KAPITEL
IV – Teil 1 ANDROMEDA und DANIEL
Daniel betrachtete das gerahmte Bild an der Wand, er kannte die darauf
Abgebildete, ohne den Untertitel gelesen zu haben, der folgendermaßen lautete: Die
Kaiserin in Irland 1881, Elisabeth von Österreich bei der Jagd.
Die Kaiserin hatte einst als beste Reiterin und als schönste Frau der
Welt gegolten. Außerdem praktiziert sie damals schon modernes Fitnesstraining.
„Das sind meine Bücher“, erzählte Andy und wies auf ein gut gefülltes
Bücherregal, das rechts vom Fenster in die Wand eingebaut war. „Ich habe sie
alle gelesen, die meisten schon, als ich neun war.“
Daniel trat neugierig näher, zog vorsichtig ein Buch aus der obersten
Reihe und las den Titel des Buches: Lady Chatterley.
„Das hast du mit neun gelesen?“, fragte er zweifelnd.
„Klar! Und ich habe alles verstanden“, behauptete Andy stolz.
„Ist ja nicht weiter schlimm. Da ist nichts drin, was anstößig wäre
für so ein zartes Alter“, meinte Daniel lächelnd, er überflog flüchtig die
anderen Titel in dieser Reihe und war froh, dass ‚Die Geschichte der O’ nicht
dabei war. Das hätte er dann doch als unpassend empfunden, die Geschichte um
den Masochismus einer Frau, die sich einem Mann total unterwirft – und
schließlich von ihm weitergereicht wird an einen Freund. Eine Spielart der
Lust, aber so etwas sollte ein kleines Mädchen nicht lesen, er jedenfalls würde
seine Tochter – wenn er denn eine hätte – davon abhalten...
„Schau an, was haben wir denn hier?“ Er nahm den Roman ‚Lolita’ aus
dem Regal und blätterte ihn schnell durch. „Hast du die Bücher geerbt?“
„Sie stammen teilweise von meiner Mutter, aber die meisten sind von
Tante Claudia. Als sie hierhin zurückkam, hat sie mir die Bücher überlassen.
Sie wollte sie nicht wegwerfen, sie hat immer gesagt: Auch der größte
geschriebene Mist hat einen Sinn, nämlich den Mist darin zu erkennen. Und sie
hat auch immer gesagt: Es gibt wirklich nichts, was nicht an subjektiver
Idiotie irgendwann auf Papier verewigt worden ist.“
„Da hat sie verdammt noch mal Recht!“ Daniels Respekt vor Claudia Mansell
wuchs. Zuerst war er ja skeptisch gewesen, als er sah, wie Rebekka und vor
allem auch Morgaine immer bei ihr rumhingen, aber sie schien schwer in Ordnung
zu sein.
„Das mit Lolita“, Andy nahm Daniel den Roman aus der Hand, „kann man
doch verstehen, oder? Ein ganz junges Mädchen, noch keine Frau, könnte doch
anziehend auf einen viel älteren Mann wirken. Oder etwa nicht?“
„Vielleicht... Ich glaube allerdings, er hat es anders gemeint. Er hat
sich an Mädchen aufgegeilt, die noch keine richtigen Frauen waren, weil er
Angst vor richtigen Frauen hatte.“
„Du findest also junge Mädchen nicht attraktiv, Daniel?“ Andy hatte
Daniel bei seinem letzten Satz gar nicht richtig zugehört.
„Das habe ich nicht gesagt. Natürlich sind sie schön... Aber für
meinen Geschmack fehlt ihnen doch einiges.“ Daniel blickte Andy forschend an,
als er das sagte.
„Du meinst, sie können noch keine richtige Liebe empfinden?“
„Das ist... äääh, das weiß ich nicht“, Daniel zuckte zusammen, als ihm
ein bestimmter Gedanke kam. Konnte es sein, dass sie in ihn verliebt war? Kam
Max deswegen nicht so richtig aus sich heraus, war er etwa eifersüchtig auf
ihn? Das würde einiges erklären. Max hielt sich von ihm fern und brachte immer
neue Ausreden an, warum er keine Zeit für ihn hatte. Aber Daniel wollte mit ihm
Gitarre spielen, wollte sich mit ihm unterhalten, denn er mochte ihn sehr,
diesen verschlossenen Mann.
„Du weißt doch, dass Rebekka und ich uns von früher kennen“, begann er
vorsichtig.
Andromeda schaute ihn gespannt an.
„Ich war damals noch mit einer anderen Frau zusammen, aber es ging
nicht mit ihr. Es war...“
„Es war was?“
„Es war Murks“, Daniel lächelte schief. „Rebekka und ich, wir
verbrachten eine Nacht zusammen. Und ich habe mich noch nie so gefühlt wie in
dieser Nacht...“
„Ja aber...“
„Ich weiß, es war nicht richtig, und Rebekka wusste das auch. Sie
wollte nichts mit mir zu tun haben, ich war ihr total egal.“ Daniel machte eine
kurze Pause, bevor er fortfuhr: Doch später dann wusste ich, dass es ihr doch
nicht so egal war...“
„Und wieso wusstest du das, Daniel? Du kannst doch nicht in Leute
hineinsehen.“ Andromedas Stimme klang belegt und verlegen. „Und vielleicht war
es ihr ja wirklich egal.“
Daniel zögerte mit der Antwort. Er hatte noch nie mit jemanden über
die Sache gesprochen, denn es hörte sich mit Sicherheit ziemlich abstrus und
unwahrscheinlich an. Nämlich so, als ob er verrückt wäre.
„Es ist seltsam“, begann er unsicher und suchte nach passenden Worten.
„Ich glaube, ich habe Visionen, ich sehe vielleicht Sachen aus der Zukunft, ich
kann sie zwar nicht richtig erkennen, aber einiges doch. Da ist ein Traum, in
dem ich Morgaine sehe.“
„Die kleine Morgaine? Aber das ist doch nichts Besonderes!“
„Nein, nicht die kleine Morgaine, sondern die große Morgaine.“ Daniel
schaute Andromeda forschend an und suchte in ihr ein gewisses Verständnis.
„Wieso die große Morgaine“, fragte sie ungläubig.
„Es ist die Morgaine, die etwa fünfundzwanzig Jahre alt ist“, sagte
Daniel und beeilte sich zu erklären: „Ich weiß, dass sie es ist! Denn jetzt
habe ich sie auch in der Wirklichkeit gesehen. Sie sieht in dem Traum immer
noch so aus, älter zwar, aber es ist Morgaine, das weiß ich. Und ich glaube,
ich bin ihr Vater.“
„Nein!“ Andromeda war geschockt. Bis jetzt hatte sie ihm ungläubig
zugehört, aber das mit Morgaine war zu seltsam, um nicht zu stimmen. Jetzt
fielen ihr auch gewisse Ähnlichkeiten zwischen Daniel und Morgaine auf, die
anscheinend noch kein anderer bemerkt hatte. Die Augen zum Beispiel, die gerade
Nase und überhaupt die Mimik, die beide so sparsam hatten, die aber
unverwechselbar war.
„Doch, es ist wahr. Und es steht wohl fest, dass Rebekka und ich
zusammenkommen werden. Morgaine weiß das auch…“ Er log nicht, er hatte diesen
seltsamen Traum schon öfter gesehen, er war immer klarer geworden. Das
Hochzeitsbild über dem Kamin zeigte ihn und Rebekka, dessen war er sich sicher,
und obwohl das natürlich absurd war, konnte er sich der Vorstellung nicht
entziehen, wie es wohl wäre, wenn es so wäre...
„Was? Morgaine ist auch...“
„Viel mehr als ich“, Daniel biss sich auf die Lippen. „Bei mir ist es
kaum ausgeprägt. Aber Morgaine hat eine unglaubliche Kraft in dieser Beziehung,
obwohl sie noch so jung ist. Bei mir ist es erst in den letzten Jahren
gekommen, eigentlich erst, seitdem Morgaine existiert. Wenn ich es früher
gehabt hätte, dann hätte ich bestimmt nicht so viel Mist gebaut...“
„Das ist doch Quatsch, Daniel!“ Andy überlegte angestrengt, bevor sie
sagte: „Wenn du dieses oder jenes nicht getan hättest, dann wärst du doch gar
nicht mit Rebekka zusammengekommen, und Morgaine wäre auch nicht da.“
„Interessante Einsicht, Kitten! Ich merke schon, du verstehst es, im
Gegensatz zu mir. ich rätsele nämlich immer noch herum, ob diese Visionen nur
Möglichkeiten zeigen, die vielleicht wahr werden können, es aber nicht
unbedingt müssen.“
„Man muss natürlich etwas dafür tun“, sagte Andromeda weise, während
ihr gerade schemenhaft bewusst wurde, dass er für sie verloren war. Falsch,
nicht verloren, denn man kann nur etwas verlieren, was man gehabt hat. Und sie
hatte ihn nie gehabt.
„Oh Andy, du hast verdammt noch mal Recht! Aber es ist seltsam, nicht
wahr? Auch dass ich hier bin hat seinen Grund. Ich hatte mehrere Träume, in
denen ich Rebekka gesehen habe. Zuerst wusste ich nicht, wo sie war. Dann sah
ich Max neben Rebekka stehen. Es war hier in Kampodia, ich kannte Kampodia,
weil Max mir mal ein Bild davon gezeigt hat. Und dann sah ich, wie Rebekka
weinte. Also rief ich Max an, und der hat uns dann alle eingeladen.“ Nach einer
nachdenklichen Pause fügte Daniel hinzu: „Es war einfach ein Schuss ins
Blaue...“
Andy hörte seine Stimme wie durch einen Nebel hindurch, das Blut stieg
ihr ins Gesicht, und sie fühlte förmlich, wie ihr irgendetwas in der Herzgegend
wehtat. Wellen des Schmerzes breiten sich in ihrem ganzen Körper aus, und sie
konnte nur schwer Luft holen. Sie senkte den Kopf, damit er ihr nicht ins
Gesicht schauen und vor allem ihre Augen nicht sehen konnte. Mühsam gewann sie
ihr seelisches Gleichgewicht wieder, aber währenddessen jagten ihre wirren
Gedanken umher. Morgaine war vielleicht sein Kind? Sie hatte zwar gespürt, dass
zwischen Daniel und Rebekka etwas war, aber so etwas war, das konnte nicht
sein. Doch, es stimmte. Daniel würde sie nie anlügen. Wusste es Rebekka? Sie
hatte nicht den Eindruck gemacht, als ob sie es wüsste. Aber sie war seltsam
befangen gewesen.
Er war für sie verloren. Wieder schmerzte etwas in ihrer Herzgegend,
aber sie riss sich zusammen. „Und was war mit Rebekka? Warum hat sie es dir
nicht gesagt?“
„Ich glaube, sie weiß es selber nicht“ sagte Daniel und verzog das
Gesicht. „Sie behauptet doch tatsächlich, den wirklichen Vater hinausgeworfen
zu haben...“
„Liebst du sie?“ fragte Andy gewissenhaft. All ihre Träume waren den
Bach hinunter gegangen. Ihre Liebe zu ihm war sinnlos. Er liebte eine andere
und hatte ein Kind mit ihr.
„Ja“, sagte Daniel schließlich. Es klang hilflos, als ob er nicht
wüsste, warum es so war.
Andy streckte ihre Hand aus und fuhr zart mit der Hand über seine Augenbraue.
Er war für sie verloren, aber zu ihrer Verwunderung fühlte sie sich seltsam
erleichtert. Es tat nicht mehr so weh wie vor ein paar Minuten. Und was hatte
sie sich denn vorgestellt? Eigentlich nur ein paar Küsse, na ja vielleicht ein
bisschen mehr, aber sie hatte sich nie richtig ein Leben mit ihm vorstellen
können. An einem bestimmten Punkt hatten ihre Liebesphantasien immer stagniert,
alles hatte aufgehört zu sein und war sozusagen im Nichts verlaufen...
Daniel nahm ihre Hand von seinem Gesicht und küsste Andy leicht auf
die Wange, bevor er sich zurückzog.
„Ich bin ein ziemlich verkorkster Typ. Ich hoffe, du verliebst dich
nicht in so einen wie mich, wenn du dich mal verlieben wirst.“ Daniel mochte
dieses Mädchen wirklich, sie kam seinem neuen Idealbild einer Frau sehr nahe,
abgesehen von ihrer Jugend natürlich, sie war geradeheraus wie Rebekka, so
natürlich wie Rebekka, und sie sah Rebekka ähnlich. Rebekka, immer wieder
Rebekka...
„Bestimmt nicht“, sagte Andy mit leicht zitternder Stimme.
„Ach Kitten! Ich gehe mit dir jede Wette ein, dass du ein cleveres
Mädchen bist.“
„Ich weiß nicht. Ich heiße nicht umsonst Andromeda.“
„Wie meinst du das, Kitten?“ Daniel verstand sie nicht. „Ich kenne das
Sternbild Andromeda. Man sieht aber nur ein paar Sterne, es ist zwar groß, aber
nicht besonders ausgeprägt, das einzig interessante Objekt in ihm ist die
Schwesterngalaxie der Milchstraße, der Andromedanebel,.“ Daniel hatte echt
Ahnung von Astronomie, und er liebte es, darüber zu dozieren...
„Meine Mutter war eine halbe Griechin“, Andromeda zog mit
traumwandlerischer Sicherheit ein dickes zerfleddertes Buch aus dem
Bücherregal.
„Griechische Sagen? Die sind hochinteressant“, Das stimmte, er fand
sie wirklich hochinteressant, vor allem weil viele Sternbilder aufgrund dieser
Sagen ihre Namen erhalten hatten.
Andromeda schwieg eine Weile, sie dachte an ihre Mutter, die sie nie
kennen gelernt hatte. Wie mochten sich wohl andere Kinder fühlen, deren Mutter
noch lebte? Eigentlich vermisste Andromeda nichts, sie war ein zufriedenes,
meistens sogar glückliches Mädchen, das von vielen geliebt wurde, ihre beiden
Tanten ersetzten ihr die Mutter, aber dennoch hätte sie ihre Mutter gerne
kennen gelernt.
„Wieso heiße ich Andromeda? Warum wollte meine Mutter, dass ich so
genannt werde. Wo ist mein Perseus?“ Andromeda kannte sich gut aus mit den
griechischen Sagen, vor allem mit der Perseus-Sage, in der die Königstochter
Andromeda einem Meeresungeheuer geopfert werden soll. Ihre Mutter Kassiopeia
hat die Götter beleidigt, doch Andromeda wird von dem Halbgott Perseus
gerettet. Er bezwingt für Andromeda die abscheuliche Medusa und heiratet sie,
natürlich nicht die abscheuliche Medusa, sondern die Königstochter Andromeda.
„Die Geschichte hinkt aber“, sagte Daniel lächelnd. „Deine Mutter hat
bestimmt nicht die Götter beleidigt. Und außerdem brauchen die Mädchen
heutzutage keinen Perseus mehr, die können sich gut selber helfen. Du vor allen
Dingen...“
Andromeda seufzte in sich hinein.
„Du wirst deinen Perseus schon finden. Und vielleicht hast du ihn ja
schon gefunden.“ Daniel dachte dabei vage an Max, der Andromeda damals im Wald
entdeckt und wahrscheinlich vor dem Tode gerettet hatte. „Aber wie gesagt,
Kitten, du brauchst ihn nicht wirklich.“
Hier irrte Daniel, er irrte nicht oft, aber hier irrte er...
„Wäre aber trotzdem schön, wenn...“, murmelte Andromeda vor sich hin.
Dann riss sie sich zusammen, und ihr Körper straffte sich: „Eigentlich wollte
ich zu Max. Darf ich es ihm erzählen? Ich muss es ihm erzählen!“
„Er ist kein Schwätzer, oder?“ Diese Frage war natürlich rein
rhetorisch, denn Daniel wusste, dass Max kein Schwätzer war. „Aber erzähl’ ihm
nicht das von diesen seltsamen Fähigkeiten. Ich bin mir ja selber nicht sicher,
ob und überhaupt... Erzähl’ ihm nur, dass Morgaine vielleicht meine Tochter
ist.“ Daniel wandte sich zum Gehen.
„Max ein Schwätzer? Das ist er bestimmt nicht“, Andromeda musste zwar
lachen, dennoch hatte der Blick, den sie Daniel hinterherschickte, viel von
Trauer und Verzicht in sich – aber auch von Erleichterung. Sie musste daran
denken, wie sie neben Max im Landrover saß, nachdem er sie, Rebekka, Morgaine
und Daniel aus Schießhaus abgeholt hatte. Er war so vertraut, sie musste sich
ihm gegenüber nicht verstellen, sie musste sich nicht älter geben, als sie war.
Und sie konnte mit ihm schweigen.
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
KAPITEL
IV – Teil 2 ERBSENFELDER
Am nächsten Morgen – einem sehr sehr frühen Morgen – bereute Rebekka
schwer, dass sie sich auf die Sache mit dem Erbsenpflücken eingelassen hatte.
Man weckte sie nämlich um halb fünf. Heiliger Strohsack!
Das übliche
Frühstücksbüffet war noch nicht auf dem großen langen Tisch im Frühstücksraum
aufgebaut, stattdessen gab es dort appetitlich aussehende Pakete mit – wie
Rebekka vermutete – Nahrungsmitteln drin und auch mehrere beschrifte
Thermoskannen zum Mitnehmen. Rebekka hatte trotz der frühen Morgenstunde schon
so einen Hunger, dass sie am liebsten eines dieser Päckchen aufgemacht und ein
wenig vom Inhalt genascht hätte, aber sie bezwang dieses Verlangen frauhaft.
Stattdessen goss sie sich eine Tasse Kaffee ein, um einigermaßen wach zu
werden.
Außer ihr kamen noch zwei andere genauso verschlafen aussehende Frauen
zum Erbsenpflücken mit, Miss die geile Biggi natürlich, die mit dem armen Sammy
verheiratet war und eine pummelige Dunkelhaarige, die seit gestern mit ihrem
Mann und ihren zwei Kindern da war und die Rebekka noch nicht so gut kannte.
Und einige Frauen jeglichen Alters aus dem Dorf waren da. Sie nahmen sich auch
je ein Frühstückspaket vom Tisch.
Man nickte sich mehr oder weniger verschlafen zu.
„Hi Ladies!“ Ein munter aussehender Max betrat den Frühstücksraum, im
Schlepptau hatte er Andromeda, die wohl auch aus dem Bett gefallen war.
„Du kommst mit?!“ Rebekka wandte sich erleichtert an Andy. Gestern
Abend war sie nicht zum Essen erschienen, und Rebekka hatte sie nicht fragen
können, ob sie mitgehen würde. Dafür waren die Männer sehr lustig gewesen, so
richtig großprahlerisch, sie hatten nämlich am Nachmittag die Erbsenpflanzen
auf den Erbsenfeldern umgehauen, alle bis auf Archie, der ein kultivierter Mann
war im Gegensatz zu.... Rebekka musste trotzdem lächeln. Männer waren ja
irgendwie liebenswert wie Kinder, ab und zu jedenfalls.
„Klar komme ich mit.“ Andromeda musste lachen. „Max hat gesagt, ich
hätte es mal wieder nötig.“
Die hagere Blondine Biggi fing giggelig an zu lachen, und Andromeda
verstand nicht, warum dieses dürre Weib so dämlich lachte.
„Wann habt ihr denn das letzte Mal richtig körperlich gearbeitet,
Ladies?“ Max ignorierte das anzügliche giggelige Lachen – er schien wirklich
eine ausgezeichnete Laune zu haben, zumindest im Vergleich zu den letzten
Tagen, und Rebekka fragte sich, was wohl diese ausgezeichnete Laune bewirkt
hatte.
Verlegenes Schweigen breitete sich aus, zumindest unter den
Hotelgästen.
„Wusste ich’s doch! Also, habt ihr die Decken? Gut. Sonnenschutz? Gut.
Essensrationen? Hüte? Kopftücher?“
Alle nickten.
„Dann können wir ja los.“ Max wandte sich zur Tür. „Wir machen es
heute richtig ökologisch, das heißt, keine Motoren, kein Benzin, keine
sonstigen Maschinen. Nur reine geballte menschliche, genauer gesagt weibliche
Arbeitskraft. Leider sind keine Männer da. Die wissen anscheinend nicht, wie
man richtig arbeitet.“
Diese Worte wurden mit einem zustimmenden Gemurre begrüßt, und jede
Frau, auch die älteste und verhärmteste sah Max an, als, wäre er eine
Offenbarung. Auch Rebekka empfand ihn als außergewöhnlich. Sie war aufgewachsen
in einer Familie, in der Mädchen anscheinend nicht hochgeschätzt wurden, in
einer Familie, in der Söhne erwünscht waren. Wie im alten und auch im neuen
China, dachte Rebekka traurig, und das sollte jetzt die Gleichberechtigung
sein? Mitten in Europa?
„Sag’ mal, sieht es nicht nach schlechtem Wetter aus?“ Sie schaute
Andromeda hilfeheischend an.
„Nee, Rebekka.“ Andromeda musste lachen, denn Rebekka suchte wohl
einen Grund, um sich vor den Erbsenfelder zu drücken.
„Gestern war der Himmel am Horizont graurosa, und das ist ein sicheres
Zeichen für eine langfristige Schönwetterperiode. Alte Bauernweisheit. Außerdem
müssen die Erbsen gepflückt werden, egal ob es regnet oder stürmt.“
Dann gibt es also kein Entrinnen, dachte Rebekka und fügte sich in ihr
Schicksal. Worauf habe ich mich da eingelassen, fragte sie sich. Warum bin ich
hier und trage meine ältesten mittlerweile zu Shorts umgewandelten Jeans? Ich
bin zwar arm, aber nicht so arm, dass ich diese Arbeit nötig hätte, ich trage
ein ausgeleiertes T-Shirt, das ich fast schon weggeschmissen hätte und ein...
Kopftuch! Und ich wünschte, ich wäre noch im Bett. Hoffentlich achten sie gut
auf Morgaine. Sabine ist zwar da, aber nur bis zum Mittag, dann fährt sie mit
Georg und der Zigarettenschnorrerin nach Hause. Ob Daniel wohl mit zurückfährt?
Glaube ich nicht. Er hat aber nichts gesagt, na ja, geht mich ja auch nichts
an… Claudia wird auf Morgaine achten. Ist sie aber auch zuverlässig? Ihre
Psychose… Nein, ich vertraue ihr. Und Daniel auch, er ist ja ganz verschossen
in Morgaine. Führt sich fast auf, als wäre er ihr Vater. Rebekka ließ diesen
peinlichen Gedanken fallen wie eine heiße Kartoffel...
Vor dem Herrenhaus stand ein Leiterwagen, und vor ihn waren zwei
gewaltig breite Ackergäule gespannt. So dicke Hintern hatte Rebekka selten
gesehen. Außer vielleicht bei der Wirtin Maryann in Kampodias einziger Kneipe,
die sie mittlerweile ein wenig kennen gelernt hatte.
Unter großen Gejohle kletterten die Frauen mehr oder weniger
umständlich auf das hölzerne Gefährt, sie ließen sich nieder, steckten ihre
Beine durch die Öffnungen zwischen den Holzstangen an der Seite des
Leiterwagens und ließen sie hinunterbaumeln.
„Ich muss jetzt schon einen Sonnenstich haben, sonst würde ich das
nicht mitmachen, dachte Rebekka. Und Gott sei Dank liegt Daniels Zimmer nach
hinten raus, und er kann mich nicht sehen…
Unter weiterem Gekicher ging die Fahrt dann los. Andromeda saß vorne
neben Max auf dem Kutschbock. Sie trug eine weite bequeme Hose, aber kein
Kopftuch, sondern hatte einen Strohhut aufgesetzt, der ihr ausgezeichnet stand.
Sie kann tragen, was immer sie will, sie sieht fantastisch aus, dachte
Rebekka neidlos.
Max schien das auch zu finden, denn er hatte wieder diesen Blick, den
er nur bekam, wenn Andromeda in der Nähe war.
Nach einer halbstündigen vergnügten Fahrt hatten sie die
sagenumwobenen Erbsenfelder erreicht. Sie kamen Rebekka unheimlich groß vor.
Alle Erbsenpflanzen lagen flach auf dem Boden. Die Männer hatten gestern
wirklich gründliche Arbeit geleistet, mit Macheten hatten sie die armen
Erbsenpflanzen zur Strecke gebracht – und sie hatten sich dabei wohl ganz schön
ausgetobt. Nach dem Abendessen, bei dem sie alles in sich hineingeschlungen
hatten wie die Wölfe, saßen sie ziemlich müde an der Bar, und sogar dem immer
eifrigen Sammy fielen fast die Augen zu. Rebekka allerdings spielte eine Partie
Billard mit Archie, und sie wusste, dass Daniel sie beobachtete. Es machte sie
ein bisschen nervös, aber trotzdem besiegte sie Archie dreimal. Nicht schlecht
bei so einem alten gerissenen Fuchs, der auch noch so attraktiv war. Leider
hatte Archie dann noch etwas anderes vor, irgendwo außerhalb, Sabine war auch
nicht da, und Rebekka ging früh zu Bett. Das war gut gewesen so im nachhinein…
Das riesige Erbsenfeld war durch niedrige und weniger niedrige Hecken
in unregelmäßige Quadrate unterteilt.
„Das hat Max angeordnet. Max sagt, man braucht Vögel, die irgendwo
nisten können. Und Max sagt, er braucht Vögel, um das Ungeziefer in Schach zu
halten. Denn es gibt natürlich Ungeziefer, wenn man die Felder nicht mit
Herbiziden und Pestiziden besprüht. Außerdem befestigen die Hecken den Boden,
und er wird nicht durch Wind und Regen weggespült.“
„Das leuchtet mir ein.“ Rebekka musste in sich hineinlächeln über
Andromedas Eifer, ihr Max‘ Ansichten zu erklären. Die Kleine schien sich ja
wirklich für seine ökologischen Maßnahmen zu interessieren.
Mehrere ältere, aber auch einige jüngere Frauen aus dem Dorf knieten
schon auf dicken Decken in einer Reihe und pflückten die Erbsenschoten von den
abgeschnittenen Erbsenpflanzen ab, die wie ein Teppich über das Feld verstreut
lagen.
Alle hatten Jutesäcke neben sich, von denen einige schon halb voll
waren.
Wann sind die denn aufgestanden, fragte sich Rebekka verwundert.
„Okay, nehmt eure Plätze ein.“ Max war immer noch gutgelaunt. „Ich
werde dann mal zurückfahren. Ich komme mittags vorbei, um die ersten wieder
mitzunehmen.“
„Du bleibst nicht hier?“ fragte Rebekka enttäuscht.
Auch die anderen Frauen machten lange Gesichter. Mit Max wäre das
Erbsenpflücken um einiges erotischer gewesen, denn jede von ihnen hatte schon
einmal davon geträumt, wie es wohl mit ihm wäre...
„Bin ich verrückt?“ grinste Max. „Ich leg’ mich jetzt erst mal wieder
ins Bett.“ Er bestieg wieder den Leiterwagen, dirigierte die riesigen
Ackergäule in einem großen Kreis wieder zurück, winkte den Frauen noch einmal
zu und verschwand dann langsam hinter der nächsten Biegung des Feldwegs.
„Der
Bastard!“ sagte Andromeda säuerlich. „Kann sich noch mal ins Bett legen...“
Nach zehn Minuten eifrigen Pflückens taten Rebekka die Knie und sonst
noch einiges weh.
„Ignoriere den Schmerz“, wurde sie von Andromeda ermahnt.
„Du hast gut reden. Ich glaube, meine Kniescheibe ist bald durch“,
maulte Rebekka und versuchte, ein wenig hin und herzurutschen, um den Druck zu
mindern.
„Das geht schon vorbei“, sagte Andromeda tröstend. Das Mädel hatte
anscheinend schon Erfahrung in dieser Beziehung.
Ein paar Minuten arbeiteten sie schweigend nebeneinander.
„Wieso hat Biggi eigentlich so dämlich gekichert?“ fragte Andromeda
nach einer Weile.
Rebekka schaute schnell zu ihr herüber und stellte fest, dass
Andromedas Jutesack schon jetzt voller aussah als ihrer. Aber das kitzelte
ihren Ehrgeiz, und sie würde sich eben mehr anstrengen müssen…
„Sie ist nicht besonders glücklich mit Sammy. Vielleicht hat sie sich
was Besseres unter der Ehe vorgestellt“, sagte sie schließlich zu Andromeda.
„Aber trotzdem“, Andromeda verzog ihren hübschen Mund, „muss sie nicht
jeden Kerl anmachen...“
„Doch, doch, das muss sie!“ berichtete Rebekka. „Die macht jedem
schöne Augen. Zu Daniel kommt sie auch immer an. Hach, mein Kühlschrank lässt
sich nicht öffnen, oder: Hach, ich krieg das Fenster nicht zu. Hach, mein
Wellensittich muss entwurmt werden – und so Sachen. Warum fragt sie nicht ihren
eigenen Mann?“
Rebekka hatte sich mittlerweile entschlossen, Daniel nicht mehr bei
jeder Gelegenheit anzugiften, wahrscheinlich würde er sich dadurch noch
geschmeichelt fühlen – und außerdem mochte Morgaine ihn. Himmel, sie mochte ihn
nicht nur, sie war total vernarrt in ihn. Unverständlich, wirklich
unverständlich...
Bei Daniels Erwähnung schaute Andromeda ein wenig traurig, aber dann
fing sie an zu lachen. „Was für eine Schlampe! Außerdem finde ich sie“,
Andromeda blickte über die Schulter hinüber zu den beiden anderen Frauen, aber
die waren Gott sei Dank außer Hörweite, „nicht gerade hübsch. „Dieses
abgezehrte Gesicht und diese dürre Figur!“
„Ich verstehe das auch nicht! Aber Männer haben eben manchmal einen
seltsamen Geschmack“, sagte Rebekka im Brustton der Überzeugung, das war nicht
gelogen, sie verstand den Geschmack der Männer wirklich nicht. Und sie hatte
natürlich Andromedas traurigen Blick gesehen. Sie kommt drüber hinweg, dachte
sie. Nein, sie ist schon fast drüber hinweg. Und diese Biggi ist wirklich
unmöglich...
„Ja, ich weiß.“ sagte Andromeda nachdenklich und dachte dabei an den
Abend, als sie Max und seine blöde Freundin belauscht hatte.
Wieder arbeiteten sie eine Weile schweigend vor sich hin.
„Andy, sag’ mal, bist du eigentlich noch ääääh... Jungfrau?“ Rebekka
hätte sich die Zunge abbeißen können wegen dieser vorwitzigen Frage, aber
Andromeda schien ihr diese Frage nicht übel zu nehmen.
„Ich bin zwar noch Jungfrau“, erzählte Andromeda ziemlich locker,
„aber nicht so richtig, wenn du weißt, was ich meine...“
Rebekka nickte, sie hatte eine ungefähre Vorstellung von dem, was
Andromeda ausdrücken wollte.
„Jedenfalls habe ich schon mit Jungs rumgefummelt, aber wirklich
passiert ist es nicht...“
„Muss ja auch nicht sein“, meinte Rebekka nachdenklich.
„Aber manchmal denke ich, ich bin nicht richtig normal.“
„So ein Quatsch“, Rebekka war entrüstet, sie überlegte eine Weile und
sagte dann: „Vielleicht wartest du auf den Richtigen. Und du bist doch noch so
jung. Also warte lieber, denn es kann leicht in die Hose gehen.“ Rebekka sprach
aus Erfahrung, denn bei ihr war es ja auch in die Hose gegangen trotz
anfänglicher Verliebtheit und einigermaßen sexueller Befriedung war es in die
Hose gegangen, es hatte zwar ein paar quälende Jahre gedauert mit dem irren
Michael, aber anscheinend hatte sie daraufhin gearbeitet, dass es in die Hose
ging. Rebekka schwieg. Dieser Gedanke war ihr spontan gekommen, und vielleicht
war er sogar wahr.
„Ich habe keine Ahnung, ob ich auf den Richtigen warte“, sagte
Andromeda nach einer längeren Pause. „Ich weiß nur, dass ich ein bestimmtes
Bild im Kopf habe. Am Anfang bin ich immer richtig geil – aber wenn es dann
Ernst wird, dann bin ich auf einmal nicht mehr geil, weil das Bild nicht mehr
stimmt. Und dann kann ich es nicht mehr ertragen. Nicht mehr weitergehen... Ist
schon seltsam!“ Andromedas Gesicht sah ratlos aus. „Jedenfalls halten die Jungs
mich bestimmt für eine verklemmte Zicke.“
„Mach’ dir nichts draus, was die Jungs von dir halten“, sagte Rebekka
und fügte aufmunternd hinzu: „Irgendwann wird das Bild schon stimmen.“
Was erzählte sie da eigentlich? Konnte es wahr sein, das mit dem Bild,
das irgendwann schon stimmen würde? Sie überlegte. Dieses Bild hatte sie schon
einmal gesehen, ein einziges Mal in ihrem Leben, aber das lag bestimmt an dem
Alkohol, den sie vorher konsumiert hatte... Also Quatsch!
Als sie um neun Uhr endlich die große Frühstückpause machten, meinte
Rebekka, noch nie so einen Hunger verspürt zu haben wie in diesem Augenblick.
Die mitgebrachten Brote waren fantastisch, sie waren mit der dorftypischen
hausgemachten Dosenwurst belegt, es gab Äpfel und Pflaumen dazu, Kaffee und Tee
aus den Thermoskannen und sogar Malzkaffee war dabei. Sie saßen auf ihren
Decken und aßen, als ob sie tagelang nichts zu essen bekommen hatten. Und dabei
war es doch gerade mal neun Uhr.
Als es dann mit der Arbeit weiterging und sie wieder auf ihren Säcken
knieten und Erbsen pflückten, geriet Rebekka in eine leicht euphorische
Stimmung, weil sie so gut mithalten konnte mit den anderen Frauen. Klar doch,
ich bin flexibel, dachte sie, ich kann Massenarbeiten machen, aber ich kann
auch eine astreine Druckvorlage für einen Katalog oder sonst was erstellen und
erspare dem Chef viel Geld dadurch. Kein Wunder, dass der Chef erfreut war, als
sie ein Jahr nach Morgaines Geburt wieder in der Firma arbeitete.
„Weißt du eigentlich, dass du in einem Paradies lebst?“ sagte sie
schließlich zu Andy. „Und ich möchte eigentlich gar nicht weg von hier.“
„Paradies? ...Nein das ist es nicht“, sagte Andromeda nach einer Weile.
„Du musst bedenken, dass das Gut ein Hotel ist. Es zeigt nicht das normale
Leben auf dem Land. Wir betreiben nur Landwirtschaft und außer der Pferdezucht
machen wir kaum was mit Tieren. Okay, die Schweine, die sind für den
Eigenbedarf, aber die haben ein ganz gutes Leben, solange sie leben
jedenfalls...“ Wieder machte Andromeda eine Pause. „Massenviehzucht machen die
anderen, und das ist die Wirklichkeit. Lass’ dich nicht täuschen! Das Gut ist
eine Illusion und dürfte es in dieser Form gar nicht geben. Aber Dad liebt es
nun mal und will es so erhalten.“
„Schade, dass es nicht überall auf dem Lande so ist.“ meinte Rebekka
enttäuscht.
„Es gibt auch viel Elend hier, wovon die Touristen auf den ersten
Blick nichts sehen. Wenn ich nur an die Katzen denke...“
„Was ist denn mit den Katzen?“
„Es gibt zu viele von ihnen. Sie werden nicht sterilisiert und
vermehren sich dann unkontrolliert. Man findet die Kleinen nach zwei Monaten
irgendwo auf dem Heuboden, und dann geht einer hin, steckt sie in einen Sack
und ersäuft sie im Teich. Das ist schrecklich, nicht wahr?“
Das ist grausam.“ Rebekka war entsetzt und fühlte sich urplötzlich aus
ihrem Traum vom Landleben gerissen.
„Ich versuche, sie in den Ställen der Bauern aufzustöbern und sie zum
Tierarzt zu bringen, bevor sie wieder trächtig sind, aber es ist fast immer zu
spät. Dafür arbeite ich, weißt du, ich pflege die Pferde, ich reite sie, ich
gebe Reitstunden. Aber fast alles, was ich damit verdiene, geht für den
Tierarzt drauf.“
„Das wusste ich gar nicht.“ Rebekka war erstaunt über Andromedas
Bereitschaft, sich so hingebungsvoll für die Landkatzen einzusetzen. Das
Mädchen hatte es wirklich drauf, gut zu sein, und Rebekka bewunderte sie dafür.
„Onkel Herbie, der nebenbei auch auf die Jagd geht, hat mal ein paar
kleine Kätzchen erschossen, statt sie zu ersäufen. Kannst du dir das
vorstellen? Aber er hat gesagt, so ein Gemetzel würde er nicht noch einmal
veranstalten.“ Onkel Herbie war der Dorfpapagalli, der sogar Rebekka letztens
angemacht hatte, als sie die Dorfkneipe besuchte.
„Oh Gott!“
„Jetzt bringen Max und Dad die Kleinen zum Tierarzt in Brunswick und
lassen sie dort einschläfern. Es ist traurig, aber es ist die einzige
Möglichkeit. Wenn wir sie hier lassen, würden es immer mehr werden. Sie würden
sich gegenseitig mit allen möglichen Krankheiten wie zum Beispiel
Katzenschnupfen anstecken. Und sie sehen so mickrig aus und haben Geschwüre an
den Augen, und sie vermehren sich trotzdem. Ach, es ist schlimm“, schloss
Andromeda verzweifelt.
Rebekka schwieg betroffen. Also doch kein Paradies. Aber eigentlich
hätte sie es ja wissen müssen, denn sie war selber auf dem Land groß geworden,
zwar in einer Kleinstadt, aber die lag auf dem Land. Vermutlich hatte sie das
alles verdrängt. „Menschen sind schlimm. Viele handeln aus Unwissenheit und aus
Bequemlichkeit, manche handeln aber aus reiner Boshaftigkeit. Sie sind wie
schreckliche Dämonen, so oder so“, sagte sie, und sie wusste gar nicht, wie sie
auf diese Worte kam.
Andromeda schaute sie von der Seite her erstaunt an. Was redete
Rebekka da? Aber irgendwie hörte es sich plausibel an.
Seltsamerweise hatte Rebekka Recht, wenn es auch unbewusst war. Es gab
in Kampodia zeitweise einen nicht zu unterschätzenden Dämon, den allerdings
noch keiner als Dämon entlarvt hatte.
Um die Mittagszeit – Max erschien übrigens nicht – hatte Rebekka die
Nase voll. Sie hatte tatsächlich ein paar Säcke mit Erbsen voll gepflückt und
hievte sie an den Leiterwagen, wo sie von einem grinsenden Helfer in Empfang
genommen wurden. Die Säcke wurden gewogen, und Rebekka erhielt fünf Zettel, auf
denen jeweils die Gewichte der Säcke standen.
„Können wir mitfahren?“ fragte sie den Helfer. Sie drehte sich zu
Andromeda um. „Was meinst du, Andy? Oder willst du etwa noch weitermachen?“
Andy schüttelte den Kopf. Sie kletterten auf den Leiterwagen, und
Rebekka fühlte sich so angenehm erschöpft wie noch nie. Alle Knochen taten ihr
weh, aber das leichte Rumpeln des Leiterwagens passte irgendwie gut zu ihren
Schmerzen. Ihre Arme, ihre Beine und vor allem ihre Nase hatten ein bisschen
viel Sonne abbekommen, aber auch das war ein angenehmes Gefühl.
Als sie mit dem Leiterwagen langsam in den Gutshof einfuhren, spürte
Rebekka instinktiv eine Veränderung am und im Hof.
Ein LKW mit Kühlvorrichtung stand mitten auf dem Hof. Er sollte wohl
die Erbsen in irgendeine Fabrik bringen. Aber das war nicht der Grund für die
Veränderung, die Rebekka spürte. Schließlich sah sie es:
Ein rotes Mercedes-Cabriolet stand auf dem Parkplatz vor dem Haus, und
eine elegant gekleidete Frau mit kurz geschnittenem schwarzen Haar stand vor
der dreiflügeligen Eingangstüre und unterhielt sich mit Archie. Hinter den
beiden stand Daniel mit Morgaine auf dem Arm – er schleimte sich tatsächlich
bei Morgaine ein – die beiden Tanten standen neben ihm, und ihre Gesichter
drückten nicht gerade Begeisterung aus.
Zirza, die fast nie anwesende Herrin des Hauses, hatte sich die Ehre
gegeben und war aus der vierhundert Kilometer entfernten Hauptstadt angereist.
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
KAPITEL
IV – Teil 3 DIE HERRIN DES HAUSES
Rebekka kam sich total bescheuert vor mit ihrer schmutzigen
abgeschnittenen Jeans, ihrem dämlichen Kopftuch, das sie blöderweise noch auf
dem Kopf trug und mit ihrer wahrscheinlich geröteten Nase. Sie wusste zwar
nicht, ob die Nase wirklich gerötet war, aber sie brannte etwas, und das war
kein gutes Zeichen.
„Hallo Zirza“, sagte Andromeda recht kühl. Das Verhältnis zwischen ihr
und ihrer Stiefmutter war genauso unterkühlt wie ihre Stimme. Sie hatten sich
noch nie sehr nahe gestanden. Zirza war nicht der mütterliche Typ, der knuffige
Kleinkinder, egal wie entzückend süß und niedlich sie aussahen, herzen und
hätscheln würde. Mit der fast erwachsenen Andromeda schien sie allerdings ganz
gut klarzukommen...
„Ich habe dir ein paar Sachen mitgebracht“, sagte sie lächelnd zu
ihrer Stieftochter. „Sie werden dir ganz fantastisch stehen.“
Andromeda nickte geschmeichelt. In Kampodia konnte man überhaupt keine
Klamotten kaufen, in Brunswick war die Auswahl auch recht bescheiden, und
deswegen war sie froh, wenn Zirza ihr ab und zu ein paar Sachen aus einer ihrer
Boutiquen mitbrachte. Mit diesen Sachen war sie dann die Königin von Kampodia,
und die Jungen, die Andromeda normalerweise nicht beachteten, weil sie eine von
ihnen war, konnten sich einreden, sie wäre eine Touristin aus der Fremde, wo
die Mädels viel reizvoller waren als hier. Auf Dauer war es natürlich total
oberflächlich, aber ab und zu machte es Andromeda Spaß, diese Sachen zu tragen.
Und man konnte über Zirza sagen was man wollte, aber die Frau hatte einen
wirklich guten Geschmack...
Zirza war mittelgroß, sehr schlank, und sie trug ihr schwarzes Haar so
kurz geschnitten, dass ihr kindlicher Kopf förmlich zum Darüberstreicheln
einlud.
Diese Frisur ist wirklich raffiniert, dachte Rebekka. Automatisch fiel
ihr dazu ‚Kindchenschema’ ein. Männer und natürlich auch Frauen wollten eine
solch hilflos und süß wirkende rundliche Stirn und auch den dazu gehörenden
Körper instinktiv beschützen. Das war reine Psychologie und außerdem ein Trick
der Natur, um den Nachwuchs vor Übergriffen übler Zeitgenossen, seien es
Menschen oder seien es Tiere, zu bewahren.
Zirza trug zu ihrer kindlichen Frisur ein hellfarbenes Kostüm aus
weicher Rohseide. Es sah schweinisch teuer aus und schmiegte sich mit
Perfektion an ihre schlanken Glieder. Sie trug hochhackige Schuhe und sah aus
wie eine Diva in einem Hollywoodfilm, so wie Doris Day, aber viel hübscher und
mit schwarzen Haaren. Zirzas Augen waren tiefdunkel – Rebekka hatte noch nie solche
Augen gesehen – und ihr voller, aber nicht zu üppiger Mund war korallenrot
geschminkt.
Vielleicht sollte sie ihren Mund auch mal auffälliger schminken...
Rebekka bekam auf der Stelle Minderwertigkeitskomplexe, nicht nur wegen ihrer
augenblicklichen desolaten Erscheinung, nein sogar in ihrem normalen Outfit
hätte sie Komplexe bekommen. Sie trug nur selten elegante Kleidung, vielleicht,
weil sie ihre weibliche Seite nicht betonen wollte. Oder weil ihr das Geld dazu
fehlte? Nein, es war doch eher wegen der weiblichen Reize...
Zirza war auch sehr nett zu Rebekka. „Und Sie müssen Rebekka sein“,
sagte sie freundlich und fügte bedauernd hinzu: „Sie waren bestimmt auf diesen
grauenhaften Erbsenfeldern.“
„Oh ja! Es war schrecklich.“ Rebekka überlegte angestrengt eine kleine
Weile und sagte dann unentschlossen: „Nein, eigentlich war es schön. Ach, ich
weiß nicht...“ Sie verstummte und ihr Blick blieb blöderweise bei Daniel
hängen, der sie angrinste und mit dem Zeigefinger erst auf seine und dann auf
ihre Nase deutete. Oh Gott! Sie verstand. Sie hatte wirklich einen Sonnenbrand
auf ihrer Nase.
Rebekka begrüßte auch ihre Tochter Morgaine, die gelangweilt in die
Luft guckte, dann auf Zirza schaute – und dann wieder gelangweilt in die Luft
guckte. Morgaine empfing nämlich überhaupt nichts von dieser Frau, als ob diese
Frau überhaupt nicht denken würde. Oder ihre Gedanken waren völlig schwarz und
somit undurchschaubar, und das war laaangweilig...
Rebekka ging zu Daniel hin, nahm ihm Morgaine stillschweigend ab und
näherte sich mit ihrer Tochter der Dame des Hauses. Irgendwie wollte sie Zirza
beeindrucken, und Morgaine schien das geeignete Objekt dafür zu sein. Verzeih
mir, kleine Morgy, dachte sie, aber ich wette, so etwas wie dich hat sie nicht!
Aus den Augenwinkeln sah Rebekka, wie Tante Bernadette und Claudia
Mansell miteinander tuschelten und Zirza von der Seite her verstohlen ansahen.
Beide waren wohl nicht sehr begeistert über ihre Ankunft. Konnte man verstehen,
den bisher waren die beiden Schwestern die Herrinnen im Herrenhaus gewesen.
„Das ist meine Tochter Morgaine“, sagte Rebekka zu Zirza, und der
Stolz in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Zirza trat unmerkbar einen Schritt zurück, als Rebekka ihr mit Morgaine
auf dem Arm näher kam. „Was für ein nettes kleines Mädchen“, meinte sie
schließlich zögernd.
Rebekka bemerkte eine gewisse Verwirrung auf Zirzas Gesicht. Oder war
es Fassungslosigkeit? Morgaine hatte manchmal eine seltsame Wirkung auf die
Leute...
„Ich hatte auch einmal ein Kind. Vor langer Zeit“, sagte Zirza leise
und wie um Entschuldigung bittend. „Aber es ist gestorben.“
„Oh Gott, das wollte ich nicht“, Rebekka biss sich verlegen auf die
Lippen. Wie hatte sie das nur tun können, eine Frau, die ihr Kind verloren
hatte, mit ihrem eigenen beeindrucken zu wollen. Sie setzte Morgaine ab, und
die lief sofort wieder zu Daniel hin.
„Es ist schon gut“, sagte Zirza. „Sie wussten ja nichts davon.“ Sie
zeigte wieder ihr beherrschtes schönes Gesicht und lächelte Rebekka an.
„Ich muss jetzt unbedingt duschen“, sagte Rebekka schließlich
verlegen.
„Wir sehen uns dann vielleicht später“, lächelte Zirza freundlich.
„Gern“, Rebekka atmete auf. Man hatte ihr also diese peinliche Sache
nicht übel genommen.
„Ich bringe sie dir gleich“, Daniel hatte nur die letzten Sätze von
dem Gespräch mitbekommen, er nahm Morgaine an die Hand und ging mit ihr über
den Hof in Richtung Verwalterhäuschen.
„Ja, mach’ nur“, sagte Rebekka mürrisch. War Morgaine eigentlich noch
ihr Kind, sie war ja nie da, jeder wollte sie haben. Aber dann musste sie
lächeln. Es war bestimmt gut für Morgaine, so viele Freunde zu haben, und sie
wollte nicht eifersüchtig sein.
Daniel fühlte sich gut. Rebekka stand ihm nicht mehr so feindselig
gegenüber wie am Anfang, und die Freundschaft mit Max war wieder intakt.
Daniel mochte den schweigsamen Verwalter, er hatte sich von seiner
offenkundigen Abneigung nicht abschrecken lassen. Sie hatten so viel gemeinsam,
sie mochten die gleiche Musik. Max spielte auch Gitarre, nicht besonders gut,
wie er sagte, aber er verstand Daniels Neigung zu Django Reinhardt. „Du spielst
wohl immer noch nicht Geige?“ hatte Daniel ihn jetzt als erstes gefragt, und
Max hatte das lachend verneint. Er wusste sofort, dass Daniel einen wie
Stéphane Grappelli suchte, den Jazzgeiger, der in Django Reinhardts Band
mitgespielt hatte.
Oder Kontrabass vielleicht?“ hatte Daniel weitergefragt.
„Siehst du einen hier rumstehen? Nein, was? Aber zur Not spiele ich
Rhythmusgitarre, wenn auch nicht besonders gut.“
Mit dieser Antwort gab sich Daniel zufrieden, denn Django hatte in
seiner Band zwei Rhythmusgitarristen gehabt, die quasi das Schlagzeug
ersetzten. War schon eine seltsame Kombination, Konzertgitarre, zwei
Rhythmusgitarren, ein Bass und eine Geige.
Und Max hatte ihm endlich den Lister-Jaguar vorgeführt, an dem er
manchmal herumschraubte, Max und Daniel teilten nämlich auch die Leidenschaft
für mittlerweile schon antike Rennwagen der 60er Jahre. Wobei der Lister-Jaguar
in seiner geilen Erscheinung eins von Daniels Lieblingsautos war.
Auch Morgaine liebte Max. Von ihm gingen zwar traurige Bilder aus, die
oft mit einem Baby im Wald zu tun hatten, und noch öfter tauchte ein furchtbar
aussehendes Ding in seinen Gedanken auf, aber Max war nicht böse, das fühlte
Morgaine, und sie hatte ihn fast so lieb wie ihren Daniel.
Natürlich ahnte Max nichts von Morgaines Fähigkeiten, die sich auf
Bild gewordene Gedanken und vielleicht auf noch mehr erstreckten. Woher sollte
er es auch wissen, wenn sogar Rebekka, Morgaines Mutter es nicht wusste. Und
der einzige, der überhaupt eine ungefähre Ahnung hatte, war Daniel. Und Daniel
schwieg darüber, weil er sie selber nicht genau kannte, die Fähigkeiten dieses
Kindes. Er hatte bis auf Andromeda noch mit niemandem darüber gesprochen, und
das Mädchen schien dicht zuhalten. Aber Morgaine war auf jeden Fall einzigartig
war, egal ob sie nun psi-begabt war oder nicht...
„Zirza ist seltsam“, meinte Daniel zu Max.
Max verschloss sich sofort, und Daniel erkannte, dass das Thema Zirza
ein Tabu-Thema war, das er besser nicht anfassen sollte.
„Lass dich nicht mit ihr ein“, sagte Max schließlich. „Die Frau ist
wie die Medusa. Wenn du sie anschaust, dann vernichtet sie dich.“
„Gut zu wissen...“ Daniel schaute ihn erstaunt an. Seltsam, Morgaine
hatte wohl keine ‚bösen’ Bilder in Zirza gesehen, sonst hätte er etwas davon
mitbekommen. Allerdings wusste er immer noch nicht, ob es Absicht von ihr war,
wenn sie ihm etwas ‚schickte’, oder ob es einfach so passierte. Dennoch
entschloss sich Daniel, Max’ Warnung ernst zu nehmen.
„Archie hat gesagt, entweder man verabscheut sie oder man verfällt
ihr“, sagte er und fuhr locker fort: „Gut, sie ist attraktiv und hat
wahrscheinlich einen Hang zu perversen Sachen, vor ein paar Jahren wäre ich
wohl voll auf sie abgefahren. Aber jetzt nicht mehr, und eigentlich ist sie mir
scheißegal.“
„Und das ist gut so. Außerdem ist sie lange nicht mehr so attraktiv
wie früher. Du hättest sie mal mit einundzwanzig sehen sollen...“
„Diese Augen sind ja auch faszinierend“, gab Daniel zu und bezog sich
auf Zirzas tiefdunkle Alienaugen, die so wunderbar mit ihrem korallenrot
geschminkten Mund harmonierten.
„Findest du?“
„Nein, nicht wirklich“, Daniel musste grinsen. „Ich denke, ich kümmere
mich jetzt mal ein bisschen um Rebekka. Ich glaube, das Erbsenpflücken ist ihr
nicht gut bekommen.“
„Ich wette, morgen tun ihr Knochen weh, von denen sie bis jetzt noch
gar nichts wusste...“ Max lachte. Andromeda hatte ihm inzwischen von Daniels Vermutung
erzählt, von wegen Tochter und so. Er hoffte für Daniel, dass es stimmte und
dass Rebekka mit ihm zusammenkommen würde. Daniels frühere Frauen hatten ihn
anscheinend nicht glücklich machen können, obwohl er sich den Arsch für sie
aufgerissen hatte. Rebekka allerdings war unberechenbar und undurchschaubar,
aber vielleicht hatte sie es ja drauf...
Daniel lachte auch. „Dann muss ich das arme Rebekkalein wohl ein
bisschen pflegen.“ Der Gedanke, das arme Rebekkalein – bei dieser Bezeichnung
musste er wieder grinsen, denn sie passte so unglaublich schlecht auf Rebekka –
ein wenig pflegen zu müssen, schien auf einmal sehr verlockend zu sein, und er
verabschiedete sich eilig von Max mit den Worten: „Spielen wir nachher eine
Partie Billard?“
„Klar doch, ich hoffe nur, Zirza ist nicht da.“ Die Abneigung in Max’
Stimme war kaum zu überhören.
„Max!“ flüsterte Morgaine mit zärtlicher Stimme und schlang ihre Arme
um Max’ Knie.
„Ich glaube, sie will bei dir bleiben“, sagte Daniel.
„Lass sie ruhig hier. Ich muss nur kurz beim Erbsen-Laster
vorbeischauen und kontrollieren, ob sie alles aufgeladen haben. Und danach
gehen wir zu Kalybos und den Fohlen, ist das okay, Morgaine?“ Max konnte
anscheinend gut mit kleinen Kindern, denn Morgaine führte wie eine winzig
kleine Ballerina einen Freudentanz auf.
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
Zirza würde weder zum Abendessen noch später erscheinen. Sie musste
sich erst wieder fassen. Sie war immer noch verwirrt über die Ausstrahlung des
Kindes. Obwohl in dieser Familie öfter so etwas auftrat, war die kleine
Morgaine wirklich außergewöhnlich. Wie gut, dass sie sich um dieses Kind
gekümmert hatte. Es war unersetzlich und überaus kostbar.
Sie durfte die Batterien nicht vergeuden. Sie hatte zwar genug
Ersatzbatterien dabei, aber wenn aus irgendwelchen Gründen zur Neige gehen
würden, stünde sie schutzlos und entblößte da. Welch entsetzliche Vorstellung!
Dieses Kind durfte ihre Gedanken nicht lesen, und der GWU war ein
fantastisches kleines Gerät, das Gehirnwellen nach außen hin zerhackte und
neugierigen Telepathen keine Möglichkeit ließ, Gedanken zu lesen oder die
Bilder zu sehen, die Zirza in ihrem Kopf sah. Schlimme Bilder vielleicht.
Verräterische Bilder, Bilder, in denen Leute tot in ihrem Blute lagen... Doch
trotz des GWUs hatte sie ein leichtes Prickeln gespürt, das Gerät musste sich
also sehr anstrengen, um ihre Gedanken zu verbergen.
Außerdem faszinierte sie der attraktive Vater des Kindes ein wenig.
Sollte sie mit ihm einen letzten Versuch wagen? Aber der würde letztendlich
doch in die Hose gehen, sie hatte da schon ihre Erfahrungen gemacht.
Zirza war nicht böse, nur absolut bar jeder Moral, und das Wort
Gewissen war ihr fremd. UND SIE WAR ALLEIN! Niemand konnte ihr Wesen verstehen,
geschweige denn billigen. Natürlich gab es kleine Kriecher, die sie anbeteten und ihr dienten,
ihr Exverlobter zum Beispiel, der ihr damals wundervolle chemische Stoffe zur
Verfügung gestellt hatte, da war sie schon mit Archie verheiratet. Aber
suchte etwas anderes, jemanden, der so war wie sie.
Denn sie war die Medusa, und wer sie wirklich anblickte, der erstarrte
dabei zu Stein.
Ihre Ehe mit Archibald funktionierte nur deswegen, weil sich das Paar
nur alle paar Wochen sah. So konnte sie ihn leicht täuschen, und im Bett hatte
sie Sachen drauf, die ihn das andersartige Wesen seiner Frau vergessen ließen.
Sie duldete ihn und mochte ihn seltsamerweise, aber er war verändert seit ihrem
letzten Besuch, sie hatte es sofort gespürt. Eine andere Frau? Rebekka
vielleicht? Unwahrscheinlich, die war auf Daniel fixiert, obwohl sie es gar
nicht wusste. Es war egal, auch Archie würde sie beiseite räumen, die ganze
Familie musste weg! Auch die anderen Erben, von denen die von Kampes gar nichts
wussten und auch nie erfahren würden. Alle mussten weg!
Aber trotzdem wäre sie dann immer noch allein, auch wenn sie alles
erben würde. Ihr eigenes ‚Kind’ war so grässlich entstellt gewesen, dass sie es
vor Enttäuschung fast selber getötet hätte, aber diese entsetzliche Missgeburt
war von alleine gestorben.
Es gab nie mehr ein Kind, das überlebte, mit wem sie es auch
versuchte. Archie hatte nie etwas von diesen Schwangerschaften bemerkt, denn
sie hielt sich in den verräterischen Wochen von Kampodia fern und war offiziell
auf Geschäftsreisen.
Irgendwann hatte sie die Hoffnung auf Nachwuchs aufgegeben. Aber
vielleicht war die neuartige Technik des Klonens eine Alternative. Ein paar
weibliche Zirzas, ein paar männliche Zirzas, welch aufgeilender Gedanke! Die
Pharmafirma, in der sie tätig war – es handelte sich um eine nicht gerade
zimperliche Firma – würde ihr bestimmt dabei behilflich sein...
~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
KAPITEL
IV – Teil 4 VATERSCHAFTEN...
Sabine war zwar Rebekkas beste Freundin, und sie vertraute ihr fast
alles an, aber dennoch fühlte sie sich erleichtert nach ihrer Abreise. Sabine
hatte einen total anderen Tagesablauf als sie, schlief an ihren freien Tagen,
also auch im Urlaub bis in die Puppen und war dafür bis in die späte Nacht
unterwegs. Das fand Rebekka auf Dauer stressig. Aber jetzt hatte sie die
Wohnung für sich und Morgaine alleine und brauchte auf niemanden Rücksicht zu
nehmen. Ich will natürlich für den Urlaub bezahlen, dachte sie, während sie
unter der Dusche stand und sich über ihre zartbraune Haut wunderte. Die Nase
sah aber bestimmt nicht so zartbraun aus... Und hoffentlich war es nicht zu
teuer. Sie musste unbedingt Andy für die Reitstunden bezahlen, auch wenn die
Kleine sich weigern würde, das Geld anzunehmen. Aber trotzdem würde sie darauf
bestehen, allein schon wegen der armen Katzen. Und dieser Urlaub würde bestimmt
teuer werden, aber andererseits hat sie seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht.
Und es lohnt sich, weil es Morgaine gefällt, sie fühlt sich total glücklich
hier, alle lieben sie, sie kennt jede Menge Leute... So könnte es in der Stadt
nie sein. Und das ist das Geld schon wert, sie wird es irgendwo anders
einsparen. Sie kann sparen und ist ihr Leben lang genügsam gewesen...
Sie kam aus dem Badezimmer, als es an der Tür klopfte, und sie war gerade
dabei, ihre Beine einzucremen, die auch ein wenig zuviel Sonne abbekommen
hatten. Genauso wie ihre Nase und ihre Stirn. Und das trotz Kopftuch! Sie hatte
auf Nase und Stirn jeweils einen länglichen Cremeklecks geklatscht zum späteren
Verreiben. Sie trug nur hauchzarte Shorts - etwas anderes hätte sie nicht auf
ihrer leicht brennenden Haut ertragen können - und als Oberteil ein
superleichtes weißes Batistshirt ohne Ärmel und nicht einmal taillenkurz.
Daniel starrte sie an und fing an zu lachen.
„Was gibt's denn da zu lachen?“ fragte sie ein bisschen beleidigt.
„Du siehst aus wie ein Skunk“, sagte er.
„Oh danke! Und wieso?“
„Die haben manchmal auch so einen weißen Streifen auf der Nase und auf
der Stirn.“
„Na gut, wie ein Skunk eben. Ich mag Skunks! Kennst du den Comic mit
dem Skunk, der sich in eine schwarzweiße Katze verliebt?“
„Natürlich kenne ich den, komm’ her Cherie... Es war wohl ein
französischer Skunk. Erinnert mich irgendwie an deine Geschichte von den
französischen Katzen, die in Frankreich gesiezt werden.“ Wieder musste Daniel
lachen.
„Ach die! Da war ich wohl ganz schön besoffen an diesem Abend!“ Das
war eine gute Antwort, fand sie, das Besoffensein stellte die nachfolgenden
Ereignisse in ein ganz anderes Licht. In ein unbeabsichtigtes Licht. Sie zuckte
mit den Schultern. Natürlich wusste sie, dass ihre Schultern schön waren,
genauso schön wie ihre Arme. Die Beine waren auch nicht schlecht, lang und
schlank. Alles in allem fand Rebekka, dass ihre Figur auch ohne viel Sport
straff und gut proportioniert war und sie eigentlich zu wenig Fett auf den
Rippen hatte. Die Schwangerschaft war spurlos an ihrem Körper vorübergegangen,
und Rebekka war ihrem ausgezeichneten Bindegewebe sehr dankbar dafür… Ihren
Busen fand sie allerdings ein bisschen zu groß, aber es hatte sich noch keiner
drüber beschwert, ganz im Gegenteil. Auch Daniel hatte sich nicht drüber
beschwert. Aber der war ja kein Maßstab.
Sie ging
nach draußen auf den Balkon, während sie die Aftersun-Lotion im Gesicht und auf
dem Hals zart verrieb, und Daniel folgte ihr.
„Was willst du?“ Rebekka ließ sich bequem auf einem Terrassenstuhl
nieder. Ihr taten immer noch alle Glieder weh von dieser blöden Arbeit auf den
Erbsenfeldern, vor allem der Nacken. Mit einem leichten Stöhnen ließ sie den
Hals nach hinten fallen und versuchte mit ihren Händen den Schmerz in den
Muskeln wegzukneten.
„Was ist?“ fragte Daniel aufmerksam.
„Ach nichts, es ist nichts.“ Bei diesen Worten zuckte Rebekka
zusammen. Es tat nämlich doch weh.
Daniel stellte sich hinter sie und fing an, ihren Nacken zu massieren.
Ganz zart und vorsichtig. Und Rebekka fing an sich daran zu gewöhnen, fing an
es zu genießen. Seine Hände waren angenehm kühl, und er verstand es, sie
irgendwie, wieso und warum wusste sie nicht, in Erregung zu versetzen. Wenn er
seine Hände jetzt ein wenig tiefer vorne... Rebekka stöhnte auf.
„Tut es weh?“
„Nein... nein...“, gab sie mühsam von sich, während ihr Körper sich
seinen Händen immer mehr zuwendete. Wenn er vielleicht ihre Brüste auch... Oh
Gott! Sie schloss ihre Augen und dachte an nichts anderes mehr als an seine
Hände und was sie alles tun könnten. Und an seinen Mund und an ihren Körper,
heiße Lippen auf kühler Haut, oder umgekehrt, kühle Lippen auf heißer Haut.
Erregung breitete sich wellenförmig aus und erreichte andere Stellen... Sie
ächzte auf und riss sich zusammen. Das wäre ja noch schöner, wenn sie hier auf
der Stelle einen Orgasmus kriegte, nur weil er ihren Nacken massierte. Aber es
war schwer, den Körper unter Kontrolle zu bekommen...
„Wer ist eigentlich der Vater von Morgaine?“
Rebekka tauchte langsam aus den Tiefen ihrer Erregung empor, abgekühlt
und erschreckt durch diese unziemliche Frage. Es war, als hätte ihr jemand
einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet.
„WAS?“ Ihre Stimme ließ nichts Gutes verheißen.
„Na der Vater. Wer ist der Vater? Könnte es sein, dass ich der Vater
bin?“ Daniel massierte Rebekka immer noch, aber er stellte fest, dass ihre
Nackenmuskeln jetzt total verhärtet waren.
Sie drehte sich um zu ihm, mit einem leichten Stöhnen, weil es immer
noch weh tat, und er musste zwangsläufig seine Hände von ihr nehmen.
„Du der Vater? Heiliger Strohsack! Nur weil wir mal eine Nacht lang
rumgerammelt haben? Du spinnst doch wohl!“ Rebekka sah ihn wild an und fasste
sich gleichzeitig an den Nacken, um seine Massage fortzusetzen, denn es war so
gut gewesen.
Aber dann gab sie es auf, sich selber zu massieren, stand stattdessen
auf und baute sich vor ihm in furchterregender Größe von einsfünfundsechzig
Zentimetern auf.
„Es könnte doch durchaus sein.“ Er ließ sich tatsächlich nicht
einschüchtern.
„Ist es aber nicht! Der Vater ist ein Idiot, und ich bin froh, dass
Morgaine nichts von ihm geerbt hat...“
„Es war nicht der, den du heiraten wolltest?
„Nein, der war es nicht. Aber was geht dich das eigentlich an?“
Rebekka sah ihn giftig an.
„Wer war es dann?“ Daniel konnte nicht damit aufhören, weiter zu
bohren.
„Es war ein Typ, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dir hatte.“ Wieso
hatte sie das Bedürfnis, sie müsse Morgaines Aussehen erklären, obwohl bis
jetzt noch niemand irgendwas in dieser Richtung angedeutet hatte. Aber sie
musste diesem Blödsinn auf jeden Fall einen Riegel vorschieben. „Ich war drei
Monate lang mit ihm zusammen, und dann war Schluss.“
„Du hast recht, sie sieht mir ein bisschen ähnlich, das ist mir noch
gar nicht aufgefallen...“
„Das ist doch Einbildung!“ Rebekka war ein wenig verunsichert, und sie
ärgerte sich, weil sie das Thema Ähnlichsehen überhaupt angeschnitten hatte.
„Kleine Kinder sehen doch allen möglichen Leuten ähnlich, falls man viel
Fantasie hat...“
„Weiß er es?“ Daniel wusste nicht, warum er ihr diese Frage stellte,
sie war ihm spontan eingefallen.
„Ich weiß nicht...“ Sie schaute ihn an wie ein in die Enge getriebenes
Tier – und ging dann zum Angriff über: „Ich habe ihn hinausgeworfen! Ich wollte
nicht, dass er der Vater ist. Er ist ein Idiot und total bescheuert!“
„Aber er ist der Vater?“ bohrte Daniel nach.
„Biologisch natürlich nur. Aber ich wollte ihn nicht als Vater.
Morgaine braucht keinen Vater! Und ich brauche auch keinen Vater!“
Ich brauche nämlich keinen Vater! „Das ist doch Quatsch, Rebekka“,
sagte Daniel eindringlich.
„Nein, das ist kein Quatsch“, erwiderte Rebekka aufgebracht. „Du
verwöhntes Söhnchen hattest bestimmt einen guten Vater, aber meiner war zum
Kotzen!“ Mit diesen Worten schob sie Daniel zur Tür hinaus und sagte: „Danke
fürs Massieren!“
Der total verblüffte Daniel stand einige Minuten draußen auf dem Flur,
starrte auf die geschlossene Tür und dachte sich so einiges. Aber er war sich
jetzt sicher, dass da irgendetwas nicht stimmte, und das bereitete ihm
seltsamerweise viel Freude, bis auf ‚den zum Kotzen gewesenen Vater’ von ihr...
Und er hatte jetzt die Nase voll. Es war wieder wie bei seiner Ankunft, sie war
absolut unzugänglich, hackte dauernd auf ihm herum, und er war so blöd, sich
das gefallen zu lassen und immer wieder angekrochen zu kommen. Damit war jetzt
erst einmal Schluss, er war schließlich kein Hampelmann, obwohl sie das zu
glauben schien.
>>> Als sie noch klein ist, ist der Vater lieb
zu ihr, sie kriecht immer am Sonntagmorgen zu ihm ins Bett, denn es ist schön
und warm bei ihm. Die Mutter betrachtet sie dann mit verkniffenen Augen und
schmalen Lippen. Zu ihr geht sie nie ins Bett.
Jahre später renovieren die Eltern das Haus, alles wird gestrichen,
tapeziert und verändert. Sie bestellen ein neues Bett für Rebekka, und das alte
Bett ist weg, bevor das neue kommt. Sie muss für eine Nacht zwischen ihnen
schlafen in ihrem Ehebett. Da wo sie früher mit Papa immer so glücklich war als
kleines Mädchen. Sie liegt in der Besucherritze und kann nicht schlafen, es ist
ungewohnt. Papa schiebt sich an sie heran und berührt sie an der Taille. Sie
macht sich steif und hat Angst. Sie weiß, dass es nicht richtig ist, sie ist
immerhin dreizehn Jahre alt und nicht blöde. Seine Hand geht unmerklich tiefer
zwischen ihre Beine, die sie zusammenklemmt, aber er ist stark, und sie traut
sich nicht zu schreien. Er klemmt seine Hand zwischen ihren Beinen ein und
fängt an zu stöhnen. Sie liegt da wie erstarrt und atmet nicht. Er fängt
heftiger an zu stöhnen, und jetzt hält sie sich eine Hand vor den Mund, um
nicht zu schreien. Geh weg, will sie schreien. Geh weg! Aber es kommt nichts
heraus. Das Stöhnen hört nach einer Weile auf, und seine Hand verliert den
Griff auf sie. Sie schiebt seine Hand vorsichtig weg, er merkt es nicht, er
schläft bestimmt, denn er schnarcht. Aber sie weiß genau, dass die Mutter nicht
schläft. Sie hat alles mitbekommen, und sie hasst sie, das weiß sie genau. Aber
sie ist kein schlechtes Kind, nein... Oder doch?
Der Vater tut danach so, als wäre gar nichts gewesen,
aber die Mutter behandelt sie noch mieser als vorher. Aber sie hat nichts
Unrechtes getan, das weiß sie. Trotzdem träumt sie manchmal in der Nacht davon,
und am Tage überlegt sie manchmal, ob alle Männer so sind. So untreu, so
triebhaft, so schlecht... <<<
Rebekka steht immer noch an der Tür, dort wo sie
Daniel hinausgeschoben hat. Eigentlich ist das alles schon lange vorbei, sie
hat es überwunden, und sie hat keine Schuld daran. Schuld hat nur ihr Vater.
Aber wie kann man seinem Kind so etwas antun? Darüber wird sie wohl nie
hinwegkommen.
Rebekka tut es fast leid, dass sie Daniel so
abgewimmelt hat, aber etwas in ihr will es so. Es kommt nicht oft vor, es kommt
vielleicht nur vor, wenn sie sich bedroht fühlt. Und von Daniel fühlt sie sich
bedroht. Aber warum nur? Er hat ihr doch gar nichts getan.