GONE WITH THE DEATH? – Teil 1-2

 

PROLOG

 

Regungslos steht er am Strand und starrt blicklos auf das Meer hinaus. Ein kalter Wind weht, dicke Regenwolken ballen sich gerade zusammen, nichts Ungewöhnliches im Dezember an der Küste vor Santa Catalina. Die blassrote Sonne verschwindet zusehends hinter den grauen Wolken, es wird allmählich dunkler, und der Sonnenuntergang findet zwar statt, aber man sieht ihn nicht.

 

Seine Gedanken kreisen um ihre letzten gemeinsamen Tage. Hatte er sie irgendwie verletzt, beleidigt, ihr nicht genug Beachtung geschenkt? Nein, er kann noch so viel darüber nachgrübeln, er hat nichts dergleichen getan. Ihre letzten gemeinsamen Tage verliefen glücklich und harmonisch.

 

Es fängt an zu regnen. Er schlendert langsam in Richtung Strandcafé, setzt sich dort an einen Tisch und bestellt einen Kaffee. Das Lokal ist fast leer, und von den wenigen Besuchern erkennt ihn niemand. Sein Leben als kleiner Popstar ist vorbei, es geht nicht mehr, er will es nicht mehr.

Er packt Gwydion aus, er hat ihn in einem Babygurt, zusätzlich geschützt durch eine warme Decke mit sich herumgetragen.

Behutsam nimmt er den Kleinen auf seinen Schoß. Aber der Kleine schläft nicht mehr und fängt an zu krähen, er hat bestimmt Hunger. Er sollte ins Hotel gehen und ihn füttern.

Liebevoll betrachtet Spike seinen Sohn. Auf Dauer muss er sich etwas einfallen lassen, vielleicht sollte er irgendwo ein Haus kaufen und ein Kindermädchen einstellen, Typ Mary Poppins. Sesshaft werden. Er muss jetzt etwas tun, denn die große Apathie ist verebbt, sie hat Platz gemacht für schmerzhafte Erinnerungen. Sie überfallen ihn immer, wenn er an seine Frau denkt. Und er denkt immer an sie...

Der Kleine wird sie nie kennen lernen, wird mutterlos aufwachsen, und Spike weiß nicht, wie er damit fertig werden soll. Wenn er an die letzten vierzehn Monate denkt, muss er feststellen, dass es die glücklichsten seines Lebens waren, oder seines Unlebens – egal! Er hätte wissen müssen, dass es für ihn kein dauerhaftes Glück gibt, dafür hat er zuviel Unheil angerichtet.

Man hat ihm die glücklichste Zeit seines Lebens geschenkt – und sofort wieder genommen. Das ist schon okay, ER hat nichts anderes verdient, aber warum SIE?

Natürlich war sie auch kein unbeschriebenes Blatt, aber im Vergleich zu ihm war sie ein Nichts in Sachen Böses. Warum musste ausgerechnet SIE sterben? Sie, die so liebevoll zu ihm war und deren Glück ihn in den letzten Monaten so eingehüllt hatte, dass es zur gefühlsmäßigen Rückkoppelung kam und er sie wahrhaftig liebte, so liebte, dass er alle Anzeichen des kommenden Unheils übersah. Wie hatte er nur so blind sein können? Er war in die Falle getrapst wie ein Idiot, und sie musste deswegen sterben. Aber sie hatte es gewusst, und sie hatte Vorkehrungen getroffen, um ihn und ihren gemeinsamen Sohn zu beschützen. Was für eine Frau!

 

Wieder ist Spike seinen Erinnerungen hilflos ausgesetzt, sie tun ihm weh, aber ohne sie kann er nicht leben, er denkt daran, wie er sie fand, er denkt an ihr anfangs so unschuldiges Zusammenleben, er denkt an ihre erste Liebesnacht, an ihre Hochzeit, an die Geburt von Gwydion. Und er schüttelt hilflos den Kopf. Wie konnte er ihr damals nur erzählen, was er über den Himmel und über das Leben nach dem Tode denkt. Dass er an nichts glaubt, dass alles nur im Gehirn der Menschen existiert, Gott, der Himmel, die Engel und das Leben nach dem Tode...

Jetzt würde er sein Gefasel am liebsten ungefaselt machen, jetzt hätte er es gern, wenn sie ihm aus dem Himmel zusehen würde, nein sie sollte ihm vielleicht nicht immer zusehen, er erinnert sich – automatisch stöhnt er auf – an den total wahnsinnigen Abend, an dem Buffy zu ihm gekommen war, um ihn zu trösten. Was zum Teufel hatte er getan? Aber tatsächlich fühlte er sich danach etwas lebendiger, zum erstenmal seit Wochen. Und gleichzeitig fühlte er sich total beschissen, er hatte seine Frau betrogen, zwar nach ihrem Tode, doch Betrug ist Betrug. Wie konnte er nur...

 

Er greift – mit dem Kleinen im anderen Arm – nach der Zeitung, die auf dem Tisch liegt.. Die Schlagzeile und das Foto fesseln ihn sofort. Er stutzt, und seine Augen weiten sich.

 

„Ach du heilige Scheiße“, er stöhnt gequält auf. „Auch das noch!“

 

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Teil 1 – WARUM, WIESO, WESHALB?

 

Ungefähr vierzehn Monate früher:

 

Spike hockte auf der Bettkante und hatte den Kopf in seine Hände gestützt.

Er konnte es immer noch nicht fassen. Er ein Mensch? Das war so... unangenehm, fast schon peinlich. Er fühlte sich unbehaglich und frustriert, ähnlich wie ganz früher, als er noch William war. Aber das mit William, dem „Dichter“, hatte sich doch wohl erledigt, oder? Drusilla hatte sich ja auch erledigt, seine dunkle Göttin... Und Angel? Buffy? Oh Gott, auch die hoffentlich – und zwar beide!

Verfluchte Erinnerungen – und warum zum Teufel musste er immer noch an Buffy und Angel denken? Er hatte doch genug an seinen eigenen Missetaten zu knacken. Dauernd träumte er von irgendwelchen furchtbaren Gemetzeln, in denen er die Hauptrolle spielte. Diese Träume raubten ihm den Schlaf, den er als Mensch nun mal brauchte und ließen ihn immer als entnervtes Wrack zurück. Gut, das war seine Seele, die ihn wohl zwackte. Aber das hatte sie auch schon getan, als er noch ein Vampir war.

Gab es denn überhaupt Vorteile des Menschseins? Er versuchte, darüber nachzudenken, aber es ging einfach nicht, er konnte keinen klaren Gedanken fassen, weil die verdammte Vergangenheit ihm immer wieder in die Quere kam. Spike kratzte sich zerstreut am linken Arm, denn ein leichter Sonnenbrand juckte auf seiner zarten weißen Haut. Danke Sonne, er musste grinsen.

 

Er musste an das Gespräch denken, das Buffy mit Angel führte – nachdem die beiden sich heiß und innig abgeknutscht hatten. Er war noch mal zurückgekehrt, um auch den bitteren Rest mitzukriegen. Sie konnte sich also nicht vorstellen, mit ihm, Spike, einen Stall voll Kinder zu haben. Gut, das war verständlich, denn es war unmöglich, und Spike musste vor sich selber zugeben, auch nie an so etwas gedacht zu haben. Aber dieses Brotteiggerede, was für ein hirnrissiges Zeug! Weiter: Sie hatte ferner drüber nachgedacht, irgendwann zu Angel zurückzugehen, es könne aber dauern.

Na super! Sollte sie doch! In der Zwischenzeit, in der womöglich sehr langen Zwischenzeit hatte sie bestimmt viel, viel Zeit, mit anderen Typen und Vampiren rumzumachen, um dann schließlich doch zu Angel zurückzugehen als fertig gebackenes Brot! Die beiden hatten sich wirklich verdient! Der Oberheld und die Jägerin. Der Bäcker und das Brot!

Hatte sie den guten Spike nur als Amulettträger auserkoren, weil sie Angel beschützen wollte? Denn sie wusste bestimmt, dass sie den Träger des Amuletts in den sicheren Tod schickte.

Ach, ist Liebe nicht schön? Spike lächelte schief vor sich hin.

Und obwohl er das alles damals schon wusste, hatte er sich für Buffy geopfert. Das war schon seltsam. Oder hatte er sich etwa für die Menschheit geopfert? Nein, im großen und ganzen war es die Menschheit wohl nicht wert. Oder doch?

War die Aufopferung ein Reflex, weil er zu diesem Zeitpunkt schon seine Seele besaß?

Was zum Teufel war eine Seele überhaupt? Manchmal hatte er den Eindruck, dass sehr viele Menschen gar keine hatten.

Er wusste keine Antworten auf all seine Fragen.

 

Also noch einmal: Was waren die Vor- beziehungsweise Nachteile seines neuen Menschseins? Spike konzentrierte sich angestrengt, und diesmal schien es zu klappen.

 

Vorteil: Er konnte sich am Tage draußen aufhalten.

 

Nachteil: Aber er tat es nicht gerne, denn die Sonne war grell und unangenehm. Seine Augen waren zwar die eines Menschen, aber er konnte immer noch in der Dunkelheit besser sehen als am Tage. Er war halt ein Nachtschwärmer. Er stutzte, den Satz kannte er doch, angestrengt dachte er nach – und kam schließlich auf den Film ‚Tanz der Vampire’. Der Graf hatte es gesagt: Ich bin ein Nachtschwärmer, am Tage bin ich kaum zu gebrauchen. Spike lachte kurz auf, dann grübelte er weiter.

 

Vorteil: Er brauchte kein Blut mehr trinken. Er konnte alles mögliche essen. Spike hatte eine Vorliebe für Pizza entwickelt. Ein Vorteil also?

 

Nachteil: Das meiste, was es jetzt zu essen gab, war ungesunder Schweinefraß, außer Pizza vielleicht, und die machte dick.

 

Vorteil: Er konnte sich im Spiegel sehen.

 

Nachteil: An manchen Tagen nach gewissen Saufereien war sein Anblick im Spiegel ziemlich deprimierend.

 

Nachteil: Er hatte jetzt diesen unangenehmen Verdauungstrakt. Was für eine beschissene biologische Sache, im wahrsten Sinne des Wortes!

 

Nachteil: Er hatte jetzt vom Saufen viel länger Kopfschmerzen als früher. Und das Rauchen – nun denn, das würde er irgendwann mal aufgeben, ja vielleicht, aber nicht sofort. Daraufhin steckte er sich sofort eine an, aber mit schlechtem Gewissen.

 

Nachteil: Seine Haare wuchsen jetzt viel schneller. Er war gezwungen, alle drei Wochen zu einem Frisör zu gehen, um sie nachschneiden zu lassen, und Frisöre sind wie jeder weiß Vertrauenssache...

 

Nachteil: Auch der Bart wuchs, er musste sich tatsächlich jeden dritten Tag rasieren. Vergeudete Zeit!

 

Nachteile, Nachteile, Nachteile... Spike fühlte sich ziemlich frustriert. Vielleicht sollte er W&H mal einen Dankesbesuch dafür abstatten, dass sie ihn zurückgeholt hatten – zu allem Überfluss auch noch in einem anderen Aggregatzustand als vorher – und sie kräftig in den Arsch treten.

 

Doch dann fiel ihm noch etwas zum Thema Vorteil-Nachteil ein. Nämlich ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Er dankte einem imaginären Gott dafür, dass seine Gefühle nicht mehr da waren, er war von ihnen befreit worden.

Also Vorteil: Er liebte Buffy nicht mehr! Halleluja! Gone with the death… Ja wirklich, der Tod hatte manchmal nette Nebeneffekte. Er war frei von ihr. Frei?

 

Nachteil: Er war jetzt zwar frei, aber er fühlte ein gewaltiges Vakuum in seinem Innersten, und es war absolut nichts in Sicht, womit er dieses Vakuum ausfüllen konnte.

 

Seltsamerweise hatte er seine frühere körperliche Stärke behalten, obwohl sie ihm jetzt anders vorkam, intensiver irgendwie. Und die Selbstheilungskräfte waren auch noch da. Vielleicht nicht so schnell wirkend wie in seinem Vampirdasein, aber der Sonnenbrand zum Beispiel würde in ein paar Stunden Geschichte sein, und er vermutete, dass es mit größeren Wunden ähnlich wäre. Gut, er war also nicht vollkommen menschlich, er war vielleicht vergleichbar mit ’ner Jägerin. Spike musste lachen. ’Ne männliche Jägerin, das war ja wohl ein Hammer! Das hörte sich an wie in dem Film ‚Ich war eine männliche Kriegsbraut’, ein amerikanischer Nachkriegsschinken mit Cary Grant. Für Spike war der 2. Weltkrieg immer der einzig richtige Krieg gewesen, alles was danach kam, war Killefitt aus der Sicht eines Vampirs. Aber er war ja jetzt kein Vampir mehr.

Wie auch immer, also Jägerin... Tatsächlich hatte er manchmal das Bedürfnis, einen besoffenen Opa über eine stark befahrene Straße zu geleiten, ein Bedürfnis, das er bis jetzt immer mannhaft unterdrückt hatte. Na ja, bis auf die beiden Male... Ein seltsames neues Bedürfnis. Denn als Vampir hatte er die Menschen nicht sonderlich geliebt, bis auf Buffy und ihre kleine Schwester Dawn. Und vielleicht Willow, die hatte er immer schon gemocht. Zum Beißen gerne... Er grinste vor sich hin.

Was also war im Krater passiert. Buffy hielt seine Hand, die Strahlung war nicht mehr zum Aushalten, Buffy sagte ihm, dass sie ihn liebte, er schickte sie fort, und sie verließ ihn. Eigentlich war nix passiert, außer dass sie gesagt hatte, dass sie ihn liebte, vermutlich aus Mitleid – und außer dass er im Krater verglüht war und mit ihm all die verdammten Teufel. Spike stand von seinem Bett auf, verbeugte sich vor einem imaginären Publikum und verkündete diesem theatralisch: „Hi Leute, ich habe die Welt gerettet...“ Dann ließ er sich wieder aufs Bett fallen und dachte weiter nach.

Das Amulett besaß große Kräfte, es hatte sich an seinen Hals geschmiegt, als wäre es ein Teil von ihm, es hatte ihm eine Art LeckmichamArsch-Stimmung verliehen – und den Mut, endgültig zu sterben. Auf eine gute Art zu sterben. Außerdem hatte Willow einen Zauber veranstaltet, damit Buffys Stärke auf die neuen Möchtegern-Jägerinnen überging. Vielleicht hatte er ja etwas davon mitgekriegt...

 

Grübel, grübel, blöderweise änderten alle Überlegungen nichts an der Tatsache, dass er seit vier Monaten wieder lebte, und zwar als Mensch, er war kein Vampir mehr, kein Untoter. Er hatte drei Monate in der Krankenstation von W&H verbracht – und als man ihn dort entließ, war er so geschockt gewesen, dass er nur zaghaft ein paar Erkundungsausflüge von seinem Hotel aus unternahm. Aber nun wollte er allmählich wissen, was überhaupt los war.

 

Spike erhob sich vom Bett, schlenderte zum Telefon und wählte die Nummer von Wolfram & Hart, der dämonischen Anwaltsfirma, mit der auch Angel irgendwie zu tun hatte. Allerdings überlegte Spike es sich spontan anders und legte den Hörer wieder auf. Er hatte sich entschlossen, persönlich dort zu erscheinen.

 

Das Hotel, in dem er jetzt fast schon einen Monat wohnte, lag nicht weit entfernt vom Wolfram & Hart Gebäude. Der Weg dorthin führte nur durch ein paar verwinkelte dunkle Gassen.

Natürlich hatte er das Hotel vom Standpunkt eines Vampirs ausgesucht. Die Gassen waren so schmal, dass nie ein Sonnenstrahl sie erreichen konnte – und außerdem handelte es sich um eine ziemlich heruntergekommene Gegend, wo die Menschen beflissentlich wegschauten, wenn jemand tot oder halbtot in einem Müllcontainer lag.

Es war halt noch so in ihm drin, das mit dem Verstecken und das mit der Sonne. Er liebte sie nicht. Sie knallte in seine Augen, die immer noch etwas von einem Nachtraubtier hatten und blendeten ihn auf der Stelle. Und er konnte Hitze nicht gut vertragen – möglicherweise war die Ursache dafür seine permanente Untertemperatur, die so um die 34° Celsius lag, wahrscheinlich ein Überbleibsel aus seiner Vampirzeit.

 

Bei Wolfram & Hart ließ man ihn sofort hinein. Es sah so aus, als hätte der Rausschmeißer oder besser gesagt der Reinlasser, der eindeutig dämonischer Natur war, ihn schon erwartet. Man geleitete ihn recht flott in die Gemächer der Chefetage, wo sich ihm alsbald einer der leitenden Typen zuwandte und ihm die Hand reichen wollte, was Spike generös übersah. Verlegen zog der Typ seine Hand zurück.

 

„Mister, äääh... Spike, mein Name ist Watson. Wie geht es ihnen?“

„Keine Ahnung Doctor Watson – sagen Sie es mir, denn ich bin leider nicht Sherlock Holmes!“

„Äääh... ja, Sie werden sich bestimmt schon gewundert haben, weshalb Sie wieder hier auf der Erde sind.“

„Und auf dieser wandele? Sagen Sie es mir, oder...“

„Gut. Die äääh... ganze Sache beruht auf einem Missverständnis.“

„Tja, dann bin ich ja beruhigt...“

„Wenn Sie das sagen... Denn Mr. Spike, eigentlich wollten wir ja Mr. Angel äääh hier... haben.“

„Oh Gott!“, stöhnte Spike. „Was wollt Ihr nur alle mit dem Kerl!“

„Es handelt sich um ein Experiment, Mr. Spike. Wir sind aber mittlerweile zu der Ansicht gelangt, dass SIE uns in diesem Experiment um einiges nützlicher sein könnten als Mr. Angel.“

„Ihr Typen habt also gedacht, dass Mr. Angel“, Spike sprach den Namen affektiert und mit einer guten Portion Verachtung aus, „sich in Sunnydale das Amulett umschnallt und sich für die Menschheit opfert?“

„Sie haben es erfasst, Mr. Spike.“

„Und wie passe ich jetzt ins Bild?“

Watson druckste ein wenig herum, bis er dann zugab: „Mr. Spike, Sie und Mr. Angel haben eine Sache gemeinsam. Das scheint irgendwie in der Familie zu liegen...“

„Was meinen Sie? Dass wir uns immer in die gleichen Frauen verknallen?“ Spikes Stimme klang ein wenig ärgerlich.

„Nnnein, das nicht“, stammelte Watson und fummelte an seiner Brille herum. „Es ist das mit der Seele, das Sie beide gemeinsam haben.“

„Ach Gottchen! Eigentlich habe ich mit dem Wichser nichts gemeinsam. Aber gut. Und wie weiter?“

„Es handelt sich um eine... äääh Langzeitstudie über beseelte Vampire, oder vielmehr über Exvampire mit übermenschlichen Kräften, und wir würden alles in unserer Kraft Stehende tun, um Sie während der nächsten paar Monate tatkräftig zu unterstützen.“

„Sie meinen Knete und so...?“

„Genau das, Mr. Spike! Wenn Sie eventuell noch einen besonderen Wunsch haben? Möchten sie vielleicht die Jägerin wiedersehen? Sie standen sich doch recht nahe. Wir tun alles, um Ihre Wünsche wahr werden zu lassen...“

„Alles, nur das nicht“, konterte Spike, „Nein, ich möchte gerne einen Schwanz haben, der mir bis zum Boden reicht, wohlgemerkt ohne dass man mir die Beine abhackt. Wäre das zu machen, Doktor Watson?“ Seine Stimme klang höhnisch.

„Wir dachten eigentlich an Dinge, die eher geldmäßiger Natur sind“, stöhnte Watson peinlich berührt ob Spikes obszöner Rede.

„Gut – dann möchte ich gerne ein Rockstar werden“, Spike lümmelte sich bequem in seinem Sessel herum und guckte Watson provozierend an.

 

„Das ließe sich machen, Mr. Spike.“

 

„Häääh!!!“ Spike war bestimmt immer schlagfertig gewesen, aber dieses Mal war er geschlagen. Und er sprang sofort drauf an – verflucht noch mal!

Schon kamen ihm die Bandmitglieder in den Sinn – er konnte sie vor seinem geistigen Auge sehen, halb Dämonen, halb Menschen. Snikkers war immer schon ein verdammt guter Schlagzeuger gewesen. Dann war da noch Bronson. Und er selber hatte sich im Laufe der Jahrzehnte das Gitarrespielen beigebracht, und er konnte recht anständig singen. Seine etwas raue aber wohltönende Stimme war wohl das Beste an ihm, abgesehen von seinem Aussehen, Spike musste grinsen. –

 

„Wir sind uns also einig, Mr. Spike?“, unterbrach Watson seine Gedanken.

„Klar doch, ich heiße von nun an Bill Castaway, und meine Band heißt „THE BIG BAD THING“. Abgekürzt, wie es heutzutage Sitte ist: ‚TBBT’. Haben Sie das verstanden, Doc!“

„Aber natürlich, Mr. Sp... äääh... Castaway. Wir werden alles in die Wege leiten.“ Watson schien ein Stein vom Magen zu fallen.

 

„Ich brauche natürlich ein passendes, ja wie soll ich sagen – Anwesen vielleicht?“, forderte Spike unerbittlich, „damit ich genug Inspiration für meine Karriere bekomme.“

„Wir werden für Sie ein Konto eröffnen, über das Sie nach eigenem Ermessen verfügen können“, ächzte Watson.

„Soso, nach eigenem Ermessen...“, äffte Spike ihn nach, „Heißt das, wenn ich mir ein Häuschen zulege, ich auch im Grundbuch eingetragen bin? Als Bill Castaway? Als der Brite Bill Castaway? Sir?“

„Das heißt es“, seufzte Watson und fügte hinzu: „Sie sind ein harter Verhandlungspartner, Mr. Sp... äääh Castaway, aber wir werden uns schon einig werden. Sie erhalten von uns absolut wasserdichte Papiere, und wir haben die Absicht, ihre Karriere mit allen Mitteln zu fördern.“

„Die Papiere müssen nicht unbedingt wasserdicht sein, es reicht schon, wenn mir die Bullen vom Hals bleiben“, witzelte Spike, aber er wurde sofort wieder sachlich. „Können wir das mit der Banksache auf der Stelle klarmachen!?“

„Natürlich, ich werde Ihnen jetzt sofort eine größere Summe Geldes übergeben, Mr. Castaway, und die restlichen Formalitäten erledigen wir, sagen wir nächsten Mittwoch um siebzehn Uhr hier in diesem Raume? Wäre das Ihnen das angenehm?“

 

„Klar doch“, Spike griff nach dem prall gefüllten Umschlag, den Watson ihm hinhielt. Er sah nicht nur prall gefüllt aus, sondern fühlte sich auch so an. Spike überlegte nicht lange, sondern wandte sich reflexartig zur Tür und ging hinaus, bevor dieser Watson-Typ es sich anders überlegen konnte.

 

Als Spike das Zimmer verlassen hatte, ertönte aus dem Nebenraum eine träge Stimme: „Nun, hat er es geschluckt?“

„Es scheint so. Doch, ich bin mir sicher“, antwortete Watson. „Der Köder mit dem Rockstar war einfach zu gut.“

„Nächsten Mittwoch also... Ist alles vorbereitet? Haben Sie die Frau präpariert?“

„Sie liegt in Zimmer 88. Und sie hat keine Ahnung, was für eine große Rolle sie in unserer äah... Geschichte spielen wird.“

„Sehr gut. Und wie sind seine Gefühle für die Jägerin?“

„Meines Erachtens nach ist er nicht gut auf die Jägerin zu sprechen.“

„Er lässt jetzt wohl seinen Verstand walten, und die Gefühle sind in den Hintergrund getreten. Das ist gut, denn wir möchten ihn doch von der Jägerin fernhalten“, die träge Stimme hatte jetzt einen boshaften Unterton. „Leiten Sie das mit dem Rockstar in die Wege. Wir wollen unserem ‚Superstar’ doch ein wunderschönes Leben bieten, bevor der Alptraum über ihn hereinbricht.“ Die Stimme kicherte boshaft im Hintergrund und verstummte dann.

 

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Teil 2 – SPIEGEL und MUSIK

 

In sicherer Entfernung vom W&H-Gebäude blieb Spike atemlos stehen – ans Atmen hatte er sich auch noch nicht gewöhnt – er öffnete gespannt den dicken Umschlag, zählte provisorisch das Geld darin und war ziemlich erschüttert, als er feststellte, dass es sich um circa 20.000 Dollar handelte, gut gemischt in kleinen und großen Scheinchen.

Nicht übel... Dafür musste ’ne alte Frau ziemlich lange stricken. Was zum Teufel konnten die von ihm wollen? Wegen seiner schönen blauen Augen gaben die ihm bestimmt nicht soviel Geld. Was hatte der Typ erzählt: Irgendwas mit Langzeitstudie über beseelte Vampire, oder Exvampire mit übermenschlichen Kräften. So’n Schwachsinn! Aber wenn sie wollten...

Er hatte natürlich einen Witz gemacht, wollte sehen, wie weit sie ihm entgegenkamen, als er das mit dem Rockstar erwähnte. Sie waren drauf angesprungen. Irre! Und jetzt musste er sich ernsthaft Gedanken drüber machen, wie er das ganze aufziehen sollte. Die von W&H sollten sich das Geschäftliche vornehmen, aber er, Spike, würde sich um die Musik kümmern.

 

Im Hotel angekommen, ging er nicht auf sein Zimmer, sondern suchte die kleine Hotelbar auf, um zur Feier des Tages einen zu trinken. Und um den ersten Hunderter zu wechseln.

Er setzte sich an die Theke, bestellte einen großen Brandy und versank dann in Gedanken über die Musik, die er mochte.

Die 80er Jahre, natürlich! Die hatten das größte Potential, fast alle seine Lieblingsgruppen stammten aus dieser Zeit. Damals war er oft in England gewesen, und die Engländer hatten immer schon bessere Musik gemacht als die Amerikaner. Was hatten die USA schon großartig neues hervorgebracht? Er beantwortete seine Frage umgehend: Nicht viel – bis auf die Talking Heads und die B-52s vielleicht.

Ferner erinnerte er sich an eine geile Band mit dem Namen Plasmatics, wo unter schrillen Gitarrenklängen eine Halbnackte mit einem Vorschlaghammer ein ekelbeiges Mercedestaxi zertrümmerte. Gute Show, vor allem Kettensäge und Vorschlaghammer hatten damals seinen Vampirgeschmack getroffen. Aber jetzt? Nee, nicht mehr.

Okay, Soul, das kam damals gut, hatte richtig Pep gehabt. Und die ersten Rapsongs auch. Grandmaster Flash... Klasse!

Und heute? Was machten die Afroamerikaner eigentlich? Hiphop? Nicht sein Ding. Wabbelige Aftersoul-Klamotten? Nee, auch die nicht sein Ding.

Coverversionen von Songs, die er von früher kannte geisterten durch seinen Kopf. Die hatten mit den Originalen sowenig zu tun wie ein ... Hamburger mit ’nem Chateaubriand, Und das Schärfste war, die Kids bildeten sich tatsächlich ein, es wären brandneue Sachen. Tsss... Dummerweise waren die verhunzten Stücke immer noch besser als das, was an neuen produziert wurde. Waren der Menschheit die Melodien ausgegangen? Gab es alles schon mal? Es war zum aus der Haut fahren!

 

Spike grübelte weiter und prostete seinem Spiegelbild im Barspiegel aufmunternd zu. War schon seltsam, sich im Spiegel zu sehen hinter all diesen Schnapsflaschen, nein nicht wegen der Schnapsflaschen, sondern sich in einem richtigen Spiegel zu sehen, verdammt ungewohntes Gefühl. War schon was anderes als ’ne polierte Metallplatte, die natürlich auch ihre Vorteile hatte – upps der Brandy haute ja ganz schön rein, viel schneller als erwartet – man sah in Metall besser aus, weil die Details so schön verschwommen waren. Nicht dass er Probleme mit seinem Aussehen gehabt hätte, aber als er sich jetzt im Barspiegel musterte, meinte er, älter geworden zu sein, seine Gesichtszüge waren härter, als er sie in Erinnerung hatte. Es konnte eigentlich nicht dran liegen, dass er jetzt schon vier Monate menschlich, na ja irgendwie menschlich war. Es sei denn, sie hätte ihn als Gen-Monster erschaffen mit nur einem Viertel der normalen Lebenszeit. Wäre ihm aber auch egal, er hatte lange genug gelebt. Nein, vermutlich hatten ihn die vielen Jahre mit Schweineblut als Hauptnahrung altern lassen – und natürlich die verfluchte Jägerin... Aber die war vorbei!

Aber wieso konnte er sich als Vampir in einer polierten Metallplatte sehen, aber nicht in einem quecksilberbeschichteten Spiegel? Es lag – Spike musste lachen – bestimmt an der undichten molekularen Substanz der Vampire, sie konnten eine Metallplatte belügen aber einen Präzisionsspiegel nicht. Gute Theorie, alter Junge! Bist wohl nicht ganz dicht! Wieder lachte er, aber sein Lachen hatte einen verzweifelten Unterton. Er hätte jetzt gerne jemanden neben sich gehabt, der seine seltsamen Gedankengänge verstehen würde. Aber woher nehmen?

Spike fühlte auf einmal, wie ihn ein seltsames, bisher unbekanntes Gefühl übermannte und das sich in Worten vielleicht so ausdrücken ließ: Ich bin verdammt allein!

Dieses Gefühl wurde allmählich resistent wie eine mutierte Bakterie. Er mochte das Gefühl nicht und entschloss sich auszugehen. Er schwankte zwischen der Demon’s Bar und einem Besuch bei Großvater Angel. Nein, besser nicht zu Grandpa, wahrscheinlich würde er dem was auf die Fresse hauen, wenn er nur irgendwie die Möglichkeit dazu hätte. Die Fresse von dem schrie geradezu danach.

Also in die Demon’s Bar.

 

Er hatte Glück und traf auf Anhieb Snikkers und Bronson. Der geniale Drummer Snikkers, dessen Vorfahren einst aus Jamaika eingewandert waren, ging sofort auf Spikes Angebot mit der Band ein, denn er hatte im Moment nicht viel Kohle. Außerdem waren ihm die Sharkie-Brothers, eine mörderische Inkasso-Schulden-Eintreiber-Truppe dicht auf den Fersen. Falls man diese geflügelten äääh... Dinger Fersen nennen konnte. Jedenfalls drohte man ihm, die Flügelchen von seinen Fersen abzuschneiden. Was natürlich kein Snik-Dämon überleben würde.

Auch Bronson zeigte sich begeistert. Er war rein menschlichen Ursprungs und ein irre guter Bassist, leider mit leichten geistigen Aussetzern, die vielleicht von seinem jahrzehntelangen Drogenmissbrauch herrührten. Er hatte in einer früheren Phase seines Lebens Gedichte geschrieben und damit eine gewisse lokale Berühmtheit erlangt. Leider konnte man mit Ruhm allein kein Geld verdienen, deshalb hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.

Snikkers stellte Spike einen gewissen Casio vor. Der sympathische Halbdämon besaß freundlicherweise einen kleinen dritten Arm, der beim Keyboardspielen sehr nützlich war. Casio, bei dem Namen musste Spike grinsen, er erinnerte sich vage an das Casio, es wurde wahrscheinlich Anfang der 60er Jahre erfunden. Oder noch früher? Es war vielleicht dreißig Zentimeter lang, es hatte Tasten wie ein Klavier, nur nicht so viele. Man konnte aber auch darauf tuten oder blasen. Später im Zuge der Evolution wurde es dann größer und nannte sich Hammond-Orgel. Oder war zuerst die Hammond-Orgel da und dann das Casio? Egal.

Sie waren nun zu viert. Für den Klang ein bisschen mager.

Aber da gab es noch einen gewisser Porterhouse, einen Punk mit ’ner irre alten, schon arg zerschlissenen Fliegerjacke, auf die er wahnsinnig stolz war. Der Vorbesitzer der Jacke war vermutlich auf einem Schlachtfeld in der Gegend von Verdun verrottet. Porterhouse spielte Gitarre wie Spike, er zeigte sich interessiert – und somit wurde eine Band gegründet.

 

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Der Anfang klang düster, es hörte sich ein bisschen an wie der Höllenschlund – oder wie bei einem Fußballspiel von Manchester United...

Spike erwachte und fühlte sich aus bekannten Gründen traurig. Last night I dreamt that somebody loved me... Dieser Song schien alles auszudrücken, was ihm fehlte und was er höchstwahrscheinlich nie bekommen würde. Aber er würde das Beste draus machen und ihn als erstes einstudieren lassen. Warum? Ihm schwebte vor, Songs, die nie richtig bekannt gewesen waren, wieder ans Tageslicht zu bringen. Sie hatten damals aus verschiedenen Gründen keine Berühmtheit erlangt, wegen fehlender Promotion, oder weil die Plattenfirmen zu klein waren. Vielleicht würden sie es auch heute nicht zur Berühmtheit schaffen, aber er fühlte sich verpflichtet, sie wiederzubeleben. So wie man eine aussterbende Gattung versucht zu erhalten. Und vielleicht würde das Publikum sie sogar mögen.

Das Publikum... Hahaha, jetzt fing er schon an zu spinnen.

Was könnten sie also spielen? Spike schwebten gewisse britische Stücke vor, von Ultravox, Joy Division, Magazine, Bollock Brothers, The Smiths…

Dann fiel ihm noch Billy Idol ein, kein Schlechter, außer natürlich der Tatsache, dass man ihn, Spike, verdächtigte, Billys Aussehen imitiert zu haben. Dabei war es genau anders rum, nach dem Motto: There was no one punk, before I was punk...

 

Das nächste Treffen mit den Jungs fand in Spikes Hotelzimmer statt.

Sie waren tatsächlich alle gekommen: Snikkers, Casio, Bronson und Porterhouse, letzterer hatte sich seine restlichen Haare auch noch abrasiert und erschien fast als Skinhead, was sehr im Gegensatz zu Bronson stand. Bronson, Sohn einer reinen Indianerin und eines polnischen Einwanderers hatte Haare, die fast bis zu seinem Hintern reichten. Schöne Haare, blauschwarz und glatt wie das Gefieder eines Raben.

„Hast du die Tapes?“ Spike wandte sich an Casio, der ihn ein bisschen an Oz, den Wehrwolf erinnerte, und seine Stimme klang dabei ungeduldig und energiegeladen.

„Klar“, sagte Casio, „allerdings sind es nicht mehr die besten. Weißt du, zwanzig Jahre sind kein Pappenstiel, obwohl ich sie gehütet hab’ wie meinen dritten Arm....“ Er packte die Plastiktüte aus, die er mitgebracht hatte und legte einen Haufen Kassetten auf den niedrigen Tisch. „Aber passt gefälligst auf, das sind wertvolle Artefakte und nicht auf CD erhältlich!“

„Egal – wir wollen sie ja nicht hundertpro nachspielen, sondern nur so’n allgemeinen Eindruck erhalten.“

„Wie ist das mit dem Copyright?“ ließ sich Porterhouse hören, „kriegen wir damit keinen Ärger?“

„Damit soll sich deine komische Firma beschäftigen, Spike! Die haben ja schließlich jede Menge Anwälte“, meinte Casio.

„Alles klar, also lasset uns beginnen!“ Spike öffnete theatralisch seinen Kühlschrank und deutete wohlgelaunt auf die Reihen von Bierdosen, die dort feinsäuberlich aufgestapelt waren. „Bedienet euch selber!“

Was sie denn auch taten.

 

Langsam füllte sich der Raum mit Zigarettenrauchschwaden, Gelächter und Erinnerungen, die lautstark ausgetauscht wurden. Jeder von ihnen war ein Musiknarr, und jeder von ihnen war am Ende der 70er und am Anfang der 80er Jahre in Europa gewesen, vorzugsweise natürlich in Großbritannien, und manche auch in Deutschland.

 

Klack-zisch, Bierdosen wurden geöffnet, und Casio legte das erste Tape in den Kassettenrecorder, den Bronson mitgebracht hatte.

„Man hört ja gar nichts!“, beschwerte sich Bronson. In der Tat war auf dem Tape wohl gesammeltes Schweigen aufgenommen worden.

„Das hört sich ja an wie der Mondaufgang auf einer von diesen bescheuerten esoterischen ääh... Dingern“, witzelte Spike

„Hmm – falsche Seite“, brummte Casio, „Hat einer von euch 'nen Kugelschreiber?“

„Wofür?“

„Die dämliche Kassette lässt sich nicht mehr zurückspulen. Ich brauch’ dafür 'nen Kugelschreiber.“

„Mist“, stöhnte Spike, „So kommen wir ja nie weiter. Gut, du spulst, und wir nehmen uns die CDs vor.“ Dem Himmel sei Dank gab es tatsächlich auch schon CDs von einigen Gruppen. Er suchte sich die Bollock Brothers heraus und legte sie in den Player.

 

Klack-zisch, weitere Bierdosen wurden geöffnet, alle hingen ihren Erinnerungen nach, und Satzfetzen schwirrten herum.

 

John Peel’s Music, bei der BBC, nee Moment mal, da war ich in Deutschland, also BFBS, dieser Armeesender. Peel, der absolute Härtetyp. Der hat sich von allen Verrückten Tapes schicken lassen...

 

Jau, der hat sich jeden Mist schicken lassen. Zuerst hatte er eine Stunde Sendezeit, dann haben sie ihm noch eine dazu gegeben.

 

Der verrückte Hund.

 

Da hab’ ich zum erstenmal die Bollocks gehört.

 

Spitzenmäßig!

 

Klack-zisch, weitere Bierdosen wurden geöffnet...

 

Und Joy Division... Hatte der Sänger sich da schon umgebracht? Und welche Platte war eigentlich zuerst da? Die weiße oder die schwarze?

 

Hab’ ich vergessen. Aber die weiße hat sich angehört, als wolle er sich demnächst umbringen.

 

Hat er ja auch...

 

John Peel – ich werd’ nicht mehr. Der hatte immer so deutsche Sachen...

Genau, die Krupps. Damals noch elektronisch, jetzt zuviel Metal für meinen Geschmack...

 

Einstürzende Neubauten.....

 

Spike kannte die Neubauten auch und musste dabei automatisch an gewisse einstürzende Altbauten denken, als er zum erstenmal die Jägerin gefickt hatte, beziehungsweise die Jägerin ihn. Ja, das traf es wohl eher.

 

Klack-zisch, weitere Bierdosen wurden geöffnet...

 

Deutsch Amerikanische Freundschaft?

 

Tanz den Mussolini? Geniaaaal! könnwer das nich bringen?

 

Zu heftig, wir wollen die Kids ja nich erschrecken...

 

Ay caramba!!!

 

Jau ey, dieser Jello-Typ!

 

Yello?

 

Nicht die! Nee, Jello Biafra!

 

Der ist absolut geil. Kill the poor... Lach schlapp, wie zeitgemäß...

 

Zu wild, weißt ja, die Kids...

 

Klack-zisch, weitere Bierdosen wurden geöffnet...

 

Aber die Bollocks, die könn’ wer bringen. Horror Movies, das beste Stück!

 

Findste? Also mir gefällt The last Supper besser. Aber Horror Movies is auch nich schlecht. Hey, alle mal herhörn, was is besser, Horror Movies oder The last Supper?

 

Man entschied sich drei zu zwei für Horror Movies.

 

Der Sänger (Klack-zisch, weitere Bierdosen wurden geöffnet), war das nicht der, der in den Buckingham-Palace eingebrochen ist?

 

Ich kann mich schwach erinnern.

 

War das nich Michael Fagan? Der Bekloppte?

 

Supertyp!

 

Hat sich in die Privatgemächer ihrer Majestät geschlichen und mit ihr einen Sherry auf der Bettkante getrunken.

 

Der verrückte Hund!

 

Dieses Stück von Simcity, das werde ich nie wieder hören...

 

Bis sie ihn dann in die Klapsmühle gebracht haben.

 

Die Soundkarte wird einfach nich mehr erkannt...

 

Ist das wirklich wahr?

 

Glaub schon. Is schon so lange her...

 

Ohhhgottogott, DOS ist tot! Windows ist Scheiße!

 

Hört mal, Magazine, Howard Devoto...

 

Super, Permafrost ist echt der Hammer! Spielen wir!

 

Diese melancholische Melodie, wenn 'ne Stadt gegründet wurde...

 

Hey, is das nich B-Movie? Nee, ich glaub's nich! Wo haste die denn her? Hupps, da hatte ich ja damals schon Problems, die zu kriegen.

 

Is aber 'ne beschissene Qualität!

 

Was zum Teufel hast du denn von 'ner Kassette nach zwanzig Jahren erwartet? Dabei hab ich die noch geschont – hab sie nur bei besonderen Anlässen gespielt.

 

Klack-zisch, weitere Bierdosen wurden geöffnet...

 

Man einigte sich nach großem Palaver auf die Stücke, die Spike von vorneherein favorisiert hatte.

„Jetzt müssen wir nur noch üben, üben, üben“, meinte Bronson, „könnten wir nicht vielleicht was von meinen Gedichten vertonen? Wär’ doch nicht schlecht, was!“ Flugs fing er an zu rezitieren:

Bei Doktor Seltsam im Labor

Da kam mir manches seltsam vor

Und auch in seiner großen Werkstatt

da sah ich mich an seinem Werk satt...

 

„Nee, lass man!“, unterbrach ihn Porterhouse lallend. „Das würden die ja eh nicht schnallen. Perlen vor die Säue...“

Spike dankte dem Himmel mit einem stummen Stossgebet dafür, dass Porterhouse so diplomatisch war. Hätte er gar nicht gedacht.

Zwei Stunden später löst sich die Runde auf, sternhagelvoll und lustig. Alle waren jetzt richtig geil aufs Spielen, und Spike sollte ganz schnell einen Proberaum organisieren, am besten einen schallsicheren in einer menschenleeren Gegend, noch besser einen auf dem Mond, wo sie sich so richtig austoben konnten.

 

*John Peel, geboren 1939, gestorben 2004. Wo magst du jetzt wohl sein, John? In einem Himmel, in dem du DEINE Musik spielen und hören kannst? In einem Independent-Himmel mit John Peel's Music?

 

© Ingrid Grote 2003/2011

 

Fortsetzung: GONE WITH THE DEATH? Teil 3-4

 

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