Holidays in Kampodia

 

KAPITEL IV – Teil 1 ANDROMEDA und DANIEL

 

Daniel betrachtete das gerahmte Bild an der Wand, er kannte die darauf Abgebildete, ohne den Untertitel gelesen zu haben, der folgendermaßen lautete: Die Kaiserin in Irland 1881, Elisabeth von Österreich bei der Jagd.

Die Kaiserin hatte einst als beste Reiterin und als schönste Frau der Welt gegolten. Außerdem praktiziert sie damals schon modernes Fitnesstraining.

„Das sind meine Bücher“, erzählte Andy und wies auf ein gut gefülltes Bücherregal, das rechts vom Fenster in die Wand eingebaut war. „Ich habe sie alle gelesen, die meisten schon, als ich neun war.“

Daniel trat neugierig näher, zog vorsichtig ein Buch aus der obersten Reihe und las den Titel des Buches: Lady Chatterley.

„Das hast du mit neun gelesen?“, fragte er zweifelnd.

„Klar! Und ich habe alles verstanden“, behauptete Andy stolz.

„Ist ja nicht weiter schlimm. Da ist nichts drin, was anstößig wäre für so ein zartes Alter“, meinte Daniel lächelnd, er überflog flüchtig die anderen Titel in dieser Reihe und war froh, dass ‚Die Geschichte der O’ nicht dabei war. Das hätte er dann doch als unpassend empfunden, die Geschichte um den Masochismus einer Frau, die sich einem Mann total unterwirft – und schließlich von ihm weitergereicht wird an einen Freund. Eine Spielart der Lust, aber so etwas sollte ein kleines Mädchen nicht lesen, er jedenfalls würde seine Tochter – wenn er denn eine hätte – davon abhalten...

„Schau an, was haben wir denn hier?“ Er nahm den Roman ‚Lolita’ aus dem Regal und blätterte ihn schnell durch. „Hast du die Bücher geerbt?“

„Sie stammen teilweise von meiner Mutter, aber die meisten sind von Tante Claudia. Als sie hierhin zurückkam, hat sie mir die Bücher überlassen. Sie wollte sie nicht wegwerfen, sie hat immer gesagt: Auch der größte geschriebene Mist hat einen Sinn, nämlich den Mist darin zu erkennen. Und sie hat auch immer gesagt: Es gibt wirklich nichts, was nicht an subjektiver Idiotie irgendwann auf Papier verewigt worden ist.“

„Da hat sie verdammt noch mal Recht!“ Daniels Respekt vor Claudia Mansell wuchs. Zuerst war er ja skeptisch gewesen, als er sah, wie Rebekka und vor allem auch Morgaine immer bei ihr rumhingen, aber sie schien schwer in Ordnung zu sein.

„Das mit Lolita“, Andy nahm Daniel den Roman aus der Hand, „kann man doch verstehen, oder? Ein ganz junges Mädchen, noch keine Frau, könnte doch anziehend auf einen viel älteren Mann wirken. Oder etwa nicht?“

„Vielleicht... Ich glaube allerdings, er hat es anders gemeint. Er hat sich an Mädchen aufgegeilt, die noch keine richtigen Frauen waren, weil er Angst vor richtigen Frauen hatte.“

„Du findest also junge Mädchen nicht attraktiv, Daniel?“ Andy hatte Daniel bei seinem letzten Satz gar nicht richtig zugehört.

„Das habe ich nicht gesagt. Natürlich sind sie schön... Aber für meinen Geschmack fehlt ihnen doch einiges.“ Daniel blickte Andy forschend an, als er das sagte.

„Du meinst, sie können noch keine richtige Liebe empfinden?“

„Das ist... äääh, das weiß ich nicht“, Daniel zuckte zusammen, als ihm ein bestimmter Gedanke kam. Konnte es sein, dass sie in ihn verliebt war? Kam Max deswegen nicht so richtig aus sich heraus, war er etwa eifersüchtig auf ihn? Das würde einiges erklären. Max hielt sich von ihm fern und brachte immer neue Ausreden an, warum er keine Zeit für ihn hatte. Aber Daniel wollte mit ihm Gitarre spielen, wollte sich mit ihm unterhalten, denn er mochte ihn sehr, diesen verschlossenen Mann.

„Du weißt doch, dass Rebekka und ich uns von früher kennen“, begann er vorsichtig.

Andromeda schaute ihn gespannt an.

„Ich war damals noch mit einer anderen Frau zusammen, aber es ging nicht mit ihr. Es war...“

„Es war was?“

„Es war Murks“, Daniel lächelte schief. „Rebekka und ich, wir verbrachten eine Nacht zusammen. Und ich habe mich noch nie so gefühlt wie in dieser Nacht...“

„Ja aber...“

„Ich weiß, es war nicht richtig, und Rebekka wusste das auch. Sie wollte nichts mit mir zu tun haben, ich war ihr total egal.“ Daniel machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: Doch später dann wusste ich, dass es ihr doch nicht so egal war...“

„Und wieso wusstest du das, Daniel? Du kannst doch nicht in Leute hineinsehen.“ Andromedas Stimme klang belegt und verlegen. „Und vielleicht war es ihr ja wirklich egal.“

Daniel zögerte mit der Antwort. Er hatte noch nie mit jemanden über die Sache gesprochen, denn es hörte sich mit Sicherheit ziemlich abstrus und unwahrscheinlich an. Nämlich so, als ob er verrückt wäre.

„Es ist seltsam“, begann er unsicher und suchte nach passenden Worten. „Ich glaube, ich habe Visionen, ich sehe vielleicht Sachen aus der Zukunft, ich kann sie zwar nicht richtig erkennen, aber einiges doch. Da ist ein Traum, in dem ich Morgaine sehe.“

„Die kleine Morgaine? Aber das ist doch nichts Besonderes!“

„Nein, nicht die kleine Morgaine, sondern die große Morgaine.“ Daniel schaute Andromeda forschend an und suchte in ihr ein gewisses Verständnis.

„Wieso die große Morgaine“, fragte sie ungläubig.

„Es ist die Morgaine, die etwa fünfundzwanzig Jahre alt ist“, sagte Daniel und beeilte sich zu erklären: „Ich weiß, dass sie es ist! Denn jetzt habe ich sie auch in der Wirklichkeit gesehen. Sie sieht in dem Traum immer noch so aus, älter zwar, aber es ist Morgaine, das weiß ich. Und ich glaube, ich bin ihr Vater.“

„Nein!“ Andromeda war geschockt. Bis jetzt hatte sie ihm ungläubig zugehört, aber das mit Morgaine war zu seltsam, um nicht zu stimmen. Jetzt fielen ihr auch gewisse Ähnlichkeiten zwischen Daniel und Morgaine auf, die anscheinend noch kein anderer bemerkt hatte. Die Augen zum Beispiel, die gerade Nase und überhaupt die Mimik, die beide so sparsam hatten, die aber unverwechselbar war.

„Doch, es ist wahr. Und es steht wohl fest, dass Rebekka und ich zusammenkommen werden. Morgaine weiß das auch…“ Er log nicht, er hatte diesen seltsamen Traum schon öfter gesehen, er war immer klarer geworden. Das Hochzeitsbild über dem Kamin zeigte ihn und Rebekka, dessen war er sich sicher, und obwohl das natürlich absurd war, konnte er sich der Vorstellung nicht entziehen, wie es wohl wäre, wenn es so wäre...

„Was? Morgaine ist auch...“

„Viel mehr als ich“, Daniel biss sich auf die Lippen. „Bei mir ist es kaum ausgeprägt. Aber Morgaine hat eine unglaubliche Kraft in dieser Beziehung, obwohl sie noch so jung ist. Bei mir ist es erst in den letzten Jahren gekommen, eigentlich erst, seitdem Morgaine existiert. Wenn ich es früher gehabt hätte, dann hätte ich bestimmt nicht so viel Mist gebaut...“

„Das ist doch Quatsch, Daniel!“ Andy überlegte angestrengt, bevor sie sagte: „Wenn du dieses oder jenes nicht getan hättest, dann wärst du doch gar nicht mit Rebekka zusammengekommen, und Morgaine wäre auch nicht da.“

„Interessante Einsicht, Kitten! Ich merke schon, du verstehst es, im Gegensatz zu mir. ich rätsele nämlich immer noch herum, ob diese Visionen nur Möglichkeiten zeigen, die vielleicht wahr werden können, es aber nicht unbedingt müssen.“

„Man muss natürlich etwas dafür tun“, sagte Andromeda weise, während ihr gerade schemenhaft bewusst wurde, dass er für sie verloren war. Falsch, nicht verloren, denn man kann nur etwas verlieren, was man gehabt hat. Und sie hatte ihn nie gehabt.

„Oh Andy, du hast verdammt noch mal Recht! Aber es ist seltsam, nicht wahr? Auch dass ich hier bin hat seinen Grund. Ich hatte mehrere Träume, in denen ich Rebekka gesehen habe. Zuerst wusste ich nicht, wo sie war. Dann sah ich Max neben Rebekka stehen. Es war hier in Kampodia, ich kannte Kampodia, weil Max mir mal ein Bild davon gezeigt hat. Und dann sah ich, wie Rebekka weinte. Also rief ich Max an, und der hat uns dann alle eingeladen.“ Nach einer nachdenklichen Pause fügte Daniel hinzu: „Es war einfach ein Schuss ins Blaue...“

Andy hörte seine Stimme wie durch einen Nebel hindurch, das Blut stieg ihr ins Gesicht, und sie fühlte förmlich, wie ihr irgendetwas in der Herzgegend wehtat. Wellen des Schmerzes breiten sich in ihrem ganzen Körper aus, und sie konnte nur schwer Luft holen. Sie senkte den Kopf, damit er ihr nicht ins Gesicht schauen und vor allem ihre Augen nicht sehen konnte. Mühsam gewann sie ihr seelisches Gleichgewicht wieder, aber währenddessen jagten ihre wirren Gedanken umher. Morgaine war vielleicht sein Kind? Sie hatte zwar gespürt, dass zwischen Daniel und Rebekka etwas war, aber so etwas war, das konnte nicht sein. Doch, es stimmte. Daniel würde sie nie anlügen. Wusste es Rebekka? Sie hatte nicht den Eindruck gemacht, als ob sie es wüsste. Aber sie war seltsam befangen gewesen.

Er war für sie verloren. Wieder schmerzte etwas in ihrer Herzgegend, aber sie riss sich zusammen. „Und was war mit Rebekka? Warum hat sie es dir nicht gesagt?“

„Ich glaube, sie weiß es selber nicht“ sagte Daniel und verzog das Gesicht. „Sie behauptet doch tatsächlich, den wirklichen Vater hinausgeworfen zu haben...“

„Liebst du sie?“ fragte Andy gewissenhaft. All ihre Träume waren den Bach hinunter gegangen. Ihre Liebe zu ihm war sinnlos. Er liebte eine andere und hatte ein Kind mit ihr.

„Ja“, sagte Daniel schließlich. Es klang hilflos, als ob er nicht wüsste, warum es so war.

Andy streckte ihre Hand aus und fuhr zart mit der Hand über seine Augenbraue. Er war für sie verloren, aber zu ihrer Verwunderung fühlte sie sich seltsam erleichtert. Es tat nicht mehr so weh wie vor ein paar Minuten. Und was hatte sie sich denn vorgestellt? Eigentlich nur ein paar Küsse, na ja vielleicht ein bisschen mehr, aber sie hatte sich nie richtig ein Leben mit ihm vorstellen können. An einem bestimmten Punkt hatten ihre Liebesphantasien immer stagniert, alles hatte aufgehört zu sein und war sozusagen im Nichts verlaufen...

Daniel nahm ihre Hand von seinem Gesicht und küsste Andy leicht auf die Wange, bevor er sich zurückzog.

„Ich bin ein ziemlich verkorkster Typ. Ich hoffe, du verliebst dich nicht in so einen wie mich, wenn du dich mal verlieben wirst.“ Daniel mochte dieses Mädchen wirklich, sie kam seinem neuen Idealbild einer Frau sehr nahe, abgesehen von ihrer Jugend natürlich, sie war geradeheraus wie Rebekka, so natürlich wie Rebekka, und sie sah Rebekka ähnlich. Rebekka, immer wieder Rebekka...

„Bestimmt nicht“, sagte Andy mit leicht zitternder Stimme.

„Ach Kitten! Ich gehe mit dir jede Wette ein, dass du ein cleveres Mädchen bist.“

„Ich weiß nicht. Ich heiße nicht umsonst Andromeda.“

„Wie meinst du das, Kitten?“ Daniel verstand sie nicht. „Ich kenne das Sternbild Andromeda. Man sieht aber nur ein paar Sterne, es ist zwar groß, aber nicht besonders ausgeprägt, das einzig interessante Objekt in ihm ist die Schwesterngalaxie der Milchstraße, der Andromedanebel,.“ Daniel hatte echt Ahnung von Astronomie, und er liebte es, darüber zu dozieren...

„Meine Mutter war eine halbe Griechin“, Andromeda zog mit traumwandlerischer Sicherheit ein dickes zerfleddertes Buch aus dem Bücherregal.

„Griechische Sagen? Die sind hochinteressant“, Das stimmte, er fand sie wirklich hochinteressant, vor allem weil viele Sternbilder aufgrund dieser Sagen ihre Namen erhalten hatten.

Andromeda schwieg eine Weile, sie dachte an ihre Mutter, die sie nie kennen gelernt hatte. Wie mochten sich wohl andere Kinder fühlen, deren Mutter noch lebte? Eigentlich vermisste Andromeda nichts, sie war ein zufriedenes, meistens sogar glückliches Mädchen, das von vielen geliebt wurde, ihre beiden Tanten ersetzten ihr die Mutter, aber dennoch hätte sie ihre Mutter gerne kennen gelernt.

„Wieso heiße ich Andromeda? Warum wollte meine Mutter, dass ich so genannt werde. Wo ist mein Perseus?“ Andromeda kannte sich gut aus mit den griechischen Sagen, vor allem mit der Perseus-Sage, in der die Königstochter Andromeda einem Meeresungeheuer geopfert werden soll. Ihre Mutter Kassiopeia hat die Götter beleidigt, doch Andromeda wird von dem Halbgott Perseus gerettet. Er bezwingt für Andromeda die abscheuliche Medusa und heiratet sie, natürlich nicht die abscheuliche Medusa, sondern die Königstochter Andromeda.

„Die Geschichte hinkt aber“, sagte Daniel lächelnd. „Deine Mutter hat bestimmt nicht die Götter beleidigt. Und außerdem brauchen die Mädchen heutzutage keinen Perseus mehr, die können sich gut selber helfen. Du vor allen Dingen...“

Andromeda seufzte in sich hinein.

„Du wirst deinen Perseus schon finden. Und vielleicht hast du ihn ja schon gefunden.“ Daniel dachte dabei vage an Max, der Andromeda damals im Wald entdeckt und wahrscheinlich vor dem Tode gerettet hatte. „Aber wie gesagt, Kitten, du brauchst ihn nicht wirklich.“

Hier irrte Daniel, er irrte nicht oft, aber hier irrte er...

„Wäre aber trotzdem schön, wenn...“, murmelte Andromeda vor sich hin. Dann riss sie sich zusammen, und ihr Körper straffte sich: „Eigentlich wollte ich zu Max. Darf ich es ihm erzählen? Ich muss es ihm erzählen!“

„Er ist kein Schwätzer, oder?“ Diese Frage war natürlich rein rhetorisch, denn Daniel wusste, dass Max kein Schwätzer war. „Aber erzähl’ ihm nicht das von diesen seltsamen Fähigkeiten. Ich bin mir ja selber nicht sicher, ob und überhaupt... Erzähl’ ihm nur, dass Morgaine vielleicht meine Tochter ist.“ Daniel wandte sich zum Gehen.

„Max ein Schwätzer? Das ist er bestimmt nicht“, Andromeda musste zwar lachen, dennoch hatte der Blick, den sie Daniel hinterherschickte, viel von Trauer und Verzicht in sich – aber auch von Erleichterung. Sie musste daran denken, wie sie neben Max im Landrover saß, nachdem er sie, Rebekka, Morgaine und Daniel aus Schießhaus abgeholt hatte. Er war so vertraut, sie musste sich ihm gegenüber nicht verstellen, sie musste sich nicht älter geben, als sie war. Und sie konnte mit ihm schweigen.

 

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KAPITEL IV – Teil 2 ERBSENFELDER

 

Am nächsten Morgen – einem sehr sehr frühen Morgen – bereute Rebekka schwer, dass sie sich auf die Sache mit dem Erbsenpflücken eingelassen hatte. Man weckte sie nämlich um halb fünf. Heiliger Strohsack!

Das übliche Frühstücksbüffet war noch nicht auf dem großen langen Tisch im Frühstücksraum aufgebaut, stattdessen gab es dort appetitlich aussehende Pakete mit – wie Rebekka vermutete – Nahrungsmitteln drin und auch mehrere beschrifte Thermoskannen zum Mitnehmen. Rebekka hatte trotz der frühen Morgenstunde schon so einen Hunger, dass sie am liebsten eines dieser Päckchen aufgemacht und ein wenig vom Inhalt genascht hätte, aber sie bezwang dieses Verlangen frauhaft. Stattdessen goss sie sich eine Tasse Kaffee ein, um einigermaßen wach zu werden.

Außer ihr kamen noch zwei andere genauso verschlafen aussehende Frauen zum Erbsenpflücken mit, Miss die geile Biggi natürlich, die mit dem armen Sammy verheiratet war und eine pummelige Dunkelhaarige, die seit gestern mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern da war und die Rebekka noch nicht so gut kannte. Und einige Frauen jeglichen Alters aus dem Dorf waren da. Sie nahmen sich auch je ein Frühstückspaket vom Tisch.

Man nickte sich mehr oder weniger verschlafen zu.

„Hi Ladies!“ Ein munter aussehender Max betrat den Frühstücksraum, im Schlepptau hatte er Andromeda, die wohl auch aus dem Bett gefallen war.

„Du kommst mit?!“ Rebekka wandte sich erleichtert an Andy. Gestern Abend war sie nicht zum Essen erschienen, und Rebekka hatte sie nicht fragen können, ob sie mitgehen würde. Dafür waren die Männer sehr lustig gewesen, so richtig großprahlerisch, sie hatten nämlich am Nachmittag die Erbsenpflanzen auf den Erbsenfeldern umgehauen, alle bis auf Archie, der ein kultivierter Mann war im Gegensatz zu.... Rebekka musste trotzdem lächeln. Männer waren ja irgendwie liebenswert wie Kinder, ab und zu jedenfalls.

„Klar komme ich mit.“ Andromeda musste lachen. „Max hat gesagt, ich hätte es mal wieder nötig.“

Die hagere Blondine Biggi fing giggelig an zu lachen, und Andromeda verstand nicht, warum dieses dürre Weib so dämlich lachte.

„Wann habt ihr denn das letzte Mal richtig körperlich gearbeitet, Ladies?“ Max ignorierte das anzügliche giggelige Lachen – er schien wirklich eine ausgezeichnete Laune zu haben, zumindest im Vergleich zu den letzten Tagen, und Rebekka fragte sich, was wohl diese ausgezeichnete Laune bewirkt hatte.

Verlegenes Schweigen breitete sich aus, zumindest unter den Hotelgästen.

„Wusste ich’s doch! Also, habt ihr die Decken? Gut. Sonnenschutz? Gut. Essensrationen? Hüte? Kopftücher?“

Alle nickten.

„Dann können wir ja los.“ Max wandte sich zur Tür. „Wir machen es heute richtig ökologisch, das heißt, keine Motoren, kein Benzin, keine sonstigen Maschinen. Nur reine geballte menschliche, genauer gesagt weibliche Arbeitskraft. Leider sind keine Männer da. Die wissen anscheinend nicht, wie man richtig arbeitet.“

Diese Worte wurden mit einem zustimmenden Gemurre begrüßt, und jede Frau, auch die älteste und verhärmteste sah Max an, als, wäre er eine Offenbarung. Auch Rebekka empfand ihn als außergewöhnlich. Sie war aufgewachsen in einer Familie, in der Mädchen anscheinend nicht hochgeschätzt wurden, in einer Familie, in der Söhne erwünscht waren. Wie im alten und auch im neuen China, dachte Rebekka traurig, und das sollte jetzt die Gleichberechtigung sein? Mitten in Europa?

„Sag’ mal, sieht es nicht nach schlechtem Wetter aus?“ Sie schaute Andromeda hilfeheischend an.

„Nee, Rebekka.“ Andromeda musste lachen, denn Rebekka suchte wohl einen Grund, um sich vor den Erbsenfelder zu drücken.

„Gestern war der Himmel am Horizont graurosa, und das ist ein sicheres Zeichen für eine langfristige Schönwetterperiode. Alte Bauernweisheit. Außerdem müssen die Erbsen gepflückt werden, egal ob es regnet oder stürmt.“

Dann gibt es also kein Entrinnen, dachte Rebekka und fügte sich in ihr Schicksal. Worauf habe ich mich da eingelassen, fragte sie sich. Warum bin ich hier und trage meine ältesten mittlerweile zu Shorts umgewandelten Jeans? Ich bin zwar arm, aber nicht so arm, dass ich diese Arbeit nötig hätte, ich trage ein ausgeleiertes T-Shirt, das ich fast schon weggeschmissen hätte und ein... Kopftuch! Und ich wünschte, ich wäre noch im Bett. Hoffentlich achten sie gut auf Morgaine. Sabine ist zwar da, aber nur bis zum Mittag, dann fährt sie mit Georg und der Zigarettenschnorrerin nach Hause. Ob Daniel wohl mit zurückfährt? Glaube ich nicht. Er hat aber nichts gesagt, na ja, geht mich ja auch nichts an… Claudia wird auf Morgaine achten. Ist sie aber auch zuverlässig? Ihre Psychose… Nein, ich vertraue ihr. Und Daniel auch, er ist ja ganz verschossen in Morgaine. Führt sich fast auf, als wäre er ihr Vater. Rebekka ließ diesen peinlichen Gedanken fallen wie eine heiße Kartoffel...

 

Vor dem Herrenhaus stand ein Leiterwagen, und vor ihn waren zwei gewaltig breite Ackergäule gespannt. So dicke Hintern hatte Rebekka selten gesehen. Außer vielleicht bei der Wirtin Maryann in Kampodias einziger Kneipe, die sie mittlerweile ein wenig kennen gelernt hatte.

Unter großen Gejohle kletterten die Frauen mehr oder weniger umständlich auf das hölzerne Gefährt, sie ließen sich nieder, steckten ihre Beine durch die Öffnungen zwischen den Holzstangen an der Seite des Leiterwagens und ließen sie hinunterbaumeln.

„Ich muss jetzt schon einen Sonnenstich haben, sonst würde ich das nicht mitmachen, dachte Rebekka. Und Gott sei Dank liegt Daniels Zimmer nach hinten raus, und er kann mich nicht sehen…

Unter weiterem Gekicher ging die Fahrt dann los. Andromeda saß vorne neben Max auf dem Kutschbock. Sie trug eine weite bequeme Hose, aber kein Kopftuch, sondern hatte einen Strohhut aufgesetzt, der ihr ausgezeichnet stand.

Sie kann tragen, was immer sie will, sie sieht fantastisch aus, dachte Rebekka neidlos.

Max schien das auch zu finden, denn er hatte wieder diesen Blick, den er nur bekam, wenn Andromeda in der Nähe war.

 

Nach einer halbstündigen vergnügten Fahrt hatten sie die sagenumwobenen Erbsenfelder erreicht. Sie kamen Rebekka unheimlich groß vor. Alle Erbsenpflanzen lagen flach auf dem Boden. Die Männer hatten gestern wirklich gründliche Arbeit geleistet, mit Macheten hatten sie die armen Erbsenpflanzen zur Strecke gebracht – und sie hatten sich dabei wohl ganz schön ausgetobt. Nach dem Abendessen, bei dem sie alles in sich hineingeschlungen hatten wie die Wölfe, saßen sie ziemlich müde an der Bar, und sogar dem immer eifrigen Sammy fielen fast die Augen zu. Rebekka allerdings spielte eine Partie Billard mit Archie, und sie wusste, dass Daniel sie beobachtete. Es machte sie ein bisschen nervös, aber trotzdem besiegte sie Archie dreimal. Nicht schlecht bei so einem alten gerissenen Fuchs, der auch noch so attraktiv war. Leider hatte Archie dann noch etwas anderes vor, irgendwo außerhalb, Sabine war auch nicht da, und Rebekka ging früh zu Bett. Das war gut gewesen so im nachhinein…

Das riesige Erbsenfeld war durch niedrige und weniger niedrige Hecken in unregelmäßige Quadrate unterteilt.

„Das hat Max angeordnet. Max sagt, man braucht Vögel, die irgendwo nisten können. Und Max sagt, er braucht Vögel, um das Ungeziefer in Schach zu halten. Denn es gibt natürlich Ungeziefer, wenn man die Felder nicht mit Herbiziden und Pestiziden besprüht. Außerdem befestigen die Hecken den Boden, und er wird nicht durch Wind und Regen weggespült.“

„Das leuchtet mir ein.“ Rebekka musste in sich hineinlächeln über Andromedas Eifer, ihr Max‘ Ansichten zu erklären. Die Kleine schien sich ja wirklich für seine ökologischen Maßnahmen zu interessieren.

Mehrere ältere, aber auch einige jüngere Frauen aus dem Dorf knieten schon auf dicken Decken in einer Reihe und pflückten die Erbsenschoten von den abgeschnittenen Erbsenpflanzen ab, die wie ein Teppich über das Feld verstreut lagen.

Alle hatten Jutesäcke neben sich, von denen einige schon halb voll waren.

Wann sind die denn aufgestanden, fragte sich Rebekka verwundert.

„Okay, nehmt eure Plätze ein.“ Max war immer noch gutgelaunt. „Ich werde dann mal zurückfahren. Ich komme mittags vorbei, um die ersten wieder mitzunehmen.“

„Du bleibst nicht hier?“ fragte Rebekka enttäuscht.

Auch die anderen Frauen machten lange Gesichter. Mit Max wäre das Erbsenpflücken um einiges erotischer gewesen, denn jede von ihnen hatte schon einmal davon geträumt, wie es wohl mit ihm wäre...

„Bin ich verrückt?“ grinste Max. „Ich leg’ mich jetzt erst mal wieder ins Bett.“ Er bestieg wieder den Leiterwagen, dirigierte die riesigen Ackergäule in einem großen Kreis wieder zurück, winkte den Frauen noch einmal zu und verschwand dann langsam hinter der nächsten Biegung des Feldwegs.

„Der Bastard!“ sagte Andromeda säuerlich. „Kann sich noch mal ins Bett legen...“

 

Nach zehn Minuten eifrigen Pflückens taten Rebekka die Knie und sonst noch einiges weh.

„Ignoriere den Schmerz“, wurde sie von Andromeda ermahnt.

„Du hast gut reden. Ich glaube, meine Kniescheibe ist bald durch“, maulte Rebekka und versuchte, ein wenig hin und herzurutschen, um den Druck zu mindern.

„Das geht schon vorbei“, sagte Andromeda tröstend. Das Mädel hatte anscheinend schon Erfahrung in dieser Beziehung.

Ein paar Minuten arbeiteten sie schweigend nebeneinander.

„Wieso hat Biggi eigentlich so dämlich gekichert?“ fragte Andromeda nach einer Weile.

Rebekka schaute schnell zu ihr herüber und stellte fest, dass Andromedas Jutesack schon jetzt voller aussah als ihrer. Aber das kitzelte ihren Ehrgeiz, und sie würde sich eben mehr anstrengen müssen…

„Sie ist nicht besonders glücklich mit Sammy. Vielleicht hat sie sich was Besseres unter der Ehe vorgestellt“, sagte sie schließlich zu Andromeda.

„Aber trotzdem“, Andromeda verzog ihren hübschen Mund, „muss sie nicht jeden Kerl anmachen...“

„Doch, doch, das muss sie!“ berichtete Rebekka. „Die macht jedem schöne Augen. Zu Daniel kommt sie auch immer an. Hach, mein Kühlschrank lässt sich nicht öffnen, oder: Hach, ich krieg das Fenster nicht zu. Hach, mein Wellensittich muss entwurmt werden – und so Sachen. Warum fragt sie nicht ihren eigenen Mann?“

Rebekka hatte sich mittlerweile entschlossen, Daniel nicht mehr bei jeder Gelegenheit anzugiften, wahrscheinlich würde er sich dadurch noch geschmeichelt fühlen – und außerdem mochte Morgaine ihn. Himmel, sie mochte ihn nicht nur, sie war total vernarrt in ihn. Unverständlich, wirklich unverständlich...

Bei Daniels Erwähnung schaute Andromeda ein wenig traurig, aber dann fing sie an zu lachen. „Was für eine Schlampe! Außerdem finde ich sie“, Andromeda blickte über die Schulter hinüber zu den beiden anderen Frauen, aber die waren Gott sei Dank außer Hörweite, „nicht gerade hübsch. „Dieses abgezehrte Gesicht und diese dürre Figur!“

„Ich verstehe das auch nicht! Aber Männer haben eben manchmal einen seltsamen Geschmack“, sagte Rebekka im Brustton der Überzeugung, das war nicht gelogen, sie verstand den Geschmack der Männer wirklich nicht. Und sie hatte natürlich Andromedas traurigen Blick gesehen. Sie kommt drüber hinweg, dachte sie. Nein, sie ist schon fast drüber hinweg. Und diese Biggi ist wirklich unmöglich...

„Ja, ich weiß.“ sagte Andromeda nachdenklich und dachte dabei an den Abend, als sie Max und seine blöde Freundin belauscht hatte.

Wieder arbeiteten sie eine Weile schweigend vor sich hin.

„Andy, sag’ mal, bist du eigentlich noch ääääh... Jungfrau?“ Rebekka hätte sich die Zunge abbeißen können wegen dieser vorwitzigen Frage, aber Andromeda schien ihr diese Frage nicht übel zu nehmen.

„Ich bin zwar noch Jungfrau“, erzählte Andromeda ziemlich locker, „aber nicht so richtig, wenn du weißt, was ich meine...“

Rebekka nickte, sie hatte eine ungefähre Vorstellung von dem, was Andromeda ausdrücken wollte.

„Jedenfalls habe ich schon mit Jungs rumgefummelt, aber wirklich passiert ist es nicht...“

„Muss ja auch nicht sein“, meinte Rebekka nachdenklich.

„Aber manchmal denke ich, ich bin nicht richtig normal.“

„So ein Quatsch“, Rebekka war entrüstet, sie überlegte eine Weile und sagte dann: „Vielleicht wartest du auf den Richtigen. Und du bist doch noch so jung. Also warte lieber, denn es kann leicht in die Hose gehen.“ Rebekka sprach aus Erfahrung, denn bei ihr war es ja auch in die Hose gegangen trotz anfänglicher Verliebtheit und einigermaßen sexueller Befriedung war es in die Hose gegangen, es hatte zwar ein paar quälende Jahre gedauert mit dem irren Michael, aber anscheinend hatte sie daraufhin gearbeitet, dass es in die Hose ging. Rebekka schwieg. Dieser Gedanke war ihr spontan gekommen, und vielleicht war er sogar wahr.

„Ich habe keine Ahnung, ob ich auf den Richtigen warte“, sagte Andromeda nach einer längeren Pause. „Ich weiß nur, dass ich ein bestimmtes Bild im Kopf habe. Am Anfang bin ich immer richtig geil – aber wenn es dann Ernst wird, dann bin ich auf einmal nicht mehr geil, weil das Bild nicht mehr stimmt. Und dann kann ich es nicht mehr ertragen. Nicht mehr weitergehen... Ist schon seltsam!“ Andromedas Gesicht sah ratlos aus. „Jedenfalls halten die Jungs mich bestimmt für eine verklemmte Zicke.“

„Mach’ dir nichts draus, was die Jungs von dir halten“, sagte Rebekka und fügte aufmunternd hinzu: „Irgendwann wird das Bild schon stimmen.“

Was erzählte sie da eigentlich? Konnte es wahr sein, das mit dem Bild, das irgendwann schon stimmen würde? Sie überlegte. Dieses Bild hatte sie schon einmal gesehen, ein einziges Mal in ihrem Leben, aber das lag bestimmt an dem Alkohol, den sie vorher konsumiert hatte... Also Quatsch!

Als sie um neun Uhr endlich die große Frühstückpause machten, meinte Rebekka, noch nie so einen Hunger verspürt zu haben wie in diesem Augenblick. Die mitgebrachten Brote waren fantastisch, sie waren mit der dorftypischen hausgemachten Dosenwurst belegt, es gab Äpfel und Pflaumen dazu, Kaffee und Tee aus den Thermoskannen und sogar Malzkaffee war dabei. Sie saßen auf ihren Decken und aßen, als ob sie tagelang nichts zu essen bekommen hatten. Und dabei war es doch gerade mal neun Uhr.

 

Als es dann mit der Arbeit weiterging und sie wieder auf ihren Säcken knieten und Erbsen pflückten, geriet Rebekka in eine leicht euphorische Stimmung, weil sie so gut mithalten konnte mit den anderen Frauen. Klar doch, ich bin flexibel, dachte sie, ich kann Massenarbeiten machen, aber ich kann auch eine astreine Druckvorlage für einen Katalog oder sonst was erstellen und erspare dem Chef viel Geld dadurch. Kein Wunder, dass der Chef erfreut war, als sie ein Jahr nach Morgaines Geburt wieder in der Firma arbeitete.

„Weißt du eigentlich, dass du in einem Paradies lebst?“ sagte sie schließlich zu Andy. „Und ich möchte eigentlich gar nicht weg von hier.“

„Paradies? ...Nein das ist es nicht“, sagte Andromeda nach einer Weile. „Du musst bedenken, dass das Gut ein Hotel ist. Es zeigt nicht das normale Leben auf dem Land. Wir betreiben nur Landwirtschaft und außer der Pferdezucht machen wir kaum was mit Tieren. Okay, die Schweine, die sind für den Eigenbedarf, aber die haben ein ganz gutes Leben, solange sie leben jedenfalls...“ Wieder machte Andromeda eine Pause. „Massenviehzucht machen die anderen, und das ist die Wirklichkeit. Lass’ dich nicht täuschen! Das Gut ist eine Illusion und dürfte es in dieser Form gar nicht geben. Aber Dad liebt es nun mal und will es so erhalten.“

„Schade, dass es nicht überall auf dem Lande so ist.“ meinte Rebekka enttäuscht.

„Es gibt auch viel Elend hier, wovon die Touristen auf den ersten Blick nichts sehen. Wenn ich nur an die Katzen denke...“

„Was ist denn mit den Katzen?“

„Es gibt zu viele von ihnen. Sie werden nicht sterilisiert und vermehren sich dann unkontrolliert. Man findet die Kleinen nach zwei Monaten irgendwo auf dem Heuboden, und dann geht einer hin, steckt sie in einen Sack und ersäuft sie im Teich. Das ist schrecklich, nicht wahr?“

Das ist grausam.“ Rebekka war entsetzt und fühlte sich urplötzlich aus ihrem Traum vom Landleben gerissen.

„Ich versuche, sie in den Ställen der Bauern aufzustöbern und sie zum Tierarzt zu bringen, bevor sie wieder trächtig sind, aber es ist fast immer zu spät. Dafür arbeite ich, weißt du, ich pflege die Pferde, ich reite sie, ich gebe Reitstunden. Aber fast alles, was ich damit verdiene, geht für den Tierarzt drauf.“

„Das wusste ich gar nicht.“ Rebekka war erstaunt über Andromedas Bereitschaft, sich so hingebungsvoll für die Landkatzen einzusetzen. Das Mädchen hatte es wirklich drauf, gut zu sein, und Rebekka bewunderte sie dafür.

„Onkel Herbie, der nebenbei auch auf die Jagd geht, hat mal ein paar kleine Kätzchen erschossen, statt sie zu ersäufen. Kannst du dir das vorstellen? Aber er hat gesagt, so ein Gemetzel würde er nicht noch einmal veranstalten.“ Onkel Herbie war der Dorfpapagalli, der sogar Rebekka letztens angemacht hatte, als sie die Dorfkneipe besuchte.

„Oh Gott!“

„Jetzt bringen Max und Dad die Kleinen zum Tierarzt in Brunswick und lassen sie dort einschläfern. Es ist traurig, aber es ist die einzige Möglichkeit. Wenn wir sie hier lassen, würden es immer mehr werden. Sie würden sich gegenseitig mit allen möglichen Krankheiten wie zum Beispiel Katzenschnupfen anstecken. Und sie sehen so mickrig aus und haben Geschwüre an den Augen, und sie vermehren sich trotzdem. Ach, es ist schlimm“, schloss Andromeda verzweifelt.

Rebekka schwieg betroffen. Also doch kein Paradies. Aber eigentlich hätte sie es ja wissen müssen, denn sie war selber auf dem Land groß geworden, zwar in einer Kleinstadt, aber die lag auf dem Land. Vermutlich hatte sie das alles verdrängt. „Menschen sind schlimm. Viele handeln aus Unwissenheit und aus Bequemlichkeit, manche handeln aber aus reiner Boshaftigkeit. Sie sind wie schreckliche Dämonen, so oder so“, sagte sie, und sie wusste gar nicht, wie sie auf diese Worte kam.

Andromeda schaute sie von der Seite her erstaunt an. Was redete Rebekka da? Aber irgendwie hörte es sich plausibel an.

Seltsamerweise hatte Rebekka Recht, wenn es auch unbewusst war. Es gab in Kampodia zeitweise einen nicht zu unterschätzenden Dämon, den allerdings noch keiner als Dämon entlarvt hatte.

Um die Mittagszeit – Max erschien übrigens nicht – hatte Rebekka die Nase voll. Sie hatte tatsächlich ein paar Säcke mit Erbsen voll gepflückt und hievte sie an den Leiterwagen, wo sie von einem grinsenden Helfer in Empfang genommen wurden. Die Säcke wurden gewogen, und Rebekka erhielt fünf Zettel, auf denen jeweils die Gewichte der Säcke standen.

„Können wir mitfahren?“ fragte sie den Helfer. Sie drehte sich zu Andromeda um. „Was meinst du, Andy? Oder willst du etwa noch weitermachen?“

Andy schüttelte den Kopf. Sie kletterten auf den Leiterwagen, und Rebekka fühlte sich so angenehm erschöpft wie noch nie. Alle Knochen taten ihr weh, aber das leichte Rumpeln des Leiterwagens passte irgendwie gut zu ihren Schmerzen. Ihre Arme, ihre Beine und vor allem ihre Nase hatten ein bisschen viel Sonne abbekommen, aber auch das war ein angenehmes Gefühl.

Als sie mit dem Leiterwagen langsam in den Gutshof einfuhren, spürte Rebekka instinktiv eine Veränderung am und im Hof.

Ein LKW mit Kühlvorrichtung stand mitten auf dem Hof. Er sollte wohl die Erbsen in irgendeine Fabrik bringen. Aber das war nicht der Grund für die Veränderung, die Rebekka spürte. Schließlich sah sie es:

Ein rotes Mercedes-Cabriolet stand auf dem Parkplatz vor dem Haus, und eine elegant gekleidete Frau mit kurz geschnittenem schwarzen Haar stand vor der dreiflügeligen Eingangstüre und unterhielt sich mit Archie. Hinter den beiden stand Daniel mit Morgaine auf dem Arm – er schleimte sich tatsächlich bei Morgaine ein – die beiden Tanten standen neben ihm, und ihre Gesichter drückten nicht gerade Begeisterung aus.

Zirza, die fast nie anwesende Herrin des Hauses, hatte sich die Ehre gegeben und war aus der vierhundert Kilometer entfernten Hauptstadt angereist.

 

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KAPITEL IV – Teil 3 DIE HERRIN DES HAUSES

 

Rebekka kam sich total bescheuert vor mit ihrer schmutzigen abgeschnittenen Jeans, ihrem dämlichen Kopftuch, das sie blöderweise noch auf dem Kopf trug und mit ihrer wahrscheinlich geröteten Nase. Sie wusste zwar nicht, ob die Nase wirklich gerötet war, aber sie brannte etwas, und das war kein gutes Zeichen.

„Hallo Zirza“, sagte Andromeda recht kühl. Das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Stiefmutter war genauso unterkühlt wie ihre Stimme. Sie hatten sich noch nie sehr nahe gestanden. Zirza war nicht der mütterliche Typ, der knuffige Kleinkinder, egal wie entzückend süß und niedlich sie aussahen, herzen und hätscheln würde. Mit der fast erwachsenen Andromeda schien sie allerdings ganz gut klarzukommen...

„Ich habe dir ein paar Sachen mitgebracht“, sagte sie lächelnd zu ihrer Stieftochter. „Sie werden dir ganz fantastisch stehen.“

Andromeda nickte geschmeichelt. In Kampodia konnte man überhaupt keine Klamotten kaufen, in Brunswick war die Auswahl auch recht bescheiden, und deswegen war sie froh, wenn Zirza ihr ab und zu ein paar Sachen aus einer ihrer Boutiquen mitbrachte. Mit diesen Sachen war sie dann die Königin von Kampodia, und die Jungen, die Andromeda normalerweise nicht beachteten, weil sie eine von ihnen war, konnten sich einreden, sie wäre eine Touristin aus der Fremde, wo die Mädels viel reizvoller waren als hier. Auf Dauer war es natürlich total oberflächlich, aber ab und zu machte es Andromeda Spaß, diese Sachen zu tragen. Und man konnte über Zirza sagen was man wollte, aber die Frau hatte einen wirklich guten Geschmack...

 

Zirza war mittelgroß, sehr schlank, und sie trug ihr schwarzes Haar so kurz geschnitten, dass ihr kindlicher Kopf förmlich zum Darüberstreicheln einlud.

Diese Frisur ist wirklich raffiniert, dachte Rebekka. Automatisch fiel ihr dazu ‚Kindchenschema’ ein. Männer und natürlich auch Frauen wollten eine solch hilflos und süß wirkende rundliche Stirn und auch den dazu gehörenden Körper instinktiv beschützen. Das war reine Psychologie und außerdem ein Trick der Natur, um den Nachwuchs vor Übergriffen übler Zeitgenossen, seien es Menschen oder seien es Tiere, zu bewahren.

Zirza trug zu ihrer kindlichen Frisur ein hellfarbenes Kostüm aus weicher Rohseide. Es sah schweinisch teuer aus und schmiegte sich mit Perfektion an ihre schlanken Glieder. Sie trug hochhackige Schuhe und sah aus wie eine Diva in einem Hollywoodfilm, so wie Doris Day, aber viel hübscher und mit schwarzen Haaren. Zirzas Augen waren tiefdunkel – Rebekka hatte noch nie solche Augen gesehen – und ihr voller, aber nicht zu üppiger Mund war korallenrot geschminkt.

Vielleicht sollte sie ihren Mund auch mal auffälliger schminken... Rebekka bekam auf der Stelle Minderwertigkeitskomplexe, nicht nur wegen ihrer augenblicklichen desolaten Erscheinung, nein sogar in ihrem normalen Outfit hätte sie Komplexe bekommen. Sie trug nur selten elegante Kleidung, vielleicht, weil sie ihre weibliche Seite nicht betonen wollte. Oder weil ihr das Geld dazu fehlte? Nein, es war doch eher wegen der weiblichen Reize...

Zirza war auch sehr nett zu Rebekka. „Und Sie müssen Rebekka sein“, sagte sie freundlich und fügte bedauernd hinzu: „Sie waren bestimmt auf diesen grauenhaften Erbsenfeldern.“

„Oh ja! Es war schrecklich.“ Rebekka überlegte angestrengt eine kleine Weile und sagte dann unentschlossen: „Nein, eigentlich war es schön. Ach, ich weiß nicht...“ Sie verstummte und ihr Blick blieb blöderweise bei Daniel hängen, der sie angrinste und mit dem Zeigefinger erst auf seine und dann auf ihre Nase deutete. Oh Gott! Sie verstand. Sie hatte wirklich einen Sonnenbrand auf ihrer Nase.

Rebekka begrüßte auch ihre Tochter Morgaine, die gelangweilt in die Luft guckte, dann auf Zirza schaute – und dann wieder gelangweilt in die Luft guckte. Morgaine empfing nämlich überhaupt nichts von dieser Frau, als ob diese Frau überhaupt nicht denken würde. Oder ihre Gedanken waren völlig schwarz und somit undurchschaubar, und das war laaangweilig...

Rebekka ging zu Daniel hin, nahm ihm Morgaine stillschweigend ab und näherte sich mit ihrer Tochter der Dame des Hauses. Irgendwie wollte sie Zirza beeindrucken, und Morgaine schien das geeignete Objekt dafür zu sein. Verzeih mir, kleine Morgy, dachte sie, aber ich wette, so etwas wie dich hat sie nicht!

Aus den Augenwinkeln sah Rebekka, wie Tante Bernadette und Claudia Mansell miteinander tuschelten und Zirza von der Seite her verstohlen ansahen. Beide waren wohl nicht sehr begeistert über ihre Ankunft. Konnte man verstehen, den bisher waren die beiden Schwestern die Herrinnen im Herrenhaus gewesen.

„Das ist meine Tochter Morgaine“, sagte Rebekka zu Zirza, und der Stolz in ihrer Stimme war unüberhörbar.

Zirza trat unmerkbar einen Schritt zurück, als Rebekka ihr mit Morgaine auf dem Arm näher kam. „Was für ein nettes kleines Mädchen“, meinte sie schließlich zögernd.

Rebekka bemerkte eine gewisse Verwirrung auf Zirzas Gesicht. Oder war es Fassungslosigkeit? Morgaine hatte manchmal eine seltsame Wirkung auf die Leute...

„Ich hatte auch einmal ein Kind. Vor langer Zeit“, sagte Zirza leise und wie um Entschuldigung bittend. „Aber es ist gestorben.“

„Oh Gott, das wollte ich nicht“, Rebekka biss sich verlegen auf die Lippen. Wie hatte sie das nur tun können, eine Frau, die ihr Kind verloren hatte, mit ihrem eigenen beeindrucken zu wollen. Sie setzte Morgaine ab, und die lief sofort wieder zu Daniel hin.

„Es ist schon gut“, sagte Zirza. „Sie wussten ja nichts davon.“ Sie zeigte wieder ihr beherrschtes schönes Gesicht und lächelte Rebekka an.

„Ich muss jetzt unbedingt duschen“, sagte Rebekka schließlich verlegen.

„Wir sehen uns dann vielleicht später“, lächelte Zirza freundlich.

„Gern“, Rebekka atmete auf. Man hatte ihr also diese peinliche Sache nicht übel genommen.

„Ich bringe sie dir gleich“, Daniel hatte nur die letzten Sätze von dem Gespräch mitbekommen, er nahm Morgaine an die Hand und ging mit ihr über den Hof in Richtung Verwalterhäuschen.

„Ja, mach’ nur“, sagte Rebekka mürrisch. War Morgaine eigentlich noch ihr Kind, sie war ja nie da, jeder wollte sie haben. Aber dann musste sie lächeln. Es war bestimmt gut für Morgaine, so viele Freunde zu haben, und sie wollte nicht eifersüchtig sein.

 

Daniel fühlte sich gut. Rebekka stand ihm nicht mehr so feindselig gegenüber wie am Anfang, und die Freundschaft mit Max war wieder intakt.

Daniel mochte den schweigsamen Verwalter, er hatte sich von seiner offenkundigen Abneigung nicht abschrecken lassen. Sie hatten so viel gemeinsam, sie mochten die gleiche Musik. Max spielte auch Gitarre, nicht besonders gut, wie er sagte, aber er verstand Daniels Neigung zu Django Reinhardt. „Du spielst wohl immer noch nicht Geige?“ hatte Daniel ihn jetzt als erstes gefragt, und Max hatte das lachend verneint. Er wusste sofort, dass Daniel einen wie Stéphane Grappelli suchte, den Jazzgeiger, der in Django Reinhardts Band mitgespielt hatte.

Oder Kontrabass vielleicht?“ hatte Daniel weitergefragt.

„Siehst du einen hier rumstehen? Nein, was? Aber zur Not spiele ich Rhythmusgitarre, wenn auch nicht besonders gut.“

Mit dieser Antwort gab sich Daniel zufrieden, denn Django hatte in seiner Band zwei Rhythmusgitarristen gehabt, die quasi das Schlagzeug ersetzten. War schon eine seltsame Kombination, Konzertgitarre, zwei Rhythmusgitarren, ein Bass und eine Geige.

Und Max hatte ihm endlich den Lister-Jaguar vorgeführt, an dem er manchmal herumschraubte, Max und Daniel teilten nämlich auch die Leidenschaft für mittlerweile schon antike Rennwagen der 60er Jahre. Wobei der Lister-Jaguar in seiner geilen Erscheinung eins von Daniels Lieblingsautos war.

Auch Morgaine liebte Max. Von ihm gingen zwar traurige Bilder aus, die oft mit einem Baby im Wald zu tun hatten, und noch öfter tauchte ein furchtbar aussehendes Ding in seinen Gedanken auf, aber Max war nicht böse, das fühlte Morgaine, und sie hatte ihn fast so lieb wie ihren Daniel.

Natürlich ahnte Max nichts von Morgaines Fähigkeiten, die sich auf Bild gewordene Gedanken und vielleicht auf noch mehr erstreckten. Woher sollte er es auch wissen, wenn sogar Rebekka, Morgaines Mutter es nicht wusste. Und der einzige, der überhaupt eine ungefähre Ahnung hatte, war Daniel. Und Daniel schwieg darüber, weil er sie selber nicht genau kannte, die Fähigkeiten dieses Kindes. Er hatte bis auf Andromeda noch mit niemandem darüber gesprochen, und das Mädchen schien dicht zuhalten. Aber Morgaine war auf jeden Fall einzigartig war, egal ob sie nun psi-begabt war oder nicht...

„Zirza ist seltsam“, meinte Daniel zu Max.

Max verschloss sich sofort, und Daniel erkannte, dass das Thema Zirza ein Tabu-Thema war, das er besser nicht anfassen sollte.

„Lass dich nicht mit ihr ein“, sagte Max schließlich. „Die Frau ist wie die Medusa. Wenn du sie anschaust, dann vernichtet sie dich.“

„Gut zu wissen...“ Daniel schaute ihn erstaunt an. Seltsam, Morgaine hatte wohl keine ‚bösen’ Bilder in Zirza gesehen, sonst hätte er etwas davon mitbekommen. Allerdings wusste er immer noch nicht, ob es Absicht von ihr war, wenn sie ihm etwas ‚schickte’, oder ob es einfach so passierte. Dennoch entschloss sich Daniel, Max’ Warnung ernst zu nehmen.

„Archie hat gesagt, entweder man verabscheut sie oder man verfällt ihr“, sagte er und fuhr locker fort: „Gut, sie ist attraktiv und hat wahrscheinlich einen Hang zu perversen Sachen, vor ein paar Jahren wäre ich wohl voll auf sie abgefahren. Aber jetzt nicht mehr, und eigentlich ist sie mir scheißegal.“

„Und das ist gut so. Außerdem ist sie lange nicht mehr so attraktiv wie früher. Du hättest sie mal mit einundzwanzig sehen sollen...“

„Diese Augen sind ja auch faszinierend“, gab Daniel zu und bezog sich auf Zirzas tiefdunkle Alienaugen, die so wunderbar mit ihrem korallenrot geschminkten Mund harmonierten.

„Findest du?“

„Nein, nicht wirklich“, Daniel musste grinsen. „Ich denke, ich kümmere mich jetzt mal ein bisschen um Rebekka. Ich glaube, das Erbsenpflücken ist ihr nicht gut bekommen.“

„Ich wette, morgen tun ihr Knochen weh, von denen sie bis jetzt noch gar nichts wusste...“ Max lachte. Andromeda hatte ihm inzwischen von Daniels Vermutung erzählt, von wegen Tochter und so. Er hoffte für Daniel, dass es stimmte und dass Rebekka mit ihm zusammenkommen würde. Daniels frühere Frauen hatten ihn anscheinend nicht glücklich machen können, obwohl er sich den Arsch für sie aufgerissen hatte. Rebekka allerdings war unberechenbar und undurchschaubar, aber vielleicht hatte sie es ja drauf...

Daniel lachte auch. „Dann muss ich das arme Rebekkalein wohl ein bisschen pflegen.“ Der Gedanke, das arme Rebekkalein – bei dieser Bezeichnung musste er wieder grinsen, denn sie passte so unglaublich schlecht auf Rebekka – ein wenig pflegen zu müssen, schien auf einmal sehr verlockend zu sein, und er verabschiedete sich eilig von Max mit den Worten: „Spielen wir nachher eine Partie Billard?“

„Klar doch, ich hoffe nur, Zirza ist nicht da.“ Die Abneigung in Max’ Stimme war kaum zu überhören.

„Max!“ flüsterte Morgaine mit zärtlicher Stimme und schlang ihre Arme um Max’ Knie.

„Ich glaube, sie will bei dir bleiben“, sagte Daniel.

„Lass sie ruhig hier. Ich muss nur kurz beim Erbsen-Laster vorbeischauen und kontrollieren, ob sie alles aufgeladen haben. Und danach gehen wir zu Kalybos und den Fohlen, ist das okay, Morgaine?“ Max konnte anscheinend gut mit kleinen Kindern, denn Morgaine führte wie eine winzig kleine Ballerina einen Freudentanz auf.

 

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Zirza würde weder zum Abendessen noch später erscheinen. Sie musste sich erst wieder fassen. Sie war immer noch verwirrt über die Ausstrahlung des Kindes. Obwohl in dieser Familie öfter so etwas auftrat, war die kleine Morgaine wirklich außergewöhnlich. Wie gut, dass sie sich um dieses Kind gekümmert hatte. Es war unersetzlich und überaus kostbar.

Sie durfte die Batterien nicht vergeuden. Sie hatte zwar genug Ersatzbatterien dabei, aber wenn aus irgendwelchen Gründen zur Neige gehen würden, stünde sie schutzlos und entblößte da. Welch entsetzliche Vorstellung!

Dieses Kind durfte ihre Gedanken nicht lesen, und der GWU war ein fantastisches kleines Gerät, das Gehirnwellen nach außen hin zerhackte und neugierigen Telepathen keine Möglichkeit ließ, Gedanken zu lesen oder die Bilder zu sehen, die Zirza in ihrem Kopf sah. Schlimme Bilder vielleicht. Verräterische Bilder, Bilder, in denen Leute tot in ihrem Blute lagen... Doch trotz des GWUs hatte sie ein leichtes Prickeln gespürt, das Gerät musste sich also sehr anstrengen, um ihre Gedanken zu verbergen.

Außerdem faszinierte sie der attraktive Vater des Kindes ein wenig. Sollte sie mit ihm einen letzten Versuch wagen? Aber der würde letztendlich doch in die Hose gehen, sie hatte da schon ihre Erfahrungen gemacht.

Zirza war nicht böse, nur absolut bar jeder Moral, und das Wort Gewissen war ihr fremd. UND SIE WAR ALLEIN! Niemand konnte ihr Wesen verstehen, geschweige denn billigen. Natürlich gab es kleine Kriecher, die sie anbeteten und ihr dienten, ihr Exverlobter zum Beispiel, der ihr damals wundervolle chemische Stoffe zur Verfügung gestellt hatte, da war sie schon mit Archie verheiratet. Aber suchte etwas anderes, jemanden, der so war wie sie.

Denn sie war die Medusa, und wer sie wirklich anblickte, der erstarrte dabei zu Stein.

Ihre Ehe mit Archibald funktionierte nur deswegen, weil sich das Paar nur alle paar Wochen sah. So konnte sie ihn leicht täuschen, und im Bett hatte sie Sachen drauf, die ihn das andersartige Wesen seiner Frau vergessen ließen. Sie duldete ihn und mochte ihn seltsamerweise, aber er war verändert seit ihrem letzten Besuch, sie hatte es sofort gespürt. Eine andere Frau? Rebekka vielleicht? Unwahrscheinlich, die war auf Daniel fixiert, obwohl sie es gar nicht wusste. Es war egal, auch Archie würde sie beiseite räumen, die ganze Familie musste weg! Auch die anderen Erben, von denen die von Kampes gar nichts wussten und auch nie erfahren würden. Alle mussten weg!

Aber trotzdem wäre sie dann immer noch allein, auch wenn sie alles erben würde. Ihr eigenes ‚Kind’ war so grässlich entstellt gewesen, dass sie es vor Enttäuschung fast selber getötet hätte, aber diese entsetzliche Missgeburt war von alleine gestorben.

Es gab nie mehr ein Kind, das überlebte, mit wem sie es auch versuchte. Archie hatte nie etwas von diesen Schwangerschaften bemerkt, denn sie hielt sich in den verräterischen Wochen von Kampodia fern und war offiziell auf Geschäftsreisen.

Irgendwann hatte sie die Hoffnung auf Nachwuchs aufgegeben. Aber vielleicht war die neuartige Technik des Klonens eine Alternative. Ein paar weibliche Zirzas, ein paar männliche Zirzas, welch aufgeilender Gedanke! Die Pharmafirma, in der sie tätig war – es handelte sich um eine nicht gerade zimperliche Firma – würde ihr bestimmt dabei behilflich sein...

 

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KAPITEL IV – Teil 4 VATERSCHAFTEN...

 

Sabine war zwar Rebekkas beste Freundin, und sie vertraute ihr fast alles an, aber dennoch fühlte sie sich erleichtert nach ihrer Abreise. Sabine hatte einen total anderen Tagesablauf als sie, schlief an ihren freien Tagen, also auch im Urlaub bis in die Puppen und war dafür bis in die späte Nacht unterwegs. Das fand Rebekka auf Dauer stressig. Aber jetzt hatte sie die Wohnung für sich und Morgaine alleine und brauchte auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Ich will natürlich für den Urlaub bezahlen, dachte sie, während sie unter der Dusche stand und sich über ihre zartbraune Haut wunderte. Die Nase sah aber bestimmt nicht so zartbraun aus... Und hoffentlich war es nicht zu teuer. Sie musste unbedingt Andy für die Reitstunden bezahlen, auch wenn die Kleine sich weigern würde, das Geld anzunehmen. Aber trotzdem würde sie darauf bestehen, allein schon wegen der armen Katzen. Und dieser Urlaub würde bestimmt teuer werden, aber andererseits hat sie seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Und es lohnt sich, weil es Morgaine gefällt, sie fühlt sich total glücklich hier, alle lieben sie, sie kennt jede Menge Leute... So könnte es in der Stadt nie sein. Und das ist das Geld schon wert, sie wird es irgendwo anders einsparen. Sie kann sparen und ist ihr Leben lang genügsam gewesen...

 

Sie kam aus dem Badezimmer, als es an der Tür klopfte, und sie war gerade dabei, ihre Beine einzucremen, die auch ein wenig zuviel Sonne abbekommen hatten. Genauso wie ihre Nase und ihre Stirn. Und das trotz Kopftuch! Sie hatte auf Nase und Stirn jeweils einen länglichen Cremeklecks geklatscht zum späteren Verreiben. Sie trug nur hauchzarte Shorts - etwas anderes hätte sie nicht auf ihrer leicht brennenden Haut ertragen können - und als Oberteil ein superleichtes weißes Batistshirt ohne Ärmel und nicht einmal taillenkurz.

Daniel starrte sie an und fing an zu lachen.

„Was gibt's denn da zu lachen?“ fragte sie ein bisschen beleidigt.

„Du siehst aus wie ein Skunk“, sagte er.

„Oh danke! Und wieso?“

„Die haben manchmal auch so einen weißen Streifen auf der Nase und auf der Stirn.“

„Na gut, wie ein Skunk eben. Ich mag Skunks! Kennst du den Comic mit dem Skunk, der sich in eine schwarzweiße Katze verliebt?“

„Natürlich kenne ich den, komm’ her Cherie... Es war wohl ein französischer Skunk. Erinnert mich irgendwie an deine Geschichte von den französischen Katzen, die in Frankreich gesiezt werden.“ Wieder musste Daniel lachen.

„Ach die! Da war ich wohl ganz schön besoffen an diesem Abend!“ Das war eine gute Antwort, fand sie, das Besoffensein stellte die nachfolgenden Ereignisse in ein ganz anderes Licht. In ein unbeabsichtigtes Licht. Sie zuckte mit den Schultern. Natürlich wusste sie, dass ihre Schultern schön waren, genauso schön wie ihre Arme. Die Beine waren auch nicht schlecht, lang und schlank. Alles in allem fand Rebekka, dass ihre Figur auch ohne viel Sport straff und gut proportioniert war und sie eigentlich zu wenig Fett auf den Rippen hatte. Die Schwangerschaft war spurlos an ihrem Körper vorübergegangen, und Rebekka war ihrem ausgezeichneten Bindegewebe sehr dankbar dafür… Ihren Busen fand sie allerdings ein bisschen zu groß, aber es hatte sich noch keiner drüber beschwert, ganz im Gegenteil. Auch Daniel hatte sich nicht drüber beschwert. Aber der war ja kein Maßstab.

Sie ging nach draußen auf den Balkon, während sie die Aftersun-Lotion im Gesicht und auf dem Hals zart verrieb, und Daniel folgte ihr.

„Was willst du?“ Rebekka ließ sich bequem auf einem Terrassenstuhl nieder. Ihr taten immer noch alle Glieder weh von dieser blöden Arbeit auf den Erbsenfeldern, vor allem der Nacken. Mit einem leichten Stöhnen ließ sie den Hals nach hinten fallen und versuchte mit ihren Händen den Schmerz in den Muskeln wegzukneten.

„Was ist?“ fragte Daniel aufmerksam.

„Ach nichts, es ist nichts.“ Bei diesen Worten zuckte Rebekka zusammen. Es tat nämlich doch weh.

Daniel stellte sich hinter sie und fing an, ihren Nacken zu massieren. Ganz zart und vorsichtig. Und Rebekka fing an sich daran zu gewöhnen, fing an es zu genießen. Seine Hände waren angenehm kühl, und er verstand es, sie irgendwie, wieso und warum wusste sie nicht, in Erregung zu versetzen. Wenn er seine Hände jetzt ein wenig tiefer vorne... Rebekka stöhnte auf.

„Tut es weh?“

„Nein... nein...“, gab sie mühsam von sich, während ihr Körper sich seinen Händen immer mehr zuwendete. Wenn er vielleicht ihre Brüste auch... Oh Gott! Sie schloss ihre Augen und dachte an nichts anderes mehr als an seine Hände und was sie alles tun könnten. Und an seinen Mund und an ihren Körper, heiße Lippen auf kühler Haut, oder umgekehrt, kühle Lippen auf heißer Haut. Erregung breitete sich wellenförmig aus und erreichte andere Stellen... Sie ächzte auf und riss sich zusammen. Das wäre ja noch schöner, wenn sie hier auf der Stelle einen Orgasmus kriegte, nur weil er ihren Nacken massierte. Aber es war schwer, den Körper unter Kontrolle zu bekommen...

„Wer ist eigentlich der Vater von Morgaine?“

Rebekka tauchte langsam aus den Tiefen ihrer Erregung empor, abgekühlt und erschreckt durch diese unziemliche Frage. Es war, als hätte ihr jemand einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet.

„WAS?“ Ihre Stimme ließ nichts Gutes verheißen.

„Na der Vater. Wer ist der Vater? Könnte es sein, dass ich der Vater bin?“ Daniel massierte Rebekka immer noch, aber er stellte fest, dass ihre Nackenmuskeln jetzt total verhärtet waren.

Sie drehte sich um zu ihm, mit einem leichten Stöhnen, weil es immer noch weh tat, und er musste zwangsläufig seine Hände von ihr nehmen.

„Du der Vater? Heiliger Strohsack! Nur weil wir mal eine Nacht lang rumgerammelt haben? Du spinnst doch wohl!“ Rebekka sah ihn wild an und fasste sich gleichzeitig an den Nacken, um seine Massage fortzusetzen, denn es war so gut gewesen.

Aber dann gab sie es auf, sich selber zu massieren, stand stattdessen auf und baute sich vor ihm in furchterregender Größe von einsfünfundsechzig Zentimetern auf.

„Es könnte doch durchaus sein.“ Er ließ sich tatsächlich nicht einschüchtern.

„Ist es aber nicht! Der Vater ist ein Idiot, und ich bin froh, dass Morgaine nichts von ihm geerbt hat...“

„Es war nicht der, den du heiraten wolltest?

„Nein, der war es nicht. Aber was geht dich das eigentlich an?“ Rebekka sah ihn giftig an.

„Wer war es dann?“ Daniel konnte nicht damit aufhören, weiter zu bohren.

„Es war ein Typ, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dir hatte.“ Wieso hatte sie das Bedürfnis, sie müsse Morgaines Aussehen erklären, obwohl bis jetzt noch niemand irgendwas in dieser Richtung angedeutet hatte. Aber sie musste diesem Blödsinn auf jeden Fall einen Riegel vorschieben. „Ich war drei Monate lang mit ihm zusammen, und dann war Schluss.“

„Du hast recht, sie sieht mir ein bisschen ähnlich, das ist mir noch gar nicht aufgefallen...“

„Das ist doch Einbildung!“ Rebekka war ein wenig verunsichert, und sie ärgerte sich, weil sie das Thema Ähnlichsehen überhaupt angeschnitten hatte. „Kleine Kinder sehen doch allen möglichen Leuten ähnlich, falls man viel Fantasie hat...“

„Weiß er es?“ Daniel wusste nicht, warum er ihr diese Frage stellte, sie war ihm spontan eingefallen.

„Ich weiß nicht...“ Sie schaute ihn an wie ein in die Enge getriebenes Tier – und ging dann zum Angriff über: „Ich habe ihn hinausgeworfen! Ich wollte nicht, dass er der Vater ist. Er ist ein Idiot und total bescheuert!“

„Aber er ist der Vater?“ bohrte Daniel nach.

„Biologisch natürlich nur. Aber ich wollte ihn nicht als Vater. Morgaine braucht keinen Vater! Und ich brauche auch keinen Vater!“

Ich brauche nämlich keinen Vater! „Das ist doch Quatsch, Rebekka“, sagte Daniel eindringlich.

„Nein, das ist kein Quatsch“, erwiderte Rebekka aufgebracht. „Du verwöhntes Söhnchen hattest bestimmt einen guten Vater, aber meiner war zum Kotzen!“ Mit diesen Worten schob sie Daniel zur Tür hinaus und sagte: „Danke fürs Massieren!“

Der total verblüffte Daniel stand einige Minuten draußen auf dem Flur, starrte auf die geschlossene Tür und dachte sich so einiges. Aber er war sich jetzt sicher, dass da irgendetwas nicht stimmte, und das bereitete ihm seltsamerweise viel Freude, bis auf ‚den zum Kotzen gewesenen Vater’ von ihr... Und er hatte jetzt die Nase voll. Es war wieder wie bei seiner Ankunft, sie war absolut unzugänglich, hackte dauernd auf ihm herum, und er war so blöd, sich das gefallen zu lassen und immer wieder angekrochen zu kommen. Damit war jetzt erst einmal Schluss, er war schließlich kein Hampelmann, obwohl sie das zu glauben schien.

 

>>> Als sie noch klein ist, ist der Vater lieb zu ihr, sie kriecht immer am Sonntagmorgen zu ihm ins Bett, denn es ist schön und warm bei ihm. Die Mutter betrachtet sie dann mit verkniffenen Augen und schmalen Lippen. Zu ihr geht sie nie ins Bett.

Jahre später renovieren die Eltern das Haus, alles wird gestrichen, tapeziert und verändert. Sie bestellen ein neues Bett für Rebekka, und das alte Bett ist weg, bevor das neue kommt. Sie muss für eine Nacht zwischen ihnen schlafen in ihrem Ehebett. Da wo sie früher mit Papa immer so glücklich war als kleines Mädchen. Sie liegt in der Besucherritze und kann nicht schlafen, es ist ungewohnt. Papa schiebt sich an sie heran und berührt sie an der Taille. Sie macht sich steif und hat Angst. Sie weiß, dass es nicht richtig ist, sie ist immerhin dreizehn Jahre alt und nicht blöde. Seine Hand geht unmerklich tiefer zwischen ihre Beine, die sie zusammenklemmt, aber er ist stark, und sie traut sich nicht zu schreien. Er klemmt seine Hand zwischen ihren Beinen ein und fängt an zu stöhnen. Sie liegt da wie erstarrt und atmet nicht. Er fängt heftiger an zu stöhnen, und jetzt hält sie sich eine Hand vor den Mund, um nicht zu schreien. Geh weg, will sie schreien. Geh weg! Aber es kommt nichts heraus. Das Stöhnen hört nach einer Weile auf, und seine Hand verliert den Griff auf sie. Sie schiebt seine Hand vorsichtig weg, er merkt es nicht, er schläft bestimmt, denn er schnarcht. Aber sie weiß genau, dass die Mutter nicht schläft. Sie hat alles mitbekommen, und sie hasst sie, das weiß sie genau. Aber sie ist kein schlechtes Kind, nein... Oder doch?

Der Vater tut danach so, als wäre gar nichts gewesen, aber die Mutter behandelt sie noch mieser als vorher. Aber sie hat nichts Unrechtes getan, das weiß sie. Trotzdem träumt sie manchmal in der Nacht davon, und am Tage überlegt sie manchmal, ob alle Männer so sind. So untreu, so triebhaft, so schlecht... <<<

 

Rebekka steht immer noch an der Tür, dort wo sie Daniel hinausgeschoben hat. Eigentlich ist das alles schon lange vorbei, sie hat es überwunden, und sie hat keine Schuld daran. Schuld hat nur ihr Vater. Aber wie kann man seinem Kind so etwas antun? Darüber wird sie wohl nie hinwegkommen.

Rebekka tut es fast leid, dass sie Daniel so abgewimmelt hat, aber etwas in ihr will es so. Es kommt nicht oft vor, es kommt vielleicht nur vor, wenn sie sich bedroht fühlt. Und von Daniel fühlt sie sich bedroht. Aber warum nur? Er hat ihr doch gar nichts getan.

 

Ende KAPITEL IV  Holidays in Kampodia   © Ingrid Grote 2008/2010

 

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