PROLOG
Regungslos
steht er am Strand und starrt blicklos auf das Meer hinaus. Ein kalter Wind
weht, dicke Regenwolken ballen sich gerade zusammen, nichts Ungewöhnliches im
Dezember an der Küste vor Santa Catalina. Die blassrote Sonne verschwindet zusehends
hinter den grauen Wolken, es wird allmählich dunkler, und der Sonnenuntergang
findet zwar statt, aber man sieht ihn nicht.
Seine
Gedanken kreisen um ihre letzten gemeinsamen Tage. Hatte er sie irgendwie
verletzt, beleidigt, ihr nicht genug Beachtung geschenkt? Nein, er kann noch so
viel darüber nachgrübeln, er hat nichts dergleichen getan. Ihre letzten
gemeinsamen Tage verliefen glücklich und harmonisch.
Es fängt an zu regnen. Er schlendert langsam in Richtung Strandcafé,
setzt sich dort an einen Tisch und bestellt einen Kaffee. Das Lokal ist fast
leer, und von den wenigen Besuchern erkennt ihn niemand. Sein Leben als kleiner
Popstar ist vorbei, es geht nicht mehr, er will es nicht mehr.
Er packt Gwydion aus, er hat ihn in einem Babygurt, zusätzlich
geschützt durch eine warme Decke mit sich herumgetragen.
Behutsam nimmt er den Kleinen auf seinen Schoß. Aber der Kleine schläft
nicht mehr und fängt an zu krähen, er hat bestimmt Hunger. Er sollte ins Hotel
gehen und ihn füttern.
Liebevoll betrachtet Spike seinen Sohn. Auf Dauer muss er sich etwas
einfallen lassen, vielleicht sollte er irgendwo ein Haus kaufen und ein
Kindermädchen einstellen, Typ Mary Poppins. Sesshaft werden. Er muss jetzt etwas
tun, denn die große Apathie ist verebbt, sie hat Platz gemacht für schmerzhafte
Erinnerungen. Sie überfallen ihn immer, wenn er an seine Frau denkt. Und er
denkt immer an sie...
Der
Kleine wird sie nie kennen lernen, wird mutterlos aufwachsen, und Spike weiß
nicht, wie er damit fertig werden soll. Wenn er an die letzten vierzehn Monate
denkt, muss er feststellen, dass es die glücklichsten seines Lebens waren, oder
seines Unlebens – egal! Er hätte wissen müssen, dass es für ihn kein
dauerhaftes Glück gibt, dafür hat er zuviel Unheil angerichtet.
Man hat ihm die glücklichste Zeit seines Lebens geschenkt – und sofort
wieder genommen. Das ist schon okay, ER hat nichts anderes verdient, aber warum
SIE?
Natürlich
war sie auch kein unbeschriebenes Blatt, aber im Vergleich zu ihm war sie ein
Nichts in Sachen Böses. Warum musste ausgerechnet SIE sterben? Sie, die so
liebevoll zu ihm war und deren Glück ihn in den letzten Monaten so eingehüllt
hatte, dass es zur gefühlsmäßigen Rückkoppelung kam und er sie wahrhaftig
liebte, so liebte, dass er alle Anzeichen des kommenden Unheils übersah. Wie
hatte er nur so blind sein können? Er war in die Falle getrapst wie ein Idiot,
und sie musste deswegen sterben. Aber sie hatte es gewusst, und sie hatte
Vorkehrungen getroffen, um ihn und ihren gemeinsamen Sohn zu beschützen. Was
für eine Frau!
Wieder
ist Spike seinen Erinnerungen hilflos ausgesetzt, sie tun ihm weh, aber ohne
sie kann er nicht leben, er denkt daran, wie er sie fand, er denkt an ihr
anfangs so unschuldiges Zusammenleben, er denkt an ihre erste Liebesnacht, an
ihre Hochzeit, an die Geburt von Gwydion. Und er schüttelt hilflos den Kopf.
Wie konnte er ihr damals nur erzählen, was er über den Himmel und über das
Leben nach dem Tode denkt. Dass er an nichts glaubt, dass alles nur im Gehirn
der Menschen existiert, Gott, der Himmel, die Engel und das Leben nach dem
Tode...
Jetzt
würde er sein Gefasel am liebsten ungefaselt machen, jetzt hätte er es gern,
wenn sie ihm aus dem Himmel zusehen würde, nein sie sollte ihm vielleicht nicht
immer zusehen, er erinnert sich – automatisch stöhnt er auf – an den total
wahnsinnigen Abend, an dem Buffy zu ihm gekommen war, um ihn zu trösten. Was
zum Teufel hatte er getan? Aber tatsächlich fühlte er sich danach etwas
lebendiger, zum erstenmal seit Wochen. Und gleichzeitig fühlte er sich total
beschissen, er hatte seine Frau betrogen, zwar nach ihrem Tode, doch Betrug ist
Betrug. Wie konnte er nur...
Er
greift – mit dem Kleinen im anderen Arm – nach der Zeitung, die auf dem Tisch
liegt.. Die Schlagzeile und das Foto fesseln ihn sofort. Er stutzt, und seine
Augen weiten sich.
„Ach du heilige Scheiße“, er stöhnt gequält auf. „Auch das noch!“
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Teil 1 – WARUM, WIESO, WESHALB?
Ungefähr vierzehn Monate früher:
Spike
hockte auf der Bettkante und hatte den Kopf in seine Hände gestützt.
Er
konnte es immer noch nicht fassen. Er ein Mensch? Das war so... unangenehm,
fast schon peinlich. Er fühlte sich unbehaglich und frustriert, ähnlich wie
ganz früher, als er noch William war. Aber das mit William, dem „Dichter“,
hatte sich doch wohl erledigt, oder? Drusilla hatte sich ja auch erledigt,
seine dunkle Göttin... Und Angel? Buffy? Oh Gott, auch die hoffentlich – und
zwar beide!
Verfluchte
Erinnerungen – und warum zum Teufel musste er immer noch an Buffy und Angel
denken? Er hatte doch genug an seinen eigenen Missetaten zu knacken. Dauernd
träumte er von irgendwelchen furchtbaren Gemetzeln, in denen er die Hauptrolle
spielte. Diese Träume raubten ihm den Schlaf, den er als Mensch nun mal
brauchte und ließen ihn immer als entnervtes Wrack zurück. Gut, das war seine
Seele, die ihn wohl zwackte. Aber das hatte sie auch schon getan, als er noch
ein Vampir war.
Gab es
denn überhaupt Vorteile des Menschseins? Er versuchte, darüber nachzudenken,
aber es ging einfach nicht, er konnte keinen klaren Gedanken fassen, weil die
verdammte Vergangenheit ihm immer wieder in die Quere kam. Spike kratzte sich
zerstreut am linken Arm, denn ein leichter Sonnenbrand juckte auf seiner zarten
weißen Haut. Danke Sonne, er musste grinsen.
Er
musste an das Gespräch denken, das Buffy mit Angel führte – nachdem die beiden
sich heiß und innig abgeknutscht hatten. Er war noch mal zurückgekehrt, um auch
den bitteren Rest mitzukriegen. Sie konnte sich also nicht vorstellen, mit ihm,
Spike, einen Stall voll Kinder zu haben. Gut, das war verständlich, denn es war
unmöglich, und Spike musste vor sich selber zugeben, auch nie an so etwas
gedacht zu haben. Aber dieses Brotteiggerede, was für ein hirnrissiges Zeug!
Weiter: Sie hatte ferner drüber nachgedacht, irgendwann zu Angel zurückzugehen,
es könne aber dauern.
Na
super! Sollte sie doch! In der Zwischenzeit, in der womöglich sehr langen
Zwischenzeit hatte sie bestimmt viel, viel Zeit, mit anderen Typen und Vampiren
rumzumachen, um dann schließlich doch zu Angel zurückzugehen als fertig
gebackenes Brot! Die beiden hatten sich wirklich verdient! Der Oberheld und die
Jägerin. Der Bäcker und das Brot!
Hatte
sie den guten Spike nur als Amulettträger auserkoren, weil sie Angel beschützen
wollte? Denn sie wusste bestimmt, dass sie den Träger des Amuletts in den
sicheren Tod schickte.
Ach, ist
Liebe nicht schön? Spike lächelte schief vor sich hin.
Und obwohl er das alles damals schon wusste, hatte er sich für Buffy
geopfert. Das war schon seltsam. Oder hatte er sich etwa für die Menschheit
geopfert? Nein, im großen und ganzen war es die Menschheit wohl nicht wert.
Oder doch?
War die
Aufopferung ein Reflex, weil er zu diesem Zeitpunkt schon seine Seele besaß?
Was zum
Teufel war eine Seele überhaupt? Manchmal hatte er den Eindruck, dass sehr
viele Menschen gar keine hatten.
Er
wusste keine Antworten auf all seine Fragen.
Also noch
einmal: Was waren die Vor- beziehungsweise Nachteile seines neuen Menschseins?
Spike konzentrierte sich angestrengt, und diesmal schien es zu klappen.
Vorteil:
Er konnte sich am Tage draußen aufhalten.
Nachteil:
Aber er tat es nicht gerne, denn die Sonne war grell und unangenehm. Seine
Augen waren zwar die eines Menschen, aber er konnte immer noch in der
Dunkelheit besser sehen als am Tage. Er war halt ein Nachtschwärmer. Er
stutzte, den Satz kannte er doch, angestrengt dachte er nach – und kam schließlich
auf den Film ‚Tanz der Vampire’. Der Graf hatte es gesagt: Ich bin ein
Nachtschwärmer, am Tage bin ich kaum zu gebrauchen. Spike lachte kurz auf, dann
grübelte er weiter.
Vorteil:
Er brauchte kein Blut mehr trinken. Er konnte alles mögliche essen. Spike hatte
eine Vorliebe für Pizza entwickelt. Ein Vorteil also?
Nachteil:
Das meiste, was es jetzt zu essen gab, war ungesunder Schweinefraß, außer Pizza
vielleicht, und die machte dick.
Vorteil:
Er konnte sich im Spiegel sehen.
Nachteil:
An manchen Tagen nach gewissen Saufereien war sein Anblick im Spiegel ziemlich
deprimierend.
Nachteil:
Er hatte jetzt diesen unangenehmen Verdauungstrakt. Was für eine beschissene
biologische Sache, im wahrsten Sinne des Wortes!
Nachteil: Er hatte jetzt vom Saufen viel länger Kopfschmerzen als
früher. Und das Rauchen – nun denn, das würde er irgendwann mal aufgeben, ja
vielleicht, aber nicht sofort. Daraufhin steckte er sich sofort eine an, aber
mit schlechtem Gewissen.
Nachteil:
Seine Haare wuchsen jetzt viel schneller. Er war gezwungen, alle drei Wochen zu
einem Frisör zu gehen, um sie nachschneiden zu lassen, und Frisöre sind wie
jeder weiß Vertrauenssache...
Nachteil:
Auch der Bart wuchs, er musste sich tatsächlich jeden dritten Tag rasieren.
Vergeudete Zeit!
Nachteile,
Nachteile, Nachteile... Spike fühlte sich ziemlich frustriert. Vielleicht
sollte er W&H mal einen Dankesbesuch dafür abstatten, dass sie ihn
zurückgeholt hatten – zu allem Überfluss auch noch in einem anderen Aggregatzustand
als vorher – und sie kräftig in den Arsch treten.
Doch
dann fiel ihm noch etwas zum Thema Vorteil-Nachteil ein. Nämlich ein nicht zu
unterschätzender Vorteil. Er dankte einem imaginären Gott dafür, dass seine
Gefühle nicht mehr da waren, er war von ihnen befreit worden.
Also
Vorteil: Er liebte Buffy nicht mehr! Halleluja!
Gone with the death… Ja wirklich, der Tod hatte manchmal nette
Nebeneffekte. Er war frei von ihr. Frei?
Nachteil:
Er war jetzt zwar frei, aber er fühlte ein gewaltiges Vakuum in seinem
Innersten, und es war absolut nichts in Sicht, womit er dieses Vakuum ausfüllen
konnte.
Seltsamerweise
hatte er seine frühere körperliche Stärke behalten, obwohl sie ihm jetzt anders
vorkam, intensiver irgendwie. Und die Selbstheilungskräfte waren auch noch da.
Vielleicht nicht so schnell wirkend wie in seinem Vampirdasein, aber der
Sonnenbrand zum Beispiel würde in ein paar Stunden Geschichte sein, und er
vermutete, dass es mit größeren Wunden ähnlich wäre. Gut, er war also nicht
vollkommen menschlich, er war vielleicht vergleichbar mit ’ner Jägerin. Spike
musste lachen. ’Ne männliche Jägerin, das war ja wohl ein Hammer! Das hörte
sich an wie in dem Film ‚Ich war eine männliche Kriegsbraut’, ein
amerikanischer Nachkriegsschinken mit Cary Grant. Für Spike war der 2.
Weltkrieg immer der einzig richtige Krieg gewesen, alles was danach kam, war
Killefitt aus der Sicht eines Vampirs. Aber er war ja jetzt kein Vampir mehr.
Wie auch
immer, also Jägerin... Tatsächlich hatte er manchmal das Bedürfnis, einen
besoffenen Opa über eine stark befahrene Straße zu geleiten, ein Bedürfnis, das
er bis jetzt immer mannhaft unterdrückt hatte. Na ja, bis auf die beiden
Male... Ein seltsames neues Bedürfnis. Denn als Vampir hatte er die Menschen
nicht sonderlich geliebt, bis auf Buffy und ihre kleine Schwester Dawn. Und
vielleicht Willow, die hatte er immer schon gemocht. Zum Beißen gerne... Er
grinste vor sich hin.
Was also war im Krater passiert. Buffy hielt seine Hand, die Strahlung
war nicht mehr zum Aushalten, Buffy sagte ihm, dass sie ihn liebte, er schickte
sie fort, und sie verließ ihn. Eigentlich war nix passiert, außer dass sie
gesagt hatte, dass sie ihn liebte, vermutlich aus Mitleid – und außer dass er
im Krater verglüht war und mit ihm all die verdammten Teufel. Spike stand von
seinem Bett auf, verbeugte sich vor einem imaginären Publikum und verkündete
diesem theatralisch: „Hi Leute, ich habe die Welt gerettet...“ Dann ließ er
sich wieder aufs Bett fallen und dachte weiter nach.
Das Amulett besaß große Kräfte, es hatte sich an seinen Hals geschmiegt, als wäre es ein Teil von ihm, es hatte ihm eine Art LeckmichamArsch-Stimmung verliehen – und den Mut, endgültig zu sterben. Auf eine gute Art zu sterben. Außerdem hatte Willow einen Zauber veranstaltet, damit Buffys Stärke auf die neuen Möchtegern-Jägerinnen überging. Vielleicht hatte er ja etwas davon mitgekriegt...
Grübel,
grübel, blöderweise änderten alle Überlegungen nichts an der Tatsache, dass er
seit vier Monaten wieder lebte, und zwar als Mensch, er war kein Vampir mehr,
kein Untoter. Er hatte drei Monate in der Krankenstation von W&H verbracht
– und als man ihn dort entließ, war er so geschockt gewesen, dass er nur
zaghaft ein paar Erkundungsausflüge von seinem Hotel aus unternahm. Aber nun
wollte er allmählich wissen, was überhaupt los war.
Spike
erhob sich vom Bett, schlenderte zum Telefon und wählte die Nummer von Wolfram
& Hart, der dämonischen Anwaltsfirma, mit der auch Angel irgendwie zu tun
hatte. Allerdings überlegte Spike es sich spontan anders und legte den Hörer
wieder auf. Er hatte sich entschlossen, persönlich dort zu erscheinen.
Das
Hotel, in dem er jetzt fast schon einen Monat wohnte, lag nicht weit entfernt
vom Wolfram & Hart Gebäude. Der Weg dorthin führte nur durch ein paar
verwinkelte dunkle Gassen.
Natürlich
hatte er das Hotel vom Standpunkt eines Vampirs ausgesucht. Die Gassen waren so
schmal, dass nie ein Sonnenstrahl sie erreichen konnte – und außerdem handelte
es sich um eine ziemlich heruntergekommene Gegend, wo die Menschen beflissentlich
wegschauten, wenn jemand tot oder halbtot in einem Müllcontainer lag.
Es war
halt noch so in ihm drin, das mit dem Verstecken und das mit der Sonne. Er
liebte sie nicht. Sie knallte in seine Augen, die immer noch etwas von einem
Nachtraubtier hatten und blendeten ihn auf der Stelle. Und er konnte Hitze
nicht gut vertragen – möglicherweise war die Ursache dafür seine permanente
Untertemperatur, die so um die 34° Celsius lag, wahrscheinlich ein Überbleibsel
aus seiner Vampirzeit.
Bei
Wolfram & Hart ließ man ihn sofort hinein. Es sah so aus, als hätte der
Rausschmeißer oder besser gesagt der Reinlasser, der eindeutig dämonischer
Natur war, ihn schon erwartet. Man geleitete ihn recht flott in die Gemächer
der Chefetage, wo sich ihm alsbald einer der leitenden Typen zuwandte und ihm
die Hand reichen wollte, was Spike generös übersah. Verlegen zog der Typ seine
Hand zurück.
„Mister,
äääh... Spike, mein Name ist Watson. Wie geht es ihnen?“
„Keine
Ahnung Doctor Watson – sagen Sie es mir, denn ich bin leider nicht Sherlock
Holmes!“
„Äääh...
ja, Sie werden sich bestimmt schon gewundert haben, weshalb Sie wieder hier auf
der Erde sind.“
„Und auf
dieser wandele? Sagen Sie es mir, oder...“
„Gut.
Die äääh... ganze Sache beruht auf einem Missverständnis.“
„Tja,
dann bin ich ja beruhigt...“
„Wenn Sie das sagen... Denn Mr. Spike, eigentlich wollten wir ja Mr.
Angel äääh hier... haben.“
„Oh
Gott!“, stöhnte Spike. „Was wollt Ihr nur alle mit dem Kerl!“
„Es
handelt sich um ein Experiment, Mr. Spike. Wir sind aber mittlerweile zu der
Ansicht gelangt, dass SIE uns in diesem Experiment um einiges nützlicher sein
könnten als Mr. Angel.“
„Ihr
Typen habt also gedacht, dass Mr. Angel“, Spike sprach den Namen affektiert und
mit einer guten Portion Verachtung aus, „sich in Sunnydale das Amulett
umschnallt und sich für die Menschheit opfert?“
„Sie
haben es erfasst, Mr. Spike.“
„Und wie
passe ich jetzt ins Bild?“
Watson
druckste ein wenig herum, bis er dann zugab: „Mr. Spike, Sie und Mr. Angel
haben eine Sache gemeinsam. Das scheint irgendwie in der Familie zu liegen...“
„Was
meinen Sie? Dass wir uns immer in die gleichen Frauen verknallen?“ Spikes
Stimme klang ein wenig ärgerlich.
„Nnnein,
das nicht“, stammelte Watson und fummelte an seiner Brille herum. „Es ist das
mit der Seele, das Sie beide gemeinsam haben.“
„Ach
Gottchen! Eigentlich habe ich mit dem Wichser nichts gemeinsam. Aber gut. Und
wie weiter?“
„Es
handelt sich um eine... äääh Langzeitstudie über beseelte Vampire, oder
vielmehr über Exvampire mit übermenschlichen Kräften, und wir würden alles in
unserer Kraft Stehende tun, um Sie während der nächsten paar Monate tatkräftig
zu unterstützen.“
„Sie
meinen Knete und so...?“
„Genau
das, Mr. Spike! Wenn Sie eventuell noch einen besonderen Wunsch haben? Möchten
sie vielleicht die Jägerin wiedersehen? Sie standen sich doch recht nahe. Wir
tun alles, um Ihre Wünsche wahr werden zu lassen...“
„Alles,
nur das nicht“, konterte Spike, „Nein, ich möchte gerne einen Schwanz haben,
der mir bis zum Boden reicht, wohlgemerkt ohne dass man mir die Beine abhackt.
Wäre das zu machen, Doktor Watson?“ Seine Stimme klang höhnisch.
„Wir
dachten eigentlich an Dinge, die eher geldmäßiger Natur sind“, stöhnte Watson
peinlich berührt ob Spikes obszöner Rede.
„Gut –
dann möchte ich gerne ein Rockstar werden“, Spike lümmelte sich bequem in
seinem Sessel herum und guckte Watson provozierend an.
„Das
ließe sich machen, Mr. Spike.“
„Häääh!!!“
Spike war bestimmt immer schlagfertig gewesen, aber dieses Mal war er
geschlagen. Und er sprang sofort drauf an – verflucht noch mal!
Schon
kamen ihm die Bandmitglieder in den Sinn – er konnte sie vor seinem geistigen
Auge sehen, halb Dämonen, halb Menschen. Snikkers war immer schon ein verdammt
guter Schlagzeuger gewesen. Dann war da noch Bronson. Und er selber hatte sich
im Laufe der Jahrzehnte das Gitarrespielen beigebracht, und er konnte recht
anständig singen. Seine etwas raue aber wohltönende Stimme war wohl das Beste
an ihm, abgesehen von seinem Aussehen, Spike musste grinsen. –
„Wir sind
uns also einig, Mr. Spike?“, unterbrach Watson seine Gedanken.
„Klar
doch, ich heiße von nun an Bill Castaway, und meine Band heißt „THE BIG BAD
THING“. Abgekürzt, wie es heutzutage Sitte ist: ‚TBBT’. Haben Sie das
verstanden, Doc!“
„Aber
natürlich, Mr. Sp... äääh... Castaway. Wir werden alles in die Wege leiten.“
Watson schien ein Stein vom Magen zu fallen.
„Ich
brauche natürlich ein passendes, ja wie soll ich sagen – Anwesen vielleicht?“,
forderte Spike unerbittlich, „damit ich genug Inspiration für meine Karriere
bekomme.“
„Wir
werden für Sie ein Konto eröffnen, über das Sie nach eigenem Ermessen verfügen
können“, ächzte Watson.
„Soso,
nach eigenem Ermessen...“, äffte Spike ihn nach, „Heißt das, wenn ich mir ein
Häuschen zulege, ich auch im Grundbuch eingetragen bin? Als Bill Castaway? Als der Brite Bill Castaway? Sir?“
„Das
heißt es“, seufzte Watson und fügte hinzu: „Sie sind ein harter
Verhandlungspartner, Mr. Sp... äääh Castaway, aber wir werden uns schon einig
werden. Sie erhalten von uns absolut wasserdichte Papiere, und wir haben die
Absicht, ihre Karriere mit allen Mitteln zu fördern.“
„Die
Papiere müssen nicht unbedingt wasserdicht sein, es reicht schon, wenn mir die
Bullen vom Hals bleiben“, witzelte Spike, aber er wurde sofort wieder sachlich.
„Können wir das mit der Banksache auf der Stelle klarmachen!?“
„Natürlich,
ich werde Ihnen jetzt sofort eine größere Summe Geldes übergeben, Mr. Castaway,
und die restlichen Formalitäten erledigen wir, sagen wir nächsten Mittwoch um
siebzehn Uhr hier in diesem Raume? Wäre das Ihnen das angenehm?“
„Klar
doch“, Spike griff nach dem prall gefüllten Umschlag, den Watson ihm hinhielt.
Er sah nicht nur prall gefüllt aus, sondern fühlte sich auch so an. Spike
überlegte nicht lange, sondern wandte sich reflexartig zur Tür und ging hinaus,
bevor dieser Watson-Typ es sich anders überlegen konnte.
Als
Spike das Zimmer verlassen hatte, ertönte aus dem Nebenraum eine träge Stimme:
„Nun, hat er es geschluckt?“
„Es
scheint so. Doch, ich bin mir sicher“, antwortete Watson. „Der Köder mit dem
Rockstar war einfach zu gut.“
„Nächsten
Mittwoch also... Ist alles vorbereitet? Haben Sie die Frau präpariert?“
„Sie
liegt in Zimmer 88. Und sie hat keine Ahnung, was für eine große Rolle sie in
unserer äah... Geschichte spielen wird.“
„Sehr
gut. Und wie sind seine Gefühle für die Jägerin?“
„Meines
Erachtens nach ist er nicht gut auf die Jägerin zu sprechen.“
„Er lässt jetzt wohl seinen Verstand walten, und die Gefühle sind in
den Hintergrund getreten. Das ist gut, denn wir möchten ihn doch von der
Jägerin fernhalten“, die träge Stimme hatte jetzt einen boshaften Unterton.
„Leiten Sie das mit dem Rockstar in die Wege. Wir wollen unserem ‚Superstar’
doch ein wunderschönes Leben bieten, bevor der Alptraum über ihn hereinbricht.“
Die Stimme kicherte boshaft im Hintergrund und verstummte dann.
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Teil 2 – SPIEGEL und MUSIK
In
sicherer Entfernung vom W&H-Gebäude blieb Spike atemlos stehen – ans Atmen hatte
er sich auch noch nicht gewöhnt – er öffnete gespannt den dicken Umschlag,
zählte provisorisch das Geld darin und war ziemlich erschüttert, als er
feststellte, dass es sich um circa 20.000 Dollar handelte, gut gemischt in
kleinen und großen Scheinchen.
Nicht
übel... Dafür musste ’ne alte Frau ziemlich lange stricken. Was zum Teufel
konnten die von ihm wollen? Wegen seiner schönen blauen Augen gaben die ihm
bestimmt nicht soviel Geld. Was hatte der Typ erzählt: Irgendwas mit
Langzeitstudie über beseelte Vampire, oder Exvampire mit übermenschlichen
Kräften. So’n Schwachsinn! Aber wenn sie wollten...
Er hatte natürlich einen Witz gemacht, wollte sehen, wie weit sie ihm
entgegenkamen, als er das mit dem Rockstar erwähnte. Sie waren drauf
angesprungen. Irre! Und jetzt musste er sich ernsthaft Gedanken drüber machen,
wie er das ganze aufziehen sollte. Die von W&H sollten sich das
Geschäftliche vornehmen, aber er, Spike, würde sich um die Musik kümmern.
Im Hotel
angekommen, ging er nicht auf sein Zimmer, sondern suchte die kleine Hotelbar
auf, um zur Feier des Tages einen zu trinken. Und um den ersten Hunderter zu
wechseln.
Er
setzte sich an die Theke, bestellte einen großen Brandy und versank dann in
Gedanken über die Musik, die er mochte.
Die 80er
Jahre, natürlich! Die hatten das größte Potential, fast alle seine
Lieblingsgruppen stammten aus dieser Zeit. Damals war er oft in England
gewesen, und die Engländer hatten immer schon bessere Musik gemacht als die
Amerikaner. Was hatten die USA schon großartig neues hervorgebracht? Er
beantwortete seine Frage umgehend: Nicht viel – bis auf die Talking Heads und
die B-52s vielleicht.
Ferner
erinnerte er sich an eine geile Band mit dem Namen Plasmatics, wo unter
schrillen Gitarrenklängen eine Halbnackte mit einem Vorschlaghammer ein
ekelbeiges Mercedestaxi zertrümmerte. Gute Show, vor allem Kettensäge und
Vorschlaghammer hatten damals seinen Vampirgeschmack getroffen. Aber jetzt?
Nee, nicht mehr.
Okay,
Soul, das kam damals gut, hatte richtig Pep gehabt. Und die ersten Rapsongs
auch. Grandmaster Flash... Klasse!
Und
heute? Was machten die Afroamerikaner eigentlich? Hiphop? Nicht sein Ding.
Wabbelige Aftersoul-Klamotten? Nee, auch die nicht sein Ding.
Coverversionen
von Songs, die er von früher kannte geisterten durch seinen Kopf. Die hatten
mit den Originalen sowenig zu tun wie ein ... Hamburger mit ’nem Chateaubriand,
Und das Schärfste war, die Kids bildeten sich tatsächlich ein, es wären
brandneue Sachen. Tsss... Dummerweise waren die verhunzten Stücke immer noch besser
als das, was an neuen produziert wurde. Waren der Menschheit die Melodien
ausgegangen? Gab es alles schon mal? Es war zum aus der Haut fahren!
Spike
grübelte weiter und prostete seinem Spiegelbild im Barspiegel aufmunternd zu.
War schon seltsam, sich im Spiegel zu sehen hinter all diesen Schnapsflaschen,
nein nicht wegen der Schnapsflaschen, sondern sich in einem richtigen Spiegel
zu sehen, verdammt ungewohntes Gefühl. War schon was anderes als ’ne polierte
Metallplatte, die natürlich auch ihre Vorteile hatte – upps der Brandy haute ja
ganz schön rein, viel schneller als erwartet – man sah in Metall besser aus,
weil die Details so schön verschwommen waren. Nicht dass er Probleme mit seinem
Aussehen gehabt hätte, aber als er sich jetzt im Barspiegel musterte, meinte
er, älter geworden zu sein, seine Gesichtszüge waren härter, als er sie in
Erinnerung hatte. Es konnte eigentlich nicht dran liegen, dass er jetzt schon
vier Monate menschlich, na ja irgendwie menschlich war. Es sei denn, sie hätte
ihn als Gen-Monster erschaffen mit nur einem Viertel der normalen Lebenszeit.
Wäre ihm aber auch egal, er hatte lange genug gelebt. Nein, vermutlich hatten
ihn die vielen Jahre mit Schweineblut als Hauptnahrung altern lassen – und
natürlich die verfluchte Jägerin... Aber die war vorbei!
Aber
wieso konnte er sich als Vampir in einer polierten Metallplatte sehen, aber
nicht in einem quecksilberbeschichteten Spiegel? Es lag – Spike musste lachen –
bestimmt an der undichten molekularen Substanz der Vampire, sie konnten eine
Metallplatte belügen aber einen Präzisionsspiegel nicht. Gute Theorie, alter
Junge! Bist wohl nicht ganz dicht! Wieder lachte er, aber sein Lachen hatte
einen verzweifelten Unterton. Er hätte jetzt gerne jemanden neben sich gehabt,
der seine seltsamen Gedankengänge verstehen würde. Aber woher nehmen?
Spike
fühlte auf einmal, wie ihn ein seltsames, bisher unbekanntes Gefühl übermannte
und das sich in Worten vielleicht so ausdrücken ließ: Ich bin verdammt allein!
Dieses Gefühl wurde allmählich resistent wie eine mutierte Bakterie.
Er mochte das Gefühl nicht und entschloss sich auszugehen. Er schwankte
zwischen der Demon’s Bar und einem Besuch bei Großvater Angel. Nein, besser
nicht zu Grandpa, wahrscheinlich würde er dem was auf die Fresse hauen, wenn er
nur irgendwie die Möglichkeit dazu hätte. Die Fresse von dem schrie geradezu
danach.
Also in
die Demon’s Bar.
Er hatte
Glück und traf auf Anhieb Snikkers und Bronson. Der geniale Drummer Snikkers,
dessen Vorfahren einst aus Jamaika eingewandert waren, ging sofort auf Spikes
Angebot mit der Band ein, denn er hatte im Moment nicht viel Kohle. Außerdem
waren ihm die Sharkie-Brothers, eine mörderische
Inkasso-Schulden-Eintreiber-Truppe dicht auf den Fersen. Falls man diese
geflügelten äääh... Dinger Fersen nennen konnte. Jedenfalls drohte man ihm, die
Flügelchen von seinen Fersen abzuschneiden. Was natürlich kein Snik-Dämon
überleben würde.
Auch
Bronson zeigte sich begeistert. Er war rein menschlichen Ursprungs und ein irre
guter Bassist, leider mit leichten geistigen Aussetzern, die vielleicht von
seinem jahrzehntelangen Drogenmissbrauch herrührten. Er hatte in einer früheren
Phase seines Lebens Gedichte geschrieben und damit eine gewisse lokale
Berühmtheit erlangt. Leider konnte man mit Ruhm allein kein Geld verdienen,
deshalb hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
Snikkers
stellte Spike einen gewissen Casio vor. Der sympathische Halbdämon besaß
freundlicherweise einen kleinen dritten Arm, der beim Keyboardspielen sehr
nützlich war. Casio, bei dem Namen musste Spike grinsen, er erinnerte sich vage
an das Casio, es wurde wahrscheinlich Anfang der 60er Jahre erfunden. Oder noch
früher? Es war vielleicht dreißig Zentimeter lang, es hatte Tasten wie ein
Klavier, nur nicht so viele. Man konnte aber auch darauf tuten oder blasen.
Später im Zuge der Evolution wurde es dann größer und nannte sich
Hammond-Orgel. Oder war zuerst die Hammond-Orgel da und dann das Casio? Egal.
Sie
waren nun zu viert. Für den Klang ein bisschen mager.
Aber da
gab es noch einen gewisser Porterhouse, einen Punk mit ’ner irre alten, schon
arg zerschlissenen Fliegerjacke, auf die er wahnsinnig stolz war. Der
Vorbesitzer der Jacke war vermutlich auf einem Schlachtfeld in der Gegend von
Verdun verrottet. Porterhouse spielte Gitarre wie Spike, er zeigte sich
interessiert – und somit wurde eine Band gegründet.
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Der
Anfang klang düster, es hörte sich ein bisschen an wie der Höllenschlund – oder
wie bei einem Fußballspiel von Manchester United...
Spike
erwachte und fühlte sich aus bekannten Gründen traurig. Last night I dreamt that somebody loved me... Dieser
Song schien alles auszudrücken, was ihm fehlte und was er höchstwahrscheinlich
nie bekommen würde. Aber er würde das Beste draus machen und ihn als erstes
einstudieren lassen. Warum? Ihm schwebte vor, Songs, die nie richtig bekannt
gewesen waren, wieder ans Tageslicht zu bringen. Sie hatten damals aus
verschiedenen Gründen keine Berühmtheit erlangt, wegen fehlender Promotion,
oder weil die Plattenfirmen zu klein waren. Vielleicht würden sie es auch heute
nicht zur Berühmtheit schaffen, aber er fühlte sich verpflichtet, sie
wiederzubeleben. So wie man eine aussterbende Gattung versucht zu erhalten. Und
vielleicht würde das Publikum sie sogar mögen.
Das Publikum... Hahaha, jetzt
fing er schon an zu spinnen.
Was könnten sie also spielen?
Spike schwebten gewisse britische Stücke vor, von Ultravox, Joy Division,
Magazine, Bollock Brothers, The Smiths…
Dann fiel ihm noch Billy Idol ein, kein Schlechter, außer natürlich der
Tatsache, dass man ihn, Spike, verdächtigte, Billys Aussehen imitiert zu haben.
Dabei war es genau anders rum, nach dem Motto: There was no one punk, before I
was punk...
Das
nächste Treffen mit den Jungs fand in Spikes Hotelzimmer statt.
Sie
waren tatsächlich alle gekommen: Snikkers, Casio, Bronson und Porterhouse,
letzterer hatte sich seine restlichen Haare auch noch abrasiert und erschien
fast als Skinhead, was sehr im Gegensatz zu Bronson stand. Bronson, Sohn einer
reinen Indianerin und eines polnischen Einwanderers hatte Haare, die fast bis
zu seinem Hintern reichten. Schöne Haare, blauschwarz und glatt wie das
Gefieder eines Raben.
„Hast du
die Tapes?“ Spike wandte sich an Casio, der ihn ein bisschen an Oz, den
Wehrwolf erinnerte, und seine Stimme klang dabei ungeduldig und energiegeladen.
„Klar“,
sagte Casio, „allerdings sind es nicht mehr die besten. Weißt du, zwanzig Jahre
sind kein Pappenstiel, obwohl ich sie gehütet hab’ wie meinen dritten Arm....“
Er packte die Plastiktüte aus, die er mitgebracht hatte und legte einen Haufen
Kassetten auf den niedrigen Tisch. „Aber passt gefälligst auf, das sind
wertvolle Artefakte und nicht auf CD erhältlich!“
„Egal –
wir wollen sie ja nicht hundertpro nachspielen, sondern nur so’n allgemeinen
Eindruck erhalten.“
„Wie ist
das mit dem Copyright?“ ließ sich Porterhouse hören, „kriegen wir damit keinen
Ärger?“
„Damit
soll sich deine komische Firma beschäftigen, Spike! Die haben ja schließlich jede
Menge Anwälte“, meinte Casio.
„Alles
klar, also lasset uns beginnen!“ Spike öffnete theatralisch seinen Kühlschrank
und deutete wohlgelaunt auf die Reihen von Bierdosen, die dort feinsäuberlich
aufgestapelt waren. „Bedienet euch selber!“
Was sie
denn auch taten.
Langsam
füllte sich der Raum mit Zigarettenrauchschwaden, Gelächter und Erinnerungen,
die lautstark ausgetauscht wurden. Jeder von ihnen war ein Musiknarr, und jeder
von ihnen war am Ende der 70er und am Anfang der 80er Jahre in Europa gewesen,
vorzugsweise natürlich in Großbritannien, und manche auch in Deutschland.
Klack-zisch,
Bierdosen wurden geöffnet, und Casio legte das erste Tape in den
Kassettenrecorder, den Bronson mitgebracht hatte.
„Man
hört ja gar nichts!“, beschwerte sich Bronson. In der Tat war auf dem Tape wohl
gesammeltes Schweigen aufgenommen worden.
„Das
hört sich ja an wie der Mondaufgang auf einer von diesen bescheuerten
esoterischen ääh... Dingern“, witzelte Spike
„Hmm –
falsche Seite“, brummte Casio, „Hat einer von euch 'nen Kugelschreiber?“
„Wofür?“
„Die
dämliche Kassette lässt sich nicht mehr zurückspulen. Ich brauch’ dafür 'nen
Kugelschreiber.“
„Mist“,
stöhnte Spike, „So kommen wir ja nie weiter. Gut, du spulst, und wir nehmen uns
die CDs vor.“ Dem Himmel sei Dank gab es tatsächlich auch schon CDs von einigen
Gruppen. Er suchte sich die Bollock Brothers heraus und legte sie in den
Player.
Klack-zisch, weitere Bierdosen wurden geöffnet, alle hingen ihren
Erinnerungen nach, und Satzfetzen schwirrten herum.
John
Peel’s Music, bei der BBC, nee Moment mal, da war ich in Deutschland, also
BFBS, dieser Armeesender. Peel, der absolute Härtetyp. Der hat sich von allen
Verrückten Tapes schicken lassen...
Jau, der hat sich jeden Mist schicken lassen. Zuerst hatte er eine
Stunde Sendezeit, dann haben sie ihm noch eine dazu gegeben.
Der
verrückte Hund.
Da hab’
ich zum erstenmal die Bollocks gehört.
Spitzenmäßig!
Klack-zisch,
weitere Bierdosen wurden geöffnet...
Und Joy Division... Hatte der Sänger sich da
schon umgebracht? Und welche Platte war eigentlich zuerst da? Die weiße oder
die schwarze?
Hab’ ich
vergessen. Aber die weiße hat sich angehört, als wolle er sich demnächst
umbringen.
Hat er ja auch...
John
Peel – ich werd’ nicht mehr. Der hatte immer so deutsche Sachen...
Genau,
die Krupps. Damals noch elektronisch, jetzt zuviel Metal für meinen
Geschmack...
Einstürzende
Neubauten.....
Spike kannte die Neubauten auch und musste dabei automatisch an gewisse
einstürzende Altbauten denken, als er zum erstenmal die Jägerin gefickt hatte,
beziehungsweise die Jägerin ihn. Ja, das traf es wohl eher.
Klack-zisch,
weitere Bierdosen wurden geöffnet...
Deutsch
Amerikanische Freundschaft?
Tanz den
Mussolini? Geniaaaal! könnwer das nich bringen?
Zu
heftig, wir wollen die Kids ja nich erschrecken...
Ay caramba!!!
Jau ey, dieser Jello-Typ!
Yello?
Nicht
die! Nee, Jello Biafra!
Der ist
absolut geil. Kill the poor... Lach
schlapp, wie zeitgemäß...
Zu wild,
weißt ja, die Kids...
Klack-zisch,
weitere Bierdosen wurden geöffnet...
Aber die
Bollocks, die könn’ wer bringen. Horror Movies, das beste Stück!
Findste?
Also mir gefällt The last Supper besser. Aber Horror Movies is auch nich
schlecht. Hey, alle mal herhörn, was
is besser, Horror Movies oder The last Supper?
Man
entschied sich drei zu zwei für Horror Movies.
Der
Sänger (Klack-zisch, weitere Bierdosen wurden geöffnet), war das nicht
der, der in den Buckingham-Palace eingebrochen ist?
Ich kann
mich schwach erinnern.
War das
nich Michael Fagan? Der Bekloppte?
Supertyp!
Hat sich
in die Privatgemächer ihrer Majestät geschlichen und mit ihr einen Sherry auf
der Bettkante getrunken.
Der
verrückte Hund!
Dieses
Stück von Simcity, das werde ich nie wieder hören...
Bis sie
ihn dann in die Klapsmühle gebracht haben.
Die
Soundkarte wird einfach nich mehr erkannt...
Ist das
wirklich wahr?
Glaub
schon. Is schon so lange her...
Ohhhgottogott,
DOS ist tot! Windows ist Scheiße!
Hört
mal, Magazine, Howard Devoto...
Super,
Permafrost ist echt der Hammer! Spielen wir!
Diese
melancholische Melodie, wenn 'ne Stadt gegründet wurde...
Hey, is das nich B-Movie? Nee, ich
glaub's nich! Wo haste die denn her? Hupps, da hatte ich ja damals schon
Problems, die zu kriegen.
Is aber
'ne beschissene Qualität!
Was zum
Teufel hast du denn von 'ner Kassette nach zwanzig Jahren erwartet? Dabei hab ich
die noch geschont – hab sie nur bei besonderen Anlässen gespielt.
Klack-zisch,
weitere Bierdosen wurden geöffnet...
Man einigte sich nach großem Palaver auf die Stücke, die Spike von
vorneherein favorisiert hatte.
„Jetzt
müssen wir nur noch üben, üben, üben“, meinte Bronson, „könnten wir nicht
vielleicht was von meinen Gedichten vertonen? Wär’ doch nicht schlecht, was!“
Flugs fing er an zu rezitieren:
Bei
Doktor Seltsam im Labor
Da kam
mir manches seltsam vor
Und auch
in seiner großen Werkstatt
da sah
ich mich an seinem Werk satt...
„Nee,
lass man!“, unterbrach ihn Porterhouse lallend. „Das würden die ja eh nicht
schnallen. Perlen vor die Säue...“
Spike
dankte dem Himmel mit einem stummen Stossgebet dafür, dass Porterhouse so
diplomatisch war. Hätte er gar nicht gedacht.
Zwei
Stunden später löst sich die Runde auf, sternhagelvoll und lustig. Alle waren
jetzt richtig geil aufs Spielen, und Spike sollte ganz schnell einen Proberaum
organisieren, am besten einen schallsicheren in einer menschenleeren Gegend,
noch besser einen auf dem Mond, wo sie sich so richtig austoben konnten.
*John
Peel, geboren 1939, gestorben 2004. Wo magst du jetzt wohl sein, John? In einem
Himmel, in dem du DEINE Musik spielen und hören kannst? In einem Independent-Himmel mit John Peel's Music?
© Ingrid Grote 2003/2011
Fortsetzung: GONE
WITH THE DEATH? Teil 3-4
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