spike... Sie wollte nach Spike greifen, aber da war kein Spike mehr.

Vielleicht war er unter der Dusche.

Allerdings wurde ihr nach einer Weile klar, dass es dafür zu leise im Badezimmer war.

Egal, vielleicht rasierte er sich gerade. Zögernd stand sie auf und ging, immer noch nackt, ins Badezimmer.

Doch der Raum war gähnend leer, keine Spur von Spike. Aber er würde doch zurückkommen, oder? Buffy legte sich wieder auf das Bett und wartete auf ihn.

Sie dachte über die vergangene Nacht nach. Es war grandios gewesen, es war befriedigend gewesen, überaus befriedigend, es war seltsam gewesen, überaus seltsam, Spike mit einem kratzenden Bart, der an ihrem ganzen Körper zarte rote Streifen hinterlassen hatte. Sie würden schnell weggehen, aber jetzt waren sie noch zu sehen, überall an ihrem Körper. Sie liebte diese Streifen, wünschte, sie würden nie verschwinden...

...Aber irgend etwas hatte gefehlt.

Buffy stöhnte auf. Er war auch brutal gewesen, er hatte zeitweilig nicht mehr gewusst, was er tat, aber sie hatte sich ihm bereitwillig unterworfen, vielleicht hatte sie doch eine masochistische Ader, die nur Spike in ihr wecken konnte.

Sie wurde leicht rot, als sie genauer nachdachte. Er hatte ihren ganzen Körper in Besitz genommen, war in jede Öffnung ihres Körper eingedrungen. Buffy stöhnte wieder auf. Diesmal aus Verlegenheit, aber auch Lust schwang darin mit.

Doch irgend etwas hatte gefehlt...

Bis ihr schließlich etwas bewusst wurde, das sie bis jetzt verdrängt hatte.

Er hatte ihren ganzen Körper berührt, befriedigt und bezwungen. Seine Lippen waren überall gewesen, in ihren intimsten Bereichen.

 

...Aber auf den Mund geküsst hatte er sie nicht.

 

Warum nicht? Buffy fühlte, wie eine unbestimmbare Kälte sich in ihr breit machte und sie frösteln ließ, sie grübelte und grübelte und kam schließlich zu einem Ergebnis:

Er hatte ihr Liebesspiel als Betrug an seiner toten Frau angesehen und ihr deshalb diese Intimität verweigert. Wie furchtbar unglücklich musste er sein!

 

Buffy spürte, wie sich eine Träne langsam den Weg über ihr Gesicht bahnte.

Seltsam, sie hatte nicht geweint, als Angel sie damals verließ.

Sie hatte nicht geweint, als Riley mit dem Hubschrauber abflog.

Nicht, als ihre Mutter gestorben war.

Nicht, als sie sich selber aus dem Grab wühlte.

Auch nicht, als Spike vor ihr in der Höhle verglühte.

 

Aber jetzt weinte sie, als ob sich ein gordischer Knoten in ihr lösen würde. Sie weinte um alles, was sie je im Leben verloren hatte. Aber das alles erschien ihr nicht mehr wichtig.

Denn vor allem weinte sie, weil Spike so unglücklich war.

 

Sie wartete drei Stunden auf ihn, und jede Sekunde davon war von Hoffnung erfüllt, aber auch von der Furcht, dass er nicht kommen würde. Nach drei Stunden des Wartens hatte sie dann kapiert, dass er nicht vorhatte, zu kommen.

Sie ersparte es sich, beim Portier nach ihm zu fragen. Spike wollte sie nicht, so einfach war das. Sie verließ das Hotel, nahm sich ein Taxi und ging kurz bei Angel vorbei. Doch der wusste auch nichts von Spike.

 

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als nach Woodcape zurückzukehren. Schließlich hatte sie eine Tochter, die auf sie wartete. Spikes Tochter...

 

Er würde vielleicht irgendwann zu ihr kommen. Das hoffte sie so sehr. Und sie hatte jetzt immerhin etwas, von dem sie träumen konnte.

 

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Der Sonnenuntergang am Strand vor Santa Catalina beeindruckte Spike nicht sonderlich, er war nur mit seinen Gedanken beschäftigt, und diese drehten sich nur um Lilah und um seine letzten Tage mit ihr. Hatte er sie irgendwie verletzt, beleidigt, ihr nicht genug Beachtung geschenkt? Er konnte noch so viel grübeln, er hatte nichts dergleichen getan. Ihre letzten gemeinsamen Tage verliefen harmonisch und glücklich. Das änderte natürlich nichts daran, dass er versagt hatte, dass er nichts von dem Bösen bemerkt hatte, das ihn und seine Familie umgab. Nichts von der Gefahr, die hinter seinem Glück lauerte. Ach Lilah, du warst die beste, du hast dich für einen Nichtsnutz wie mich geopfert. Er schüttelte hilflos den Kopf und sah über das graue Meer, über dem ein kalter Wind wehte.

Dicke Regenwolken ballten sich gerade zusammen, nichts Ungewöhnliches im Dezember an der Küste vor Santa Catalina. Die blasse Sonne ergab sich der grauen Wolkenarmada und verschwand langsam hinter ihnen. Erste Tropfen fielen. Als es sich dann langsam einregnete, ging Spike zügig in das Strandrestaurant und bestellte dort einen Kaffee. Das Lokal war fast leer, und von den wenigen Besuchern erkannte ihn niemand. Gut so!

Er packte Gwydion aus, er hatte ihn, geschützt durch eine warme Decke gegen der Kälte, mit sich herumgetragen und setzte ihn nun behutsam auf seinen Schoß.

Der Kleine fing natürlich sofort an zu krähen, nicht sehr laut aber dafür umso eindrucksvoller. Der Mann vom Nachbarstisch blickte zu ihm herüber und fing an zu lächeln. Spike musste auch lächeln, Gwydion hatte wirklich eine Mordswirkung auf Leute, sogar auf den steifen Wächter Wesley, der zu Angels Gefährten gehörte. Mit dem hatte Lilah mal ein Verhältnis gehabt? Spike konnte das immer noch nicht glauben, aber Lilah war damals eine andere gewesen und nicht SEINE Lilah. Und jetzt war sie fort, und er würde sie nie mehr sehen. Er musste schlucken. Gwydion lenkte ihn aber wieder ab, er hatte seine kleinen Finger um Spikes Hand geschlungen und gluckste nun leise vor sich hin. Er sollte ins Hotel gehen und ihn füttern, er hatte bestimmt Hunger.

Während Spike liebevoll seinen Sohn anschaute, braute sich einiges in seinen Gedanken zusammen. Wie sollte es weitergehen? Angel und seine Freunde hatten Gwydion perfekt betreut, geliebt und beschützt, aber jetzt musste er, Spike, sich selber der Sache stellen. Spike überfielen wieder die Erinnerungen, sie taten ihm weh, aber ohne sie konnte er nicht leben, er dachte daran, wie er Lilah hinter dem Müllcontainer fand, er dachte an ihr anfangs so unschuldiges Zusammenleben, er dachte an ihre erste Liebesnacht, an ihre Hochzeit und an die Geburt von Gwydion. Aber vor allem anderen dachte er daran, wie sie gestorben war.

 

Wieder schüttelte er hilflos den Kopf. Wie konnte er ihr damals nur erzählen, was er über den Himmel und über das Leben nach dem Tode denkt. Dass er an nichts glaubt, dass alles nur im Gehirn der Menschen existiert, Gott, der Himmel, die Engel und das Leben nach dem Tode... Jetzt würde er sein Gefasel am liebsten ungefaselt machen, jetzt hätte er es gern, wenn sie ihm aus dem Himmel zusehen würde, vor allem würde er gerne mit ihr sprechen, ihr sagen, dass er sie liebt und sie furchtbar vermisst...

 

Verdammter Lügner, du hast sie betrogen! Automatisch stöhnte er auf, denn er erinnerte er sich an den irrsinnigen Abend, an dem Buffy zu ihm gekommen war, um ihn zu trösten und ins Leben zurückzuholen. Was zum Teufel hatte er getan?

Seltsamerweise fühlte er sich danach etwas lebendiger, zum erstenmal seit Wochen. Und gleichzeitig fühlte er sich total beschissen, er hatte seine Frau betrogen, zwar NACH ihrem Tode, doch Betrug war Betrug. Es hätte nicht passieren dürfen.

Aber eigentlich musste er Buffy dankbar sein, einzig und allein sie hatte ihn daran gehindert, sich zu Tode zu saufen. Und was wäre dann mit Gwydion passiert? Vermutlich nichts Gutes. Denn W&H hatten etwas mit ihm vor, das war ihm mittlerweile klar geworden.

 

Er griff, mit dem Kleinen im anderen Arm nach der Zeitung, die auf dem Tisch lag.

 

Er stutzte, und seine Augen weiteten sich. Die Schlagzeile war der Hammer. Da stand doch tatsächlich:

 

– – – MYSTERIÖSER FALL JUNGE FRAU WEGEN MORDES VERHAFTET! – – – Und darunter prangte doch tatsächlich ein Bild von Buffy.

 

Spike überflog hastig den Artikel. Er vergaß kurzfristig seine Schuldgefühle gegenüber Lilah und stöhnte gequält vor sich hin: „Ach du heilige Scheiße! Auch das noch!“

 

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Teil 20a HINTER DEN GITTERN

 

Buffy saß in ihrer Zelle und grübelte krampfhaft darüber nach, was eigentlich passiert war. Aber sie konnte sich einfach an nichts mehr erinnern.

 

Diese verdammten zehn Minuten, vielleicht die wichtigsten zehn Minuten ihres Lebens waren aus ihrem Gedächtnis getilgt, als hätte man ein Videoband geschnitten und den Abfall weggeschmissen. Nein, das war so nicht richtig, ihr Gedächtnisverlust war eher wie eine nicht aufgenommene Filmszene. Nur dass in ihrem Fall der Abfall oder die nicht aufgenommene Szene alles enthielt, was für ihr Weiterleben wichtig war. Möglicherweise sogar für ihr Überleben. Sie wollte diesen Gedanken nicht weiterverfolgen, er war zu entsetzlich. Als Jägerin zu sterben, das konnte immer passieren, und das war okay, – aber nicht durch den elektrischen Stuhl, davor hatte sie natürlich Angst, denn der Stuhl war ein wahres Folterinstrument, manchmal dauerte es minutenlang, bis der Verurteilte...

Aber das war nicht das Schlimmste, sie ächzte auf, denn sie empfand zum erstenmal in ihrem Leben richtige Furcht. Diese Furcht hatte nichts mit dem Stuhl zu tun, nichts mit den Qualen, die er einem vielleicht verschaffte, nichts mit dem Todeskampf. Nein, ihre Furcht bezog sich auf etwas anderes. Was würde mit ihrer kleinen Tochter geschehen, wenn sie, Buffy nicht mehr da war? Sie hatte doch niemanden mehr, ihren Vater hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen, und sonst gab es keine anderen Verwandten außer Dawn, und die war zu jung. Was würde mit Morgan geschehen? Sie blickte wie versteinert vor sich hin.

In diesem Augenblick betrat die Wärterin ihre enge Zelle. „Sie haben Besuch“, sagte sie aufmunternd, und Buffy folgte ihr in den Besucherraum. Welch schöne Bezeichnung: Besucherraum... Das klang so heimelig, so vertraut, aber in Wirklichkeit handelte es sich nur um eine weitere kleine Zelle mit einem Gitter, hinter dem sich Hoffnung und Freiheit befanden. Und neben ihr würden andere Gefangene sitzen und durch das Gitter starren und auf bestimmte Menschen warten, die hinter dem Gitter erscheinen würden. Geliebte Menschen, vertraute Menschen...

Buffy wunderte sich, wer sie wohl besuchen kam. Alle, die sie mochten, waren doch schon da gewesen, Dawn, Willow, Xander, der extra aus Chicago gekommen war – und sogar Faith und Robin. Aber mittlerweile hatten sie wohl die Hoffnung auf Rettung aufgegeben, denn seit ein paar Tagen war keiner von ihnen hier erschienen. Nur Dawn kam noch, sie fuhr die zehn Meilen von Woodcape nach Cleveland mit dem Bus.

 

Einen winzigen Augenblick lang hegte sie den irrwitzigen Wunsch, es wäre Spike. Quatsch! vollkommener Quatsch! Ausgerechnet Spike, der sie unbedingt loswerden wollte nach der Nacht im Hotel. Welch eine Nacht, sie biss sich auf die Lippen und trottete langsam und in Gedanken versunken hinter der Wärterin her.

Aber vielleicht war er ja doch gekommen. Zögernd betrat sie die Besucherzelle, um vor dem Gitter Platz zu nehmen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, so sagte man ja...

 

Eine hohe Gestalt erschien hinter dem Gitter. Das war doch nicht... Doch, es war Angel! Ach Angel, ihre große Liebe Angel! Wenigstens er hatte an sie gedacht.

Aber warum fühlte sie nicht so glücklich, wie sie es hätte sein müssen? Es war doch Angel, der hinter dem Gitter saß. Sein geliebtes Gesicht beruhigte sie, und ihre Stimmung hob sich ein wenig. Dennoch fehlte ihr etwas. Und wieder musste sie an Spike denken. Warum kam er nicht? Sie brauchte ihn, er fehlte ihr so sehr, dass es förmlich schmerzte.

Angel also. Wer hätte jemals gedacht, dass er eines Tages nur die zweite Wahl für sie sein würde. Natürlich freute sie sich unheimlich über sein Kommen. Er schien ihr so vertraut, aber ihr Verhältnis hatte sich geändert - wie sie bei sich feststellte - mittlerweile war er nur noch der Vertraute ihrer Vergangenheit, ihrer Kindheit. Ein Mädchen, sechzehn Jahre alt, fast noch ein Kind, und dann überstürmt von der ersten großen Liebe. Einer überwältigend großen ersten Liebe, die lange Zeit überdauert hatte. Jede noch so schlimme Krise wurde irgendwie gemeistert, jede noch so grausame Tat des Geliebten hatte sie ihm verziehen. Ach Angel...

 

Blöderweise braucht auch eine so überwältigend große Liebe einen Nährboden, braucht die körperliche Nähe der Liebenden, sonst trocknet sie einfach aus. Vielleicht war die Entfernung von Sunnydale zu Los Angeles zu groß, sie führten beide ein neues Leben, in dem der andere keinen Platz mehr hatte.

Aber dennoch liebten sie sich lange Zeit, es war eine süße, qualvolle und vor allem unerfüllbare Liebe. Doch irgendwann hatte sie aufgehört wehzutun. Wann war das? Als sie mit Spike die Affäre begann?

Vorher hatte Angel sie nie richtig losgelassen, immer war er in ihren Gedanken, beeinflusste sogar ihre Beziehungen, zum Beispiel bei Riley, dem er viel Abneigung entgegenbrachte. Und irgendwie hatte seine Abneigung sie dazu bewogen, Riley fortzuschicken. Das wurde ihr in diesem Augenblick klar. Angel hielt Riley für unwürdig, Angel hielt natürlich auch Spike für unwürdig, der war ihm im Vergleich zu Riley bestimmt noch viel unwürdiger erschienen...

Ach Angel... Wäre es anders gekommen, wenn du geblieben wärst, auf die keusche Art, die dein Fluch nun mal einforderte? Ja, könnte sein... Aber es lief eben anders, es verlief im Sande, nein, in einem Treibsand, in dem sie versank und in dem sie unfähig verharrte, unfähig Liebe zu schätzen, die ihr entgegengebracht wurde, unfähig Liebe zu erkennen, die sie selber empfand.

Blablabala... Buffys Gedanken verschwammen, sie war noch nie ein großer Theoretiker gewesen. Das hatte sie mit Spike gemeinsam. Ach Spike, warum musste sie nur immer an ihn denken? An einen, der sie nicht wollte. Ob er sich wohl um seine Tochter kümmern würde, wenn sie nicht mehr da war? Quatsch, er wusste ja gar nichts von Morgan... War es ein Fehler gewesen, ihm nichts von ihr zu sagen? Sie hatte sich so furchtbar gefühlt, als die hochschwangere Lilah ihr die Tür öffnete. Und sie war sofort abgehauen, ohne Spike die Chance zu geben, je von seiner Tochter zu erfahren. Fehler, großer Fehler! Tja, im nachhinein ist man immer schlauer...

Automatisch nahm sie vor dem Gitter Platz.

„Wie geht es dir?“, Angel riss sie aus ihren Gedanken.

„Den Umständen entsprechend“, sagte sie und guckte an ihm vorbei, weil hinter ihm noch jemand den Raum betreten hatte.

 

Er war es! Er stand hinten an der Tür und schaute sie verlegen an. Seine jetzt dunkleren Haare waren zerzaust, er trug eine dicke Jacke und einen schwarzen Rollkragenpullover, er sah älter aus als früher, aber es stand ihm. Wie ihm alles stand...

Sie spürte, wie ihr Röte ins Gesicht schoss. „Spike“, murmelte sie vor sich hin.

Angel guckte ein wenig betreten. Er hatte sich einen netteren Empfang für sich vorgestellt, nun denn, er war wohl abgemeldet. Aber das hielt er für zweitrangig, denn sie waren schließlich da, um sie hier rauszuholen.

 

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Spike hatte Angel gebeten mitzukommen – und bei dem natürlich offene Türen eingerannt. Sie konnten vorher schwer einschätzen, wie lange die Fahrt nach Cleveland dauern würde. Angel hatte eine Aversion gegen Flugreisen und Flughäfen. Schlechtes Wetter und Streiks konnten möglich sein und ihn im ungünstigsten Fall zu Asche verbrennen. Als Alternative bot sich nur an, mit dem Van zu fahren.

 

Aber das war nicht das einzige Problem. Spike entschloss sich nach langem Nachdenken, seinen Sohn Gwydion mitzunehmen, er wagte es nicht, ihn in L.A. zu lassen, obwohl er im Hotel Hyperion relativ sicher war bei Gunn, Cordelia und Wesley. Spike musste das wissen, denn er hatte die letzten drei Wochen dort gewohnt. Aber es war nur eine relative Sicherheit. Falls irgend etwas von W&H überlebt hatte, wäre es zu gefährlich, Gwydion hier zurückzulassen.

Gwydion war jetzt fast ein halbes Jahr alt, er war trotz seiner Zartheit ein zähes Kerlchen und würde die zweitagelange Fahrt durch die Vereinigten Staaten aushalten. Es handelte sich ja nur um schlappe zweitausend Meilen... Um ganz sicher zu gehen, bat Spike seinen Freund Snikkers, mitzufahren, denn drei Männer waren besser als zwei. Snikkers sagte natürlich zu, er freute sich, Spike diesen Gefallen tun zu können.

Ab und zu mussten sie natürlich Pausen einlegen, nicht um auszuruhen, nein, schlafen konnte man während einer der anderen fuhr – Angel fuhr natürlich in der Nacht, dem Himmel sei Dank waren die Dezembernächte lang – aber Gwydion musste alle paar Stunden versorgt werden mit warmer Nahrung und frischen Windeln. So gesehen waren drei Leute optimal. Einer konnte sich immer mit dem Baby beschäftigen, wenn das Baby Langeweile hatte, und der Van, dessen Scheiben hinten verdunkelt waren, bot in dieser Situation Platz und Schutz für alle, sei es für Baby Gwydion, für seine jeweiligen Sitter, für schlafende Vampire oder für schlafende Menschen.

 

Sie brauchten vierundvierzig Stunden, also keine zwei Tage, um Woodcape zu erreichten.

 

Willow, die allein im Haus war, zeigte sich ziemlich verwundert. Vermutlich war es der ungewohnte Anblick von Angel und Spike zusammen, der sie etwas zusammenzucken ließ. Die beiden galten ja eigentlich als Erzfeinde... Der nette Snikkers, den sie nicht kannte, schien aber mit beiden gut klarzukommen und wurde freundlich von ihr aufgenommen.

Willow bot sich an, Gwydion zu füttern, zu baden und danach mit einer neuen Windel zu versehen. Baby Gwydion war wie immer unwiderstehlich.

Spike warf Willow einen skeptischen Blick zu, denn woher sollte die sich mit Babys auskennen. Aber dann nahm er ihr Angebot doch dankend an, denn Angel und er hatten es eilig, Buffy zu besuchen.

 

Willow zeigte ihnen also kurz das Gästezimmer, das sich im Keller befand. Danach führte sie beide in Buffys Zimmer, das zur Zeit natürlich unbewohnt war. Nach kurzem Zögern fragte sie Angel, ob er dort wohnen wolle.

Nach unmerklichem Zögern verneinte Angel, er behauptete, er wolle lieber in den Keller ziehen, das Sonnenlicht wäre manchmal zu grell für ihn.

 

Also brachte Spike seine Tasche in das Zimmer – mit einem seltsamen Gefühl, denn das war das erste Mal, dass er in Buffys Zimmer schlief, wenn auch aus anderen Gründen, als er sich das jemals gewünscht hatte.

Das Zimmer sah etwas steril aus, es war kein Kleinmädchenzimmer mehr, aber es hatte noch keinen eigenen Stil.

Sie muss noch viel lernen, dachte Spike.

Das Bett duftete nach ihr, aber er konnte nicht mehr so gut riechen wie früher, und deswegen war der Duft stark abgeschwächt.

An der Wand hingen Bilder von Dawn und einem Kleinkind, es sah aus wie ein Mädchen. Niedliches Ding!

Auf einem Sessel lag, das wunderte ihn am meisten, die DVD von THE BIG BAD THING. Wieder musste er an die Nacht denken, als sie zu ihm ins Hotel gekommen war. Es hätte nicht sein dürfen...

 

Aber das war nun egal, Angel und er wurden sie aus dem Gefängnis holen, koste es was es wolle!

 

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„Du bist gekommen“, sagte Buffy leise, als er näher kam. Spike fühlte sich ein wenig verlegen, aber das kriegte er schnell in den Griff.

„Kein Problem“, sagte er und lächelte bei diesen Worten.

Sie trug eine graublaue Jacke – wahrscheinlich Gefängniskleidung – die ihr absolut nicht stand. Ihre frühere Kindlichkeit war ganz verschwunden. diese Süße, mit der sie Männern und Vampiren, wie Spike mit leichter Verbitterung dachte, den Kopf verdreht hatte, war einem neuen Aussehen gewichen. Sie sah, automatisch kam es ihm in den Sinn ... mütterlich aus? Quatsch, das war blödes Zeug, sie sah nur weicher aus als früher.

„Buffy, du musst uns genau erzählen, was passiert ist“, unterbrach Angel diese ‚innige’ Begrüßung zwischen den beiden. Angel fühlte sich ziemlich an den Rand des Geschehens gedrängt, ein bisher unbekanntes Gefühl für ihn.

Buffy riss sich von Spikes Anblick los. „Ich kann euch wirklich nichts sagen. Der Polizeibericht ist aufschlussreicher als alles, was ich weiß. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Es ist alles weg, nein, es war ja nie da...“

„Das ist schlecht“, meinte Spike.

„Ich weiß nicht, ob ich ihn getötet habe. Möglich wäre es ja...“

„Buffy, du kannst doch keinen Menschen töten“, versuchte Angel sie zu überzeugen.

„Ich weiß nicht“, Buffy starrte vor sich hin. „Ich weiß nicht, Angel.“

„Wenn du es nicht warst, dann werden wir das herausbekommen“, sagte Spike mit fester Stimme. „Ach was, du warst es nicht! So was kannst du doch gar nicht, du bist doch eine Gute!“

 

Buffy lächelte ihn erleichtert an. Er war da, er war gekommen, und er würde sie hier herausholen. Und das Beste an der Sache war: Er würde seine Tochter endlich kennen lernen. Hoffentlich kriegte er nicht den Schock seines Lebens... Nein, er war hart im Nehmen, er würde Morgan lieben, so wie er Gwydion liebte, und vielleicht würde von dieser Liebe etwas für sie selber abfallen.

 

Wie bescheiden sie doch geworden war.

 

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Mit Gwydion auf dem Arm ging Spike in den Wohnraum des Hauses. Er sah ein kleines Mädchen mit dunkelblonden lockigen Haaren - irgendwie wusste er, dass es ein Mädchen war - es saß in einem Laufstall, und schaute ihn prüfend an, wie er meinte. Seltsam, es war doch nur ein Baby... Das Baby richtete sich auf, stellte sich auf die Beine, lief zielsicher auf ihn zu, hielt sich am Gitter des Laufstalls fest und streckte ihm auffordernd ein Ärmchen entgegen.

 

„Haben sie dich auch in den Knast gesteckt?“, fragte er. Das kleine Mädchen kam ihm irgendwie vertraut vor, bis ihm einfiel, dass er ein Bild von der Kleinen in Buffys Zimmer gesehen hatte. Außerdem erinnerte sie ihn an die kleine Maggie von den Simpsons.

Einem Impuls folgend legte er Gwydion vorsichtig in den Laufstall und bettete ihn dort auf ein flaches Kissen.

„Du bist ja so klein und zierlich wie eine Fee“, wandte er sich dann wieder dem kleinen Mädchen zu, hob es aus dem Laufstall und nahm es auf den Arm. „Sag’ mal, kennen wir uns irgendwoher?“

 

Ein undeutliches Bild erschien in seinem Kopf, und er sah sich selber, wie er vor einiger Zeit in Sunnydale ausgesehen hatte. Blond und bleich und gekleidet in seinen schwarzen Ledermantel. Das Bild gewann an Schärfe.

Unwillkürlich zuckte er zusammen.

Ein weiteres Bild tauchte auf. Er, Spike, nackt mit einem lüsternem Gesichtsausdruck...

So etwas sollte ein kleines Mädchen eigentlich nicht wissen. Aber sie konnte es sicher nicht verstehen. Oder etwa doch? Er fühlte sich total verunsichert. Nein, nein, es war ja nur ein Baby, allerdings ein ziemlich ungewöhnliches...

„Wir kennen uns also wirklich“, murmelte er und drehte sich zu Dawn hin, die gerade den Raum betreten hatte und ihn begrüßte mit: „Ach! DU hier?“

Was sollte das? Spike fragte sich, wo das gute Verhältnis geblieben war, das sie einmal miteinander hatten. Damals war er fast wie ein älterer Bruder für sie gewesen. Damals als Buffy tot war und er für ihre jüngere Schwester sorgte.

„Na ja, besser spät als nie“, Dawns Stimme hörte sich irgendwie tadelnd an

„Hallo Dawn“, sagte Spike ein wenig ratlos. Was wollte sie von ihm, was konnte sie ihm vorwerfen?

„Der ist aber süß!“, rief Dawn begeistert aus und beugte sich über den Laufstall, um Gwydion näher in Augenschein zu nehmen.

 

Dawn schien nichts von dem zu bemerken, was zwischen ihm und dem kleinen Mädchen vorging. Vielleicht konnte nur er selber es empfinden. Seltsam...

 

„Hast du dich schon mit Morgan angefreundet?“, fragte Dawn ihn nun. „Das ist seltsam, mit Parkinson kam sie gar nicht zurecht. Das ist der Drecksack, der jetzt tot ist! Darf ich den Kleinen mal nehmen?“

„Klar! Aber wieso Drecksack?“

„Ich weiß nicht, vielleicht Intuition... Wow, sie sehen sich wirklich ähnlich!“, behauptete Dawn, nachdem sie Gwydion eine Weile im Arm gehalten hatte. Gwydion verhielt sich vorbildlich. Er lächelte Dawn an, und sie war sichtlich bezaubert von seinen strahlend blauen Augen, die er natürlich von seinem Vater geerbt hatte.

„Äääh, wie bitte?“ Was zum Teufel konnte sie meinen?

„Also wirklich Spike“, Dawns Stimme klang verärgert, „es ist unter Geschwistern ab und zu der Fall, dass sie sich ähnlich sehen.“

 

Unter Geschwistern? Spike fühlte sich allmählich, als würde das Zimmer um ihn herum verschwimmen, dazu sah er ein weiteres Bild aus der Vergangenheit, den Kellerraum im Summers-Haus am Abend vor der großen Schlacht, als er und Buffy sich gegenüber standen und dann... Er sah sich selbst und wie verlegen er gewesen war. Genauso wie sie. Sie hatten sich gegenseitig so viele Dinge angetan und so viele Gemeinheiten an den Kopf geworfen, dass keiner sich traute, seiner Leidenschaft freien Lauf zu lassen. Sie hatten wirklich Angst. Und diese Begegnung war ein reiner Eiertanz, Spike musste unwillkürlich lächeln, Eiertanz im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte daraus geschlossen, dass sie ihn nicht liebte. Da war nichts mehr von der Leidenschaft, die sie einmal geteilt hatten. Da war nur noch Rücksichtnahme und Vorsicht – und das meiste davon war bestimmt Mitleid für ihn, denn sie wusste, dass er am nächsten Tag sterben würde...

Das Bild verblasste, Spike kam zurück aus der Vergangenheit und schüttelte sich unmerklich.

„Dieses Kind...“, er schaute Dawn fragend an.

„Ist deine Tochter, du Blödmann! Hat Buffy es dir nicht gesagt, als sie in L.A. war?“

„Sie war in L.A? Aber sie war nicht bei mir. Was soll der Scheiß? Warum hat sie es mir nicht gesagt?“

„Vermutlich, weil du nichts mit ihr zu tun haben wolltest“, sagte Dawn anklagend, „sonst hättest du dich ja vielleicht hier gemeldet. Oder bist du jetzt zu berühmt, um dich an sie zu erinnern?“

„Bin ich nicht!“ Spike war geschockt, er hatte eine Tochter! Völlig unerwartet, völlig unverständlich. Noch dazu eine, die eine telepathische Verbindung mit ihm herstellen konnte. Ob es auch umgekehrt funktionieren würde?

Heiliger Strohsack! Dem Himmel sei Dank war es in dem Hotelzimmer vor ein paar Wochen relativ dunkel gewesen, er atmete erleichtert auf und dachte vorerst nicht drüber nach, was sein Töchterchen für Fähigkeiten hatte.

 

Doch dann auf einmal kam ein gewaltiges Gefühl der Freude in ihm hoch. Er hatte eine Tochter, dieses süße kleine Ding, dem er sich so vertraut fühlte! Und Gwydion hatte eine Schwester! Beide waren ungewöhnliche Kinder, Gwydion mit seiner Fähigkeit, das Gute in den Menschen hervorzubringen – und Morgan, tja, die Kleine hatte es drauf, seine Gedanken lesen zu können. Was konnte sie sonst noch? Er lächelte leise vor sich hin, bis ihm dann abrupt zu Bewusstsein kam, dass die beiden zusammen wohl ungeheure Fähigkeiten hatten. W & H... Verdammt, verdammt! Sie wussten es, und sie wollten die Kinder, wollten deren Potential benutzen oder erforschen oder sonst was Widerliches mit ihnen tun.

Lilah hatte bestimmt die Wahrheit herausgefunden, aber nicht mehr die Zeit gehabt, ihn zu informieren. Stattdessen war sie tot. Wieder überkam ihn der Schmerz. Er hatte ihn während der langen Fahrt nach Woodcape verdrängen können, aber jetzt war er wieder da. Lilah, seine Liebste hatte auch Geheimnisse gehabt, vielleicht wusste sie sogar von Buffys Kind. Warum sie ihm nichts davon gesagt hatte, das war ihm egal, sie hatte bestimmt Gründe dafür gehabt.

Er biss sich auf die Lippen und dachte an sie, so intensiv, als wäre sie bei ihm. Du musst deine Kinder beschützen, sagte sie, und er spürte ihre Lippen auf seinem Mund. Oh Lilah, bitte geh’ nicht weg, sagte er verzweifelt zu ihr, aber er spürte unaufhaltsam, wie sie ihm entglitt. Du wirst schon wissen, was zu tun ist, hörte er nur noch ganz schwach.

 

Na super! Er hatte nicht den blassesten Schimmer, was Lilah von ihm wollte.

 

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Teil 20b KEIN GANZ ALLTÄGLICHER MORDFALL...

 

Der Polizeibericht brachte wirklich keine Klarheit in die Sache, genauso wie Buffy es gesagt hatte. Schlimmer noch, Spike und Angel fanden ihn so deprimierend, dass sie sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt sahen, und allmählich beschlich sie ein Gefühl der Hilflosigkeit. Da stand nämlich unter anderem:

 

- - - - - - Die Polizei erhielt am 15. Dezember um 21:00 Uhr einen Anruf - ein Unbekannter beschwerte sich über den Lärm im Nachbarhaus und behauptete, einen Schuss gehört zu haben.

Die Polizeibeamten, die sofort zur angegebenen Adresse fuhren, fanden daraufhin Miss B.A. Summers vor, welche benommen auf der Couch im Wohnzimmer saß. Auf dem Boden neben ihr lag ein Revolver, auf dessen Lauf bei späterer Untersuchung Miss Summers Fingerabdrücke identifiziert wurden.

Im Kinderzimmer fand man eine tote Person, getötet durch eine Schusswunde, wie sich bei der Obduktion herausstellte. Bei der getöteten Person handelte es sich um einen Mann, und zwar um Thomas Parkinson aus Chicago.

Außerdem wurde an der Schulter des Toten eine Wunde festgestellt, die von dem hölzernen Pflock stammte, welcher neben dem Toten lag. Die Brieftasche des Toten entdeckten die Beamten im Fach eines Schreibtisches. Sie enthielt 10 Hundertdollarnoten und mehrere Kreditkarten.

 

Miss Summers behauptete, sich an nichts erinnern zu können, was an diesem Abend passiert war.

Bei der weiteren Befragung ergab sich Folgendes:

Ja, sie hatte in letzter Zeit öfter Streit mit dem Getöteten gehabt.

Ja, sie hatte Schluss mit ihm gemacht, als sie von einer Reise nach L.A. zurückkam, aber er ließ sich nicht so leicht abwimmeln.

Ja, er wollte an diesem Abend bei ihr vorbeikommen, um sie zu überreden, ihre Beziehung wieder aufzunehmen. Aber wie der Besuch verlaufen war, so behauptete sie, daran habe sie absolut keine Erinnerung.

 

Die Tat erwies sich im nachhinein als besonders grausam und abscheulich. Thomas Parkinson war nämlich schon bewusstlos, vermutlich durch Einwirkung des Pflocks auf seiner Schulter, als er durch einen Schuss getötet wurde.

 

Miss Summers wurde des Raubmordes verdächtig in Untersuchungshaft genommen und befindet sich derzeit im Bundesgefängnis von Cleveland. - - - - - -

 

Spike schüttelte den Kopf. Seltsame Sache! Er zweifelte an, dass Buffy dazu fähig war, einen Menschen zu töten. Was war wirklich passiert? Und warum konnte sie sich nicht daran erinnern?

Hatte dieser Parkinson vielleicht Morgan etwas antun wollen? Aus Rache vielleicht, weil Buffy ihn verschmäht hatte? Wollte Buffy ihr Kind beschützen? So viele Fragen.

Aber ihn direkt umbringen? Nein, Spike traute Buffy durchaus zu, jemanden mit dem Baseballschläger oder mit dem Pflock einen überzubraten. Aber ihn danach auch noch zu erschießen? Das war so was von absurd!

Doch wie zum Teufel war es dann abgelaufen? Die Untersuchungen waren mittlerweile abgeschlossen, es gab keine neuen Erkenntnisse mehr. Er und Angel tappten im Dunkeln, wussten nicht, wo sie anfangen sollten, um Buffys Unschuld zu beweisen. Zur Polizei gehen und dort erzählen, was für ein gutes Mädchen sie doch war und wie sie sämtlichen Dämonen von Sunnydale das Licht ausgeblasen hatte? Besser nicht...

 

Was konnten sie tun? Spike hatte sein Gehirn zermartert nach Lösungen, aber es fiel ihm nichts ein, außer einen guten Anwalt anzuheuern. Gute Anwälte waren eben wichtig in den Staaten. Und das ließ ihn wieder an Lilah denken, sie war mit Sicherheit eine ausgezeichnete Anwältin gewesen, aber sie hatte lange Zeit auf der dunklen Seite der Macht gestanden.

Was also konnte ein Anwalt bewirken, der nicht beeinflussbar war durch Geld, durch Ruhm und so Sachen? Konnte er Gerechtigkeit einfordern? Ihm kam in den Sinn, dass er sich mit Lilah schon mal drüber unterhalten hatte. Ach Lilah, sie war nun mal sein geliebter gefallener Teufel, so hatte sie sich immer bezeichnet. Engel hatten es bestimmt leichter zu fallen, bei denen ging’s nur abwärts, und das entsprach wohl der Schwerkraft der Seele oder von was auch immer. Aber umgekehrt war es bestimmt schwieriger, da fiel man nämlich nicht, sondern musste mühsam aufsteigen. Was für dämliche Gedankengänge, total konfuses Zeug...

 

Er hörte ein Geräusch aus dem Kinderzimmer, klein Morgan war gerade aufgewacht und hatte angefangen zu krähen. Es hörte sich richtig niedlich an, und er musste automatisch grinsen.

Spike vergötterte Morgan. Er sah in ihr die Tochter der Frau, die ihn nie geliebt hatte, aber er fühlte, dieses kleine Mädchen würde ihn wirklich und wahrhaftig lieben können, wie seine Mutter es nie getan hatte und nie tun würde. Verdammt, das erinnert ihn doch glatt an den Film „Gone with the Wind“. Genau, Rhett Butler und Scarlett... Die hatte Rhett auch nicht geliebt und war einem anderen hinterhergelaufen, aber die kleine Tochter, die sie mit Rhett hatte, die hatte Rhett geliebt. Kein guter Vergleich! Sie hatte ihn geliebt im Gegensatz zu ihrer Mutter, und dann war die Kleine bei einem Unfall gestorben.

Nein, das würde er verhindern, koste es was es wolle. Seine Tochter würde nicht sterben! Gwydion und Morgan, was für Kinder – eigentlich konnte er sich glücklich schätzen. Wenn nur Lilah nicht... Er verdrängte den Gedanken, aber dafür musste er nun an Buffy denken, an die Mutter seiner Tochter. Seine Gedanken waren dabei nicht zärtlich, sondern analytisch, er wusste genau, dass Buffy ihn nie geliebt hatte, aber das hinderte ihn nicht daran, ihre neue Rolle in seinem Leben zu akzeptieren. Sie war die Mutter von Morgan. Das war einerseits alles, aber andererseits nichts. Jedenfalls nichts, was seine Gefühle für sie betraf. Sie war nichts als die Mutter seiner Tochter - und als solche musste er sich um sie kümmern.

Er nahm Morgan auf den Arm und sprach automatisch seine Sorge aus, dass Buffy, die er in seinen Gedanken immer als ‚deine Mommy’ bezeichnete, wohl ewig hinter Gittern bleiben könnte, wenn nicht irgend etwas sie entlasten würde.

Von wegen ewig hinter Gittern... In Ohio gab es die Todesstrafe, obwohl sie nur noch selten praktiziert wurde. Spike war schwer beunruhigt, seine Sorgen schienen auf Morgan überzugehen, denn diese sah ihn mitleidvoll aufmerksam an. So kam’s ihm jedenfalls vor. Wahrscheinlich nur Einbildung, das Kind war ja gerade mal sechzehn Monate alt.

Dennoch erschien in seinem Kopf ein seltsames Bild.

Ein Mann beugte sich über ihn, man konnte wirklich sagen, ein gutaussehender Mann, Pierce Brosnan-Typ. Seine Arme kamen auf ihn zu. Sein Gesicht war verzerrt, und er sah wütend aus. Eine weibliche Stimme schrie: Lassiloss!

Spike war verblüfft. Konnte es sein, dass er mit Morgans Augen sah, was sich an diesem Abend abgespielt hatte? Und dass er mit ihren Ohren hörte, was gesagt wurde? Falls ja, dann war es unglaublich, er hatte ja schon einiges erlebt an seltsamen Sachen, aber das wäre dann echt der Hammer. Automatisch stellte er fest, dass Morgans visuelles Gedächtnis besser war als ihr akustisches. Warum wohl? Wahrscheinlich kann man sich als Kleinkind schlecht Worte einprägen und hinterher exakt wiedergeben, wenn man den Sinn dieser Worte nicht versteht.

Aber trotz der akustischen Schwierigkeiten konnte er die weibliche Stimme erkennen, es handelte sich einwandfrei um Buffy, die da rumschrie, und jetzt sah er sie hinter dem Mann stehen, sie hob den rechten Arm und hieb irgend etwas auf seine Schulter, der Mann ächzte auf und fiel langsam aus dem Bild heraus, wahrscheinlich stürzte er zu Boden. Natürlich konnte Morgan das nicht sehen. Was sie aber sehen konnte war, dass Buffy sich mit besorgtem Gesicht zu ihr niederbeugte und sagte: Morgan meinssats essissaus.

Spike ließ die Worte an sich vorbeirauschen, und fand schließlich einen Sinn darin, es hieß bestimmt: Morgan mein Schatz, es ist aus.

 

Sie war wirklich ein Wunder, die kleine Morgan. Mach weiter, dachte er aufmunternd. Und die kleine Morgan tat es auch:

Dunnutte veddammenutte!

Diese Stimme war neu. Sie hatte einen ätzenden Unterton und klang wie ein Fass voller Giftmüll.

Morgan sah ihn triumphierend an, und weitere Bilder folgten, diese erschienen sozusagen in Zeitlupe, und Spike fragte sich, ob sein Töchterchen diesen Trick anwandte, um ihm etwas deutlich zu machen - oder ob sie das alles schon verlangsamt gesehen hatte:

 

Buffy drehte sich zu der Stimme um, ein Zischen war zu hören. Sie strich sich hilflos über die Augen und schaute verzweifelt um sich. Sie fing an, hin und her zu taumeln, sank dann in sich zusammen und war kurz darauf nicht mehr zu sehen.

 

Ein neuer Kerl erschien vor Morgans Bett, ein unangenehmer Typ, der aussah wie ein Frettchen, okay ein Frettchen war für andere Frettchen bestimmt schön, aber dieses menschliche Frettchen hatte eine spitze Nase und boshaft funkelnde Augen.

Das Frettchen beugte sich über Morgans Bettchen, es lächelte höhnisch, entblößte dabei einen scharfen Eckzahn und zischelte mit seiner Giftmüllstimme: Wirmachenessgansanners!

Er wandte sich vom Bett ab, verschwand aus Morgans Sichtfeld, dann hörte man Geräusche, als ob jemand einen schweren Gegenstand aus dem Zimmer schleifen würde.

Kurz darauf ertönte ein lauter Knall, wahrscheinlich handelte es sich um einen Schuss. Und das Bild wurde schwarz, denn Morgan hatte wohl Angst bekommen und die Augen zugemacht.

 

Hatte dieser Parkinson etwa einen Komplizen gehabt, fragte sich Spike. War es möglich, dass W&H auf Morgan aus waren, genauso wie sie auf Gwydion ausgewesen waren? Was hatten Gwydion und Morgan gemeinsam? Außergewöhnliche Fähigkeiten. Nur dass Gwydion von seinem Vater beschützt wurde und außerdem auch noch von Angel und seinen Freunden. Nachdem Lilah die Firma in den Arsch getreten hatte...

Natürlich, dass musste es sein! Möglicherweise wollten sie die Mutter des Kindes ins Gefängnis stecken, denn es gab nicht viele erziehungsberechtigte Verwandte, wenn Buffy aus dem Weg geschafft war, Dawn war zu jung, es gab keinen Vater – Spike fühlte einen Stich von Schuldbewusstsein – und W&H hätten sich mit Leichtigkeit das Kind aus der staatlichen Fürsorgestelle aneignen können. Auf ganz legale Art und Weise.

Dann fiel Spike Buffys Vater ein, der in Los Angeles lebte. Vermutlich wusste der noch nicht mal, dass seine Tochter ein Kind hatte. Aber auch den hätten sie mit Leichtigkeit ausgeschaltet. Wirklich ein perfider Plan! Das Frettchen musste ein großer Stratege sein, und dazu noch ein sehr spontaner...

„Daaddiii!“, brabbelte Morgan ihn an. Spike war gerührt. Soviel er wusste, war das eins der ersten Worte, die Morgan sprach. Buffy hatte wohl viel an ihn gedacht. An den Daddy ihres Kindes gedacht, verbesserte er sich.

„Ja, ich bin dein Daddy“, er strich mit dem Finger über Morgans winzige Nase, die so klein und vollkommen war wie die einer Fee, „und ich schwöre dir, wir werden Mommy da rausholen. Aber erst mal danke, mein Schatz!“ Er lächelte sie an, und sie lächelte zurück.

 

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Spike besprach sich mit Angel. Angel war ein Detektiv, genauer gesagt ein Vampirdetektiv und somit vielleicht besser als Spike geeignet, in dieser Sache zu ermitteln. Spike teilte Angel genau das mit, was er von Morgan an Bildern erhalten hatte.

„Womit hat dieses Frettchen sie wohl angesprüht?“, fragte er Angel. „Pfeffer kann’s ja wohl nicht gewesen sein...“

„Das ist bestimmt etwas aus der Suppenküche von W&H“, sagte Angel ärgerlich, „und es handelt sich mit Sicherheit um einen Stoff, der eine Amnesie hervorruft. Dann wäre es kein Wunder, dass Buffy sich an nichts mehr erinnern kann.“

„Aber wie sollen wir es beweisen?“

„Das Frettchen muss ein Komplize von diesem Parkinson gewesen sein. Wo hat dieser Typ gewohnt? Okay, wir werden es schon rauskriegen. Buffy müsste es wissen. Oder Dawn. Vermutlich wohnt das Frettchen immer noch im gleichen Hotel wie der Verblichene.“

„Ja aber wenn er ein Komplize von diesem Parkinson war, warum hat er ihn dann umgebracht?“

„Ach weißt du, in solchen Sachen haben W&H nicht viele Bedenken, wenn jemand seinen Auftrag nicht zur Zufriedenheit der Firma erfüllt, dann...“ Angel deutete mit der Hand die bezeichnende Geste des Halsabschneidens an.

„Stimmt, Lilah erwähnte auch so was“, dachte Spike laut nach. „Du meinst also, wir sollen ihn beschatten?“

„Das wird nicht viel bringen“, Angel wirkte entschlossen bei diesen Worten. „Nein, wir müssen sein Zimmer durchsuchen! Vielleicht finden wir dann Rückstände von diesem Spray. Oder besser noch das Spray selber.“

„Und wir müssten nachweisen, dass dieses Spray an Buffys Kleidung und vielleicht auch auf dem Teppich im Kinderzimmer vorhanden ist“, sagte Spike nach einer kurzen Pause. Er dachte mit, keine Frage.

„Und wir müssten eine chemische Untersuchung anstrengen, die beweist, dass dieser Stoff eine Amnesie zur Folge hat.“ Angel lächelte wölfisch. „Verdammt, das muss es sein!“

„Glaube ich auch! Es wäre auch nicht von Nachteil, wenn wir irgend etwas finden, das eine Verbindung mit W&H feststellt. Egal ob es sich jetzt um Parkinson oder um das Frettchen handelt...“

„Vielleicht einen Scheck“, schlug Angel vor, „oder irgend ein anderes Dokument.“

„Gut, vorausgesetzt natürlich, er hat wirklich im gleichen Hotel wie Parkinson gewohnt. Vielleicht wohnt er ja noch dort und will abchecken, ob sein Plan geklappt hat. Und falls nicht, dann klappern wir eben alle Hotels von Woodcape ab. Können ja nicht so viele sein...“

 

Seltsamerweise waren Spike und Angel ein perfektes Team – das mochte wohl an ihrer Blutsverwandtschaft liegen oder an der Ähnlichkeit ihrer Schicksale - beide hatten mittlerweile eine Seele, und beide liebten oder hatten zumindest einmal die gleiche Frau geliebt. Ehrlich gesagt war die Abneigung zwischen ihnen schon mal größer gewesen. Eigentlich verstanden sie sich ganz gut, denn Spike war der einzige, der wusste, was es bedeutete, ein Vampir zu sein. Angel wiederum hoffte, einmal sterblich zu werden. Und vielleicht würden sie irgendwann einmal Freunde sein können.

 

Angel mietete sich in dem Hotel ein, in dem Parkinson gewohnt hatte. Spike postierte sich in der gegenüberliegenden Snack-Bar und beobachtete, ob das Frettchen vielleicht das Hotel verließ, denn es wohnte tatsächlich dort. Ein großzügiges Trinkgeld konnte zuweilen Berge einebnen, zumindest bei Hotelportiers...

Nach zwei Stunden kam das Frettchen endlich aus dem Hotel heraus und stieg in ein Taxi.

„Er ist weg. Du kannst loslegen!“ Übers Handy informierte Spike seinen Großvater Angel, und dieser fing unauffällig an, in das Zimmer des Frettchens einzubrechen, was für einen Detektiv keine großen Schwierigkeiten bedeutete.

 

Nach einer halben Stunde winkte Angel Spike von Frettchens Hotelzimmer aus zu und bedeutete ihm damit, rüber ins Hotel zu kommen. Dieser Aufforderung kam Spike natürlich gerne nach.

 

„Ich habe etwas gefunden“, sagte Angel bedeutungsschwer. „Und zwar nicht nur das Spray – ich habe es natürlich nicht angerührt – sondern auch eine Visitenkarte von W&H, Sektion Chicago... Diese Mistkerle haben tatsächlich noch eine Filiale in Chicago!“

„Das ist verdammt nahe von hier“, meinte Spike besorgt.

„Keine zweihundert Meilen, also bedrohlich nahe! Ich schätze mal, sie suchen die Nähe zum Höllenschlund. Gut, was fangen wir damit an? Wir müssen Buffys Anwalt informieren. Dieses könnte eine ganz neue Beweislage sein.“

„Manchmal wünschte ich, ich hätte Jura studiert“, gab Spike zu. Und hatte im gleichen Augenblick einen Gedanken, der sein Leben verändern würde.

Um irgend jemanden in Not helfen zu können, war es in diesem Lande notwendig, des Rechtswesens kundig zu sein, dachte er sarkastisch. Warum also sollte er nicht Jura studieren? Diesen furztrockenen Stoff, diesen rein amerikanischen Stoff mit seinen verstaubten Präzedenzfällen, die zu auweia... wie viel Prozent die Grundlage des amerikanischen Justizsystems bildeten?

Und nebenbei wäre das bestimmt auch eine schöne Buße für einen Exvampir, dachte er weiter nach, doch nun belustigt. Denn er verspürte keine große Lust, diesen ganzen Mist zu lernen.

Aber Lilah wäre begeistert. Spike spürte es. Und er hatte ja auch schon mal mit ihr darüber geredet. Mittlerweile erinnerte er sich an jedes Wort und an jede noch so kleine Unterhaltung mit ihr. Er wollte sie einfach nicht verlieren. Und so würde er in ihre Fußstapfen treten, um ihr nahe zu sein, auch nach ihrem Tode...

„Du und Jura?“ Angel schaute ihn verblüfft an-

„In diesem großen weiten Land kann man sich manchmal recht verlassen fühlen ohne Rechtsbeistand“, sagte Spike grinsend. „Und deswegen mache ich es!“

„WAS machst du?“

„Ich werde Anwalt!“

„Uuii...“, Das überraschte Angel nun wirklich.

„Aber erst einmal werden wir DIESEN Fall erledigen. Wir sprechen mit Buffys Anwalt, und wenn der nichts machen kann, dann nehmen wir uns eben den besten Verteidiger, den es in den Staaten gibt. So was wie Ally McBeal vielleicht.“ Trotz seiner Sorge um Buffy musste Spike lachen.“

„Die ist mir zu flippig“, sagte Angel, der sichtlich beeindruckt von diesem neuen Spike war.

 

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Spike wollte eine Kaution stellen, um Buffy erst mal raus aus der Untersuchungshaft zu bekommen, doch die Kaution wurde wegen der Schwere der Tat abgelehnt.

Gut, also einen neuen Anwalt, beziehungsweise eine neue Anwältin. Sie sah zwar nicht aus wie Ally McBeal, eher wie eine Mischung aus Whoopy Goldberg und John Goodman - aber sie brachte die neue Beweisführung beim Richter durch. Es hatte sich nämlich der Verdacht erhärtet, dass ein gewisser Fred Wissel den Mord begangen hatte. Seine Fingerabdrücke stimmten mit denen am Abzug der Tatwaffe überein, während Miss Summers Fingerabdrücke nur am Lauf der Tatwaffe gefunden wurden.

Ferner wurde in F. Wissels Hotelzimmer ein Spray gefunden, dessen Wirkung nachweislich einen zeitlich begrenzten, dafür aber unauslöschlichen Gedächtnisschwund verursachte. Dieser Stoff wurde auch in Miss Summers Kleidung und auf dem Teppichboden im Kinderzimmer des Tathauses nachgewiesen.

Es wurde festgestellt, dass F. Wissel ein freier Mitarbeiter der W&H-Filiale in Chicago war, wie zwei Schecks, die man in seiner Brieftasche fand, einwandfrei feststellten.

Der tote Thomas Parkinson war fester Angestellter der Mutterfirma W&H in Los Angeles gewesen. Er diente ihnen als Spion. Natürlich war er nie ein Wächter gewesen, und er besaß nur die W&H-Varianten der Wächtertagebücher.

Beide Männer hatten sich gekannt, wie das Hotelpersonal einwandfrei bezeugte.

Freddy the Wissel, wie er sich selber nannte, gab ungerührt die Tat zu, aber zu seinem Motiv schwieg er, und es war auch nichts aus ihm herauszubekommen. Vermutlich hatte er gewaltige Angst vor W&H.

 

Angel und Spike reimten sich folgendes zusammen: Parkinson sollte Buffy heiraten, durch diese Heirat wollte man Einfluss auf das Kind gewinnen. Nachdem es mit der Heirat nicht geklappt hatte, sollte Parkinson Morgan entführen. Als Parkinson sich dabei zu blöd anstellte, griff Wissel ein, der zur Verstärkung angereist war - die Filiale W&H-Chicago brachte ihm uneingeschränktes Vertrauen entgegen und gab ihm freie Hand. Wissel beschloss spontan, Parkinson zu töten und die Tat Buffy in die Schuhe zu schieben.

So in etwa musste es abgelaufen sein. Eigentlich ein unknackbarer Fall. Zuviel unberechenbare Faktoren griffen ineinander und machten das Ganze unentwirrbar. Niemand hatte Wissel gekannt, und niemand hätte sein Motiv erraten können.

Aber ein entscheidender Fehler war ihm unterlaufen, er hatte Morgans Fähigkeiten unterschätzt. Ohne Morgan würde Buffy immer noch im Gefängnis schmoren. Erst als Spike auf diese seltsame Art mit seiner Tochter kommuniziert hatte, wurde das Verbrechen aufgeklärt. Nicht ganz natürlich, aber zumindest wurde Buffys Unschuld bewiesen.

 

Zwei Tage später war Buffy frei. Wer kann ihre Freude und ihre Erleichterung beschreiben? Das kann niemand. Wer kann auch nur im entferntesten ahnen, was ihr die Freiheit bedeutet? Niemand. Sie hat ein neues Leben geschenkt bekommen. Und Morgan, sie kann sie nun beschützen.

Angel holt sie ab, als sie aus dem Bundesgefängnis entlassen wird, und sie weint hilflos an seiner Schulter.

Aber warum ist Spike nicht gekommen? Und wie wird ihr neues Leben von nun an aussehen?

 

© Ingrid Grote 2003/2011

 

Fortsetzung: GONE WITH THE DEATH? Teil 21–22

 

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